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Entlassung eines Polizeibeamten/Kommissaranwärters, oder: Eingestellte Unfallflucht und Quarantäneverstoß

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Und dann als zweite Entscheidung im „Kessel Buntes“ heute dann noch der OVG Saarland, Beschl. v. 13.12.2023 – 1 B 154/23. Es geht u.a. um die Entlassung eines Polizeibeamten auf Widerruf wegen fehlender charakterlicher Eignung, die mit einer Unfallflucht (§ 142 StGB) begründet worden ist und ein wenig auch mit einem Corona-Quarantäne-Verstoß.

Folgender Sachverhalt:

„Der in A-Stadt wohnhafte Antragsteller ist als Kommissaranwärter seit Oktober 2018 Beamter auf Widerruf bei der saarländischen Vollzugspolizei. Infolge einer Corona-Infektion wurde für ihn am 3.1.2022 die häusliche Absonderung (Quarantäne) vom 31.12.2021 bis zum 14.1.2022 angeordnet. In der Nacht vom 11. auf den 12.1.2022 verließ er die häusliche Quarantäne und fuhr mit einem Pkw in einen mehrere Kilometer entfernten Nachbarort. Auf dem nächtlichen Rückweg kam er (nach Aktenlage zwischen ca. 2.00 h und 3.00 h nachts) mit dem Pkw auf einer schmalen Verbindungsstraße von der witterungsbedingt glatten Straße ab und kollidierte mit mehreren Bäumen; das stark beschädigte Fahrzeug (wirtschaftlicher Totalschaden in Höhe von ca. 8.000.- €) kam mit ausgelösten Airbags ca. 2 m abseits der Straße und ca. 2 m oberhalb eines Bachlaufs zum Stehen. Der Antragsteller, der ausweislich des ärztlichen Attestes vom 13.1.2022 ein HWS-Schleudertrauma erlitten hatte, rief seine Mutter an und verließ mit ihr den Unfallort nach Hause, wo er sich schlafen legte.

Nachdem der verunfallte Pkw am Morgen des 12.1.2022 (ca. 6.00 h) von einem Bürger aufgefunden und gemeldet wurde, stellte die Polizei fest, dass die amtlichen Kennzeichen entfernt waren, die Fahrgestellnummer nicht lesbar war, die Abdeckung der Abschleppöse fehlte und Betriebsstoffe ausliefen (Kühlflüssigkeit), die in den angrenzenden Bach zu laufen drohten; im Fahrzeuginneren wurde ein Wappen der saarländischen Vollzugspolizei und eine auf den Antragsteller ausgestellte Kundenkarte gefunden. Die daraufhin gegen 7.50 h von einem Streifenkommando aufgesuchte Mutter des Antragstellers benannte ihren Sohn als Fahrer des Unfallfahrzeugs und gab an, man habe gegen 8.00 h einen Abschleppdienst informieren wollen, um dieses bergen zu lassen. Der anschließend als Beschuldigter vernommene Antragsteller gab an, er habe die Polizei nicht über den Unfall verständigt, weil das Fahrzeug, das sie zeitnah eigenständig hätten abschleppen lassen wollen, abseits der Straße gestanden und niemanden behindert habe; auf Fragen zu den fehlenden Kennzeichen und zum Verlassen der Quarantäne machte er keine Angaben. Der Eigentümer des betroffenen Grundstücks gab einen Schaden von ca. 350.- € für die Neupflanzung von vier Bäumen an und wies auf aufwendige Aufräumarbeiten hin.

Gegen den Antragsteller wurde ein Strafverfahren wegen Verdachts der Unfallflucht (§ 142 Abs. 1 StGB) und ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Verdachts des Verstoßes gegen die Absonderungspflicht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 CO-VP) eingeleitet. Mit Verfügung vom 14.1.2022 leitete der Antragsgegner außerdem ein – zugleich ausgesetztes – Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein, der am 31.1.2022 die Laufbahnprüfung zum Polizeikommissar ablegte.

Im Rahmen seiner Anhörung zur beabsichtigten Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gab der Antragsteller u.a. an, er habe mit seiner nächtlichen Fahrt einen betrunkenen Freund von einer Autofahrt abhalten wollen und bei der Rückfahrt nach dem Unfall seiner von ihm angerufenen Mutter gesagt, dass sie die Polizei anrufen müssten; auf Hinweis seiner Mutter habe er die Kennzeichen entfernt, einen eigenen Abschleppversuch habe er nicht unternommen.

Mit Bescheid vom 16.2.2022 entließ der Antragsgegner den Antragsteller wegen fehlender charakterlicher Eignung mit Ablauf des 31.3.2022 aus dem Beamtenverhältnis (§ 23 Abs. 4 BeamtStG i.V.m. § 37 Abs. 4 SBG) und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung an (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Über den vom Antragsteller hiergegen eingelegten Widerspruch ist noch nicht entschieden. Das Strafverfahren gegen den Antragsteller stellte die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 14.3.2022 nach § 153 Abs. 1 StPO ein.“

Gestritten wird nun um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers. Er hatte damit keinen Erfolg. Hier die Leitsätze zu der OVG-Entscheidung:

    1. Zu den Voraussetzungen der Entlassung eines Beamten auf Widerruf (hier: Kommissaranwärter) wegen fehlender charakterlicher Eignung.
    2. Die Entlassung eines Widerrufsbeamten gemäß § 23 Abs 4 Satz 1 BeamtStG erfordert nicht den Nachweis eines konkreten Vergehens; berechtigte Zweifel der Entlassungsbehörde an der persönlichen Eignung des Beamten genügen.
    3. Zum objektiven Tatbestand des § 142 Abs 1 StGB.
    4. Eine staatsanwaltliche Einstellungsverfügung nach § 153 Abs 1 StPO entfaltet für das Entlassungsverfahren keine Bindungs- sondern lediglich Indizwirkung, was aber den Dienstherrn nicht hindert, eigenständig den Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu bejahen.
    5. Bereits ein einzelnes gravierendes Ereignis kann geeignet sein, den Schluss des Dienstherrn auf eine fehlende persönliche Eignung des Widerrufsbeamten zu rechtfertigen, wenn dieses die charakterlichen Mängel des Beamten hinreichend deutlich zu Tage treten lässt.
    6. Ein objektiver und subjektiver Verstoß gegen die einem Kommissaranwärter auferlegte Corona-Quarantäne sowie eine anschließende zumindest objektiv verwirklichte Unfallflucht sind als außerdienstliches Verhalten hinreichend bedeutsam, um seitens des Dienstherrn negative Rückschlüsse auf die dienstliche Vertrauenswürdigkeit als Polizeibeamter, von dem ein gesetzestreues Verhalten in besonderer Weise erwartet werden kann, ziehen zu dürfen.
    7. Zur Streitwertfestsetzung für ein verbundenes Beschwerdeverfahren.

Verlinkt habe ich auf die im Bürgerservice des Saarlandes eingestellt Entscheidung. Die enthält nämlich Fußnoten (?) und das ist in meinem System etwas schwierig darzustellen.

Im Gespräch: Entkriminalisierung der Unfallflucht, oder: Der Bundesjustizminister überlegt mal wieder

entnommen wikimediacommons

Ich stoße gerade auf die Nachricht in der SZ: Buschmann erwägt, Unfallflucht teilweise zu entkriminalisieren

Und da lese ich:

„Das Bundesjustizministerium erwägt nun, die Rechtslage teilweise zu ändern und Unfallflucht in vielen Fällen zu entkriminalisieren. Wer keinen Personen- sondern nur einen Sachschaden verursacht, würde demnach bei einer Unfallflucht künftig keine Straftat mehr begehen, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit.“

Und bei der Tagesschau lese ich dann noch:

„Durch diese Herabstufung „würde einer undifferenzierten Kriminalisierung des Unfallverursachers entgegengewirkt“, hieß es dem RND zufolge in dem Ministeriumspapier. „

Und beim RND heißt es dann noch:

„…. Sprich: Wer künftig alkoholisiert einen Unfall mit Blechschaden verursacht, soll rechtlich nicht mehr gezwungen sein, am Unfallort zu bleiben und auch eine Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer zu riskieren.“

Ich bin doch – gelinde ausgedrückt – sehr erstaunt – und wahscheinlich nicht nur ich, sondern auch andere. Für mich stellt sich die Frage: Was soll das? Und muss man an der Stelle „entkriminaliisieren“. Ist das wirklich eine „Erwägung“, sondern blinder Aktionismus unserer „hoch verehrten“ (??) BMJ. Denn:

1. M.E. gibt es genügend andere Baustellen, an denen man im BMJ mal voran machen sollte. Wie ist es z.B. mit der Abschaffung = Herunterstufung des § 265a StGB (Erschleichen von Leistungsen; Stichwort: Schwarzfahren). Da will man offenbar nicht ran; jedenfalls habe ich dazu bisher noch nichts gelesen. Das kriminalisiert man doch auch, ohne zu differenzieren. Im Übrigen: Man „entkriminalisiert“ die Trunkenheitsfahrten (teilweise) gleich mit.

2. Hat man sich mal Gedanken gemacht, wie das mit der Entkriminalisierung des § 142 StGB gehen soll? Soll jede Unfallflucht mit nur einem Sachschaden eine OWi sein/werden, also auch Sachschäden im hohen Bereich?

3. Hat man sich mal Gedanken gemacht, was da an (schwierigen) Bußgeldverfahren auf die AG zukommt? Die ganzen Probleme, die es bei der Anwendung des § 142 StGB gibt, wie z.B. Bemerkbarkeit des Unfalls usw., werden dann demnächst beim Bußgeldrichter ausgefochten. Die werden sich freuen. Und ich höre schon den Richterbund nach mehr Stellen rufen.

4. Hat man sich mal Gedanken gemacht, wie das „Vorhaben“ dann mit § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB in Einklang gebracht wird? Da habe ich es doch ggf. auch mit einem reinen Sachschaden zu tun, oder?

4. Hat man sich mal Gedanken gemacht, dass ein weiteres Problem auf die Rechtsprechung zukommt, nämlich die Bemerkbarkeit des Personenschadens. Das entscheidet dann ja demnächst über die Frage „OWi oder Straftat“?

5. Warum geht man nicht einen anderen Weg, um die Luft aus dem § 142 StGB zumindest teilweise herauszunehmen? Warum definiert/konkretisiert man nicht, was eine „nicht unerhebliche Verletzung“ oder ein „bedeutender Schaden“ i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist, ggf. mit eine „Inflationsklausel“. Das würde zwar nicht „entkriminalisieren“, aber sicherlich in einer ganzen Reihe von Fällen die Verfahren vereinfachen.

Also Fragen über Fragen, auf die das BMJ eine Antwort wird geben müssen. Da sitzen ja Experten. Hoffentlicht. Ich meine übrigens nicht den Chef des Hauses.

Fahrerlaubnisentziehung nach Unfallflucht, oder: Schaden mindestens bei 1.500 €

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Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

Und zum Tagesschluss dann noch der LG Dresden, Beschl. v. 07.05.2019 – 3 Qs 29/19 -, der sich zur Frage der Grene beim bedeutenden Sachschaden i.S. von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB – Stichwort: Regelentziehung beim Unerlaubten Entfernen vom Unfallort, verhält. Das LG Dresden hebt die Grenze auf 1.500 € an.

Im Streit war/ist ein Schaden in Höhe von 1.645,03 EUR brutto. Die Geschädigte ihr Fahrzeug nicht reparieren lassen, sondern hat den Schaden lediglich bei der Versicherung abgerechnet. Das AG hat die Fahrerlaubnis nach § 111a StPO entzogen. Das LG hat aufgehoben:

„Nach Aktenlage sind gegenwärtig keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass der Angeklagten die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen durch Urteil gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB entzogen werden wird. Denn nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist ein Kraftfahrer nur dann in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn er sich eines Vergehens des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht hat (1.), obwohl er weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist (2.). Auch wenn die Beschwerdeführerin nach Aktenlage dringend verdächtig ist, sich des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht zu haben, liegt kein Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, da es nach gegenwärtigem Ermittlungsstand an einem bedeutenden Schaden an fremden Sachen im Sinne der Norm fehlt.

1. Nach der gebotenen vorläufigen Betrachtung ergibt sich der dringende Tatverdacht hinsichtlich eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort aus den bisherigen polizeilichen Ermittlungen, insbesondere aus der Aussage der Zeugin pp……

2. Indes liegen keine dringenden Gründe für einen Regelfall im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, da nach Aktenlage kein bedeutender Schaden an fremden beweglichen Sachen im Sinne der Norm gegeben ist. Zwar entschied das Oberlandesgericht Dresden am 12.05.2005 (Az.: 2 Ss 278/05), dass die Grenze für einen bedeutenden Sachschaden von 1.200,00 DM (so zuvor das Oberlandesgericht in seinem Urteil vom 10.04.1995 – 1 Ss 91/95) auf 1.300,00 EUR angesichts der allgemeinen Preis- und Einkommensentwicklung heraufzusetzen ist. Nunmehr, vierzehn Jahre später, ist es jedoch geboten, diese Grenze auf mindestens 1.500,00 EUR anzuheben (vgl. LG Braunschweig, Beschluss vom 03.06.2016 – 8 Qs 113/16 [min. 1.500,00 EUR]; OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.04.2018 – 2 Rv 33 Ss 959/17 [1.600,00 EUR]; LG Wuppertal, Beschluss vom 26.10.2017 – 25 Qs 34/17 [1.500,00 EUR]), da bei der Interpretation ausfüllungsbedürftiger Tatbestandsmerkmale wie bei dem „bedeutenden Schaden“ im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB die allgemeine Geldentwicklung nicht außer Betracht bleiben darf.

Als Vergleichsmaßstab bietet sich der jährlich vom statistischen Bundesamt berechnete und veröffentlichte Verbraucherpreisindex an. Der aktuell geltende Verbraucherpreisindex hat das Jahr 2015 als Basisjahr. Im Jahr 2005 erreichte der Verbraucherpreisindex noch einen durchschnittlichen Jahreswert von 86,2 % und im Jahr 2018 einen Wert von 103,8 %. Die Veränderungsrate beträgt somit 20,42 % (103,8/86,2 x 100 – 100). Der Wert von 1.300,00 EUR aus dem Jahr 2005 stieg somit unter Berücksichtigung dieser Preissteigerungsrate von 20,42 % im relevanten Vergleichszeitraum auf 1.565,46 EUR. Leicht gerundet erscheint es daher sachgerecht, die Wertgrenze für die Annahme eines bedeutenden Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nunmehr auf jedenfalls mindestens 1.500,00 EUR festzusetzen.

Diese Grenze ist vorliegend jedoch nicht erreicht, da es allenfalls auf den im Kostenvoranschlag des Autoservices pp. bezifferten netto-Reparaturkostenbetrag in Höhe von 1.382,38 EUR ankommt und nicht auf den brutto-Reparaturkostenbetrag in Höhe von 1.645,03 EUR. Denn nach § 249 Abs. 2 BGB kann Umsatzsteuer nur dann geltend gemacht werden, wenn sie tatsächlich auch angefallen ist (BGH, Urteil vom 03.03.2009 – VI ZR 100/08). Da der Schutzzweck von § 142 StGB ist, die Vereitelung der zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche der Unfallbeteiligten zu verhindern (Fischer, 66. Auflage, § 142 Rn. 2), können nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die erstattungsfähig sind (OLG Stuttgart, Urteil vom 27.04.2018 – 2 Rv 33 Ss 959/17; LG Aachen, Beschluss vom 13.11.2017 – 66 Qs 10/16; LG Wuppertal, Beschluss vom 26.10.2017 – 25 Qs 34/17). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der hier relevante Fremdsachschaden lediglich der netto-Reparaturkostenbetrag in Höhe von 1.382,38 EUR. Denn die Zeugin … gab in der Hauptverhandlung am 21.03.2019 an, ihr Fahrzeug tatsächlich nicht reparieren lassen zu haben, sodass keine Umsatzsteuer angefallen ist. Auch eine spätere Reparatur kommt nicht in Betracht, da die Zeugin pp. angab, den Schaden bei der Versicherung bereits abgerechnet und das Fahrzeug verkauft zu haben. Unklar bleibt zwar, ob das Fahrzeug durch den Unfall einen merkantilen Minderwert erlitten hat, der als direkte Folge des schädigenden Ereignisses bei der Berechnung des „bedeutenden Schadens“ zusätzlich zu den netto-Reparaturkosten Berücksichtigung zu finden hätte. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen besteht aber kein dringender Verdacht, dass hierdurch die Grenze von jedenfalls mindestens 1.500,00 EUR überschritten wird. Umstände, die auch jenseits des Regelfalls von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegend eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB erwarten lassen, sind nicht ersichtlich.“

Unfallflucht II: Wenn der Geschädigte am Unfallort keine Feststellungen treffen will/kann, oder: Präjudiz

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Bei der zweiten Entscheidung zu § 142 StGB handelt es sich um den LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.04.2018 – 8 Qs 5/18. Er ist im Verfahren wegen einer Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a-StPO ergangen. Nach dem (verkürzten) Sachverhalt waren der Beschuldigte und der Geschädigte an einem Auffahrunfall beteiligt. Nach dem Unfall sind beide aus ihren Pkws ausgestiegen. Der Beschuldigte versuchte den Geschädigten zu überreden, den Unfall ohne Polizei zu regeln“, was der Geschädigte abgelehnt und sogleich mit seinem Mobiltelefon die zuständige Polizeiinspektion informiert hat. Von dort wurde mitgeteilt, dass ein Streifenkommando zum Unfallort kommen werde, was aber wegen Überlastung etwas dauern könne. Der Beschuldigte hat dann nochmals den Geschädigten zu einer Regulierung ohne Einschaltung der Polizei zu überreden versucht, was dieser wiederum abgelehnt und auf das Abwarten des Eintreffens der Polizeibeamten bestanden hat. Der Beschuldigte ist dann nach ca. fünf bis zehn Minuten in sein Fahrzeug gestiegen und weggefahren. Er hat sich in der Folge weder mit dem Geschädigten noch einer Polizeidienststelle zum Zwecke der Regulierung des Schadens in Verbindung gesetzt.

Das LG hat die Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss, der die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt hatte, verworfen. Es weist darauf hin, dass nicht nur die Anwendung von § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, sondern auch von § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB oder gegebenenfalls von § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht. Das LG setzt sich dann umfangreich mit den Fragen auseinander,

  • ob der Geschädigte bis zum Sich-Entfernen des Beschuldigten als feststellungsbereite Person anzusehen,
  • ob er auf die Hinzuziehung der Polizei bestehen durfte, und
  • ob er auch nicht auf die Feststellungen verzichtet.

Zum ersten Punk:

a) Die Anwendung von § 142 Abs 1 Nr. 1 StGB setzt zunächst voraus, dass am Unfallort eine feststellungsbereite Person anwesend ist (Umkehrschluss aus Nr. 2; Zopfs in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 3. Auflage 2017 [nachfolgend zitiert: MüKo – Bearbeiter], § 142 Rn. 53; Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, §142 Rn. 23; Niehaus in Freymann/Wellner, juris-Praxiskommentar Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage 2016 [nachfolgend zitiert: juris-PK – Bearbeiter], § 142 StGB Rn. 8, 38; Ernemann in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Auflage 2016 [zitiert: SSW – Bearbeiter], § 142 Rn. 22). Feststellungsbereit ist eine Person, die geeignet und fähig ist und ggf. ein Interesse daran hat, die erforderlichen Feststellungen zugunsten des Berechtigten zu treffen (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53; ebenso, aber lediglich in Bezug auf Dritte, die nicht selbst Berechtigte sind: juris-PK – Niehaus, a.a.O., Rn. 38; Geppert in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009 [nachfolgend zitiert: LK – Bearbeiter], § 142 Rn. 52). Nicht ausreichend ist hingegen, dass ein Feststellungsberechtigter am Unfallort anwesend ist, wenn dieser nicht in der Lage ist, die erforderlichen Feststellungen selbst zu treffen (so zutreffend MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53). Ob ein Anwesender am Unfallort insbesondere dazu fähig ist, Feststellungen selbst zu treffen, richtet sich danach, welche Feststellungen im Einzelfall notwendig sind und ob der Anwesende tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, die jeweiligen Tatsachen selbst zu erheben (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53 und ausführlich zur rechtlichen Befugnis in Rn. 66). Im Falle der Anwesenheit feststellungsbereiter Personen hat der Unfallbeteiligte durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt war (aktive Vorstellungspflicht) und durch seine Anwesenheit (passive Duldungspflicht) die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung zu ermöglichen. Der Umfang der zu ermöglichenden und zu duldenden Feststellungen erstreckt sich unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm auf alle Umstände, die zur Durchsetzung berechtigter bzw. Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche erforderlich sind (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 102; MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 64; SSW – Ernemann, a.a.O., Rn. 27). Diese Umstände erschöpfen sich indes regelmäßig nicht in den Personalien des Unfallbeteiligten. Die erforderliche Feststellung des Fahrzeugs des Unfallbeteiligten umfasst etwa auch die Angabe des Fahrzeughalters und des Haftpflichtversicherers (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 105; a.A.: MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 73), die Feststellungen zur Art der Beteiligung umfassen jedes tatsächliche Verhalten eines Unfallbeteiligten, das nach Lage der Dinge zur Entstehung des Unfalls geführt und für die erfolgversprechende Durchsetzung begründeter bzw. die Abwehr unbegründeter zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche Bedeutung haben kann (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 106), wozu u.a. auch die Sicherung von Unfallspuren, Art und Umfang der verursachten Schäden und auch der körperliche Zustand eines Beteiligten, insbesondere eine mögliche Alkoholisierung zählen können, sofern dies für die zivilrechtliche Haftungsfrage und gerade nicht nur für die Strafverfolgung von Bedeutung ist (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 107; MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 74 f.; Fischer, a.a.O., Rn. 27; SSW – Ernemann, a.a.O., Rn. 28; Lackner/Kühl, StGB, 28. Auflage 2014, § 142 Rn. 17; BGH, VRS 39, 184; OLG Köln, NStZ-Rr 1999, 251).

Zu den in diesem Sinne erforderlichen Feststellungen war der am Unfallort anwesende Geschädigte nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen selbst nicht in der Lage und daher auch nicht als feststellungsbereite Person im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB anzusehen. Selbst wenn der Geschädigte in den nach seiner eigenen Aussage mehreren Minuten, die der Beschuldigte am Unfallort verblieben ist, in der Lage gewesen sein mag, die Person des Beschuldigten durch Befragen – unterstellt, der Beschuldigte sei kooperationswillig gewesen und hätte auch wahrheitsgemäß geantwortet und seine Angaben auf Verlangen durch Vorzeigen geeigneter Identitätspapiere freiwillig belegt (vgl. hierzu MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 54, 65) – und dessen Fahrzeug durch Inaugenscheinnahme und ggf. Anfertigen von Lichtbildern festzustellen, wäre dies im Hinblick auf die nicht völlig geklärte Unfallsituation unzureichend gewesen. Denn einerseits soll der Beschuldigte nach Angaben des Geschädigten sinngemäß geäußert haben, der Geschädigte habe ohne zureichenden Grund zu stark gebremst, andererseits will der Geschädigte bei dem Beschuldigten vor dem Unfall ein Fahren in Schlangenlinien als Anzeichen einer etwaigen Alkoholisierung wahrgenommen haben. Ersterer Umstand darf den Geschädigten befürchten lassen, dass die Tatsachen des Unfallgeschehens bei der Regulierung des Schadens keineswegs unstreitig sein werden, weshalb der Geschädigte ein beachtenswertes Interesse an der Feststellung äußerer Anzeichen für den Unfallhergang (etwa Bremsspuren, Beschädigungen oder Beeinträchtigungen der Betriebssicherheit des Fahrzeugs des Beschuldigten) haben durfte. Angesichts eines bei streitigem Unfallhergang mit dem möglichen Vorwurf grundlosen Abbremsens in Betracht kommenden Verursachungsbeitrags des Geschädigten kommt weiterhin auch anderen verschuldensrelevanten Umständen mit Blick auf die zivilrechtliche Haftungsverteilung Bedeutung zu, insbesondere der Frage einer etwaigen Alkoholisierung des Beschuldigten. Zumindest zu den hierzu erforderlichen Feststellungen war der Geschädigte selbst unzweifelhaft weder in der Lage noch befugt (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 66 spricht insoweit von einer Kompetenzlücke). Gleiches gilt auch mit Blick auf die Feststellung der Identität des Beschuldigten, sofern dieser auf etwaige Nachfrage seine Personalien nicht freiwillig angegeben oder belegt haben sollte (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53, 66).“

Diese und die weiteren Ausführungen des LG zeigen mir mal wieder, dass man es sich immer gut überlegen muss, ob man in solchen Fällen ins Rechtsmittel geht und damit ein Präjudiz für das weitere Verfahren schafft.

Entziehung der Fahrerlaubnis nach Unfallflucht, oder: Der Beschuldigte muss nicht schlauer als die Polizei sein

entnommen wikimedia.org
Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

Heute dann „Thementag“ Verkehrsrecht. Und ich starte mit einem kleinen, aber feinen Beschluss, und zwar dem AG Tiergarten, Beschl. v. 05.12.2017 – (311 Gs) 3041 Js 12898/17 (202/17). Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Das AG hat (s)einen Beschluss betreffend vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) aufgehoben:

„Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschuldigte bei der Halterüberprüfung durch die Polizeibeamten nicht ausreichend belehrt worden ist.

Auch besteht hinreichender Tatverdacht dahin gehend, dass der Beschuldigte den Unfall wahrgenommen hat und sich in Kenntnis des Unfalls vom Unfallort entfernt hat.

Da aber selbst die Polizeibeamten vor Ort den Fremdsachschaden auf lediglich 500,00 € geschätzt haben, liegt kein dringender Tatverdacht dahingehend vor, dass der Beschuldigte wusste oder nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten wissen konnte, dass ein bedeutender Fremdsachschaden eingetreten ist.“

Klein, aber fein ist der Beschluss wegen des letzten Satzes. Etwas Besseres als ein Verschätzen – was hier offenbar geschehen ist – durch die Polizeibeamten, die den Fremdschaden aufgenommen haben, kann dem Beschuldigten im Hinblcik auf den für die Regelentziehung nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB gar nicht passieren. Denn der Beschuldigte muss ja nicht schlauer als die Polizei sein 🙂 .