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„Beinaheunfall“, oder: Wenn die Polizei am Überholen gehindert und mit einem Feuerlöscher beworfen wird

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Einen verkehrsstrafrechtlichen Klassiker hat der BGH, Beschl. v. 15.03.2017 –  4  StR 53/17 – zum Inhalt, nämlich die „Polizeiflucht. Entscheiden musste der BGH allerdings nicht über die sonst häufige Konstellation des Zufahrens auf einen Polizeiwagen und/oder -beamte, sondern über einen Fall des Hindernisbereiten. Der Angeklagte hatte nämlich auf der Flucht vor ihn verfolgenden Polizeibeamten den von ihm gefahrenen PKW zweimal in dem Moment auf die Gegenfahrbahn der dreispurig ausgebauten Bundesstraße, die man befuhr, gelenkt, als das Polizeifahrzeug jeweils gerade zum Überholen ansetzte. Das LG hat „diese Fahrmanöver als Hindernisbereiten im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet und weiter gemeint, der Angeklagte habe mit „zumindest bedingte(m) Gefährdungsvorsatz hinsichtlich der konkreten Rechtsgutsgefährdung“ gehandelt. „Die hochgefährliche Fahrweise des Angeklagten und das Werfen der Gegenstände aus dem Fluchtfahrzeug durch den Mittäter belegen, dass der Angeklagte die konkrete Gefährdung der Polizeibeamten und des Streifenwagens zumindest billigend in Kauf genommen hat.“

Dem BGH reicht das für einen Versuch eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nicht und hebt – in der Kürze liegt die Würze 🙂 – insoweit auf:

a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. nur Senatsbeschluss vom 3. November 2009 – 4 StR 373/09, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. 3 Eingriff, erheblicher 6 mwN). Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde (Senatsurteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237 f.; Beschluss vom 5. November 2013 – 4 StR 454/13, NStZ 2014, 86).

bb) Das Landgericht hat sich demgegenüber darauf beschränkt, einen bloßen Gefährdungsvorsatz festzustellen. Der Senat kann – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass der Angeklagte bei seinen gefährlichen Fahrmanövern mit bedingtem Schädigungsvorsatz gehandelt hat.

Und dann gibt es auch gleich noch eine Segelanweisung:

„Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird deutlicher als bisher geschehen darzulegen haben, ob der Angeklagte – gegebenenfalls im Sinne sukzessiver Mittäterschaft – mit dem Hinauswerfen des Feuerlöschers und der weiteren Gegenstände durch seinen Mittäter einverstanden war und dies mit bedingtem Schädigungsvorsatz geschehen ist; der Angeklagte hat dies bestritten.

Für den Fall, dass sich in der erneuten Verhandlung ein auch nur beding-ter Schädigungsvorsatz des Angeklagten nicht nachweisen lässt, wird der nun-mehr zur Entscheidung berufene Tatrichter eine Strafbarkeit wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB zu erwägen haben.“

Eskalation – Stinkefinger, Vollbremsung – im Straßenverkehr – wenn kein „Eingriff“, dann aber „Nötigung“

entnommen wikimedia.org Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

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Zum weiteren Wochenauftakt dann „tiefstes Verkehrsrecht“ mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2015 – 5 RVs 139/15. Es geht um ein Verfahren u.a. wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 StGB). Insoweit bringt der Beschluss an sich zwar nichts Neues, da er sich auf der Linie der obergerichtlichen Rechtsprechung bewegt. Er zeigt aber, dass sich die Tatgerichte mit der Umsetzung dieser Rechtsprechung – gelinde ausgedrückt – schwer tun, was allerdings auch nichts Neues ist: Man kann also schreiben: “ er zeigt aber mal wieder…“.

In dem Verfahren ging es um eine Situation im (innerörtlichen) Straßenverkehr, die in der Praxis gar nicht so selten sein dürfte: Der eine Verkehrsteilnehmer ärgert sich über den anderen und dessen Fahrmanöver, weil danach abbremsen musste. Dann fährt man nahe auf, man zeigt sich den berühmten „Stinkefinger“ und mehr. Und dann: „Nunmehr machte der Angeklagte aus Verärgerung und um I2 zu maßregeln ohne verkehrsbedingten Grund eine Vollbremsung; dabei hoffte und vertraute er – schon weil er wegen seines Fahrens ohne Fahrerlaubnis keinesfalls mit der Polizei Kontakt haben wollte –, dass es nicht zu einem Unfall kommen werde. I2 machte ebenfalls eine Vollbremsung, konnte aber einen leichten Zusammenstoß nicht verhindern. Der Angeklagte fuhr zunächst weiter. I2 verfolgte ihn. Nach einigen Metern hielt der Angeklagte und sodann auch I2 an.“

AG und LG verurteilen den Angeklagten wegen der Vollbremsung wegen eines Verstoßes gegen § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB. Das OLG hebt auf

Zwar kann ein willkürliches Abbremsen aus hoher Geschwindigkeit, um den nachfolgenden Kraftfahrzeugführer zu einer scharfen Bremsung oder Vollbremsung zu zwingen, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr durch Hindernisbereiten im Sinne des § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen (vgl. Senatsbeschluss vom 04. Juni 2013 – 5 RVs 41/13 – sowie den Beschluss des hiesigen 4. Strafsenats vom 11. September 2014 – 4 RVs 111/14 –, DAR 2015, 399; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 315 b Rdnr. 7, 11). Jedoch ist im vorliegenden Fall bereits zweifelhaft, ob überhaupt von einem Abbremsen bei „hoher Geschwindigkeit“ ausgegangen werden kann. Hinsichtlich des konkreten Abbremsvorgangs, der zum Unfall geführt hat, finden sich keine Feststellungen zur gefahrenen Geschwindigkeit, für den ersten Bremsvorgang des Angeklagten hat das Landgericht eine Geschwindigkeit von „etwa 40 km/h“ festgestellt. Eine solche oder noch geringere Geschwindigkeit würde in der konkreten Situation noch keinen verkehrsfremden Eingriff in Gestalt einer „groben Einwirkung von einigem Gewicht“ (vgl. hierzu BGHSt 26, 176, 177 f.; BGH, NZV 1998, 36) darstellen.

Vor allem aber gilt, dass die Vorschrift des § 315 b Abs. 1 StGB in der Regel einen von außen in den Straßenverkehr hineinwirkenden verkehrsfremden Eingriff voraussetzt und eine Anwendung der Vorschrift bei Handlungen im – wie hier – fließenden Verkehr nur dann in Betracht kommt, wenn es sich um einen verkehrswidrigen Inneneingriff handelt, d.h. der Täter als Verkehrsteilnehmer einen Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr pervertiert. Hierfür muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrswidriger Absicht hinzukommen, dass es mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz (z.B. als Waffe oder Schadenswerkzeug) missbraucht wird (vgl. BGHSt 48, 233, 237 f.; BGH, NStZ 2010, 391, 392; NZV 2012, 249; Beschluss des hiesigen 1. Strafsenats vom 20. Februar 2014 – 1 RVs 15/14 –, DAR 2014, 594). Diese Grundsätze gelten für alle Tatbestandsvarianten des § 315 b Abs. 1 StGB, also auch für den hier in Rede stehenden Fall nach § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. BGHR § 315 b Abs. 1 Nr. 2 Hindernisbereiten 4; Fischer, a.a.O., § 315 b Rdnr. 9).

Den für eine Verurteilung erforderlichen Schädigungsvorsatz hat das Landgericht nicht festgestellt. Vielmehr lässt die vom Landgericht gewählte Formulierung „dabei hoffte und vertraute er – schon weil er wegen seines Fahrens ohne Fahrerlaubnis keinesfalls mit der Polizei Kontakt haben wollte –, dass es nicht zu einem Unfall kommen werde“ darauf schließen, der Angeklagte habe ein Unfallgeschehen gerade nicht billigend in Kauf genommen. Zwar billigt der Täter auch einen an sich unerwünschten, aber notwendigen Erfolg, wenn er sich mit ihm um eines erstrebten Zieles willen abfindet und die als möglich erkannte Folge hinzunehmen bereit ist (vgl. BGH, NStZ 1994, 584; Fischer, a.a.O., § 15 Rdnr. 9b). Jedoch lässt sich den bislang getroffenen Feststellungen auch nicht entnehmen, der Angeklagte habe das Ziel, den Zeugen I2 „zu maßregeln“, nur durch eine (Be-)Schädigung dessen Fahrzeugs herbeiführen können. Es spricht mehr dafür, dass der Angeklagte dieses Ziel bereits dadurch zu erreichen glaubte, dass er den Zeugen überhaupt zu einem Abbremsen des eigenen Fahrzeugs zwang.

Also: Schädigungsvorsatz mal wieder nicht festgestellt. Das wird – das sieht auch das OLG – im 2. Durchgang nicht einfach(er), so dass die Verurteilung nach § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB entfallen kann/wird. Aber dann bleibt ggf. immer noch eine Nötigung nach § 240 StGB.