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VR I: Mal wieder zur Straßenverkehrsgefährdung, oder: Wie oft denn noch der Gefährdungsschaden?

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Heute dann drei OLG-Entscheidungen zu verkehrsrechtlichen Fragen.

Zum Warmwerden hier zunächst der KG, Beschl. v. 12.04.2024 – 3 ORs 31/24 – 161 SRs 21/24 – zu den erforderlichen Urteilsfeststellungen zum Gefährdungsschaden bei § 315c StGB.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen wollte der infolge einer Blutalkoholkonzentration von zumindest 0,61 Promille (relativ) fahrunsichere Angeklagte am Tattag ausparken, wobei er gegen einen hinter ihm parkenden PKW stieß. Von der anwesenden Fahrerin dieses Fahrzeugs angesprochen, soll der Angeklagte erwidert haben, sie sei selbst schuld, wenn sie so „bescheuert und so nah“ parke. Hiernach soll der Angeklagte, nunmehr mit bedingtem Schädigungsvorsatz, noch zwei weitere Male gegen das Fahrzeug gefahren sein, ohne dass es durch einen der Anstöße zu einem Schaden gekommen sei. In einer neuen selbstständigen Tat soll der Angeklagte, seine Fahrunsicherheit sorgfaltswidrig missachtend, nach dem Ausparken auf eine mit ihrem Kleinkind auf der Fahrbahn stehende Zeugin zugefahren sein, um diese zu einem ruckartigen Verlassen der Fahrbahn zu veranlassen.

Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat in Bezug auf den Schuldspruch mit der allgemeinen Sachrüge und zudem hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs mit einer ausgeführten Verfahrensrüge Erfolg.

Zum Schuldspruch führt das KG aus:

3. Die allgemeine Sachrüge dringt durch, weil die Feststellungen den zum Fall 1 getroffenen Schuldspruch der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) nicht tragen. Sie belegen nicht, dass der Angeklagte die Tat vorsätzlich begangen hat (a), und sie zeigen auch nicht auf, dass einer fremden Sache von bedeutendem Wert ein bedeutender Schaden gedroht hat (b).

a) Das Amtsgericht hat den Angeklagten nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB, also wegen alkoholbedingter vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, verurteilt. Nach den Feststellungen hätte der Angeklagte aber seine Fahrunsicherheit „erkennen können und müssen“ (UA S. 3). Dies belegt nur Fahrlässigkeit.

b) § 315c StGB erfordert zum sog. Gefährdungsschaden zwei Prüfschritte, zu denen im Strafurteil in aller Regel Feststellungen zu treffen sind: Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert gehandelt hat, was etwa bei älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen fraglich sein kann. Handelt es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der allein maßgebliche „überschießende“ Gefährdungsschaden. Der Wert der Sache ist hierbei nach dem Verkehrswert und die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen (vgl. BGH NStZ 2019, 677 m. w. N.).

Hier ist schon nicht festgestellt, dass es sich bei dem gefährdeten Fahrzeug um einen Gegenstand von bedeutendem Wert gehandelt hat, wobei die Wertgrenze noch immer bei 750 Euro liegen dürfte (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 125; NJW 2017, 743; zuletzt BayObLG, Beschluss vom 27. November 2023 – 203 StRR 381/23 – [juris]). Dass das im Urteil lediglich als PKW Audi bezeichnete Fahrzeug (UA S. 3) überhaupt diesen Wert hatte, mag naheliegen, versteht sich aber nicht von selbst. Selbst wenn man diesen Wert unterstellte, fehlten Ausführungen zum zweiten Prüfschritt, ob dem Fahrzeug nämlich ein bedeutender Schaden gedroht hat. Dies liegt bei dem festgestellten Fahrverhalten keinesfalls nahe: Es ging um einen Ausparkvorgang mit ersichtlich üblich geringer Geschwindigkeit, bei dem trotz dreifachen Anstoßes kein Schaden entstanden ist. Die Feststellungen belegen daher die konkrete Gefährdung nicht.

Auch die Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung enthalten keine Ausführungen dazu, warum das Tatgericht bei dem festgestellten Sachverhalt von einer konkreten Gefährdung und einem drohenden bedeutenden Schaden ausgegangen ist.“

Man fragt sich, wie oft die Obergerichte zu der Frage noch entscheiden müssen. Das, worauf es an der Stelle ankommt, sollte man wissen.

Mit der Verfahrensrüge war eine Verletzung des § 267a Abs. 3 Satz 4 StPO gerügt. Dazu der Leitsatz des KG:

Befassen sich die Urteilsgründe entgegen § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht mit der vom Verteidiger beantragten Möglichkeit der Verwarnung mit Strafvorbehalt, so liegt eine mit der Verfahrensrüge geltend zu machende Verletzung dieser Vorschrift auch dann vor, wenn das sachliche Recht die Prüfung des § 59 StGB keinesfalls nahelegt (Anschluss OLG Hamm Beschlüsse vom 4. September 2008 – 3 Ss 370/08 – und vom 9. November 1985 – 4 Ss 1328/85).

StGB I: BayObLG reichen die Urteilgründe nicht, oder: Verkehrsgefährdung, Unfallflucht, Trunkenheitsfahrt

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Und dann heute StGB-Entscheidungen, und zwar aus der Instanz. Es kommen zwei OLG-Entscheidungen und ein AG-Urteil.

Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 27.11.2023 – 203 StRR 381/23. Der nimmt noch einmal zur Straßenverkehrsgefährdung, dem unerlaubten Entfernen und der Trunkenheitsfahrt Stellung. Das BayObLG rügt zu knappe Feststellungen des AG.

Ich beschränke mich hier auf die Leitsätze zu der Entscheidung, da die Entscheidung letztlich nur die vorliegende Rechtsprechung bestätigt, und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext:

    1. Eine Verurteilung wegen einer Straßenverkehrsgefährdung – auch in der Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeitskombination des § 315c Abs. 3 Nr. 2; Abs. 1 Nr. 1a StGB – setzt im Falle einer Gefährdung von Sachwerten Feststellungen dazu voraus, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelt und, falls ja, ob der gefährdeten Sache auch ein bedeutender Schaden gedroht hat.
    2. Der Vorsatz des Täters nach § 142 StGB muss sich darauf beziehen, dass ein Unfall stattgefunden hat und dass der Schaden nicht ganz unerheblich war.
    3. Setzt der alkoholisierte Täter nach einem Streifvorgang seine Fahrt ohne Unterbrechung fort, bedarf eine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr tatsachenfundierter Feststellungen zum Bemerken des Streifvorgangs und zum Vorstellungsbild bezüglich des Umfangs des Schadens und der Fahrtüchtigkeit.

Wegen der Ausführungen des BayObLG zur Verfahrensrüge komme ich dann demnächst noch einmal auf die Entscheidung zurück.

Verkehrsrecht I: Straßenverkehrsgefährdung, oder: Grob rücksichtlos und grob verkehrswidrig

Überholen Verkehrs

Heute stelle ich drei Entscheidungen mit verkehrsrechtlichem Einschlag vor.

Den Opener mache ich mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 20.07.2023 – 4 ORs 4 Ss 16/23. Der ist schon einmal Gegenstand der Berichterstattung gewesen, und zwar wegen der vom OLG entschiedenen verfahrensrechtlichen Fragen (siehe hier: StPO III: Zustandekommen einer Verständigung, oder: Mitteilungs- und Belehrungspflicht). Heute stelle ich den Beschluss vor wegen der Segelanweisung die das OLG im Hinblick auf die angeklagten Taten gegeben hat, darunter auch ein Verstoß gegen § 315c StGB:

„5. Für die erneut durchzuführende Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Im Fall eines erneuten Schuldspruches wegen des Delikts des § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB bedarf es einer intensiveren Auseinandersetzung mit gleich mehreren Tatbestandsmerkmalen der Vorschrift. Der neue Tatrichter hat insoweit entsprechende – ausführlichere Feststellungen zu treffen und deren Vorliegen im Rahmen der Beweiswürdigung tragend zu begründen.

aa) So verhält sich grob rücksichtslos, wer sich aus eigensüchtigen Gründen über die ihm bewusste Pflicht zur Vermeidung unnötiger Gefährdung anderer (§ 1 StVO) hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit Bedenken gegen sein Verhalten von vornherein nicht aufkommen lässt (vgl. BGH, Urt. 4 StR 796/53 v. 25.02.1954; BayObLG, Urt. RReg 1 St 101/86 v. 22.08.1986 – jew. n. juris).

Als subjektives Merkmal kann Rücksichtslosigkeit nicht schlechthin aus dem äußeren Tathergang gefolgert werden. Die Umschreibung, dass der Angeklagte zum Zwecke des schnelleren Fortkommens überholen wollte, reicht nicht aus. Jeder, der überholt, will schneller sein Fahrtziel erreichen. Es hat vielmehr eine Auseinandersetzung damit zu erfolgen, aus welchen Motiven der Angeklagte schneller vorankommen wollte.

bb) Gleiches gilt für das Merkmal des grob verkehrswidrigen Verhaltens. Grob verkehrswidrig ist ein nach Sachlage besonders gefährliches Abweichen vom pflichtgemäßen Verhalten (BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, 57. Ed. § 315c Rn. 39). Zwar kann ein Autofahrer, der mit hoher Geschwindigkeit auf ein vorausfahrendes Fahrzeug auffährt, rechts überholt und sodann wieder einschwenkt und abbremst, sich dabei grob verkehrswidrig verhalten. Es bedarf jedoch tatrichterlicher Feststellungen zur Fahrtgeschwindigkeit des Angeklagten, des vorausfahrenden Fahrzeugs, der Anzahl der Fahrspuren der Autobahn sowie der Verkehrsdichte.

cc) Eine konkrete Gefährdung liegt vor, wenn das Gefährdungsobjekt so in den Wirkbereich der schadensträchtigen Tathandlung gelangt ist, dass der Eintritt eines Schadens nicht mehr gezielt abgewendet werden kann und sein Ausbleiben folglich nur noch von bloßen Zufälligkeiten abhängt; es muss also ein sog. „Beinaheunfall“ vorliegen, bei dem es rückblickend nur „gerade noch einmal gut gegangen“ ist (BGH, Beschl. 4 StR 375/68 v. 05.03.1969; 4 StR 667/11 v. 25.04.2012; 4 StR 725/94 v. 30.03.1995 -jew. n. juris). Letzteres ist anhand der konkreten Umstände mit Angaben etwa zu den gefahrenen Geschwindigkeiten, zur Intensität der Gefahrenbremsungen sowie dazu, inwieweit im Fall einer Kollision auch Leib und Leben der gefährdeten Person oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert bedroht gewesen wären, darzulegen (vgl. BGH, Beschl. 4 StR 324/13 v. 24.09.2013 -BeckRS 2013, 18828; 4 StR 188/15 v. 30.06.2015 – BeckRS 2015, 13519).

dd) Darüber hinaus bedürfte im Falle erneuter Annahme des Vorliegens eines bedingten Vorsatzes hinsichtlich der Gefährdung derselbe eingehenderer Begründung sowie einer Abgrenzung zumindest zur bewussten Fahrlässigkeit.

b) Im Falle einer erneuten Verurteilung hat der Urteilstenor die Schuldform auszuweisen, da das Delikt ausweislich § 315c Abs. 3 Nr. 2 StGB sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann. Gleiches gilt hinsichtlich der konkreten Gefährdung, § 315c Abs. 3 StGB.

c) Die neuen schriftlichen Urteilsgründe haben sich, ausführlicher als bislang geschehen, mit der Einlassung des Angeklagten auseinanderzusetzen, die jedenfalls ihrem wesentlichen Inhalt nach wiederzugeben ist. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Angeklagte ein Geständnis ablegt, denn ein Geständnis enthebt den Tatrichter nicht von der Pflicht, dieses einer kritischen Prüfung auf Plausibilität und Tragfähigkeit hin zu unterziehen und zu den sonstigen Beweismitteln in Beziehung zu setzen. Diese Maßstäbe gelten auch in Fällen, in denen der Angeklagte im Rahmen einer Verfahrensverständigung ein Geständnis ablegt (vgl. BGH, Beschl. 2 StR 75/14 v. 21.07.2015 – juris). Die Verständigung über den Strafrahmen darf gerade nicht dazu führen, dass ein Geständnis dem Schuldspruch zugrunde gelegt wird, ohne dass sich der Tatrichter von dessen Richtigkeit überzeugt (BVerfG, Urt. 2 BvR 2628/10 v. 19.03.2013, 2 BvR 2883/10 v. 21.06.2012 – jew. n. juris).“

Nichts Neues, aber die Ausführungen zeigen noch einmal, worauf es ankommt.

Verkehrsrecht III: Straßenverkehrsgefährdung, oder: Die fremde Sache vom „bedeutenden Wert“ im Urteil

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Und zum Abschluss des Tages dann noch ein Beschluss des OLG Hamm, und zwar der OLG Hamm, Beschl. v. 20.05.2021 – 4 RVs 48/21, ein Klassiker, nämlich zur Frage der Urteilsgründe hinsichtlich der konkreten Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert.

Da reicht der Leitsatz:

Um eine konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert i. S. v. § 315c StGB bejahen zu können, bedarf es bestimmter Angaben zum Wert der Sache und zur Höhe des drohenden Schadens, berechnet anhand der am Marktwert zu messenden Wertminderung.

Verkehrsrecht I: Straßenverkehrsgefährdung, oder: Wann ist eine konkrete Gefahr gegeben?

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Ich hatte schon länger keinen Verkehrsrechtstag mehr. Heute ist es dann mal wieder so weit.

Und ich beginne mit dem OLG Celle, Beschl. v. 16.02.2021 -3 Ss 6/21 -, den mir der Kollege Reimers geschickt hat. Thematik: Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) und: Mal wieder nicht ausreichende Feststellungen für die „konkrete Gefahr“:

„Der Revision kann ein zumindest vorläufiger Erfolg in der Sache nicht versagt bleiben. Die vomn Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind nicht geeignet, den Schuldspruch zu tragen; sie sind lückenhaft.

Zwar ist es von Rechts wegen zunächst nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht auf-grund der getroffenen Feststellungen von einem grob verkehrswidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen ist. Ein rücksichtsloses Handeln im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB geht aus den Feststellungen des Amtsgerichts indessen ebenso wenig hervor wie das Vorliegen einer konkreten Gefahr.

Erforderlich für das Vorliegen einer konkreten Gefahr ist nach gefestigter Rechtsprechung die Feststellung einer auf Tatsachen gegründeten nahe liegenden Wahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses, bei der nach Würdigung aller konkret erheblichen Umstände im Rahmen einer objektiven nachträglichen Prognose im Sinne einer ex-ante Beurteilung der Eintritt eines substantiellen Schadens in so bedrohliche Nähe gerückt sein muss, dass seine Vermeidung sich nur noch als Zufall darstellt (vgl. nur Fischer, Strafgesetz-buch, 68. Aufl., § 315c Rn. 15a m.w.N.). Dies lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend entnehmen. Allein die Feststellung, dass es zu einem Unfall gekommen wäre, wenn der Zeuge W. nicht stark abgebremst und dem Fahrzeug des Angeklagten ausgewichen wäre, ist hierfür nicht ausreichend. Denn eine konkrete Gefahr liegt regelmäßig nicht vor, wenn es einem Verkehrsteilnehmer noch möglich ist, einen Unfall durch ein im Bereich einer verkehrsüblichen Reaktion liegendes Brems- oder Ausweichmanöver abzuwenden (vgl. BGH vom 03.11.2009, 4 StR 373/09). Es war dem Zeugen W. nach den Feststellungen ersichtlich möglich, dem Fahrzeug des Angeklagten durch ein reaktionsschnelles Fahrmanöver auszuweichen. Das Vorliegen einer konkreten Gefahr ist vielmehr anhand objektiver Kriterien, wie beispielsweise der Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge, des Abstandes zwischen ihnen sowie auch der Beschaffenheit der Fahrzeuge selbst und ggf. bestehender Ausweichmöglichkeiten zu ermitteln. Nicht ausreichend sind insoweit lediglich wertende Umschreibungen wie etwa ein „scharfes“ Abbremsen oder Ausweichen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es stellt im Wesentlichen nur auf ein dichtes Auffahren sowie auf einen Fahrstreifenwechsel des Angeklagten ab, durch welchen der Zeuge W. zu einem starken Abbremsen sowie zu einem Aus-weichen gezwungen wurde, jedoch nicht auf notwendige weitere Umstände, um eine strafbare Straßenverkehrsgefährdung anzunehmen. Soweit ein Beinahe-Unfall offenbar in dem – verkehrswidrigen – Rechtsüberholen des Angeklagten liegen könnte, fehlt es an jeglichen Feststellungen zur Verkehrssituation und zur subjektiven Tatseite. Bereits die Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge wird nicht mitgeteilt. So bleibt anhand der getroffenen Feststellungen bereits offen, ob sich das Geschehen bei hoher, mittlerer oder geringerer Geschwindigkeit oder bei etwaig erhöhtem Verkehrsaufkommen (sog. Kolonnenspringen) zugetragen hat. Auch fehlt es an Feststellungen zu den Fahrzeugen der Beteiligten sowie zur Beschaffenheit der Fahrbahn (nass, trocken). Es werden auch keine Umstände mitgeteilt, aus denen sich die gefahrene Geschwindigkeit zuverlässig ableiten ließe. Allein aus dem Auslösen des Antiblockiersystems bei dem Fahrzeug des Zeugen W. lässt sich die gefahrene Geschwindigkeit und hiernach die Annahme eines „Bei-nahe-Unfalls“ nicht herleiten, da, was der Senat als allgemeinkundig voraussetzt, auch bei sehr geringen Geschwindigkeiten bis hin zur Schrittgeschwindigkeit das Antiblockiersystem bei einem entsprechend starken Bremsvorgang ausgelöst werden kann, was nicht zuletzt auch abhängig ist von der Beschaffenheit der Fahrbahn. In Bezug auf das Ausweichmanöver des Zeugen W. fehlt es an Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten, insbesondere hinsichtlich eines eventuellen Abkommens von der Fahrbahn sowie eines Annäherns an die Mittelleitplanke.

Ein Rückschluss auf die gefahrenen Geschwindigkeiten lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass sich die getroffenen Feststellungen zufolge die Fahrzeuge des Angeklagten sowie des Zeugen W. zum Zeitpunkt des Vorfalls zumindest teilweise auf dem linken Fahrstreifen befunden haben und der rechte Fahrstreifen zu diesem Zeitpunkt von LKWs befahren wurde, da das Amtsgericht auch zu der gefahrenen Geschwindigkeit der LKWs keinerlei Feststellungen getroffen hat.

Darüber hinaus fehlt es an Feststellungen zum subjektiven Tatbestand und hierbei insbesondere zum Tatbestandsmerkmal der Rücksichtslosigkeit, welches erfordert, dass der Täter sich aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrs-teilnehmern hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten nicht aufkommen lässt. Hierbei ist für das Vorliegen der Rücksichtslosigkeit der äußere Tathergang zwar regelmäßig das wichtigste und oftmals auch ausschlaggebende Entscheidungskriterium. Jedoch reicht das äußere Tatgeschehen allein für die Beurteilung der Rücksichtslosigkeit regelmäßig nicht aus. Es kommt vielmehr auf die konkrete Verkehrssituation, auch im Vorfeld sowie im Nachgang des Vorfalls, unter Einbeziehung der Vorstellungs- und Motivlage des Angeklagten an (vgl. Fischer aaO, Rn. 14a), wobei das Amtsgericht auch hierzu keine Feststellungen getroffen hat. Dies trifft auch auf die aus-weislich des Tenors durch das Amtsgericht angenommene fahrlässige Verursachung der Gefahr gemäß § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB zu.“