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Verkehrsrecht III: Fahren ohne Haftpflichtversicherung, oder: Gebrauch des „bloßen“ Beifahrers

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Und dann hier noch eine Entscheidung des KG.

In dem Verfahren hatte das LG den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag, mit Urkundenfälschung, mit fahrlässiger Körperverletzung und mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort sowie eines weiteren Vergehens des vorsätzlichen Gebrauchs eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig gesprochen.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die das KG mit dem KG, Beschl. v.27.02.2023 – 3 ORs 5/23 – 161 Ss 20/23  – nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen hat.  Das KG merkt dazu an:

„Erläuternd bemerkt der Senat:

1. Die Umstellung des Schuldspruchs dient der Klarstellung.

2. Nachdem der Angeklagte sich in Bezug auf den fehlenden Versicherungsschutz glaubhaft geständig eingelassen hatte, waren genaue Feststellungen zum nicht bestehenden Versicherungsschutz erlässlich. Zwar verlangt die obergerichtliche Rechtsprechung in der Regel tatrichterliche Feststellungen, die es dem Revisionsgericht ermöglichen, das Erlöschen (oder die Nichtentstehung) des Versicherungsschutzes zivilrechtlich nachzuvollziehen (vgl. Senat StRR 2021, Nr. 10 [Volltext bei juris]; VRS 134, 15; Beschluss vom 5. Juni 2000 – 3 Ss 31/00 – [juris]; OLG Brandenburg, Beschluss vom 1. April 2020 – 1 Ss 24/20 [juris] –). Dies ist jedoch kein Selbstzweck, sondern wird dem Umstand gerecht, dass die Wirksamkeit eines Rücktritts bei versäumter Zahlung der Erstprämie (§ 37 VVG) oder einer Kündigung bei versäumter Zahlung der Folgeprämie (§ 38 VVG) vom (fast immer formlos veranlassten) Zugang beim Versicherungsnehmer abhängt. Äußert ein Angeklagter aber glaubhaft, er wisse um den fehlenden Versicherungsschutz, sind diese Feststellungen erlässlich.

3. Es ist sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer darin den eigenständigen Gebrauch (§ 6 Abs. 1 Alt. 1 PflVG) eines nicht haftpflichtversicherten Fahrzeugs (und nicht nur dessen Gestatten i. S. d. § 6 Abs. 1 Alt. 2 PflVG) gesehen hat, dass der Angeklagte als Käufer und damit (im wirtschaftlichen und „materiellen“ Sinn) Halter des PKW (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, StVR 45. Aufl., § 7 StVG Rn. 18 m. w. N.) im Wissen um die fehlende Haftpflichtversicherung und den Einsatz gefälschter Kennzeichen bei der Fahrt einer anderen Person Beifahrer war. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass der Angeklagte kraft Tatplanung und Kenntnis aller strafbarkeitsbegründenden Umstände die Tatherrschaft hatte und die Fahrt der Verfolgung seiner persönlichen Ziele diente, nämlich der Inbesitznahme des gekauften Fahrzeugs. Die Tathandlung ging damit über das Gestatten des Fahrzeuggebrauchs hinaus und stellte einen eigenständigen Gebrauch dar.

4. Unter demselben Gesichtspunkt des Gebrauchens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB) hat der Angeklagte auch die Urkundenfälschung nicht nur als Teilnehmer, sondern täterschaftlich begangen.

5. Es dürfte höchstrichterlicher Rechtsprechung entsprechen, dass das Landgericht in dem das Unfallgeschehen einschließenden Teil der Fahrt (§§ 21 StVG, 1, 6 PflVG, 229, 267 StGB) sowie in der nach § 142 StGB strafbaren Weiterfahrt nur eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn (§ 52 StGB) gesehen hat. Seit BGHSt 21, 203 ist zwar gefestigt anerkannt, dass der vom betrunken oder ohne Fahrerlaubnis fahrenden Täter verursachte und bemerkte Verkehrsunfall konkurrenzrechtlich eine Zäsur bildet: Fährt der Täter hiernach weiter, so handelt es sich um eine andere und neue Tat im sachlich-rechtlichen Sinn (§ 53 StGB). Diese Zäsurrechtsprechung wird aber nach neueren BGH-Judikaten von dem Grundsatz überlagert, dass das Herstellen und das Gebrauchen einer unechten Urkunde nicht nur eine tatbestandliche Handlungseinheit bilden, sondern dass im Falle unechter Kennzeichen das fortdauernde Gebrauchen der Urkunde sogar mehrere Fahrten zu einer Tat verklammert (vgl. BGH NZV 2019, 37 mit ähnlichem Sachverhalt wie hier).

Diese Rechtsprechung stößt zwar in der Literatur auf Widerspruch. So wird angemerkt, es erschließe sich nicht, „warum das zäsierende Element (also der Unfall) allein dadurch wieder überlagert werden soll, dass der Täter – womöglich bereits vor geraumer Zeit und ohne sich dessen noch bewusst zu sein – sein Fahrzeug mit einem `falschen´ Kennzeichen versehen hat“ (vgl. Klose, NZV 2023, 507 m. w. N.). Die hier angefochtene Entscheidung entspricht aber dieser neueren BGH-Rechtsprechung, so dass der Senat schon deshalb keinen Anlass zur Abänderung sieht. Auch begünstigt die durch die Strafkammer angenommene Handlungseinheit (§ 52 StGB) den Angeklagten, so dass er hierdurch nicht beschwert ist.

6. Auch gegen die Rechtsfolgen ist nichts zu erinnern. Namentlich die Versagung der Bewährung ist frei von Rechtsfehlern begründet.“

Fahrerlaubnis II: Verzicht nach unerlaubtem Entfernen, oder: Einstelling des Verfahrens

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Und als zweite Entscheidung stelle ich dann den AG Dortmund, Beschl. v. 01.08.2022 – 729 Cs-266 Js 575/22-42/22 – vor. Das AG hat mit dem Beschluss ein Verfahren wegen unerlaubtem Entfernen (§ 142 StGB) eingestellt:

„Das Verfahren konnte mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der Angeschuldigten nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt werden, weil das Verschulden als gering anzusehen wäre und ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht besteht. Die 92 Jahre alte und verkehrsrechtlich nicht vorbelastete Angeklagte hat im Rah-men des ihr zur Last gelegten Unfallgeschehens lediglich einen Sachschaden von etwa 2000 Euro verursacht und hiernach den Unfallort unerlaubt verlassen. Sie hat – bestätigt durch die Stadt Dortmund – auf Anregung des Gerichtes nach Einspruchseinlegung gegen den ergangenen Strafbefehl auf ihre Fahrerlaubnis wirksam verzichtet. Einer weiteren Strafverfolgung bedarf es somit nicht.“

Obliegenheitsverletzung nach einem Verkehrsunfall, oder: Unerlaubtes Entfernen und/oder Nachtrunk

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Heute dann mal kein beA im „Kessel Buntes“, sondern mal wieder – seit längerem – zivilverkehrsrechtliche Entscheidungen.

Ich beginne mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 28.02.2022 – 11 U 176/20 -, einem nach § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Hinweisbeschluss. Das OLG nimmt zur Berufung eines Versicherungsnehmers Stellung, der nach einem Verkehrsunfall Ansprüche aus seiner Kaskoversicherung geltend gemacht hat. Der Kläger war mit seinem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von circa 20 km/h gegen eine Laterne gefahren. Er hatte nicht an der Unfallstelle gewartet, sondern sich zu dem nahe gelegenen Haus seiner Eltern begeben. Dort wurde von Polizeibeamten angetroffen. Die von der Polizei circa 1,5 Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe des Klägers wies 2,79 Promille auf. Mit seiner Klage begehrte er den Ersatz der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden sowie die Zahlung der Reparaturkosten für die Laterne. Die beklagte Versicherung lehnte dies aufgrund der erheblichen Alkoholisierung des Klägers ab. Der Kläger hat behauptet, nach dem Unfall 0,7 Liter Wodka getrunken und sich schlafen gelegt zu haben. Den behaupteten „Nachtrunk“ hat die Versicherung als nicht plausibel angesehen.

Das LG hat die Klage gegen die Versicherung abgewiesen. Das OLG tritt dem in seinem Hinweisbeschluss bei:

„Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz seiner eigenen Reparaturkosten sowie der seitens der Stadt ihm gegenüber geltend gemachten Kosten gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VVG i.V.m. A.1, A.2 AKB nicht zu.

Die Beklagte ist nach E.7.1 AKB i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG leistungsfrei, da der Kläger seine Aufklärungsobliegenheit aus E.1.3 AKB verletzt hat, indem er nach seinen eigenen Angaben nach dem Unfallgeschehen 0,7 l Wodka zu sich genommen und damit eine zuverlässige Ermittlung seines Blutalkoholgehalts zur Unfallzeit vereitelt hat. Diese Ermittlung hätte es der Beklagten ermöglicht zu prüfen, ob sie sich auf eine Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls nach A.2.9.1, D.1 AKB hätte berufen können.

a) Was zum Inhalt einer durch Leistungsfreiheit sanktionierten Obliegenheit im Sinne von § 28 Abs. 2 VVG gehört, ergibt sich grundsätzlich aus den zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages getroffenen Vereinbarungen, also aus dem Versicherungsvertrag und den diesem zugrunde liegenden Bedingungen (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 8, juris).

Nach E.1.3 der hier vereinbarten AKB hat der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalles alles zu tun, was der Aufklärung des Schadens dienen kann. Die Aufklärungsobliegenheit ist danach erkennbar weit gefasst. Sie schließt die Auskunftsobliegenheit nach § 31 Abs. 1 VVG ein, geht aber in gesetzlich zulässiger Weise (vgl. dazu: Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 31 Aufl., § 31 Rn. 31) darüber hinaus. Sie erschöpft sich nicht im Erteilen von Informationen, sondern erstreckt sich grundsätzlich auch auf das Verhalten des Versicherungsnehmers am Unfallort (vgl. BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 9, juris; Halbach in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl., AKB 2015 E., Rn. 5). Ausdrücklich obliegt dem Versicherungsnehmer in diesem Zusammenhang die vertragliche Pflicht, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen z.B. zum Alkohol- und Drogenkonsum des Fahrers zu ermöglichen. Der Zweck dieser Obliegenheit besteht darin, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 11, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 54, juris).

Demgemäß verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit auch durch einen ins Gewicht fallenden Nachtrunk (jeweils zu § 3 Nr. 1, § 7 V AKB a.F.: BGH, Urteil vom 22.05.1970 – IV ZR 1084/68, VersR 1970, 826; Urteil vom 19.10.1967 – II ZR 53/65, juris Rn. 4; Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2018, E. Pflichten im Schadensfall, Tz. 29). Das gilt nicht nur in der Haftpflichtversicherung, sondern auch in der Fahrzeugversicherung, wenn Dritte – wie hier die Stadt – durch den Unfall geschädigt sind, und ergibt sich nicht allein aus den vertraglichen Vereinbarungen, sondern auch aus der durch § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers, die seine Verpflichtung einschließt, sich auch für eine polizeilich angeordnete, nicht durch Nachtrunk verfälschte Blutprobe bereitzuhalten. In diesen Fällen kann selbst ohne ausdrückliche Vereinbarung mit dem Versicherer davon ausgegangen werden, dass die vertragliche Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers diese Verpflichtung ebenfalls mit umfasst (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 9, juris; Urteil vom 12.11.1975 – IV ZR 5/74, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 53, juris; OLG Nürnberg, Urteil vom 20.07.2000 – 8 U 4357/99, juris Rn. 8; OLG Köln, Urteil vom 30. Juli 1992 – 5 U 44/92 –, Rn. 5, juris; KG Berlin, Beschluss vom 26.10.2010 – 6 U 209/09; OLG Frankfurt, Urteil vom 24.07.2014 – 3 U 66/13, juris Rn. 12), da es für die Sachaufklärung und Verschuldensabwägung zwischen den Unfallbeteiligten entscheidend auch auf eine einwandfreie BAK-Bestimmung ankommt (vgl. OLG München, Urteil vom 24. Februar 1995 – 10 U 5408/94 –, Rn. 3, juris m.w.N.), die bereits bei einem geringen Nachtrunk nicht mehr durchführbar ist. So verletzt ein Versicherungsnehmer seine vertragliche Pflicht zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts bereits dann, wenn er die genaue Bestimmung des Blutalkoholgehalts erschwert. Die Obliegenheit, eine einwandfreie BAK-Bestimmung zu ermöglichen, wirkt sich als Reflex auch auf das Aufklärungsinteresse des Kaskoversicherers aus, da die im Rahmen der Aufklärung des Haftpflichtschadens durchgeführte Blutentnahme auch dem Versicherer zugute kommt, der die Ermittlungen bei der Abwicklung des Kaskoschadens verwerten kann (vgl. OLG München, Urteil vom 24. Februar 1995 – 10 U 5408/94 –, Rn. 3, juris; OLG Düsseldorf VersR 1993, 45, 46).

b) aa) Von diesen Maßstäben ausgehend, hat der Kläger durch die Einnahme der von ihm selbst vorgetragenen erheblichen Menge Alkohols die ihn nicht nur aufgrund des eingetretenen Fremdschadens, sondern vielmehr auch aufgrund der sich aus E.1.3 AKB ergebenden ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung treffende Obliegenheit, die erforderlichen Feststellungen zu seinem Alkoholkonsum zu ermöglichen, verletzt und durch den behaupteten Nachtrunk aktiv den berechtigten Interessen der Beklagten entgegengewirkt. Der Kläger hatte vorliegend Ermittlungen der Polizei zur Frage eines etwaigen Alkoholkonsums auch zu erwarten. Er selbst hatte – nach seinem Vortrag – die Polizei gerufen und veranlasst, dass sein Vater sich zur Unfallstelle begab. Im Rahmen solcher Ermittlungen der Polizei – insbesondere angesichts des vom Kläger selbst beschriebenen Unfallverlaufs – stellt die Entnahme einer Blutprobe eine routinemäßige Maßnahme dar (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom, 30.06.1992 – 4 U 205/91VersR 1993, 1141).

Dass der Nachtrunk der Verschleierung des Sachverhalts – also einer etwaigen tatsächlichen Alkoholisierung des Klägers zum Unfallzeitpunkt – diente, ist für die Frage der Verwirklichung der Obliegenheitsverletzung nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 12.11.1975 – IV ZR 5/74, juris Rn. 9 und 12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 55, juris; KG, Beschluss vom 26.10.2010 – 6 U 209/09, juris Rn. 3). Auch der Umstand, dass hier, da lediglich stehende Objekte beschädigt worden sind, die Frage einer Alkoholisierung des Klägers auf die Haftungsfrage keinen Einfluss haben kann, ist unerheblich (vgl. auch: OLG Köln, Urteil vom 19.01.1999 – Ss 526/98, juris Rn. 15). Der Zweck der den Kläger treffenden Aufklärungsobliegenheit besteht darin, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann, so dass aus dem Nachtrunk eine Obliegenheitsverletzung gegenüber dem Versicherer unabhängig von einem Beweisinteresse des Geschädigten abzuleiten ist (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 – , Rn. 9, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 54, juris).

bb) Der objektive Verstoß gegen die Aufklärungspflicht erfolgte auch vorsätzlich.

Zwar hat die Beklagte den Vorsatz des Klägers als Voraussetzung ihrer Leistungsfreiheit zu beweisen (§ 28 Abs. 2 Satz 1 VVG bzw. E.7.1 AKB). Bereits aus dem erheblichen und offensichtlichen Schaden an der Straßenlaterne ist aber auf das Bewusstsein des Klägers zu schließen, dass er einen Fremdschaden verursacht hat und er deshalb Feststellungen der von ihm selbst nach seinem Vortrag herbeigerufenen Polizei zum Unfallhergang – auch zum Grad seiner Alkoholisierung – zu erwarten hatte. Angesichts der Menge des von ihm konsumierten Alkohols musste ihm auch bewusst sein, dass er dadurch entsprechende Feststellungen der Polizei zumindest erschweren, wenn nicht vereiteln würde.

Soweit vorsätzliches Handeln grundsätzlich auch das Bewusstsein erfordert, gegen eine bestehende Verhaltensnorm zu verstoßen (BGH, Urteil vom 18.02.1970 – IV ZR 1089/68, juris Rn. 14), genügt es für das Bewusstsein der Obliegenheitsverletzung, dass der Versicherungsnehmer kraft „Parallelwertung in der Laiensphäre“ die Merkmale der Obliegenheit im Kern kennt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 61, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Oktober 2014 – 7 U 121/14 –, Rn. 57, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 02.04.2015 – 14 U 208/14, juris Rn. 9). Anders ist es jedoch bei elementaren, allgemein bestehenden und bekannten Pflichten, die auch im Versicherungsvertrag ihren Niederschlag gefunden haben. Hier genügt zum Bewusstsein der Rechtswidrigkeit die vorhandene Erkenntnis, gegen das unzweifelhafte, generelle Verbot zu verstoßen. Die weitere Vorstellung, im Besonderen auch dem Versicherer gegenüber zur Beachtung dieses Verbots verpflichtet zu sein, ist dann nicht zu fordern (BGH, Urteil vom 18.02.1970 – IV ZR 1089/68, juris Rn. 15). Zu diesen allgemeinen Verhaltensregeln nach einem Verkehrsunfall gehört in erster Linie das für jeden Beteiligten gültige Gebot, im Interesse der Aufklärung bis zur Aufnahme des Unfalls durch die verständigte Polizei am Unfallort zu bleiben (BGH, Urteil vom 18. Februar 1970, a.a.O.). Soweit sich der Unfallverursacher nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist vom Unfallort entfernt hat, trifft ihn die Verpflichtung, die erforderlichen Feststellungen – zu welchen auch der Grad seiner Alkoholisierung zum Unfallzeitpunkt gehört – unverzüglich nachträglich zu ermöglichen.

Gegen diese Verpflichtung hat der Kläger, ungeachtet der Frage, ob er sich überhaupt berechtigt vom Unfallort im Sinne von § 142 Abs. 2 StGB entfernt hat, vorliegend bewusst verstoßen, denn es ist allgemein bekannt, dass die Frage einer möglichen Alkoholisierung des Fahrers für die Einstandspflicht des Versicherers in der Kfz-Schadensversicherung von nicht unerheblicher Bedeutung ist.

cc) Der Kläger handelte auch schuldhaft. Ein medizinisch beachtlicher Unfallschock, der Einfluss auf die Schuldfähigkeit hätte haben können, ist nicht dargelegt……“

Verkehrsrecht III: Unerlaubtes Entfernen, oder: Wann ist der Privatparkplatz öffentlicher Verkehrsraum?

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Die dritte Entscheidung des Tages, der OLG Jena, Beschl. v. 09.02.2021 – 1 OLG 121 Ss 116/20 – befasst sich ebenfalls mit dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB). Dieses Mal ist die Frage der „Öffentlichkeit“ in der Diskussion. Das OLG hat eine amtsgerichtliche Verurteilung aufgehoben. Das AG war für einen Parkplatz von öffentlichem Verkehrsraum ausgegangen. Dem OLG haben die Feststellungen des AG nicht ausgereicht.

„Es hat in der Sache (vorläufig) Erfolg, weil die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen den Schuldspruch nach § 142 StGB schon in objektiver Hinsicht nicht tragen.

Eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 StGB setzt voraus, dass die Tat im öffentlichen Straßenverkehr begangen worden ist (Fischer, StGB, 68. Aufl. , § 142 Rn. 8). Öffentlich ist ein Verkehrsraum dann, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 04.03.2008, Az. 2 Ss 33/08, m. w. N., bei juris).

„Nicht-öffentlich“ im straßenverkehrsrechtlichen Sinne sind demgegenüber Verkehrsflächen, die erkennbar nur für bestimmte oder jedenfalls individuell bestimmbare und damit nur für solche Benutzer zugelassen sind, die entweder untereinander oder zum Verfügungsberechtigten nur durch persönliche oder sachliche Beziehungen verbunden sind, wie das namentlich auf den Privatparkplatz einer Hausgemeinschaft zutreffen kann, der grundsätzlich nur den jeweiligen Hausbewohnern und ihren (diesen meist persönlich bekannten) Besuchern, nicht aber dritten Personen offen steht (vgl. Leipziger Kommentar/Hanack, StGB, 12. Aufl., § 142 Rdnr. 16; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Rostock, Urt. v. 28.11.2003, Az. 1 Ss 131/03 179/03, bei juris).

Von maßgeblicher Bedeutung für diese Abgrenzung sind die äußeren Gegebenheiten, die einen Rückschluss auf das Vorhandensein und den Umfang der Gestattung bzw. Duldung des allgemeinen Verkehrs durch den Verfügungsberechtigten zulassen. Für eine Beschränkung auf einen eng umrissenen Personenkreis sprechen dabei die einen beschränkten Nutzerkreis ausweisende Zufahrtsbeschilderung (vgl. OLG Rostock, a.a.O.), die Nummerierung der Parkbuchten oder ihre Kennzeichnung mit Namensschildern für bestimmte Bewohner (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Rostock, a.a.O.), aber auch eine bauliche Anordnung der Abstellflächen, die erkennen lässt, dass sie zu einer privaten Wohnanlage gehören und die Berechtigten die Benutzung durch Dritte nicht dulden wollen (Leipziger Kommentar/Hanack, a.a.O.).

Das Amtsgericht hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass der (ausweislich des Rubrums in der wohnhafte) Angeklagte am Tattag beim Rückwärtsfahren mit ,,dem“ Pkw, der auf dem Parkplatz vor dem Anwesen pp. stand, gegen das ebenfalls auf diesem Parkplatz stehende Fahrzeug der Geschädigten pp, der Nachbarin des Angeklagten, gefahren ist.

Zu den örtlichen Gegebenheiten hat das Amtsgericht weiter ausgeführt:

„Bei dem Parkplatz handelt es sich um einen allgemein von der Straße zugänglichen Parkplatz, der zwar durch Schilder als Privatparkplatz ausgewiesen worden ist. Er ist durch eine breite Toreinfahrt allgemein erreichbar. … Bei den Parkplätzen handelt es sich um Privatparkplätze der Mieter….

Das Gericht ist der Auffassung, dass es sich bei dem Parkplatz um einen allgemein zugänglichen Verkehrsraum handelt, wozu auch Grundstückeinfahrten und private Zufahrtswege gehören. Es handelt sich nicht um einen Parkplatz, der nur einer bestimmten Gruppe zugänglich ist, sondern, wie sich aus den Bildern ergibt, grundsätzlich allgemein zugänglich ist.“

 

Diese Feststellungen tragen die Annahme, dass der Unfall im öffentlichen Verkehrsraum stattgefunden hat, nicht.

Die mitgeteilte Beschilderung „als Privatparkplatz“ und die Einordnung der Stellflächen als „Privatparkplätze der Mieter, zu denen nach den Feststellungen Angeklagter und Geschädigte gehören, deutet vielmehr auf die Zulassung nur eines begrenzten Nutzerkreises und damit auf das Vorliegen einer nicht-öffentlichen Verkehrsfläche hin. Deren Nutzung durch den Zeugen steht dem nicht entgegen, da er – so die Urteilsgründe – im Tatzeitpunkt mit der Beladung eines Umzugsfahrzeugs befasst war, was ebenfalls eine von einem dortigen Wohnungseigentümer abgeleitete Berechtigung nahelegt. Auf einer Grundstückseinfahrt oder privaten Zuwegung, wie sie das Urteil benennt, soll sich die Tat nicht ereignet haben; im Übrigen ist eine Zugehörigkeit dieser Liegenschaften zum öffentlichen Verkehrsraum auch nicht schlechthin zu bejahen, sondern nur dann, wenn sie einem unbestimmten Personenkreis zur Nutzung offenstehen (vgl. Fischer, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.11.1987, Az. 2 Ss 413/87, beck-online). Das aber wird durch die Feststellungen gerade nicht belegt; ob sich eine solche „grundsätzliche allgemeine Zugänglichkeit … aus den Bildern ergibt“, kann der Senat nicht beurteilen, weil es an einer ordnungsgemäßen Einbeziehung der – weder nach Fundstelle noch Inhalt näher bezeichneten – Bilder gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO fehlt.

Der Darstellungsmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, die wegen fehlender Feststellungen zu dem vom Angeklagten gefahrenen Pkw auch die tatmehrheitlich angenommene Ordnungswidrigkeit umfasst. …..“

Verkehrsrecht II: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, oder: Wenn ein „Geständnis“ kein „Geständnis“ ist

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Dreden, Beschl. v. 01.03.2021 – 6 OLG 27 Ss 28/21.

Das AG hat die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt. Das OLG hat auf die Sprungrevision hin aufgehoben. Es stellt einen Mangel in der Beweiswürdigung fest:

„Die Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis nicht stand.

1. Die Beweiswürdigung muss eine erschöpfende Würdigung der in der Hauptverhandlung fest-gestellten Tatsachen enthalten, soweit sich aus ihnen bestimmte Schlüsse zu Gunsten oder auch zu Ungunsten der Angeklagten herleiten lassen. Sie darf keine Lücken aufweisen, muss für das Revisionsgericht nachvollziehbar sein und insbesondere erkennen lassen, auf welchem Wege das Gericht zu den Feststellungen gelangt ist, welche Grundlage der Entscheidung geworden sind (vgl. nur BGH, NStZ 1985, 184). Diesen Anforderungen werden die Aus-führungen des Urteils nicht ausreichend gerecht.

2. Die Angeklagte wurde verurteilt ausschließlich auf der Grundlage ihrer eigenen Angaben. Diese enthalten jedoch – soweit sie umfassend dargestellt sein sollten – kein Geständnis. Die Angeklagte soll gesagt haben, sie haben einen Anstoß beim Rückwärtsfahren bemerkt, sei je-doch davon ausgegangen, eine Warnbake angefahren zu haben.

3. Auch wenn die Bemerkung, diese Angaben „dürfte(n) eine Schutzbehauptung darstellen“ im Gesamtzusammenhang als Überzeugung des Gerichts ist und nicht nur eine Mutmaßung verstanden werden kann, ist diese nicht tragfähig begründet.

Das Urteil stützt sich auf die Angabe der Angeklagten, sie habe, nachdem die Polizei bei ihr zu Hause geklingelt habe, gesagt, „dass sie schon wisse, weshalb die Beamten da seien“. Das Amtsgericht hat jedoch vorschnell daraus den Schluss gezogen, dass sie demnach erkannt haben müsse, dass sie „einen nicht unerheblichen Schaden verursacht“ hatte (und also den Anstoß an das Fahrzeug der Geschädigten bemerkt habe) und andere Erklärungsmöglichkeiten nicht erkennbar bedacht. So liegt es etwa bei einer pp.-jährigen, bis dahin mangels entgegenstehender Feststellungen auch verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Angeklagten nicht fern, dass sie schon in einem kleineren Unfall wegen der Beschädigung einer Warnbake hinreichenden Grund für ein Tätigwerden der Polizei gesehen haben könnte.

Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung.

3. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Urteil bzgl. der Feststellung des entstandenen Schadens lediglich pauschal auf ein Sachverständigengutachten „zu Blatt 84 d. A.“ verweist. Bezugnahmen auf Aktenteile, wie beispielsweise Gutachten, sind jedoch unzulässig (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63, Aufl. 2020, § 267 Rdnr. 2 m.w.N.). Die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigengutachtens – das wenn nicht nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 lit b) StPO so ggf. mit Einverständnis der Beteiligten nach § 251 Abs. 1 StPO verlesen worden sein dürfte – finden sich im Urteil nicht. Damit kann das Revisionsgericht die Tauglichkeit des Gutachtens für den Beweis des festgestellten Schadens nicht prüfen. Die Beweiswürdigung ist auch insoweit mithin lückenhaft (vgl. insoweit nur BGHSt 34, 29, 31).“