Schlagwort-Archive: Hindernisbereiten

Hindernisbereiten durch Kantholz auf der BAB, oder: „beim Betrieb“ oder „beim Gebrauch“?

entnommen wikimedia Commons

In der zweiten Entscheidung, dem LG Rottweil, Urt. v. 17.06.2022 – 2 O 33/22 – geht es auch – wie angekündigt – um das Merkmal „beim Betrieb“. Nach dem Sachverhalt befuhr der Kläger am 22.05.2021 gegen 22:15 Uhr mit seinem Fahrzeug eine Autobahn. Der Kläger befuhr die rechte Fahrspur, als er auf der Standspur den Ford Transit der Beklagten stehen sah. Der Kläger wechselte von der rechten auf die linke Spur. Dort überfuhr er einen metallenen Unterlegkeil, der auf der Fahrbahn lag. Auf der rechten Fahrspur lag ein Kantholz. Die Gegenstände wurden von der Beklagten auf die Fahrbahn gelegt.

Der Kläger behauptet, er habe den Unterlegkeil aufgrund der Dunkelheit nicht sehen können. Die Beklagte habe die Gegenstände aus ihrem Ford Transit herausgenommen und auf die Fahrbahn gelegt, um die Autobahn an der Stelle zu blockieren und eine Barriere aufzubauen. Sie habe damit verhindern wollen, dass die Person, von der sie sich vermeintlich verfolgt fühlte, ihr nachstellen konnte. Die Beklagte habe unter einem Verfolgungswahn gelitten und offensichtlich ein psychisches Problem gehabt.

Der Kläger macht einen Schaden von rund 5.000 EUR netto geltend.  Das LG hat die Klage abgewiesen:

„Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen keine Ansprüche gegen die Beklagte Ziff. 2 aus dem streitbefangenen Ereignis zu.

I.

Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 7 Abs. 1 StVG i. V. m. § 115 VVG.

Es kann dahinstehen, ob sich die Beklagte Ziff. 2 auf den Haftungsausschluss nach § 103 VVG berufen kann. Der vom Kläger behauptete Schaden ist jedenfalls nicht „bei dem Betrieb“ des bei der Beklagten Ziff. 2 versicherten Fahrzeugs entstanden. Es kann dabei unterstellt werden, dass die Beklagte Ziff. 1 die Gegenstände aus dem versicherten Fahrzeug genommen und auf die Fahrbahn gelegt hat und die Mitführung eines Unterlegkeils in dem Fahrzeug vorgeschrieben war.

1. Ein Schaden ist dann gem. § 7 Abs. 1 StVG „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit-)geprägt worden ist. Erforderlich ist dabei stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll. Die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Der Betriebsbegriff ist dabei grundsätzlich weit auszulegen. Nach der mittlerweile vorherrschenden verkehrstechnischen Auslegung ist ein Kfz in Betrieb, solange es sich im Verkehr befindet und andere Verkehrsteilnehmer gefährden kann. Denn die Halterhaftung ist der Preis für die Zulassung der mit dem Kfz-Verkehr verbundenen Gefahren. Daher sind alle hierdurch beeinflussten Schadensabläufe umfasst. Es ist dabei allerdings ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kfz als einer der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine erforderlich (Walter/BeckOGK Stand 01.09.2019, § 7 StVG Rn. 89; BGH vom 26.03.2019 – VI ZR 236/18, juris Rn. 8).

a) Das bei der Beklagten Ziff. 2 versicherte Fahrzeug befand sich noch „in Betrieb“ im Zeitpunkt des Schadenseintritts. Auch nach Beendigung des Bewegungsvorgangs kann das Kfz in Betrieb verbleiben. Ob sich ein stehendes Kfz noch in Betrieb befindet, hängt von der Aufrechterhaltung eines Bezugs zum Verkehr ab. Solange das Kfz bei der Abwicklung des Verkehrs noch eine Gefahr darstellt, verbleibt es in Betrieb. Die Dauer des Stillstandes sowie dessen Zweck ist kein Kriterium. Erst wenn das Kfz ordnungsgemäß und in völliger Betriebsruhe außerhalb der für die Abwicklung des Verkehrs bedeutsamen öffentlichen oder privaten Flächen abgestellt wird und daher von diesem keine dem Schutzbereich der Gefährdungshaftung zuzuordnenden Gefahren mehr ausgehen, endet der Betrieb. Dies war vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte Ziff. 1 hatte den Ford Transit auf der Standspur der Autobahn und damit im öffentlichen Verkehr abgestellt.

b) Es fehlt aber an dem Zurechnungszusammenhang zwischen dem Betrieb des Fahrzeugs und der Primärverletzung.

Dieser Zurechnungszusammenhang ist durch eine am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierte wertende Betrachtung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen (BGH vom 26.04.2005 – VI ZR 168/04, juris Rn. 9). Der erforderliche Zurechnungszusammenhang fehlt, wenn die Schädigung nicht mehr Folge der spezifischen Auswirkung derjenigen Gefahr ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (BGH vom 27.11.2007 – VI ZR 210/06, juris Rn. 8). Für eine Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kfz steht. Erforderlich ist, dass die Fahrweise oder der Betrieb des Fahrzeugs zu dem Entstehen des Unfalls beigetragen hat. Der Schaden muss auf eine typische Gefahrenquelle zurückzuführen sein (BGH vom 11.02.2020 – VI ZR 286/19, juris Rn. 23). Das Kfz muss durch seine Fahrweise, sonstige Beeinfluss des Verkehrs, seinen Betriebsvorgang oder Betriebseinrichtung zu der Entstehung beigetragen haben. Die bloße Anwesenheit des Kfz an der Unfallstelle genügt nicht (BGH vom 22.11.2016 – VI ZR 533/15, juris Rn. 14).

Dementsprechend wurde in der Rechtsprechung ein Zurechnungszusammenhang bisher angenommen, wenn Steine oder sonstige Gegenstände bei der Fahrt hochgeschleudert werden oder wenn Ladung verloren geht. Ebenso wenn Straßenverschmutzungen durch ein Kfz entstehen (zur Übersicht Walter/BeckOGK Stand 01.09.2019, § 7 StVG Rn. 97.2), oder Schäden durch das Ablösen von Fahrzeugteilen entstehen, wenn dies in Zusammenhang mit einem Verkehrsvorgang steht, zum Beispiel der Verlust eines Reifens oder Auspuffs während der Fahrt (Greger/Zwickel, Haftungsrecht im Straßenverkehr, 6. Auflage 2021, Haftung des Kfz-Halters, Rn. 3.137). Auch das Be- und Entladen eines Kfz bzw. das Ein- und Aussteigen gehören zum Betrieb des Kfz. Stehen hiermit zusammenhängende Schadensvorfälle in einem inneren Zusammenhang mit der Funktion des Kfz als Verkehrs- und Transportmittel, sind diese dem Betrieb zurechenbar. Entsteht der Schaden dagegen aufgrund nicht mit dem Betrieb verbundener, sondern hiervon unabhängiger Umstände, verwirklicht sich nicht die Gefahr des Betriebsvorgangs (BGH vom 08.12.2015 – VI ZR 139/15, juris Rn. 11 ff.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist es nicht mehr dem Betrieb des Kfz zuzurechnen, dass die Beklagte Ziff. 1 – unterstellt – aus dem Fahrzeug Gegenstände herausgenommen und auf die Fahrbahn gelegt hat, um nachfolgende Fahrzeuge aufzuhalten. Allein, dass der Unterlegkeil in dem Fahrzeug der Beklagten Ziff. 1 mitgeführt wurde, reicht hierfür nicht aus, um eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG zu begründen. Der Schaden als solcher steht in keinem ursächlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kfz. Es ist keine typische Gefahrenquelle des Straßenverkehrs, die bei wertender Betrachtung vom Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG umfasst wird, dass Gegenstände absichtlich aus dem geparkten Fahrzeug heraus auf die Straße gelegt werden, um nachfolgende Fahrzeuge zu schädigen. Der Schaden entstand auch nicht durch den Entladevorgang an sich, wodurch ein innerer Zusammenhang möglicherweise gegeben wäre (vgl. oben). Durch das absichtliche Blockieren der Fahrspur mit Gegenständen hat sich eine eigenständige Gefahr verwirklicht, die mit dem Betrieb und der Nutzung des Fahrzeugs als Fahr- und Transportmittel nicht in Zusammenhang steht.

Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Mitführung des Unterlegkeils gesetzlich vorgeschrieben war. Der Unterlegkeil wurde nicht zur Absicherung des Fahrzeugs, sondern als Hindernis für andere Verkehrsteilnehmer verwendet, sodass ein innerer Zusammenhang mit dessen Funktion und dem Grund, weshalb eine Mitführungspflicht bestand, fehlt.

II.

Auch aus § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 303; 315b StGB; § 32 StVO; § 115 VVG folgt kein Anspruch…….“

 

StGB II: Eingriff in den Bahnverkehr, oder: Nicht alltäglich

Bild von Golda Falk auf Pixabay

Einen versuchten gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr gemäß § 315 Abs. 1 Nr. 4 StGB hat man auch nicht jeden Tag auf dem Aktenbock. Hier ist aber dann mal ein Verfahren mit dem Vorwurf anhängig gewesen und hat jetzt beim BGH mit dem BGH, Beschl. v. 24.03.2020 – 4 StR 673/19 – seinen Abschluss gefunden:

„Die rechtliche Bewertung der Tat II. Fall 1 der Urteilsgründe als versuchter gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr gemäß § 315 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist nicht zu beanstanden.

1. Nach den Feststellungen betrat der Beschuldigte im Hauptbahnhof von M. vom Bahnsteig 4 aus das Gleisbett der Gleise 3 und 4, um auf diesem Weg den Bahnsteig 3 und den dort gerade mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h einfahrenden Personenzug zu erreichen. Der Angeklagte nahm dabei billigend in Kauf, dass sich Personen in dem sich nähernden Zug aufgrund der notwendigen Bremsung verletzen könnten. Der Lokführer des Zuges gab aufgrund des im Gleisbett befindlichen Beschuldigten einen Achtungspfiff ab und führte bei einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h eine Schnellbremsung mit Sandung bis zum Stillstand des Zuges durch. Ob sich bei der Bremsung Personen im Zug verletzten, konnte nicht festgestellt werden.

2. Unter einem Hindernisbereiten im Sinne des § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jede Einwirkung im Verkehrsraum zu verstehen, die geeignet ist, den reibungslosen Verkehrsablauf zu hemmen oder zu verzögern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 1954 . 4 StR 329/54, BGHSt 6, 219, 224; vom 14. Januar 1959 . 4 StR 464/58, BGHSt 13, 66, 69; zu § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB vgl. BGH, Urteil vom 31. August 1995 . 4 StR 283/95, BGHSt 41, 231, 234). Tatbestandlich erfasst werden auch solche Einwirkungen, die erst durch die psychisch vermittelte Reaktion des Fahrzeugführers zu einer Beeinträchtigung des Verkehrsablaufs führen, etwa weil sie Brems- oder Ausweichvorgänge mit den damit verbundenen Gefahren zur Folge haben. Daher handelt es sich bei einem auf den Gleisen befindlichen Menschen um ein Hindernis im Sinne des § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. OLG Oldenburg, NStZ 2005, 387; König in LK-StGB, 12. Aufl., § 315 Rn. 35; Pegel in MK-StGB, 3. Aufl., § 315 Rn. 43 mwN; Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 315 Rn. 11; Ernemann in Satzger/ Schluckebier/Widmaier, StGB, 4. Aufl., § 315 Rn. 10; zu § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB vgl. BGH, Urteil vom 31. August 1995 . 4 StR 283/95, aaO, S. 235; Beschluss vom 13. Juni 2006 . 4 StR 123/06, NStZ 2007, 34, 35).

Ob ein Hindernisbereiten schon dann vorliegt, wenn die das Gleisbett querende Person die von dem Schienenfahrzeug genutzten Gleise noch nicht erreicht hat, kann dahinstehen (vgl. zum Streitstand König, aaO, Rn. 35a und Pegel, aaO, Rn. 43 jeweils mwN). In dieser Konstellation ist jedenfalls . wie vom Landgericht angenommen . ein ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff gemäß § 315 Abs. 1 Nr. 4 StGB gegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 1959 . 4 StR 464/58, aaO).“

Hindernisbereiten/provozierte Kollision, oder: Betriebsgefahr?

© Thaut Images – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Celle, Urt. v. 22.01.2020, 14 U 173/19 – auch vom OLG Celle und behandelt auch die Frage der Betriebsgefahr. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Kollisionsgeschehen in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 2018 in H. auf der C. Straße in Höhe der Hausnummer pp. zwischen dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Toyota Yaris, pp., einem Mietfahrzeug der Firma S. GmbH, das B. C. mit überhöhter Geschwindigkeit gesteuert hatte, und dem Audi A 6, pp., der der V. Bank GmbH – im Rahmen einer Kaufpreisfinanzierung – sicherungsübereignet worden ist (K 1). Die V. Bank GmbH hat den Kläger ermächtigt, im eigenen Namen Zahlungsklage gegen die Beklagte zu erheben (Anlage K 2). Der Audi erlitt einen massiven rechtsseitigen Anstoß gegen das Heck (Anlage K 3). Polizei und Staatsanwaltschaft Stade <113 Js 47688/18> (im Folgenden BA) haben das Geschehen als eine provozierte Kollision nach einer Verfolgungsjagd im Rahmen einer familieninternen Auseinandersetzung gewertet, bei der D. T. mit einem Pkw Daimler Benz E 220, pp., B. C. und seine Freundin R. K. in dem Toyota Yaris verfolgt und zum Auffahren auf den zwischen einer Verkehrsinsel und dem Gehweg stehenden Audi A 6 getrieben habe, um ihn verprügeln zu können (Bl. 1, 6 – 9, 29, 30 d. BA). Zuvor seien am Bahnhof in O., wo sich C. und D. T. verabredungsgemäß getroffen hätten, von D. T. und seinen Begleitern Gleissteine auf den Toyota geworfen worden. C. sei mit dem Toyota geflohen. Nach den Angaben von C. und seiner Freundin R. K. habe T. T. während der Kollision nicht in dem Audi A 6 gesessen, sondern auf dem Gehweg gestanden. T. T. habe dagegen angegeben, C. sei aufgefahren, während er – T. – versucht habe, mit dem Audi auf einen Parkstreifen zu fahren.

Der Kläger hat behauptet, C. sei infolge Unaufmerksamkeit und überhöhter Geschwindigkeit auf den Pkw Audi A 6 aufgefahren, als sein Bruder T. T. dabei gewesen sei, den Wagen auf dem Seitenstreifen neben der Spielbank in H. zu parken. Diesen Parkvorgang habe T. T. durch Bremsen und Blinken angezeigt gehabt. Für T. T. sei das Unfallgeschehen unvermeidbar gewesen. Der Kläger hat die Nettoreparaturkosten laut Sachverständigengutachten in Höhe von 7.131,60 EUR ersetzt verlangt neben einer Kostenpauschale von 25,- EUR sowie 834,19 EUR als Sachverständigenkosten und 729,23 EUR als vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren.

Die Beklagte hat ein Unfallereignis im eigentlichen Sinne bestritten und behauptet, die Kollision sei Folge einer Verfolgungsjagd gewesen, bei der das klägerische Fahrzeug bewusst als Hindernis aufgestellt worden sei, um C. zum Anhalten zu zwingen, damit man ihn verprügeln könne. Dieser sei in die Kollision getrieben worden. …..“

Das LG hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen: Sowohl den Kläger als auch die Beklagte treffe eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG. Im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG trete die Haftung der Beklagten aus der Betriebsgefahr des Toyota Yaris und wegen Verschuldens des Zeugen B. C. hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des T. T., das sich der Kläger anrechnen lassen müsse, vollständig zurück. Das Klägerfahrzeug sei als Hindernis zweckentfremdet worden, auf das der Zeuge C. mit einer Verfolgungsjagd zugetrieben worden sei.

Der Kläger hat Berufung eingelegt. Die hatte keinen Erfolg.

Dazu erst mal die Leitsätze:

Betriebsgefahr und Hindernisbereiten

  1. Die Betriebsgefahr aus § 7 Abs. 1 StVG entfällt bei der bewussten Bildung eines Hindernisses auf der Fahrbahn.
  2. Derjenige, der mit seinem Fahrzeug bewusst ein Hindernis auf der Fahrbahn bereitstellt, um einen Auffahrunfall zu provozieren, haftet allein (§ 17 Abs. 1 StVG).

Und im Einzelnen führt das OLG aus:

3. Haftung der Beklagten

Grundsätzlich haftet die Beklagte gemäß § 115 Abs. 1 VVG, § 7 Abs. 1 StVG für die Schäden, die dem Kläger als Halter des Audi A 6 durch den Betrieb des Toyota Yaris am 18. Juli 2018 entstanden sind. Denn die Beklagte ist die Haftpflichtversicherung der Halterin des Toyota Yaris – Firma S. GmbH -, die den Pkw an B. C. und R. K. vermietet hatte.

Wenngleich der Begriff „bei dem Betrieb“ im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG weit zu fassen ist [BGH, VersR 2005, 992; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, Bearbeiter König zu § 7 StVG Rn. 4 m. w. N.] und das Beklagtenfahrzeug auf das Klägerfahrzeug aufgefahren ist, verneint der Senat vorliegend die Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG. Denn nach der Rechtsprechung des BGH [Urteil vom 31. Januar 2012 – VI ZR 43/11 -, Rn. 17, zitiert nach juris] muss es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d. h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist [ebenso: BGHZ 37, 311 (315); BGHZ 79, 259 (262); BGH, VersR 1989, 923 (924); BGH, VersR 1991, 111 (112)]. Das ist hier nicht der Fall.

Die Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken sozialer Verantwortung für eigene Wagnisse; sie bezweckt den Ausgleich für Schäden aus den durch zulässigen Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder Kraftfahrzeuganhängers entstehenden Gefahren [BGH, VersR 2005, 992; Hentschel/König/Dauer, Bearbeiter König zu § 7 StVG Rn. 1 m. w. N.]. Eine Haftung besteht nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Anwendung die verletzte Norm erlassen worden ist [BGH, Urteil vom 26. Februar 2013 – VI ZR 116/12 -, Rn. 13, zitiert nach juris]. Hier ist die Kollision dadurch entstanden, dass die Cousins des Klägers den Führer des Beklagtenfahrzeugs in die Kollision mit dem Klägerfahrzeug getrieben und den Audi A 6 bewusst als Hindernis für das Beklagtenfahrzeug benutzt haben. Damit hat sich keine der allgemeinen Gefahren verwirklicht, die üblicherweise mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs zusammenhängen, und für deren Regelung § 7 Abs. 1 StVG geschaffen worden ist. Der Zeuge C. ist mit dem Beklagtenfahrzeug vor der Aggression seiner Cousins (Steinewerfen am Bahnhof) geflohen. Er war seinen eigenen unwiderlegten Angaben zufolge darum bemüht, eine persönliche Auseinandersetzung mit seinen Familienmitgliedern zu vermeiden. Letztlich wurde er von ihnen auf ein vom Zeugen T. T. aufgebautes Hindernis – dem Klägerfahrzeug – zu getrieben und daran gehindert, dieses Hindernis zu umfahren. Seine Fahrweise war mithin von seinen Familienmitgliedern in einer Art und Weise beeinflusst worden, die seiner freien Willensbestimmung entgegenstand und mit den üblichen Gefahren im Straßenverkehr nichts mehr zu tun hatte.

Eine Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG ist folglich zu verneinen. Schon deshalb war die Klage abzuweisen. Das benachteiligt den Kläger auch nicht unangemessen. Denn ihm dürften Schadensersatzansprüche gegenüber seinem Bruder und seinen Cousins aus § 823 BGB zustehen, weil diese mit ihrem Verhalten die Beschädigung seines Fahrzeugs in Kauf genommen (dolus eventualis) haben. Gegen eine Haftung der Beklagten spricht auch der Rechtsgedanke des § 103 VVG, wonach der Versicherer von der Versicherungsleistung befreit ist, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat. Dieser Fall ist mit dem zugrundeliegenden Rechtsstreit vergleichbar.

4. Vorsorglich Quote

Aber selbst wenn man eine Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG bejahen wollte, ist es sachgerecht und geboten, im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG eine alleinige Haftung des Klägers anzunehmen. Der Senat teilt die entsprechenden Erwägungen des Einzelrichters nach einer eigenen kritischen Überprüfung und Bewertung der Sach- und Rechtslage in vollem Umfang.

Der Kläger haftet gemäß § 7 Abs. 1 StVG grundsätzlich aus der Betriebsgefahr des Audi A 6.

Das Verhalten des T. T. und der Cousins ist ihm zuzurechnen, selbst wenn er keinerlei Kenntnis davon hatte. Er musste zwar nicht damit rechnen, dass sein Bruder und seine Cousins B. C. im Straßenverkehr verfolgen und das Klägerfahrzeug als Hindernis benutzen würden, um C. aufzuhalten und verprügeln zu können: Der Kläger war auf Montage. Das Geschehen vom 18. Juli 2018 hat den Zeugen C. völlig überrascht (vgl. Bl. 8 d. BA). Dann dürfte es auch für den Kläger überraschend gewesen sein. Wenngleich die Vorgehensweise hinsichtlich der konkreten Ausführung mit dem Klägerfahrzeug als Hindernis für den Zeugen C. verabredet wirkte, dürfte dies aber spontan und kurzfristig geschehen sein, nachdem C. vom Bahnhof in O. geflohen war und die Cousins erkannten, in welche Richtung er sich bewegte. Es ist aber zu konstatieren, dass der Zeuge T. T., als er das Klägerfahrzeug bewusst als Hindernis für den Zeugen C. eingesetzt hat, dessen Betrieb im Straßenverkehr für seine Zwecke ausgenutzt hat. Ein solches Verhalten ist dem Kläger genauso zuzurechnen, wie das für den Fahrzeughalter unerwartete Verschulden eines Fahrzeugführers im Straßenverkehr durch Alkohol- oder Drogenkonsum oder dessen grob verkehrswidriges Fahrmanöver unter bewusster Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer.

Den Zeugen T. T. trifft an dem Zustandekommen der Kollision ein erhebliches Verschulden, indem er ohne verkehrsbedingten Anlass ein Hindernis auf der Fahrbahn geschaffen hat (§§ 12 Abs. 1 und Abs. 6, 32 Abs. 1 StVO, § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Der Zeuge C. hat die Kollision mitverschuldet: Er ist nach eigenen Angaben mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren, nämlich ca. 70 bis 90 km/h innerorts (Bl. 40 d. A.), und hat auf den Verkehr voraus nicht genügend geachtet (Bl. 8 d. BA). Damit hat er gegen § 3 Abs. 1 StVO verstoßen.

Bei der Abwägung einer angemessenen Haftungsquote zwischen dem Kläger und der Beklagten gemäß § 17 Abs. 1 StVG erscheint es dem Senat geboten, eine alleinige Haftung des Klägers anzunehmen, weil das Verschulden des Zeugen T. T. gegenüber demjenigen des Zeugen B. C. deutlich überwiegt. T. T. hat sich bewusst strafbar verhalten, während C. aus Angst und Schrecken – quasi blindlings – vor seinen Cousins, die ihm Gewalt antun wollten, geflohen ist. Sein Sorgfaltsverstoß im Straßenverkehr fällt so viel weniger ins Gewicht als derjenige des Zeugen T. T., dass es gerechtfertigt erscheint, die Haftung der Beklagten vollends zurücktreten zu lassen hinter dem gravierenden Verschulden des Zeugen T. T., für das der Kläger einstehen muss. Mit dieser Auffassung steht der Senat im Einklang mit anderen gerichtlichen Entscheidungen, in denen Auffahrunfälle durch ein grob verkehrswidriges Verhalten des Vorausfahrenden verursacht worden sind, und dieser für die Folgen des Unfalles allein haften musste: So haben das Landgericht Essen [Urteil vom 12. Januar 2018 – 17 O 235/16 –, Orientierungssatz und Rn. 15, 17 und 33 m. w. N., zitiert nach juris], das Oberlandesgericht München [Urteil vom 22. Februar 2008 – 10 U 4455/07 –, Orientierungssatz und Rn. 37, zitiert nach juris] und das Landgericht Mönchengladbach [Urteil vom 16. April 2002 – 5 S 86/01 –, Orientierungssatz, zitiert nach juris] entschieden, dass bei einem scharfen Abbremsen zum Zweck der Disziplinierung / Verkehrserziehung des Nachfolgenden der Bremser voll hafte. Das ist mit dem bewussten Hindernisbereiten, um den Nachfolgenden zum Anhalten zu zwingen, damit man ihn verprügeln kann, vergleichbar. Das zuletzt genannte Verhalten muss erst recht zu einer alleinigen Haftung desjenigen führen, der das Hindernis bereitet.

Eskalation – Stinkefinger, Vollbremsung – im Straßenverkehr – wenn kein „Eingriff“, dann aber „Nötigung“

entnommen wikimedia.org Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

entnommen wikimedia.org
Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

Zum weiteren Wochenauftakt dann „tiefstes Verkehrsrecht“ mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2015 – 5 RVs 139/15. Es geht um ein Verfahren u.a. wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 StGB). Insoweit bringt der Beschluss an sich zwar nichts Neues, da er sich auf der Linie der obergerichtlichen Rechtsprechung bewegt. Er zeigt aber, dass sich die Tatgerichte mit der Umsetzung dieser Rechtsprechung – gelinde ausgedrückt – schwer tun, was allerdings auch nichts Neues ist: Man kann also schreiben: “ er zeigt aber mal wieder…“.

In dem Verfahren ging es um eine Situation im (innerörtlichen) Straßenverkehr, die in der Praxis gar nicht so selten sein dürfte: Der eine Verkehrsteilnehmer ärgert sich über den anderen und dessen Fahrmanöver, weil danach abbremsen musste. Dann fährt man nahe auf, man zeigt sich den berühmten „Stinkefinger“ und mehr. Und dann: „Nunmehr machte der Angeklagte aus Verärgerung und um I2 zu maßregeln ohne verkehrsbedingten Grund eine Vollbremsung; dabei hoffte und vertraute er – schon weil er wegen seines Fahrens ohne Fahrerlaubnis keinesfalls mit der Polizei Kontakt haben wollte –, dass es nicht zu einem Unfall kommen werde. I2 machte ebenfalls eine Vollbremsung, konnte aber einen leichten Zusammenstoß nicht verhindern. Der Angeklagte fuhr zunächst weiter. I2 verfolgte ihn. Nach einigen Metern hielt der Angeklagte und sodann auch I2 an.“

AG und LG verurteilen den Angeklagten wegen der Vollbremsung wegen eines Verstoßes gegen § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB. Das OLG hebt auf

Zwar kann ein willkürliches Abbremsen aus hoher Geschwindigkeit, um den nachfolgenden Kraftfahrzeugführer zu einer scharfen Bremsung oder Vollbremsung zu zwingen, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr durch Hindernisbereiten im Sinne des § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen (vgl. Senatsbeschluss vom 04. Juni 2013 – 5 RVs 41/13 – sowie den Beschluss des hiesigen 4. Strafsenats vom 11. September 2014 – 4 RVs 111/14 –, DAR 2015, 399; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 315 b Rdnr. 7, 11). Jedoch ist im vorliegenden Fall bereits zweifelhaft, ob überhaupt von einem Abbremsen bei „hoher Geschwindigkeit“ ausgegangen werden kann. Hinsichtlich des konkreten Abbremsvorgangs, der zum Unfall geführt hat, finden sich keine Feststellungen zur gefahrenen Geschwindigkeit, für den ersten Bremsvorgang des Angeklagten hat das Landgericht eine Geschwindigkeit von „etwa 40 km/h“ festgestellt. Eine solche oder noch geringere Geschwindigkeit würde in der konkreten Situation noch keinen verkehrsfremden Eingriff in Gestalt einer „groben Einwirkung von einigem Gewicht“ (vgl. hierzu BGHSt 26, 176, 177 f.; BGH, NZV 1998, 36) darstellen.

Vor allem aber gilt, dass die Vorschrift des § 315 b Abs. 1 StGB in der Regel einen von außen in den Straßenverkehr hineinwirkenden verkehrsfremden Eingriff voraussetzt und eine Anwendung der Vorschrift bei Handlungen im – wie hier – fließenden Verkehr nur dann in Betracht kommt, wenn es sich um einen verkehrswidrigen Inneneingriff handelt, d.h. der Täter als Verkehrsteilnehmer einen Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr pervertiert. Hierfür muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrswidriger Absicht hinzukommen, dass es mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz (z.B. als Waffe oder Schadenswerkzeug) missbraucht wird (vgl. BGHSt 48, 233, 237 f.; BGH, NStZ 2010, 391, 392; NZV 2012, 249; Beschluss des hiesigen 1. Strafsenats vom 20. Februar 2014 – 1 RVs 15/14 –, DAR 2014, 594). Diese Grundsätze gelten für alle Tatbestandsvarianten des § 315 b Abs. 1 StGB, also auch für den hier in Rede stehenden Fall nach § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. BGHR § 315 b Abs. 1 Nr. 2 Hindernisbereiten 4; Fischer, a.a.O., § 315 b Rdnr. 9).

Den für eine Verurteilung erforderlichen Schädigungsvorsatz hat das Landgericht nicht festgestellt. Vielmehr lässt die vom Landgericht gewählte Formulierung „dabei hoffte und vertraute er – schon weil er wegen seines Fahrens ohne Fahrerlaubnis keinesfalls mit der Polizei Kontakt haben wollte –, dass es nicht zu einem Unfall kommen werde“ darauf schließen, der Angeklagte habe ein Unfallgeschehen gerade nicht billigend in Kauf genommen. Zwar billigt der Täter auch einen an sich unerwünschten, aber notwendigen Erfolg, wenn er sich mit ihm um eines erstrebten Zieles willen abfindet und die als möglich erkannte Folge hinzunehmen bereit ist (vgl. BGH, NStZ 1994, 584; Fischer, a.a.O., § 15 Rdnr. 9b). Jedoch lässt sich den bislang getroffenen Feststellungen auch nicht entnehmen, der Angeklagte habe das Ziel, den Zeugen I2 „zu maßregeln“, nur durch eine (Be-)Schädigung dessen Fahrzeugs herbeiführen können. Es spricht mehr dafür, dass der Angeklagte dieses Ziel bereits dadurch zu erreichen glaubte, dass er den Zeugen überhaupt zu einem Abbremsen des eigenen Fahrzeugs zwang.

Also: Schädigungsvorsatz mal wieder nicht festgestellt. Das wird – das sieht auch das OLG – im 2. Durchgang nicht einfach(er), so dass die Verurteilung nach § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB entfallen kann/wird. Aber dann bleibt ggf. immer noch eine Nötigung nach § 240 StGB.