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Festsetzung der abgetretenen Erstattungsforderung, oder: Unnötiger Umweg über das OLG

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Und als zweite Entscheidung kommt hier dann mal wieder eine „Kopfschüttelentscheidung“. Es handelt sich um den OLG Naumburg, Beschl. v. 08.10.2025 – 1 Ws 307/25 – zur Festsetzung der Kosten nach Abtretung der Erstattungsforderung. „Kopfschütteln“ allerdrings nicht über die Entscheidung des OLG, sondern über den beteiligten Rechtspfleger.

Folgender Sachverhalt: Im Strafvollzugsverfahren ist um die Aushändigung schriftlicher Ausfertigungen der Vollzugs- und Eingliederungsplanfortschreibungen des Gefangenen gestritten worden. Nachdem die JVA die begehrten Protokolle der Vollzugs- und Eingliederungsplanfortschreibungen ausgehändigt und eine Kostenübernahme erklärt hatte, hat das LG die notwendigen Auslagen des Gefangenen der Landeskasse auferlegt.

Der Verfahrensbevollmächtigte beantragte am 19.05.2025 aus abgetretenem Recht die Erstattung der notwendigen Auslagen des Antragstellers in Höhe von 289,17 EUR an sich selbst. Mit Schriftsatz vom 26.05.2025 legte er eine Abtretungserklärung des Gefangenen vor und korrigierte den Erstattungsantrag dann am 02.06.2025 auf 512,27 EUR. Nach Anhörung der Landeskasse änderte der Verfahrensbevollmächtigte seinen Erstattungsantrag erneut und begehrte nunmehr noch die Festsetzung von 353,95 EUR aus der Landeskasse.

Mit Beschluss vom 04.07.2025 setzte die Rechtspflegerin die aus der Landeskasse dem Gefangenen, dem Antragsteller, zu erstattenden notwendigen Auslagen in dieser Höhe antragsgemäß und wies mit Verfügung vom selben Tage die Auszahlung an den Verfahrensbevollmächtigten an. Gegen diesen Beschluss, hat sich der Verfahrensbevollmächtigte mit seiner sofortigen Beschwerde gewandt.  Mit dieser wendet er sich sowohl für den Antragsteller als auch in eigenem Namen gegen die Entscheidung, soweit entgegen dem Antrag eine Festsetzung der zu erstattenden notwendigen Auslagen zugunsten des Gefangenen/Antragstellers erfolgt ist.

Mit Erfolg:

„1. Das Rechtsmittel ist zulässig und in der Sache begründet.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 125 Nr. 3 JVollzGB I LSA, 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 464b Satz 3 StPO, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG statthaft und fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist nach § 464b Satz 4 StPO erhoben worden. Zunächst ist der Verfahrensbevollmächtigte beschwerdebefugt, nachdem er selbst den Kostenfestsetzungsantrag aus abgetretenem Recht gestellt hatte (OLG Hamm, Beschluss vom 22. Januar 2009, 5 Ws 300/08 – zitiert nach juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. Juli 2018, 4 Ws 147/18, BeckRS 2018, 17053; Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 464b Rn. 2). Daneben ist auch der ursprüngliche Antragsteller beschwerdebefugt, soweit die Rechtspflegerin entgegen dem Kostenfestsetzungsantrag die zu erstattenden notwendigen Auslagen ausdrücklich zu seinen Gunsten festgesetzt hat, obwohl sie nach der erfolgten Abtretung seinem Verfahrensbevollmächtigten zustanden und er sich damit möglichen Rückerstattungsansprüchen gegenübersieht. Der Beschwerdewert von 200 Euro (§ 304 Abs. 3 StPO) ist überschritten. Der Senat hat in der Besetzung mit drei Richtern (§ 122 Abs. 1 GVG) zu entscheiden; § 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO findet keine Anwendung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. August 2017, 2 Ws 176/17, BeckRS 2017, 120182; OLG Rostock, Beschluss vom 18. Januar 2017, 20 Ws 21/17, BeckRS 2017, 100808; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Februar 2012, III-3 Ws 41/12, BeckRS 2012, 5113).

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die ausdrückliche Festsetzung der im Hinblick auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal vom 12. Mai 2025 zu erstattenden notwendigen Auslagen für den Antragsteller ist rechtsfehlerhaft erfolgt.

Soweit im Kostenerstattungsverfahren die nach der Kostengrundentscheidung Erstattungsberechtigten und deren Rechtsnachfolger, also beispielsweise auch der Verteidiger, an den die Kostenerstattungsansprüche ausdrücklich und formgerecht gem. § 398 BGB abgetreten wurden, antragsberechtigt sind (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 3. November 2015, 2 Ws 277/15 – zitiert nach juris; KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 464b Rn. 3; Schmitt/Köhler, a. a. O., § 464n Rn. 2), hätte im Hinblick auf die von dem Verfahrensbevollmächtigten vorgelegte Abtretungserklärung des Antragstellers zu Gunsten seines Verfahrensbevollmächtigten die Festsetzung ausdrücklich für letzteren erfolgen müssen. Soweit dies durch die Rechtspflegerin nicht erfolgt ist, hat der Senat den Beschluss in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang abgeändert. Soweit die zu erstattenden Auslagen im Übrigen antragsgemäß festgesetzt wurden, war eine Änderung in der Höhe nicht erforderlich.“

Die ist in meinen Augen mal wieder der Beweis dafür, dass offenbar derjenige, der keine Arbeit hat, sich welche macht. Denn anders ist das Festsetzungsverhalten der Rechtspflegerin nicht zu verstehen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Festsetzung nicht zugleich für den Verfahrensbevollmächtigten erfolgt ist. Den Weg über das OLG hätte man sich ersparen können.

BtM II: Hat es sich überhaupt um BtM gehandelt?, oder: Allein das positive Ergebnis vom Schnelltest reicht nicht

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Als zweite Entscheidung habe ich einen ganz interessanten Beschluss des OLG Naumburg zu den Urteilsgründen beim (unerlaubten) Besitz von BtM.

Das AG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Anbau von Cannabis verurteilt. Dagegen die (Sprung-) Revision des Angeklagten. Die GStA hat Aufhebung beantragt. Das OLG hat dann im OLG Naumburg, Beschl. v. 08.10.2025 – 1 ORs 131/25 – aufgehoben:

„Die Sprungrevision des Angeklagten ist gemäß §§ 335, 341, 344, 345 StPO zulässig und hat mit der Sachrüge auch Erfolg. Auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht mehr an.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift unter anderem ausgeführt:

„Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß §§ 1, 3, 29 Abs. 1 Nr. 3, 33 BtMG nicht.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Köthen besaß der Angeklagte am 20.06.2024 in seiner Wohnung 0,88 g Crystal mit dem Wirkstoff Methamphetamin und 1,17 g Heroin mit dem Wirkstoff Diacetylmorphin (UA S. 4).

Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung nicht zu dem Tatvorwurf eingelassen

Das Amtsgericht hat seine Feststellung, der Angeklagte habe zur Tatzeit Crystal und Heroin besessen, auf die glaubhaften Aussagen der vernommenen polizeilichen Zeugen, die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder sowie auf den in der Hauptverhandlung verlesenen polizeilichen Bestimmungs- und Wiegebericht Betäubungsmittel vom 16.08.2024 (BI. 64-67 d.A.) gestützt (UA S. 4).

Diese Feststellungen sind indes nicht ausreichend, um mit einer für eine Verurteilung erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Angeklagte zur Tatzeit tatsächlich Methamphetamin und Heroin besessen hat.

Die allein aufgrund des positiven Ergebnisses eines Schnelltests gestützte Annahme, bei dem sichergestellten Stoff handele es sich um Betäubungsmittel, ist rechtsfehlerhaft, wenn nicht in den Urteilsgründen dargelegt wird, dass es sich bei dem angewendeten Schnelltest um ein wissenschaftlich abgesichertes und zuverlässiges Standardtestverfahren handelt (OLG Naumburg Beschluss vom 26.10.2023 – 1 ORs 144/23, BeckRS 2023, 32332; OLG Hamm Beschl. v. 04.03.1999 – 5 Ss 136/99, BeckRS 2007,  9890; OLG Celle, Beschluss vom 25.06. 2014, 32 Ss 94/14; juris Patzak/Fabricius/Patzak BtMG § 29 Rn. Rn.998).

Im angefochtenen Urteil fehlen bereits Angaben zu der Qualität des verwendeten Tests, wobei den Gründen schon nicht entnehmen ist, dass es hierbei um einen ESA-Test gehandelt hat (vgl. RB vom 30.07.2025, S. 55-58).

Auch fehlen Feststellungen zu der Methode, die zur Feststellung des Methamphetamins und Heroins angewendet worden ist. Ob es sich bei den verwendeten Tests um ein wissenschaftlich abgesichertes und auch in der Praxis als zuverlässig anerkannten Standardverfahren zum sicheren Nachweis von Methamphetamin und Heroin handelt, hat das Amtsgericht im angefochtenen Urteil nicht dargelegt.

Gerade beim ESA-Schnelltest muss sich das Gericht wegen der Messunsicherheiten von der Zuverlässigkeit der Messung und des Messergebnisses ausdrücklich überzeugen und hierzu in den schriftlichen Urteilsgründen nähere Ausführungen treffen (OLG Jena, Beschluss vom 30.8 2005 – 1 Ss 56/05, BeckRS 2006, 902; OLG Braunschweig Beschl. v. 28.9.2011 – Ss 44/11, BeckRS 2015, 12191; OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.1999, 5 Ss 136/99, juris; Patzak/Fabricius/Patzak a.a.O.).

Anhand der Urteilsgründe ist dem Senat demnach die gebotene Prüfung nicht möglich.

Da der ESA-Test jedenfalls der Praxis nicht als Standardverfahren bekannt ist, der diesen Anforderungen genügt, kann der Senat – unabhängig davon, dass die Urteilsgründe zum konkret verwendeten Test schweigen – auch nicht aus eigener Sachkunde dessen Zuverlässigkeit einschätzen.

Insofern kann nicht zuverlässig festgestellt werden, ob das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass es sich bei der bei dem Angeklagten sichergestellten Substanzen um Methamphetamin und Heroin gehandelt hat.“

Dem schließt sich der Senat an.“

Pflichti II: Etwas zu den Beiordnungsgründen, oder: Rechtsfolgen, fahrlässige Tötung und KiPo-Verfahren

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Im zweiten Beitrag dann die Entscheidungen, die sich seit dem letzten Pflichti-Tag zu den Beiordnungsgründen angesammelt haben. Es handelt sich um eine OLG-Entscheidung und drei landgerichtliche Beschlüsse, und zwar:

1. Die Verteidigung ist nach § 140 Abs. 2 StPO wegen der Schwere der Tat oder der der zu erwartenden Rechtsfolge notwendig, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu erwarten ist.

2. Zu den Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung im Berufungsverfahren für einen Angeklagten, der seine Wiederbestellung als Steuerberater nach dem StBerG anstrebt.

Ist der Beschuldigte nicht in der Lage, die ihn belastenden Beweisstücke selbstständig einzusehen, weil, wie in einem sog. KiPo-Verfahren, überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen, ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten.

Wird dem Beschuldigten eine fahrlässige Tötung vorgeworfen ist wegen der mit einem möglichen Schuldspruch verbundenen Feststellung, dass der Beschuldigte für den Tod eines Menschen verantwortlich wäre, stellt sich dies für einen bisher in keiner Weise strafrechtlich in Erscheinung getretenen Beschuldigten ungeachtet der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Rechtsfolgen als derart gravierend dar, dass die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers geboten erscheint.

1. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt zwar nicht schon dann vor, wenn eine Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Allerdings besteht bei einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe Anlass, einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Diese Grenze für die Straferwartung gilt auch, wenn sie „nur“ wegen einer zu erwartenden Gesamtstrafenbildung erreicht wird.

2. Drohen dem Beschuldigten in mehreren Parallelverfahren Strafen, die letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, welche das Merkmal „Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge“ i. S. d. § 140 Abs. 2 StPO begründet, ist die Mitwirkung eines Verteidigers in jedem Verfahren geboten.

3. Daneben sind ggf. auch sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Beschuldigte infolge der Verurteilung zu erwarten hat, zu berücksichtigen. Hierzu gehört insbesondere ein drohender Bewährungswiderruf.

Gründe III: Kein Gendern in den Urteilsgründen, oder: Verfahrensbeteiligte sind kein Neutrum

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Und dann habe ich hier noch den OLG Naumburg, Beschl. v. 12.06.2025 – 1 ORbs 133/25 -, er stammt, wie man an dem Aktenzeichen sieht, aus dem Bußgeldverfahren. Die vom OLG u.a. behandelte Frage hat aber auch für das Strafverfahren Bedeutung.

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße von 480,00 EUR verhängt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte.

Das OLG bezieht sich in seiner Begründung auf die Stellungnahme der GStA, die auch Aufhebung beantragt hatte. Zur Begründung hatte die GStA zunächst ausgeführt:

„Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift ausgeführt:

„a) Vorab ist zu bemerken, dass das Urteil – in atypischer Weise – geschlechtsneutrale Formulierungen hinsichtlich der Verfahrensbeteiligten verwendet. So wird der Betroffene (bei dem es sich nach den Ausführungen seines Verteidigers unzweideutig um einen „Herrn“ handelt, Bl. 45, 77, 118, 135, 151, 168 d. A.) im Tenor und in den Urteilsgründen durchweg als „betroffene Person“ bezeichnet, der angehörte Sachverständige wird mit „sachverständige Person“ tituliert und der Messbeamte wird im Urteil „messverantwortliche Person“ genannt (nur der erkennende Richter selbst bezeichnet sich als solcher und nicht etwa als `richtende Person`, UA Seite 5).

Derartige Bezeichnungen sind (nur) dann angebracht, wenn die betreffenden Verfahrensbeteiligten ausdrücklich um eine geschlechtsneutrale Bezeichnung nachsuchen. Im Übrigen muten derartige Bezeichnungen von Menschen in hoheitlichen Erkenntnissen despektierlich an. Denn sie reduzieren – unter Außerachtlassung des Geschlechts als wesentliches Persönlichkeitsmerkmal – Verfahrensbeteiligte auf ein Neutrum. Es besteht die naheliegende Gefahr, dass damit in die persönliche (Geschlechter-)Ehre eingegriffen und diese herabgesetzt wird. Dem gilt es durch die typische Bezeichnung (Betroffener/Betroffene, Sachverständiger/Sachverständige, Messbeamter/Messbeamtin, Zeuge/Zeugin, Täter/Täterin) entgegenzuwirken (wobei im letztgenannten Fall die neutrale Bezeichnung `tuende Person` oder `tat-tuende Person` außerdem ridikül anmutet).

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung soll die Darstellung in den Urteilsgründen „klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen“ (BGH, Beschluss vom 30.5.2018, 3 StR 486/17, juris). Diesem Klarheitsgebot widerspricht ein Urteil, in welchem Verfahrensbeteiligte geschlechtslos oder -verwirrend bezeichnet werden.“

Wenn man das liest, fragt man sich, was das AG sich eigentlich mit dieser gendergerechten Urteilsbegründung gedacht. Zur Klarheit trägt das nun wirklich nicht bei. Daher ist die „Beanstandung“ des OLG m.E. zu Recht erfolgt. Hoffentlich hat sie „geholfen“.

Im Übrigen: Der Amtsrichter hätte vielleicht besser mehr Aufwand auf die eigentliche Begründung seiner Entscheidung verwandt. Denn da passte aber auch gar nichts:

„c) Allerdings weist das angefochtene Urteil in sachlich-rechtlicher Hinsicht gravierende (Darstellungs-)Mängel auf, die zu seiner Aufhebung führen.

Es krankt inhaltlich daran, dass nicht mitgeteilt ist,

– wie hoch der Geschwindigkeitstoleranzabzug war, d. h., ob die 3 %-Grenze bei > 100 km/h eingehalten worden ist (UA Seite 2 unter II.);

– ob das Messgerät gültig geeicht war (UA Seite 2 unter II);

– ob der Messbeamte H. in der Hauptverhandlung angehört worden ist und welche konkreten Angaben er zur Messung des Betroffenen gemacht hat (UA Seite 2 unter II.);

– auf welchen Beweismitteln die festgestellte Geschwindigkeitsmessung mit dem angegebenen Messgerät beruhte (UA Seite 2 unter II.; auf das entsprechende Messprotokoll, Bl. 7 d. A., ist nicht verwiesen);

– welche genauen Auskünfte über den Betroffenen im Fahreignungsregister (FAER) erfasst sind (eine ordnungsgemäße Verweisung auf das FAER mit bestimmtem Datum fehlt, UA Seite 2 unter I.) und ob hinsichtlich einzelner Eintragungen bereits Tilgungsreife bestand (mit der Folge eines von Amts wegen zu prüfenden Verwertungsverbotes, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.11.2010, IV-4 RBs 180/10, 4 RBs 180/10, juris; vgl. dazu auch RB Seite 3 f.);

– ob, und bejahendenfalls wie, sich der Betroffene – über die Einräumung zur Fahrereigenschaft hinaus – zum Tatvorwurf eingelassen hat (UA Seite 2 unter II. und unter III. 1.);

– wie sich die Beschilderung vor dem Messpunkt am Tattag gestaltete (UA Seite 4 unter III. 3.); die Verweisung darauf, diese sei „gerichtsbekannt“ (UA Seite 4 unter III. 3.), ist unzureichend; aus einer „statistischen Auswertung der erfassten Fahrzeuge in der Messreihe“ einer „svP“ (wer oder was das auch immer sein mag; UA Seite 4 unter III. 3.) ergibt sich eine Beschilderung nicht.

Die entsprechenden Darlegungen im Urteil sind ungenügend.

Wenngleich an die Urteilsfeststellungen in Bußgeldsachen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind (OLG Hamm VRS 104, 370; OLG Brandenburg VRS 112, 281; OLG Düsseldorf VRS 81, 376), so muss doch der mitgeteilte Sachverhalt die Tatsachen enthalten, in denen die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der angewandten Vorschriften gesehen worden sind. Die Beweiswürdigung muss so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung ohne Weiteres ermöglicht. Das Urteil muss daher auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat (Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 71 Rn. 43). Daran mangelt es vorliegend.

Das Urteil ist daher aufzuheben.

Dem schließt sich der Senat an. Die Entscheidung über die Zurückverweisung folgt aus § 79 Abs. 6 OWiG.“

„Ungenügend“. In der Tat. Dem ist nichts hinzuzufügen.

StVollZ II: Medizinische Matratze im Strafvollzug, oder: Notwendige und zweckmäßige medizinische Leistung?

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt vom OLG Naumburg. Das hat im OLG Naumburg, Beschl. v. 04.09.2025 – 1 Ws 240/25 – zu der Frage Stellung genommen, ob einem Gefangenen, der an MS erkrankt ist, eine medizinische Matratze zur Verfügung gestellt werden muss/soll. Die JVA hatte einen entsprechenden Antrag abgelehnt, die StVK hat diese Ablehnung bestätigt. Das OLG rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch die StVK:

„Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer hält der Prüfung auf die Sachrüge nicht stand. Die Vorgehensweise der Kammer verletzt das rechtliche Gehör und es mangelt an einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung wodurch die Gefahr einer uneinheitlichen Rechtsprechung entsteht.

Die Strafvollstreckungskammer hat mit Schreiben vom 24. April 2025 die Justizvollzugsanstalt aufgefordert, von dem behandelnden Arzt, Herrn Dr. pp., eine Stellungnahme einzuholen, ob dieser dem Antragsteller eine medizinische Matratze verschrieben hat und ob der Antragsteller eine dickere Matratze bzw. die Verwendung von zwei Matratzen nicht nur als Übergangslösung, sondern vielmehr als endgültige Lösung akzeptiert habe.

Das Gericht hat hiermit zu erkennen gegeben, dass es die Aussage des behandelnden Arztes, Dr. pp., für entscheidungserheblich hält. Dass das Gericht dann plötzlich und ohne anderweitige Ankündigung den Antrag des Beschwerdeführers auf dessen Vernehmung – ohne eine schriftliche Äußerung des betroffenen Arztes erhalten zu haben – zurückgewiesen hat, stellt eine überraschende Entscheidung dar, die den Antragsteller in seinen Recht auf rechtliches Gehör verletzt. Dem Antragsteller war es ohne Mitteilung des Gerichts unmöglich, auf die geänderte Rechtsauffassung der Kammer zu reagieren. Insoweit ersetzt die E-Mail des betreffenden Arztes keine Stellungnahme, da diese mehrdeutig und nicht hinreichend eindeutig ist. Durch die E-Mail erschließt sich nicht, ob die Verwendung einer orthopädischen Matratze als orthopädisches Hilfsmittel im Sinne des § 31 SGB VI erforderlich ist oder ob die jetzt gewählte Variante (der Verwendung von wie Matratzen) aus medizinischer Sicht ausreichend ist.

Dieses insgesamt nicht aufzuklären, verletzt auch den Grundsatz der umfassenden Amtsaufklärung.

Der Antragsteller hat gemäß § 73 Abs. 1 JVollzGB I LSA unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und des allgemeinen Standards der gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch auf die notwendigen und zweckmäßigen medizinischen Leistungen. Der Anspruch umfasst auch die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln, soweit diese mit Rücksicht auf die Dauer des Freiheitsentzugs nicht ungerechtfertigt sind und nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind.

Grundsätzlich ist in der Rechtsprechung geklärt, dass bei entsprechender medizinischer Indikation einem rückenkranken Strafgefangenen ein Anspruch auf eine optimierte Schlafunterlage zustehen kann (vgl. KG (2. Strafsenat), Beschluss vom 7. September 2017 – 2 Ws 122/17 Vollz – juris).

Insofern besteht – bei indizierter medizinischer Notwendigkeit – ein möglicher Anspruch des Beschwerdeführers auf die Zurverfügungstellung einer optimierten Schlafunterlage, dem hier nicht entsprochen worden ist. Daraus resultiert die Gefahr einer uneinheitlichen Rechtsprechung, was ebenfalls die Zulassung der Rechtsbeschwerde begründet.

Insoweit hat es die Kammer unterlassen, aufzuklären, ob durch die Zurverfügungstellung einer zweiten Matratze eine hinreichende Behandlung des Antragstellers und seiner MS-Erkrankung gewährleistet ist. Zwar hat der Anstaltsarzt pp. in seinem Schreiben vom 20. August 2024 zum Ausdruck gebracht, dass anstelle einer dickeren Matratze mit dem Antragsteller die Verwendung einer zweiten Matratze vereinbart worden sei, was auch Dr. pp. bestätigt hat. Insoweit haben beide darauf verwiesen, dass keine spezielleren Matratzen in der JVA vorhanden seien.

Dieses enthebt die Kammer jedoch nicht von der Verpflichtung zu prüfen, ob aus medizinischer Sicht trotz der Zurverfügungstellung der zweiten Matratze weiterhin die Anschaffung einer orthopädischen Matratze als orthopädisches Hilfsmittel im Sinne des § 31 SGB VI erforderlich ist (vgl. hierzu Beschluss des Thüringer Landesozialgerichts vom 21. Juli 2015 – Az.: L 1 U  1625/13 B), beck-online).

Dieses wird die Kammer durch eine aussagekräftige – gegebenenfalls externe – ärztliche Stellungnahme, die bislang nicht vorliegt, zu klären haben. Die bisher vorliegenden Einschätzungen des Anstaltsarztes pp. und Dr. pp. sind hierzu jedenfalls nicht ausreichend.

Sollte dieses der Fall sein, wird die Kammer weiterhin zu prüfen haben, ob andere Gründe (bsp. Sicherheitsbedenken) einer Beschaffung entgegenstehen könnten und bei einer Entscheidung die Belange sowohl des Gefangenen als auch der JVA umfassend abzuwägen haben.“