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Verkehrsrecht III: Urteil wegen Trunkenheitsfahrt, oder: Erforderliche Feststellungen und Regelvermutung

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Und als dritte Entscheidung des Tages stelle ich dann noch das OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.09.2020 – Ss 40/2020 (40/20) – vor. Ergangen in einem Verfahren wegen einer Trunkenheitsfahrt.

Gegen den Angeklagten war mit Strafbefehl des AG wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 45,– € verhängt worden. Zugleich wurde die Fahrerlaubnis entzogen und bestimmt, dass dem Angeklagten für die Dauer von fünf Monaten von einer deutschen Behörde keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. In dem Strafbefehl sind hinsichtlich der Tat folgende Feststellungen getroffen:

„Sie fuhren am 15.06.2019 gegen 00:20 Uhr mit dem Pkw Opel Astra, luxemburgisches Kennzeichen pp., auf der L177 aus Richtung Orscholz kommend in Fahrtrichtung Sinz in 66706 Perl, obwohl Sie infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig waren.

Eine bei Ihnen am 15.06.2019 um 01:59 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,32 ‰.

Ihre Fahruntüchtigkeit hätten Sie bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen.“

Auf den auf den Rechtfolgenausspruch beschränkten Einspruch des Angeklagten hat das Amtsgericht den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,– € verurteilt und gegen ihn ein verbüßtes Fahrverbot von sechs Monaten verhängt. Zur Begründung der Verhängung lediglich eines Fahrverbots hat das AG ausgeführt: Da der Angeklagte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung seit fast acht Monaten nicht mehr am Straßenverkehr teilgenommen habe, habe das Gericht ihn nicht mehr als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen vermocht, so dass es mit der Verhängung eines deklaratorischen Fahrverbots sein Bewenden haben könne.

Dagegen die Sprungrevision der StA, die Erfolg hatte. Das OLG nimmt zunächst wegen der Feststellungen und der Wirksamkeit der Beschränkung der Revision der StA Stellung. Dazu die Leitsätze:

  1. Im Fall einer Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB ist die Beschränkung einer Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nicht deshalb unwirksam, weil das angegriffene Urteil keine Feststellungen zu den Umständen der Alkoholaufnahme, den Beweggründen der Fahrt und deren Gegebenheiten enthält. Vielmehr genügt es, wenn der Tatrichter die Tat nach Tatzeit, Tatort, Fahrzeug und den die Fahrunsicherheit ergebenden Umständen in den Feststellungen eingrenzt (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 27.04.2017 – 4 StR 547/16). Gleiches gilt in den Fällen der Beschränkung eines Einspruchs gegen einen entsprechenden Strafbefehl auf den Rechtsfolgenausspruch.
  1. Die Staatsanwaltschaft kann ihre Revision innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs dann wirksam auf das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) und der Bestimmung einer Sperrfrist (§ 69a StGB) beschränken, wenn sich aus dem tatrichterlichen Urteil ergibt, dass der Strafausspruch nicht von der Entscheidung über die Maßregel beeinflusst ist, und sie zudem keine zugleich für das Strafmaß und die Maßregelanordnung bedeutenden Tatsachen angreift.

Und dann zum Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis, insoweit hatte die Revision Erfolg:

„b) Nach diesen Maßstäben erweist sich die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen hat, als rechtsfehlerhaft, weil besondere Umstände, welche zur Widerlegung der Regelvermutung führen könnten, nicht festgestellt sind. Besonderheiten der Trunkenheitsfahrt selbst sind weder dem Strafbefehl noch dem angefochtenen Urteil zu entnehmen. Auch besondere Umstände außerhalb der Tat, welche im Rahmen einer Gesamtwürdigung, insbesondere der Persönlichkeit des Angeklagten, geeignet sein könnten, die Vermutung der mangelnden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen jedenfalls zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zu widerlegen, liegen nicht vor. Zwar sind derartige Umstände im Einzelfall etwa dann angenommen worden, wenn seit der Trunkenheitsfahrt eines Ersttäters ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist, keine erhebliche Überschreitung des Grenzwerts von 1,1 ‰ vorlag, die Fahrerlaubnis für längere Zeit vorläufig entzogen war und der Täter erfolgreich an einem anerkannten Nachschulungskurs teilgenommen hat (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 371, 372 m. w. N.; Senatsbeschluss vom 14. November 2017 – 1 Ws 189/17 -; Schönke/Schröder/Kinzig, a. a. O., § 69 Rn. 46). An solchen Umständen fehlt es jedoch im vorliegenden Fall. Die Überschreitung des Grenzwerts von 1,1 ‰ ist mit der festgestellten Blutalkoholkonzentration von 1,32 ‰ nicht nur unerheblich. Dass der Angeklagte an einem Nachschulungskurs teilgenommen hätte, ist nicht festgestellt. Allein der vom Amtsgericht herangezogene Umstand, dass der Angeklagte – seinen vom Amtsgericht nicht überprüften Angaben zufolge – zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung seit fast acht Monaten kein fahrerlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug mehr geführt haben soll, und ihm zu diesem Zeitpunkt die Fahrerlaubnis seit fast fünf Monaten entzogen war, reicht zur Widerlegung der Regelvermutung nicht aus (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 1997, 178 f. – juris Rn. 37; KG, Urt. v. 01.11.2010 – (3) 1 Ss 317/10 (108/10), juris Rn. 3; Schönke/Schröder/Kinzig, a. a. O., § 69 Rn. 46). Vielmehr hätte es der Feststellung von über den bloßen Zeitablauf hinausgehenden Tatsachen, die belegen, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, bedurft (vgl. KG, a. a. O). Das gilt vor dem Hintergrund, dass nach den in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen gegen den Angeklagten im luxemburgischen Strafregister „2 Straßenverkehrsdelikte aus den Jahren 2015 und 2013“ eingetragen sind, erst recht.“

Notrufmissbrauch und Vortäuschen einer Straftat, oder: Schlampige Arbeit des AG

Die strafrechtliche Bewertung folgenden Verhaltens war Gegenstand des OLG Hamm, Beschl. v. 14.02.2017 – 4 RVs 7/17:

„Am 20.02.2016 rief der Angeklagte gegen 13:23 Uhr den Notruf der Polizei an und erklärte, dass er aus einer Wohnung an der X- Straße Nr. ## in F-X2 heraus von mehreren südländischen Personen beleidigt und bedroht werde.

Nach etwa 1,5 Minuten wählte der Angeklagte erneut den Notruf und erklärte, dass aus der Wohnung heraus nunmehr eine Person eine Schusswaffe auf ihn richten würde.

Die von dem Angeklagten mitgeteilten Taten fanden tatsächlich nicht statt. Der Angeklagte machte wissentlich falsche Angaben.

Der Angeklagte war alkoholisiert. Ein Atemalkoholtest mit Dräger 6510 ergab einen Wert von 0,82 mg/l.“

Das AG macht daraus einen Missbrauchs von Notrufen in zwei Fällen (§ 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB), davon in einem Mal in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat (§ 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB), weil der Angeklagte die Polizei angerufen und einen Sachverhalt geschildert hat, der so nicht stimmte.

Das OLG Hamm findet im amtsgerichtlichen Urteil mehrere Haare in der „sprichwörtlichen Suppe“:

„Richtig“ ist noch die Annahme von Missbrauch von Notrufen gem. § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass der Tatbestand des § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht nur überflüssige Einsätze von Helfern verhindern soll, die während dieser Zeit für tatsächlich notwendige Hilfsdienste nicht zur Verfügung stehen, sondern auch bezweckt, dass die Funktionsfähigkeit der Notrufzentrale gesichert bleibt und nicht durch missbräuchliche Inanspruchnahme beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 27.01.1986, 3 StR 164/85 – juris).

So liegt der Fall hier. Durch die Anrufe des Angeklagten bei der zuständigen Polizeidienststelle war jeweils eine Leitung zumindest kurzzeitig blockiert.“

Aber dann stellt das OLG folgende Fehler fest:

„b) Die bislang getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts tragen indes keine Verurteilung wegen Vortäuschens einer Straftat gem. § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB. Den amtsgerichtlichen Feststellungen kann nicht entnommen werden, ob der Angeklagte durch seine Anrufe bei der Polizeinotrufzentrale bereits die Begehung einer rechtswidrigen Tat vorgetäuscht und dadurch in den Schutzbereich des § 145d StGB eingegriffen hat.

Geschütztes Rechtsgut des § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB ist die Strafrechtspflege, die vor unnützer Inanspruchnahme ihres Apparats und der damit verbundenen Schwächung der Verfolgungsintensität geschützt werden soll (vgl. BGH, NStZ 2015, 514; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 145d Rn. 2; Ruß, in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 145d Rn. 1). Für die Tatbestandsverwirklichung ist zwar bedeutungslos, ob die Vortäuschung einen konkreten Erfolg gehabt hat, insbesondere zu einer behördlichen Reaktion geführt hat und die Behörde somit unnötig tätig geworden ist (vgl. Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 145d Rn. 11), jedoch muss die von dem unwahren Begebnis gegebene Darstellung jedenfalls geeignet sein, einen erheblichen Ermittlungs(mehr)aufwand zu veranlassen (vgl. Ruß, in: Leipziger Kommentar, a.a.O., § 145d Rn. 9).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe vermag der Senat, dem ein Rückgriff auf die Akten für die rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils verwehrt ist, anhand der Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht zu beurteilen, ob es bereits infolge der Notrufe des Angeklagten zu solchen unnützen Maßnahmen kommen konnte. Denn die Feststellungen lassen nicht erkennen, ob die Anrufe des offenbar angetrunkenen Angeklagten überhaupt in dem Sinne erst genommen worden sind, dass er tatsächlich Opfer einer – ohnehin nur denkbar vage geschilderten – Straftat geworden sein könnte.

c) Das Urteil leidet zudem an einem unauflösbaren Widerspruch zwischen Urteilstenor („Missbrauch von Notrufen in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat in zwei Fällen“) und Urteilsgründen („Missbrauch von Notrufen in zwei Fällen, davon in einem Mal in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat“). Dies begründet eine Verletzung des sachlichen Rechts im Sinne von § 337 StPO (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 19.03.2002, 4 Ss 1000/01 m.w.N. – juris).

Das Urteil beruht auch auf diesem Rechtsfehler, denn es kann weder festgestellt werden, dass der Urteilstenor offenkundig fehlerhaft verkündet worden ist, noch, dass es sich bei der vorgenommenen rechtlichen Würdigung um ein offensichtliches Schreibversehen handelt. Soweit das Amtsgericht in den Urteilsgründen ausführt, der Tatbestand des Missbrauchs von Notrufen sei „in einem Mal in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat begangen“ worden, bleibt offen, auf welche der von dem Angeklagten begangenen Taten sich diese Annahme erstreckt. Das Urteil verhält sich hierzu nicht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Erwägungen zur Strafzumessung. Denn den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, welchen Strafrahmen – ob den des § 145 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) oder aber den des § 145d Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) – das Tatgericht bei der Festsetzung der jeweiligen Einzelstrafe zu Grunde gelegt hat. Ausführungen zum anzuwendenden Strafrahmen fehlen gänzlich. Vor diesem Hintergrund liegt keinesfalls ein offenkundiges bzw. klar zu Tage tretendes Schreibversehen vor.

2. Außerdem leidet das Urteil an einem auf die allgemeinen Sachrüge hin zu beachtenden Erörterungsmangel. Das Amtsgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, ausreichende Feststellungen zu einer möglicherweise erheblich verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB zu treffen und sich mit einer daraus möglicherweise resultierenden Strafmilderung gemäß § 49 StGB zu befassen…..

Die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils sind insoweit lückenhaft, als dass sie lediglich ausweisen, ein „Atemalkoholtest mit Dräger 6510“ habe für den Angeklagten „einen Wert von 0,82 mg/l“ ergeben. Feststellungen zum Zeitpunkt der Messung sowie zur Trinkmenge und auch zum Trinkende fehlen. Damit ist eine Rückrechnung der im Rahmen des Atemalkoholtests festgestellten Alkoholisierung auf den Tatzeitpunkt nicht möglich. Eine solche Rückrechnung hat das Amtsgericht auch rechtsfehlerhaft unterlassen. Angesichts der aufgrund des Atemalkoholtests anzunehmenden erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich im Wege der Rückrechnung eine Alkoholisierung ergibt, die in den Anwendungsbereich von §§ 21, 49 StGB fällt. Dann liegen aber die Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten derart nahe, dass sich das Amtsgericht mit dieser Frage hätte auseinander setzen müssen.

3. Schließlich ist die Strafzumessung rechtsfehlerhaft, weil das Amtsgericht „unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände“ auf Einzelstrafen und sodann auf eine Gesamtstrafe erkannt hat, ohne auch nur einen einzigen Umstand konkret zu benennen, der gegen den Angeklagten spricht.“

Man hat den Eindruck, dass der Amtsrichter sein Urteil nur als Diskussionsgrundlage angesehen hat. Sonst kann man sich die schlampige Arbeitsweise kaum erklären.

„Beinaheunfall“, oder: Wenn die Polizei am Überholen gehindert und mit einem Feuerlöscher beworfen wird

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Einen verkehrsstrafrechtlichen Klassiker hat der BGH, Beschl. v. 15.03.2017 –  4  StR 53/17 – zum Inhalt, nämlich die „Polizeiflucht. Entscheiden musste der BGH allerdings nicht über die sonst häufige Konstellation des Zufahrens auf einen Polizeiwagen und/oder -beamte, sondern über einen Fall des Hindernisbereiten. Der Angeklagte hatte nämlich auf der Flucht vor ihn verfolgenden Polizeibeamten den von ihm gefahrenen PKW zweimal in dem Moment auf die Gegenfahrbahn der dreispurig ausgebauten Bundesstraße, die man befuhr, gelenkt, als das Polizeifahrzeug jeweils gerade zum Überholen ansetzte. Das LG hat „diese Fahrmanöver als Hindernisbereiten im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet und weiter gemeint, der Angeklagte habe mit „zumindest bedingte(m) Gefährdungsvorsatz hinsichtlich der konkreten Rechtsgutsgefährdung“ gehandelt. „Die hochgefährliche Fahrweise des Angeklagten und das Werfen der Gegenstände aus dem Fluchtfahrzeug durch den Mittäter belegen, dass der Angeklagte die konkrete Gefährdung der Polizeibeamten und des Streifenwagens zumindest billigend in Kauf genommen hat.“

Dem BGH reicht das für einen Versuch eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nicht und hebt – in der Kürze liegt die Würze 🙂 – insoweit auf:

a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. nur Senatsbeschluss vom 3. November 2009 – 4 StR 373/09, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. 3 Eingriff, erheblicher 6 mwN). Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde (Senatsurteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237 f.; Beschluss vom 5. November 2013 – 4 StR 454/13, NStZ 2014, 86).

bb) Das Landgericht hat sich demgegenüber darauf beschränkt, einen bloßen Gefährdungsvorsatz festzustellen. Der Senat kann – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass der Angeklagte bei seinen gefährlichen Fahrmanövern mit bedingtem Schädigungsvorsatz gehandelt hat.

Und dann gibt es auch gleich noch eine Segelanweisung:

„Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird deutlicher als bisher geschehen darzulegen haben, ob der Angeklagte – gegebenenfalls im Sinne sukzessiver Mittäterschaft – mit dem Hinauswerfen des Feuerlöschers und der weiteren Gegenstände durch seinen Mittäter einverstanden war und dies mit bedingtem Schädigungsvorsatz geschehen ist; der Angeklagte hat dies bestritten.

Für den Fall, dass sich in der erneuten Verhandlung ein auch nur beding-ter Schädigungsvorsatz des Angeklagten nicht nachweisen lässt, wird der nun-mehr zur Entscheidung berufene Tatrichter eine Strafbarkeit wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB zu erwägen haben.“

„Strohmannfall“ – Vorenthalten von Arbeitsentgelt

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Auch „kleinere“ Wirtschaftsstraftaten erfordern haufig einen größeren Aufwand des Tatrichters bei Aufklärung und Feststellungen. Das gilt vor allem auch für das echte Unterlassungsdelikt des § 266a StGB mit seiner Sozialrechtsakzessorietät. Zudem treten gerade bei diesem Straftatbestand in der Praxis gehäuft „Strohmann“-Konstellation auf. Mit der Frage der Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei diesem Delikt befasst sich der OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.05.2015 – 1 Ss 14/15:

„1. Ein erster Rechtsfehler liegt vor, weil – zumindest bei den Taten Nr. 1 bis Nr. 11 (Ein­zelfirma) – ausreichende Feststellungen dazu fehlen, ob der Angeklagte überhaupt als Arbeitgeber gemäß § 28 e Abs. 1 SGB IV zur Abführung der Beiträge verpflichtet war. Wer Arbeitgeber im Sinne von § 266a StGB ist, richtet sich nach dem Sozialver­sicherungsrecht, das seinerseits auf das Dienstvertragsrecht abstellt. Arbeitgeber ist danach derjenige, demgegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleis­tungen verpflichtet ist und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht. Das Bestehen eines solchen Beschäftigungsverhältnisses bestimmt sich nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles, die einer wertenden Gesamtbe­trachtung zu unterziehen sind (BGH, NStZ-RR 2014, 246, 247 f.). An einer solchen Gesamtbetrachtung fehlt es. Die erforderliche Gesamtbetrachtung wird insbesondere – deshalb kommt insoweit derzeit auch kein Freispruch in Betracht – nicht dadurch ersetzt. dass das Unternehmen nach den Urteilsfeststellungen allein von dem Zeu­gen Y. geführt wurde. Denn das Amtsgericht legt nicht näher dar, auf welche konkreten Feststellungen es diese Bewertung stützt. Sollten die Ausführun­gen des Amtsgerichts dahingehend zu verstehen sein, dass der Zeuge Y. das operative Geschäft betrieben hat, würde das der Einordnung des Angeklagten als Arbeitgeber jedenfalls nicht zwingend entgegenstehen, wenn er beispielsweise die schriftlichen Arbeitsverträge unterzeichnet sowie im Verkehr mit den Behörden und dem Steuerberater aufgetreten wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 15.03.2012, 5 StR 288/11, juris. Rn. 15 = NJW 2012, 2051). Dies wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Gericht aufzuklären haben.

2. Ein weiterer, gegenüber sämtlichen Straftaten durchgreifender Rechtsfehler des an­gefochtenen Urteils besteht darin, dass es das Amtsgericht unterlassen hat, für jeden Fälligkeitszeitpunkt (§ 23 Abs. 1 S. 2 SGB IV) gesondert Feststellungen zu der An­zahl der Arbeitnehmer, deren Beschäftigungszeiten, der vom Arbeitgeber zu zahlen­den Vergütung und zu den Beitragssätzen der einzelnen Krankenkassen zu treffen. Solche Feststellungen sind regelmäßig nötig (BGH. Urteil vom 20.03.1996, 2 StR 4/96, juris, Rn. 4; BGH, Beschluss vom 28_02.2007, 5 StR 544/06, juris; BGH, Urteil vom 11.08.2010, 1 StR 199/10, juris, Rn. 13), fehlen hier jedoch.

Die bloße Feststellung der Höhe der vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbei­träge und der darin enthaltenen Arbeitnehmeranteile, der durch das Vorenthalten geschädigten Krankenkasse sowie der Beitragsmonate genügt demgegenüber nur dann, wenn das Urteil auf Beitragsnachweisen (§ 28f Abs. 3 S. 1 SGB IV) beruht (BGH, Beschluss vom 07.10.2010, 1 StR 424/10, juris NStZ 2011, 161). Ob dem Urteil solche Beitragsnachweise. also Berechnungen der geschuldeten Sozialversi­cherungsbeiträge durch den Arbeitgeber, zugrunde liegen, ergibt sich aus den Fest­stellungen ebenfalls nicht.

3. Ein dritter Rechtsfehler folgt daraus, dass sich das angefochtene Urteil, obgleich § 266 a StGB ein echtes Unterlassungsdelikt ist (vgl. hierzu: Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 266 a Rn. 41), nicht damit auseinandersetzt, ob den handlungspflichtigen Beitragsschuldnern die Erfüllung der Beitragspflicht möglich und zumutbar war. Das Amtsgericht hätte sich unter diesem Gesichtspunkt mit der Zahlungsfähigkeit der Beitragsschuldner auseinandersetzen müssen, weil die finanzielle Situation beider Unternehmen nach den Feststellungen bereits am 17. Januar 2012 (erfolglose Pfändung des Finanzamts in das Vermögen der GmbH), also vor Fälligkeit sämtlicher Beiträge, schlecht gewesen sein soll.

Die Punkte sollte man sich als Tatrichter aber auch als Verteidiger merken.