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VR III: Nochmals unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, oder: Unfall mit dem rollenden Einkaufswagen?

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Und dann noch etwas vom OLG Naumburg. Das hat im OLG Naumburg, Beschl. v. 06.05.2024 – 1 ORs 38/24 – zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) Stellung genommen.

Zugrunde liegt ein „Klassiker“, nämlich ein „Unfall“ auf einem Supermarktparkplatz, an dem ein rollender Einkaufwagen „beteiligt“ war.

AG und LG haben den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des LG im Berufungsurteil stellte der Angeklagte am Tattag seinen Pkw auf dem Parkplatz eines Supermarktes ab. Anschließend holte er einen Einkaufswagen und begab sich zurück zu seinem Fahrzeug. Da sich dort der Hund des Angeklagten losmachte, ließ der Angeklagte den Griff des Einkaufswagens los, um den Hund wieder anzuleinen. Der Einkaufswagen geriet daraufhin auf dem leicht abschüssigen Parkplatz ins Rollen, drehte sich einmal um die Achse und stieß mit dem Griff voran gegen den Pkw des Geschädigten, an dem eine Schramme und eine deutlich sichtbare Eindellung entstanden. Obwohl der Angeklagte den Anstoß bemerkte, begab er sich den Markt, um einzukaufen.

Gegen dieses Urteil wendete sich der Angeklagte mit seiner Revision, die mit der Verfahrensrüge hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hatte. Im Übrigen hat das OLG die Revision als unbegründet verworfen.

Im Rahmen der Verfahrensrüge beanstandet das OLG, dass nicht ersichtlich, sei worauf das LG seine Überzeugung hinsichtlich der Höhe der durch die verursachten Beschädigungen am Pkw des Geschädigten Reparaturkosten in Höhe von 1.041,89 EUR stütze. Die Angabe eines bis auf den Cent exakten Betrags legt nahe, dass dieser einer Reparaturkostenrechnung, einem Kostenvoranschlag oder einer ähnlichen Urkunde entnommen worden sei. Derartiges ist in der Hauptverhandlung jedoch nicht verlesen worden. Die entsprechende Angabe kann auch nicht im Wege eines Vorhalts durch die Aussage eines Zeugen oder Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführt worden sein, da weder Zeugen noch Sachverständige vernommen worden seien. Nach den Umständen des Falls erscheine es auch ausgeschlossen, dass die Angabe zur Höhe der Reparaturkosten im Wege eines Vorhaltes an den insoweit nicht sachkundigen und in keinem näheren Verhältnis zum Geschädigten stehenden Angeklagten eingeführt worden sei. Die in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden verhielten sich ebenfalls nicht zu der Höhe der Reparaturkosten. Auch das in der Berufungshauptverhandlung verlesene Urteil des AG könne die getroffenen Feststellungen nicht begründen, weil dessen Verlesung nicht Teil der Beweisaufnahme, sondern wesentlicher Bestandteil der Berichterstattung nach § 324 StPO sei – dazu vgl. KG, Beschl. v. 4.3.2020 – (2) 121 Ss 32/20 (10/20).

Im Übrigen hat das OLG die Revision verworfen. Insoweit stelle ich hier nur die Leitsätze ein, da die Fragen m.E. in der obergerichtlichen Rechtsprechung, die das OLg auch zitiert, ausreichend ausgekaut sind. Also:

  1. Ein allgemein zugänglicher privater Parkplatz gehört zum räumlichen Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs.
  2. Nicht jeder Unfall ist schon deshalb ein „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinne des § 142 StGB, weil er sich im öffentlichen Verkehrsraum ereignet. Vielmehr setzt die Annahme eines „Verkehrsunfalls“ nach dem Schutzzweck der Norm des § 142 StGB einen straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang voraus. In dem „Verkehrsunfall” müssen sich gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben.
  3. Der erforderliche straßenverkehrsspezifische Zusammenhang isz auch dann gegeben ist, wenn sich die Gefahr verwirklicht hat, die dadurch entsteht, dass sich ein Fußgänger auf einem Supermarktparkplatz im räumlichen Bereich der dort abgestellten Kraftfahrzeuge bewegt, etwa um zu seinem Fahrzeug zu gelangen.

Die Entscheidung ist zutreffend. Sie fasst die ständige Rechtsprechung der Obergerichte zum Begriff des „Unfalls im Straßenverkehr“ in § 142 StGB zutreffend zusammen. Man fragt sich allerdings, was das OLG bewogen hat, so ausführlich dazu auszuführen. Die damit zusammenhängenden Fragen sind in der Rechtsprechung zwar vor einigen Jahren kontrovers diskutiert worden, der Streit dürfte sich inzwischen aber erledigt haben, da von der h.M. abweichende Rechtsprechung in den letzten Jahren nicht mehr bekannt geworden ist. Aber vielleicht wollte das OLD zu der Frage auch mal etwas gesagt haben, nachdem der Verteidiger die Frage noch einmal thematisiert hatte. Jedenfalls wird der Stand der Rechtsprechung schön dargestellt, so dass die Entscheidung für die Praxis brauchbar ist, auch wenn das OLG zum Schuldspruch für den Angeklagten nachteilig entschieden hat.

Parkplatzunfall, oder: Wer nicht hupt, ist selber „mitschuld“

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Das LG Dortmund hatte im LG Dortmund, Urt. v. 22.08.2017 – 1 S 388/16 – folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Auf einem öffentlichen Parkplatz parkten sowohl die Ehefrau des Klägers mit dessen Pkw als auch der Beklagte mit seinem Pkw rückwärts aus. Als der Pkw des Klägers bereits zum Stehen gekommen war, sah die Ehefrau des Klägers, wie das Fahrzeug des Beklagten auf das von ihr geführte Fahrzeug zurollte. Es kam zur Kollision. Die Parteien streiten um die Haftungsverteilung. Das AG hatte gemeint, dass den Kläger bzw. dessen Ehefrau ein 20-%iger „Eigenanteil2 anzurechnen sei. Das LG sieht das ebenso:

„(1) Ein unabwendbares Ereignis im Sinne der Vorschrift liegt nur dann vor, wenn selbst ein idealtypischer Fahrer, bei Anwendung äußerst möglicher Sorgfalt, Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht den Unfall nicht hätte verhindern können. Dabei darf sich die Prüfung nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre, denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält (BGH, Urt. v. 13.12.2005 – VI ZR 68/04 = NJW 2006, 896 (898) Rn. 21).

(2) Nach diesen Maßstäben war der Unfall für den Kläger nicht unabwendbar.

Dessen ungeachtet, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2016 vor dem Amtsgericht zu Protokoll erklärt hat, das Fahrzeug des Beklagten erst wahrgenommen zu haben, als es rückwärts auf ihn und seine Frau zurollte, und dadurch jedenfalls seine eigene unzureichende Verkehrsbeobachtung dokumentiert hat, hat die Ehefrau des Klägers als Fahrzeugführerin, deren Verhalten sich der Kläger zurechnen lassen muss (vgl. Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. (2016), § 17 StVG Rn. 5), in der konkreten Situation nicht sachgerecht reagiert, weil sie, nachdem sie das Fahrzeug des Beklagten wahrgenommen hat, nicht die Hupe betätigt hat. Ein besonders sorgfältiger Kraftfahrer, der alles nur Erdenkliche unternimmt, eine gefährliche Situation zu vermeiden bzw. zu beseitigen, hätte aber ein Warnzeichen mittels Hupe gegeben (vgl. LG Bochum, Urt. v. 31.08.2015 – I-3 O 255/14 Rn. 24, juris). Der Versuch der Berufung, die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht in dem Schriftsatz vom 09.01.2017 zu plausibilisieren, bedarf deshalb keiner weiteren Ausführungen.

Überdies hätte die Ehefrau des Klägers erkennen müssen, dass auch der Beklagte zu 1) ausparkt und deshalb u.U. nicht ganz so weit zurücksetzen dürfen bzw. zur Vermeidung eines Unfalls wieder vorher anfahren müssen.

b) Zu Recht hat das Amtsgericht bei der gemäß 17 Abs. 1 u. 2 StVG gebotenen Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs in Ansatz gebracht. Der von dem Amtsgericht zugrunde gelegte Verursachungsbeitrag von 20 % zulasten des Klägers lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

aa) Soweit die Berufungsbegründung in diesem Zusammenhang ausführt, die Haftung bzw. Haftungsverteilung richte sich nicht nach § 7 StVG, sondern nach § 17 StVG, zeugen die Ausführungen von einem Fehlverständnis des dem Straßenverkehrsgesetz zugrunde liegenden Haftungskonzepts. Denn die Haftung eines unfallbeteiligten Halters ist sowohl dann ausgeschlossen, wenn der Unfall auf höhere Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG zurückzuführen ist, als auch dann, wenn der Unfall für einen der Beteiligten auf einem unabwendbaren Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG beruht. Insoweit ergänzt die Vorschrift des § 17 StVG die in § 7 StVG angeordnete Gefährdungshaftung des Halters.

bb) Entgegen der Auffassung der Berufung hat das Amtsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe zutreffend keinen Mitverschuldensanteil auf Seiten des Klägers i.H.v. 20% berücksichtigt, sondern die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges in die Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge eingestellt, ohne ein die Betriebsgefahr steigerndes Verschulden der Ehefrau des Klägers in die Abwägung einzubeziehen.

Das ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

(1) Wie die Beklagten zu Recht einwenden, können auch dann, wenn kein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des zuvor rückwärtssetzenden Klägerfahrzeugs spricht, weil dieser im Kollisionszeitpunkt stand, die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs und weitere Umstände, aus denen auf ein Verschulden des ursprünglich rückwärtsfahrenden Klägers geschlossen werden kann, im Rahmen der Abwägung berücksichtigt werden (BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15 = NJW 2016, 1098 (1099 f.) Rn. 16).

(2) Die von dem Amtsgericht bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge zulasten des Klägers mit 20% bemessene Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs ist angesichts der konkreten Situation im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Selbst wenn das Klägerfahrzeug nach den die Kammer gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden Feststellungen im Kollisionszeitpunkt gestanden hat, ereignete sich der Zusammenstoß gleichwohl aufgrund einer letztlich unklaren Verkehrssituation, in welcher es die Ehefrau des Klägers unterlassen hat, den Beklagten auf einen drohenden Zusammenstoß hinzuweisen. Denn entweder hat die Ehefrau des Klägers den Beklagten bereits wahrgenommen und es in der konkreten Situation vorwerfbar unterlassen, den Beklagten durch das Betätigen der Hupe auf den drohenden Zusammenstoß hinzuweisen oder hat die Ehefrau des Klägers das auf dem Parkplatz herrschende Verkehrsgeschehen nicht ausreichend beobachtet und war deshalb nicht in der Lage, den Beklagten auf den Zusammenstoß hinzuweisen.“

Nochmals Parkplatzunfall, oder: Anscheinsbeweis beim Rückwärtsfahren

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Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner das BGH, Urt. v. 11.10.2016 – VI ZR 66/16. Immer ist etwas anderes dazwischen gekommen, heute bringe ich es aber dann. Es handelt sich um eine der Entscheidungen, die der BGh im vergangenen Jahr zu den „Parkplatzunfällen“ gemacht hat.

Es geht um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall auf einem Parkplatz. Der Beklagte fuhr mit seinem Pkw auf dem Fahrweg zwischen zwei im rechten Winkel dazu angeordneten Parkbuchten. Dabei fuhr er vorwärts in eine – aus seiner Fahrtrichtung gesehen rechts vom Fahrweg gelegene – Parkbucht ein, um sogleich wieder in entgegengesetzter Richtung rückwärts aus der Parkbucht auszufahren. Die Klägerin befand sich zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Pkw in einer Parkbucht, die auf der gegenüberliegenden Seite des Fahrwegs gelegen war. Sie fuhr, nachdem sie gesehen hatte, dass der Beklagte in die Parkbucht eingefahren war, mit ihrem Fahrzeug rückwärts aus ihrer Parkbucht und brachte ihr Fahrzeug auf dem Fahrweg zum Stehen.

Noch ehe die Klägerin den Vorwärtsgang eingelegt und ihr Fahrzeug in Richtung Ausfahrt in Bewegung gesetzt hatte, kam es zur Kollision zwischen dem Pkw der Klägerin und dem Heck des Pkw des Beklagten, der ebenfalls rückwärts aus der gegenüberliegenden Parkbucht ausgefahren war. Durch die Kollision wurde das Fahrzeug der Klägerin an der Fahrerseite beschädigt. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten hat den Schaden der Klägerin auf Grundlage einer Haftungsquote von 50 % reguliert. AG und LG haben die Klage auf weitergehenden Schaden abgewiesen. Der BGH hat aufgehoben und zurückverwiesen.

Er hat dabei zu den Grundsätzen des Anscheinsbeweises bei Kollisionen während des Rückwärtsfahrens Stellung genommen, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

  1. Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rück-wärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht nach § 1 StVO in Verbindung mit der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat.
  2. Dagegen liegt die für die Anwendung eines Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufs regel-mäßig nicht vor, wenn beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere rückwärtsfahrende Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das
    Fahrzeug hineingefahren ist.
  3. Unabhängig vom Eingreifen eines Anscheinsbeweises können die Betriebsgefahr der Fahrzeuge und weitere sie erhöhende Umstände im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG Berücksichtigung finden.

Zu den Fragen schon: BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15 und dazu BGH zum Rückwärtsfahren: Wenn der andere steht, kein Anscheinsbeweis und BGH, Urt. v. 26.01.2016 – VI ZR 179/15.

Der Parkplatzunfall auf der Autobahnraststätte – wie wird gehaftet?

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Vorfahrtsregeln auf Zufahrtsstraßen von Parkplätzen und/oder auf Parkplätzen, ein in der Praxis wichtiges Thema, bei dem allerdings doch das ein oder andere im Dunklen liegt. Ein wenig Licht bringt das OLG Hamm, Urt. v. 29.08.2014 – 9 U 26/14. Ausgangspunkt für die Entscheidung ist ein Verkehrsunfall, an dem auf einer Autobahnraststätte zwei Lastzüge beteiligt waren. Der Lastzug des Klägers befuhr den an einem BAB Rastplatz zur Autobahnauffahrt führenden Zufahrtsweg. An diesen grenzten rechtsseitig ca. 18 schräg angeordnete Lkw-Stellplätze, von denen die Einfahrt in die Zufahrtsstraße möglich war. Auf dem letzten Stellplatz rangierte der Lastzug der Beklagten. Beide Lastzüge stießen zusammen, als der Lastzug des Klägers den Lastzug der Beklagten passierte. Der Kläger verlangte 100 % seine Schadens. Das OLG Hamm hat ihm die gewährt:

1. Die Beklagten müssen sich neben der von dem Lastzug des Beklagten zu 1) ausgehenden Betriebsgefahr nach Anscheinsbeweisgrundsätzen ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 2) wegen Verstoßes gegen § 10 StVO anrechnen lassen. Nach dieser Vorschrift muss derjenige, der von anderen Straßenteilen oder vom Fahrbahnrand anfahren will, sich so verhalten, dass jede Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

2. Die Regeln der Straßenverkehrsordnung (StVO) sind auf einem – wie hier – öffentlich zugänglichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar (OLG Frankfurt, ZfSch 2010, 19; Scheidler, DAR 2012, 313, 314); Senat, NJW-RR 2013, 33). Da Parkplätze dem ruhenden Verkehr dienen, trifft der dort Ein- und Ausparkende in der Regel nicht auf fließenden Verkehr, sondern auf Benutzer der Parkplatzfahrbahn. In diesen Fällen sind die gegenseitigen Rücksichtspflichten deshalb (verglichen mit den Pflichten aus §§ 9, 10 StVO) erhöht und einander angenähert. Einen Vertrauensgrundsatz zugunsten des „fließenden“ Verkehrs gegenüber dem wartepflichtigen Ein- oder Ausfahrenden gibt es nicht (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. § 8 StVO Rn. 31 a). Das führt dazu, dass bei Unfällen auf Parkplatzgeländen in der Regel für ein alleiniges Verschulden eines Verkehrsteilnehmers, insbesondere auch ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr, kein Raum sein wird. Vielmehr wird hier – anders als im fließenden Verkehr – regelmäßig ein im Rahmen der Haftungsabwägung zu berücksichtigendes Mitverschulden, jedenfalls aber die Betriebsgefahr zu berücksichtigen sein (Scheidler, DAR 2012, 313, 316).

Etwas anderes kann gelten, wenn die angelegten Fahrspuren zwischen den Parkplätzen eindeutig Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Handelt es sich bei einer bzw. mehreren der Zufahrtswege um eine gegenüber den Durchfahrtsgassen zwischen den Parkplätzen nochmals baulich größer und breiter ausgestalteten Zufahrtsstraße, so kann § 10 StVO, ob unmittelbar oder analog zur Anwendung kommen (KG, B.v. 12.10.2009 – 12 U 233/08 -, […], vgl. hierzu auch OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28. Juli 2006 – 10 U 28/06 – VerkMitt 2007, Nr. 43, OLG Düsseldorf, U.v. 23.10.2010 – 1 U 156/09 -, […], LG Bremen, U.v. 20.06.2013 – 7 O 485/12 -.).

3. Hiervon ausgehend hat die nördlich parallel zur BAB 44 verlaufende Zufahrtsstraße, auf der sich der Unfall ereignet hat, Straßencharakter. Bereits der bauliche Ausbau belegt den Straßencharakter. Die Zuwegung ist zweispurig ausgebaut und durch einen Mittelstreifen gekennzeichnet. Dem Straßencharakter steht nicht entgegen, dass rechtsseitig die Parkplätze für Lastkraftwagen schräg angeordnet an die Zufahrtsstraße angrenzen. Das rechtfertigt nicht die Einordnung als eine dem Parkplatz suchenden Verkehr dienende Zufahrtsstraße. Zum einen ist diese Fläche im Gegensatz zur asphaltierten Fahrbahn in roten Verbundsteinen ausgeführt und damit optisch von dem Randbereich abgegrenzt. Von maßgeblicher Bedeutung ist darüber hinaus, dass aufgrund der baulichen Gestaltung der Benutzer der zweispurigen Fahrbahn allenfalls mit einfahrendem, den Parkplatz verlassenden LKW – Verkehr und nicht mit Parkplatz suchendem LKW – Verkehr rechnen muss. Die Zufahrtsstraßen auf dem Parkplatz sind so angeordnet, dass der auf den Parkplatz einfahrende LKW – Verkehr die mittlere Zufahrtsstraße nehmen muss, um von dieser aus nach schräg links in die Parkbucht einzufahren. Diese verlässt er anschließend vorwärts über die nördlich gelegene Zufahrt. Damit ist faktisch ein Ringstraßensystem in Form einer Einbahnstraße geschaffen worden. Danach stellt sich das Einfahren in die nördliche Zufahrtsstraße als das Anfahren von einem seitlich gelegenen Parkplatz in eine dem fließenden Verkehr dienende Fahrbahn dar.“

Oder, kürzer mit den Leitsätzen:

  1. Die Regeln der Straßenverkehrsordnung (StVO) sind auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar.
  2. Einen Vertrauensgrundsatz zugunsten des „fließenden“ Verkehrs gegenüber dem wartepflichtigen Ein- oder Ausfahrenden gibt es grundsätzlich nicht.
  3. Etwas anderes kann gelten, wenn die angelegten Fahrspuren zwischen den Parkplätzen eindeutig Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge (hier: Durchfahrtsstraße im Bereich der LKW-Stellplätze auf einem Rastplatz an einer Bundesautobahn).