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Coronaschutz, Werkstattrisiko und Überwachung, oder: 33 EUR sind für Coronaschutzmaßnahmen genug

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Und dann eine Nachlese zu Coronaschutzmaßnahmen mit dem BGH, Urt. v. BGH, Urt. v. 23.o4.2024 – VI ZR 348/21.

Der Kläger hatte nach einem Verkehrsunfall sein Fahrzeug in einer Fachwerkstatt reparieren und hat die dafür angefallene Rechnung nach eigenen Angaben vollständig bezahlt. Das SV-Gutachten wie auch die Reparaturrechnung wiesen als ein Teil der Reparaturkosten sog. Corona-Schutzmaßnahmen in Höhe von 157,99 EUR brutto aus, über die Erstattungsfähigkeit die Parteien gestritten haben.

Das LG hat in der I. Instanz die Höhe der als erforderlich anzusetzenden Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen mit 33,16 EUR bemessen und ein Ausfall- bzw. Überwachungsverschulden des Geschädigten bei der Beauftragung einer Werkstatt mit deutlich darüber liegenden Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen von 157 EUR bejaht. Dabei ist es davon ausgegangen, dass das Desinfizieren von Kontaktflächen innerhalb und außerhalb des Fahrzeuges keine besonderen Fähigkeiten voraussetzen würde und von Aushilfskräften erledigt werden könnte. Deshalb wurde für die Bestimmung der dabei anfallenden Aufwendungen der niedrigste Arbeitslohn in der betroffenen Fachwerkstatt angesetzt und als Zeiteinheit lediglich einen einzigen Arbeitswert (1 AW) bemessen. Diesem hinzu kam für den Materialeinsatz 1,16 EUR brutto für Desinfektionsmittel, Reinigungstücher und Einmalhandschuhe, woraus sich der Betrag in Höhe von  33,16 EUR ergeben hat.

Diese Höhe der als erstattungsfähig anzusetzenden Aufwendungen für Corona-Schutzmaßnahmen hat der BGH im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens bei der Bestimmung der Schadenshöhe nach § 287 ZPO ausdrücklich gebilligt und zugleich darauf hingewiesen, dass in dem vorliegenden Fall zwar die Grundsätze des Werkstattrisikos eingreifen würden, in diesem Einzelfall aber dem Geschädigten sowohl ein Ausfall- als auch ein Überwachungsverschulden wegen der viel zu hoch angesetzten Desinfektionskosten durch die Werkstatt treffen würde.

Dazu passen etwa folgende Leitsätze:

1. Die Grundsätze des Werkstattrisikos können zu Gunsten des Geschädigten auch bei einer Reparatur eingreifen, wenn es um die Durchführung von Corona-Schutzmaßnahmen geht, die grundsätzlich eine erstattungsfähige zurechenbare Schadenspoistion darstellen.

2. Der Geschädigte muss dessen ungeachtet den Nachweis führen, dass er wirtschaftlich vorgegangen ist und bei der Beauftragung- und Überwachung des Reparaturbetriebes den Interessen des Schädigers an der Geringhaltung des Herstellungsaufwandes Rechnung getragen hat.

3. Deshalb trifft den Geschädigten die Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der von der Werkstatt geforderten bzw. später berechneten Preise, wobei insbesondere bei Kosten des alltäglichen Lebens wie etwa bei Corona-Schutzmaßnahmen während der Pandemie ohne weiteres vom Geschädigten selber gut beurteilt werden können.

4. Ein solches Auswahl- bzw. Überwachungsverschulden ist zu bejahen und der in Rechnung gestellte Betrag für Corona-Schutzmaßnahmen nicht als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB anzusehen, wenn für diese Tätigkeit 157,99 EUR abgerechnet werden.

5. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter im Rahmen seines Ermessens bei einer Schadenschätzung nach § 287 ZPO Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen mit 33,18 EUR als erforderlich erachtet.  

StPO II: Urteilsabsetzung in Zeiten von Corona, oder: Corona hemmt die Urteilsabsetzungsfrist nicht

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.11.2020 – 3 Rv 32 Ss 485/20 -, den mir der Kollege Urbanczyk aus Mannheim geschickt hat, hat ein wenig mit Corona zu tun. Und zwar Corona im Zusammenspiel mit der Urteilsabsetzungfrist des § 275 Abs. 1 StPO.

Das AG hatte den Angeklagten am 27.1.2017 (!) wegen Leistungserschleichung verurteilt. Das LG hat durch Urteil vom 17.2.2020 (!), das (erst) am 5.5.2020 (!) zu den Akten gebracht wurde, die Berufung des Angeklagten mit einer Maßgabe verworfen. Zudem hat das LG angeordnet, dass wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung fünf Tagessätze der Gesamtgeldstrafe als vollstreckt gelten.

Dagegen die Revision, die beim OLG Erfolg hat. Das OLG hebt kurz und zackig auf:

„Das Rechtsmittel hat mit der Rüge einer Verletzung von § 275 Abs. 1 StPO – vorläufigen – Erfolg. Da das angefochtene Urteil bereits deshalb in vollem Umfang aufzuheben ist, bedarf es keines Eingehens auf die Sachrüge.

Die gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO in zulässiger Weise angebrachte Verfahrensbeschwerde (vgl. OLG Stuttgart, Justiz 2017, 394; KG Berlin, StraFo 2016, 386) ist begründet, denn die Überschreitung der Frist zur Absetzung des schriftlichen Urteils war hier nicht nach § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO gerechtfertigt.

1. Das am 17.2.2020 nach eintägiger Hauptverhandlung verkündete Urteil hätte gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO spätestens am 23.3.2020 zu den Akten gelangen müssen. Tatsächlich ging es erst am 5.5.2020 vollständig abgefasst auf der Geschäftsstelle ein.

a) Die Vorsitzende der Berufungskammer hat in einem Vermerk vom 6.4.2020 dienstlich erklärt, dass sie in der Zeit vom 20.2. bis 20.3.2020 aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und nachfolgend im Anschluss bis zum 5.4.2020 aufgrund einer Freistellung vom Dienst als Angehörige einer Corona-Risikogruppe daran gehindert war, das am 17.2.2020 verkündete Urteil rechtzeitig schriftlich abzusetzen.

b) Nach § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO darf die nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu bestimmende Frist nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht vorhersehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert war.

In diesem Sinne war die Vorsitzende als einzige Berufsrichterin der Strafkammer infolge ihrer Erkrankung zunächst – in der Zeit bis zum 20.3.2020 – an der Urteilsabsetzung gehindert (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O., KG Berlin, a.a.O.), ohne dass damit eine Hemmung des Fristablaufs verbunden gewesen wäre (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2008, 117; OLG Hamburg, B. v. 4.4.2019 – 2 Rev 7/191 Ss 18/19 -, juris).

Ob sodann — wie die Revision mit gewichtigen Gründen ausführt – § 275 Abs. 1 StPO schon während des sich anschließenden Zeitraums der „Freistellung vom Dienst“ der Vorsitzenden als Angehörige einer Corona-Risikogruppe verletzt wurde, kann dahinstehen. Coronaschutzmaßnahmen hemmen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 10 EGStPO die Urteilsabsetzungsfrist ebenfalls nicht (vgl. Hiéramente, jurisPR-StR 7/2020 Anm. 2; Peglau, in: BeckOK-StPO, Stand 1.7.2020, Rdn. 15 zu § 268).

Jedenfalls hätte das schriftliche Urteil nach dem am 6.4.2020 erfolgten Dienstantritt der Vorsitzenden deutlich vor dem 5.5.2020 zu den Akten gebracht werden müssen. Die Pflicht des Gerichts, nach Wegfall des Hinderungsgrundes das Urteil mit „größtmöglicher Beschleunigung“ zu den Akten zu bringen, geht allen aufschiebbaren Dienstgeschäften vor (vgl. BGH, NStZ 1982, 519; StV 1995, 514; NStZ-RR 2011, 118; OLG Stuttgart, a.a.O.; KG Berlin, a.a.O.). Dies geschah hier nicht; anders ist nicht zu erklären, warum sich die Abfassung des zehnseitigen Urteils bis zum 5.5.2020 hinzog.

2. Das Überschreiten der in § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO bezeichneten Fristen begründet nach § 338 Nr. 7 StPO einen absoluten Revisionsgrund. Dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler nicht beruhen kann, ist demgegenüber ohne Bedeutung (vgl. BGH, NStZ-RR 2011, 118).“

M.E. kann man das Kopfschütteln des OLG-Senats über die zögerliche Urteilsabsetzung recht deutlich aus dem Beschluss entnehmen. 🙂 Man fragt sich wirklich, warum es nach dem 05.04.2020 einen Monat gedauert hat, bis das 10-Seiten lange Urteil bei der Akte war.

Und: Im zweiten Durchgnag dürften dann wegen der weiteren Verzögerung noch ein paar „Tagessätzeersparnis“ für den Angeklagten dazu kommen.