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OWi II: Mal wieder ein bisschen OWi-Verfahrensrecht, oder: Beweisinterlokut, SV-Gutachten, Urteilsgründe

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zum Owi-Verfahrensrecht, und zwar:

Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt vom Tatrichter   keine Erklärung, wie er die erhobenen Beweise würdigen will. Ein solches Interlokut ist dem Strafprozessrecht fremd. Es ist vielmehr Aufgabe des Verteidigers, seine Prozessanträge umsichtig auf die Verfahrenssituationen auszurichten.

Die Urteilsgründe bilden eine Einheit, deren tatsächliche Angaben das Rechtsbeschwerdegericht auch dann berücksichtigt, wenn sie sich in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden.

Hat der Verteidiger konkrete Zweifel an einer ordnungsgemäßen Messung und der Verwertbarkeit geäußert, können die Zweifel nicht durch den Verweis des Gerichtes auf ein Sachverständigengutachten beseitigt werden, wenn dieses nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war.

Corona II: Quarantäne wegen positivem PCR-Test, oder: Kein Schmerzensgeld bei ggf. falschem Test

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Als zweite Entscheidung zu der Thematik aus dem Bereich „Corona“ stelle ich ein Verfahren vor, in dem das OLG Naumburg im OLG Naumburg, Beschl. v. 08.06.2022 – 5 U 35/22 – die Berufung gegen ein Urteil des LG Magdebrug zurückgewiesen hat. Die OLG Naumburg-Entscheidung habe ich im Volltext noch nicht gefunden, über sie haben bisher nur LTP und beck-online berichtet. Das zugrunde liegende LG Magdeburg, Urt. v. 01.92.2022 – 10 O 715/21 – habe ich aber vorliegen. Daher stelle ich das vor.

In dem Verfahren geht es um Schadensersatz wegen einer Quarantäneanordnung. Diese war gegen eine vierköpfige Familie aufgrund eines positiven PCR-Testergebnisses im April 2021 angeordnet worden. Alle waren ohne Symptome und haben behauptet, der Test sei falsch gewesen. Sie haben deshalb aus § 839 BGB 3.700 Euro pro Person Schmerzensgeld verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen und führt dazu u.a. aus:

„…. Bei dieser Quarantänemaßnahme handelt es sich entgegen der Auffassung der Kläger nicht etwa um eine Freiheitsentziehung, die in der Tat wohl nur mit richterlicher Genehmigung hätte erfolgen dürfen, sondern lediglich um eine Freiheitsbeschränkung. Denn den Klägern war es gestattet, während der Quarantäneanordnung in ihrer Häuslichkeit alles das zu tun und zu lassen, was sie wollten und über die vorhandenen technischen Medien auch Kontakt zur Außenwelt zu halten.

Eine feste zeitliche Grenze, ab der eine Freiheitseinschränkung als ausgleichspflichtig anzusehen wäre, gibt es nicht. Abzustellen ist vielmehr auf die konkrete Situation des Einzelfalls, bei der es insbesondere auch auf die Ausgestaltung und Intensität des Eingriffs sowie auf herabwürdigende Behandlungen und mögliche rufschädigende Wirkungen ankommt (vgl. LG Göttingen, Urteil vom 30. Januar 1990 – Aktenzeichen: 2 O 322/89 -, NJW 1991, 2.6, beck-online; LG Hannover, Urteil vom 20.08.2021 – Aktenzeichen: 8 O 2/21 -, zitiert nach juris). Daher kann aus dem bloßen Überschreiten der zeitlichen Grenzen, die in der Rechtsprechung als schmerzensgeldbegründend angesehen wurden (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 7. März 2018 – Aktenzeichen: 1 U 1025/17 -, zitiert nach juris: 13 Stunden in psychiatrischem Krankenhaus; Landgericht Göttingen, a.a.O.: 2 Stunden mit 400 weiteren Personen in einem Polizeikessel) nicht abgeleitet werden, dass vorliegend allein wegen der zweiwöchigen Dauer die Billigkeitsschwelle überschritten wurde. Denn die Quarantäne der Kläger unterscheidet sich in gravierender Weise von den genannten Fällen. Die Kläger mussten keine demütigenden Zwangsbehandlungen erdulden. Sie wurden nicht mit psychischen Zwangsmitteln an einem fremden Ort festgehalten, sondern konnten sich innerhalb ihrer Wohnung ohne Überwachung Dritter frei bewegen und ihren Tagesablauf in diesem Rahmen vollkommen frei bestimmen. Schließlich wurde ihre Freiheitsbeschränkung auch auf einen Umstand gegründet, der – anders als bei einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder bei einer Festnahme als möglicher Straftäter – nicht geeignet war, ihr Ansehen und ihren Ruf in der Gesellschaft zu gefährden.

Die von den Klägern vorgetragenen Beeinträchtigungen durch die Quarantäne sind auch nicht geeignet, einen Schmerzensgeldanspruch unter dem Aspekt des Ausgleichsgedankens zu begründen.

Denn die in der Klageschrift geschilderten Einschränkungen in der Lebensführung der Kläger sind dafür zu pauschal gehalten. Die Kläger haben nicht konkret dargelegt, welche sozialen Einschränkungen und welche psychischen Belastungen sie durch die Quarantäne erlitten haben wollen. Konkret haben die Kläger lediglich vorgetragen, dass sie keinen Zugang zur Natur und keine Möglichkeit gehabt hätten, im Freien sportliche Aktivitäten auszuführen. Diese geschilderten Umstände sind jedoch nicht ausreichend, um ein Überschreiten der Geringfügigkeitsschwelle begründen zu können. Die angeordnete Quarantäne hatte eine Dauer von lediglich 14 Tagen. Die Kläger mussten daher für einen Zeitraum zuhause bleiben, wie er auch unter normalen Umständen, z.B. bei einem hinreichenden Auskurieren einer Grippe, eintreten kann. Zudem hätten die Kläger, da sie ja nach eigenem Bekunden symptomfrei waren, auch sportliche Aktivitäten innerhalb ihrer Wohnung durchführen können.

Der Vortrag der Kläger, die Beklagte habe gegen ihre Amtspflichten verstoßen, da sie auch den positiven PCR-Test an das RKI weitergeleitet habe, obwohl sie wisse, dass bei dem überwiegenden Teil der positiv getesteten Personen keine Infektion vorliege und dennoch den positiven PCR-Test dem RKI übermittelt habe, damit die Inzidenz gefälscht werde, ist nicht geeignet, einen Schmerzensgeldanspruch unter dem Aspekt der Genugtuungsfunktion zu begründen.

Denn die Beklagte konnte aufgrund der Pandemielage und der von Bund und den Ländern deswegen getroffenen Maßnahmen sowie der wissenschaftlichen Expertise beim RKI davon ausgehen, dass ein PCR-Test fundierte Ergebnisse für das Bestehen oder Nichtbestehen einer Infektion liefert und sich auch hierauf ohne weitere ärztliche Untersuchungen des Testergebnisses verlassen.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 20. April 2021 – Aktenzeichen: 1 S 1121/21 -, zitiert nach juris, insoweit ausgeführt:

„Der Senat geht davon aus, dass es sich bei einem PCR-Test um ein geeignetes Instrument handelt, das Vorliegen einer akuten SARS-CoV-2-Infektion zu ermitteln. Bei korrekter Durchführung der Tests und fachkundiger Beurteilung der Ergebnisse ist von einer sehr geringen Zahl falsch positiver Befunde auszugehen, denn aufgrund des Funktionsprinzips von PCR-Tests und hohen Qualitätsanforderungen liegt die analytische Spezifität bei korrekter Durchführung und Bewertung bei nahezu 100 %. Die Herausgabe eines klinischen Befundes unterliegt einer fachkundigen Validierung und schließt im klinischen Setting Anamnese und Differenzialdiagnosen ein. In der Regel werden nicht plausible Befunde in der Praxis durch Testwiederholung oder durch zusätzliche Testverfahren bestätigt bzw. verworfen. Die aufgestellte Behauptung, in 71,12 % der Fälle sei das Testergebnis offensichtlich falsch, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage“.

Diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg gibt auch die insoweit einhellige Rechtsprechung der übrigen Verwaltungsgerichtshöfe bzw. Oberverwaltungsgerichte der Länder wieder. Die von den Klägern dargelegte gegenteilige Auffassung der Professorin Dr. K. von der Universitätsklinik W.burg stellt insoweit eine absolute Mindermeinung dar und ist daher unbeachtlich……“

OWi III: Nochmals Bindung an den Entbindungsantrag, oder: Nachträgliche Ergänzung des (Protokoll)Urteils

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Und im letzten Posting dann noch zwei Entscheidungen zu Verfahrensfragen. Nichts wesentliche Neues, aber man kann mal wieder daran erinnern.

Ich stelle zunächst den OLG Naumburg, Beschl. v. 02.05.2022 – 1 Ws 97/22 – noch einmal zum Entbindungsantrag und zur Verwerfung des Einspruchs (§§ 73, 74 OWiG) vor, und zwar mit folgendem Leitsatz:

Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht „weiter“ zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag steht hierbei nicht im Ermessen des Gerichtes, vielmehr ist es verpflichtet, dem Antrag nachzukommen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.

Und dann noch der BayObLG, Beschl. v. 30.05.2022 – 202 ObOWi 718/22 – mit folgendem Leitsatz:

Die nachträgliche Ergänzung eines Urteils ist grundsätzlich nicht zulässig – und zwar auch nicht innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO -, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist. Für das Bußgeldverfahren folgt daraus, dass ein vollständig in das Sitzungsprotokoll aufgenommenes, nicht mit Gründen versehenes Urteil, das den inneren Dienstbereich des Gerichts bereits verlassen hat, nicht mehr verändert werden darf, es sei denn, die nachträgliche Urteilsbegründung ist gemäß § 77b Abs. 2 OWiG zulässig.

Auch nichts Neues, Und auch die Formulierung: „Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und zwingt den Senat auf die (unausgeführte) Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.“ ist nicht neu, m.E. aber unschön. Wieso: „zwingt“?

 

BtM II: Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtMG, oder: Gesetzesänderung übersehen

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Naumburg, Beschl. v. 10.08.2021 – 1 VAs 4/21 -, den mir der Kollege Reulecke geschickt hat, geht es um die Frage der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG. Ein entsprechender Antrag des Verurteilten war abgelehnt worden. Der Verurteilte hatt dann im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG Erfolg:

„Auch in der Sache hat der Antrag – vorläufig – Erfolg. Die Bescheide der Staatsanwaltschaft Halle – Zweigstelle Naumburg – vom 27. April 2021 und der Generalstaatsanwaltsehaft Naumburg vom 30. Juni 2021 sind rechtswidrig und verletzten den Antragsteller in seinen Rechten (§ 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG),

1. …..

2. Vorliegend haben die Staatsanwaltschaften den Antrag des Verurteilten auf Zurückstellung der Strafvollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Halle vom 4. Januar 2018 nach § 35 BtMG zurückgewiesen, da eine weitere Freiheitsstrafe – hier die sechsmonatige Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bernburg vom 19. August 2020 – als Anschlussvollstreckung einer Zurückstellung entgegenstehe (§ 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG). Eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge – wie von dem Verurteilten beantragt ¬hat die Generalstaatsanwaltschaft abgelehnt, da die §§ 43 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 StVollstrO die Reihenfolge der Vollstreckung bestimmten.

Bei der Prüfung des Antrages des Verurteilten hat die Staatsanwaltschaft indes nicht in ihr Ermessen eingestellt, dass eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nach §§ 43 Abs. 2 und 3 bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 43 Abs. 4 StVollstrO zur Änderung festgelegten Vollstreckungsreihenfolge führen kann.

Ein wichtiger Grund im Sinne des § 43 Abs. 4 StVollstrO, die Vollstreckungsreihenfolge zu ändern, ist hier nicht von vorneherein ausgeschlossen. Der vom Antragsteller beantragten Änderung der Vollstreckungsreihenfolge und der (Vorweg-)Vollzug der gesamten sechsmonatigen – nicht nach § 35 BtMG zurückstellungsfähigen – Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bernburg steht die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Vermerk der Staatsanwaltschaft Halle – Zweigstelle Naumburg – vom 20. Juni 2021, BI. 137 Bd. II d. VH) nicht mehr entgegen. Zwar habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine Vorabvollstreckung der nicht zurückstellungsfähigen Strafe unter Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nach § 43 Abs. 4 StVollstrO selbst auf Antrag des Verurteilten nicht in Betracht komme, dies deshalb, weil auch eine nach § 454b Abs. 2 StPO unterbrochene Strafe eine im Sinne des § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG zu vollstreckende Strafe sei, die die Zurückstellung der weiteren Strafen nach § 35 BtMG hindere (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2010 — 5 AR (VS) 23/10 -, juris). Hierauf hat der Gesetzgeber in § 454b Abs. 3 StPO indes reagiert. Die Vorschrift wurde durch Art. 3 Nr. 36 Buchst. a des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I S, 3202), in Kraft getreten am 24. August 2017, eingeführt, um therapiewilligen Verurteilten die Zurückstellung einer suchtbedingten Freiheitsstrafe unter den Voraussetzungen des § 35 BtMG auch bei gleichzeitigem Vorliegen nicht suchtbedingter Freiheitsstrafen zu ermöglichen. Nicht suchtbedingte Freiheitsstrafen können damit auf Antrag des Verurteilten – und ein solcher liegt hier vor – vor der Zurückstellung suchtbedingter Freiheitsstrafen und vor Antritt der Therapie vollständig verbüßt werden (vgl. Appl in Karlsruher-Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 454b, Rn. 4a).

Dieser – durch die Gesetzesänderung – neu ins Gesetz eingeführte Gesichtspunkt hat bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft erkennbar keine Rolle gespielt. Er wird aber bei der nunmehr zu treffenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 43 Abs. 4 StVollstrO vorliegt, der eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge – wie von dem Verurteilten begehrt – gebietet, zu berücksichtigen sein.“

Zeugenbeistand beim PuA, oder: Das OLG Naumburg versteht das RVG nicht

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Genau so falsch wie der vorhin vorgestellte OLG Bamberg-Beschluss ist die zweite Entscheidung des Tages – der OLG Naumburg, Beschl. v. 27.02.2020 – 1 Ws (s) 65/20. Er behandelt eine Thematik, mit der man nicht jeden Tag zu tun, nämlich die Vergütung des Rechtsanwaltes, der im Rahmen eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses als Zeugenbeistand tätig war.

Das LG Magdeburg hatte die Gebühren zutreffend festgesetzt, nämlich die Grundgebühr gemäß § Nr. 4100 VV RVG, eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4118 VV RVG und eine Terminsgebühr gemäß Nr. 4120 VV RVG. Dagegen die weitere Beschwerde der Landeskasse – natürlich – und natürlich ändert das (besser wisssende) OLG ab und setzt nur eine Nr. 4301 Nr. 5 VV RVG – also Einzeltätigkeit – fest:

„Dem Beschwerdeführer steht für seine Tätigkeit als Beistand des Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags des Landes Sachsen-Anhalt ausschließlich eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG in Höhe von 250,00 Euro, nebst einer Auslagenpauschale von 20,00 Euro und Umsatzsteuer von 19 % in Höhe von 51,30 Euro zu. Es ergibt sich demnach ein Gesamterstattungsbetrag in Höhe von 321,30 Euro, der zugunsten des Zeugenbeistands mit dem angefochtenen Beschluss in der Fassung der ergänzenden Festsetzung vom 10. Januar 2018 festgesetzt worden ist.

a) Auf den Beistand eines Zeugen sind nach der Vorbemerkung 4 Abs. 1 zu Teil 4 VV RVG die Vorschriften dieses Teils entsprechend anzuwenden.

aa) Umstritten ist, ob diese Verweisung im Falle der Beiordnung nach § 68 b StPO zur entsprechenden Anwendung von Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG führt, in dem die Gebühren des Verteidigers, Nr. 4100 ff. VV RVG, geregelt sind, oder zur Anwendung von Teil 4 Abschnitt 3 – Einzeltätigkeiten, hier Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG: „Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung“.

Nach einer Auffassung begründet die Beiordnung nach § 68 b StPO grundsätzlich eine volle anwaltliche Vertretung des Zeugen, die den Anwendungsbereich des ersten Abschnittes aus Teil 4 VV RVG eröffnet.

Nach anderer Ansicht hängt die Anwendung des ersten Abschnitts davon ab, ob der nach § 68 b StPO beigeordnete Rechtsanwalt im Einzelfall tatsächlich mehr als eine Einzeltätigkeit enthaltet hat.

Schließlich wird die Auffassung vertreten, dass die Beiordnung nach § 68 b StPO regelmäßig nur den Auftrag zu einer Einzeltätigkeit begründe, die entsprechend Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG zu vergüten sei.

Im Hinblick auf den Meinungsstand wird auf die umfassende Darstellung im Beschluss des Senats vom 15. August 2011, 1 Ws 657/11, Bezug genommen.

Der Senat hält in der umstrittenen Frage der Vergütung des gem. § 68 b StPO bestellten Zeugenbeistandes an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. Beschluss vom 2. Mai 2006, 1 Ws 154/06, vom 27. August 2009, 1 Ws 105/09, vom 29. September 2010, 1 Ws 513/10, und vom 15. August 2011, 1 Ws 657/11, – jeweils m. w. Nachw.).

Zur Begründung ist im Senatsbeschluss vom 15. August 2011 wie folgt ausgeführt worden:

„Nach Abs. 1 der Vorbemerkung 4 der VV-RVG sind „die Vorschriften“ für die Tätigkeit als Beistand eines Zeugen entsprechend anwendbar, d. h. die gesamten im 4. Teil des Vergütungsverzeichnisses geregelten Gebührentatbestände. Für den Zeugenbeistand sind deshalb nicht nur die im Abschnitt 1 geregelten „Gebühren des Verteidigers“ (so aber etwa KG, NStZ-RR 2005, 358; OLG Köln, NStZ 2006, 410, jeweils m. w. Nw.), sondern auch die im Abschnitt 3 gelegten Gebühren für „Einzeltätigkeiten“ entsprechend anwendbar. Die in Abschnitt 3 geregelten Gebührentatbestände sind nach der Vorbemerkung 4.3 des VV RVG anzuwenden, wenn ein Rechtsanwalt nur für eine einzelne Tätigkeit beauftragt ist, ohne dass ihm die (gesamte) Verteidigung übertragen worden ist. Dieser Fall liegt hier vor. Der Beschwerdeführer ist nur für die Dauer der Vernehmung der Zeugin J. B. beigeordnet worden. Es liegt daher nur die Beauftragung für eine Einzeltätigkeit im Sinne des Abschnittes 3 des VV-RVG vor. Dieser Fall kann vergütungsrechtlich nicht gleichgestellt werden mit der Tätigkeit eines Verteidigers für das gesamte Verfahren, für den die Gebühren nach Abschnitt 1 des VV RVG anfallen. Eine vergütungsrechtliche Gleichstellung von Verteidiger (für das gesamte Verfahren) und Zeugenbeistand (für die Vernehmung eines einzelnen Zeugen) würde zu einem Missverhältnis führen (so zutreffend auch OLG Oldenburg, StraFo 2006, 130f.). Dass der Beschwerdeführer der Zeugin bezüglich aller ihr zustehenden Rechte (und Pflichten) beistehen soll, ändert – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – nichts an der Einordnung als „Einzeltätigkeit“. Für einen Zeugenbeistand gemäß § 68 b StPO fällt daher nur eine Gebühr gemäß Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG an (so auch etwa OLG Bamberg, DAR 2008, 493f; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 96; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19. Februar 2008 – 1 Ws 346/07, recherchiert bei juris).

Auch die Gesetzesmaterialien sprechen nicht gegen die hier vertretene Auffassung. Zwar wird in dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 11. November 2003 (BT-DRs 15/1971, S. 219, 220) zu Teil 4 Abs. 1 der Vorbemerkung 4 ausgeführt, dass der Beistand eines Zeugen oder eines Sachverständigen die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhalten soll. Zugleich stellt die Begründung jedoch klar, dass „die Vorschriften dieses Teils“ und damit nicht nur die die Gebühren des Verteidigers regelnden Vorschriften des Abschnitt 1 des Teil 4 für die Tätigkeit des Zeugenbeistands entsprechend anwendbar sein sollen. Zudem lässt die Begründung durch den Bezug auf die Gebührenrahmen als sachliche Rechtfertigung der Gleichstellung des Zeugenbeistandes mit dem Verteidiger erkennen, dass der Entwurf insoweit nur den Wahlbeistand und nicht den nach § 68 b StPO beigeordneten Beistand vor Augen hatte. Denn nur bei ersterem sind für die Vergütung Gebührenrahmen heranzuziehen, die dann auch „ausreichenden Spielraum bieten, dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts Rechnung zu tragen.

Das VV RVG beruht letztlich auf einer typisierenden Betrachtung bestimmter Tätigkeiten. Wenn die Vergütung des nach § 68 b StPO beigeordneten Zeugenbeistandes mit einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG im Einzelfall, etwa wegen langer zeitlicher Bindung des Zeugenbeistandes im Hauptverhandlungstermin oder der Notwendigkeit umfangreicher Vorbereitung, dem von ihm erbrachten Zeit- und Arbeitsaufwand nicht gerecht wird und sich als unzumutbar erweist, kann der beigeordnete Rechtsanwalt eine Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG geltend machen. Über einen solchen, hier nicht gestellten und nicht gegenständlichen Antrag nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG hat der Senat indes nicht zu entscheiden.“

bb) Dem schließt sich der Senat mit der wohl zwischenzeitlich herrschenden Auffassung, vgl. OLG München, Beschluss vom 7. März 2014, Az.: 4 c Ws 4/14; OLG Köln, Beschluss vom 3. Mai 2016, Az.: III-2 Ws 138/16, zitiert nach juris, an.

Es wird weiterhin die Auffassung vertreten, dass gravierende Unterschiede zwischen den Aufgaben eines Zeugenbeistands und denen eines Verteidigers bestehen. Die Tätigkeit eines Zeugenbeistands erschöpft sich im Wesentlichen darin, den Mandanten zu der Vernehmung zu begleiten, ihn hinsichtlich der Ausübung eines Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrecht zu beraten, unzulässige Fragen zu beanstanden und Missverständnisse zu verhindern. Ein Zeugenbeistand ist anders als ein Verteidiger auch kein Verfahrensbeteiligter und hat auch kein umfassendes Akteneinsichtsrecht sowie kein Antragsrecht. Seine Tätigkeit endet mit dem Ende der Vernehmung, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 68 b Rn. 4 u. 5.

b) Schließlich veranlasst auch der Umstand, dass der Zeugenbeistand vorliegend im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses tätig geworden ist, zu keiner abweichenden Entscheidung.

Gemäß der Vormerkung 2 Abs. 2 S. 2 VV RVG entstehen für die Tätigkeit als Beistand eines Zeugen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss die gleichen Gebühren wie für die entsprechende Beistandsleistung in einem Strafverfahren, das im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfindet.

Die Verweisung ermöglicht demnach dem Wahlbeistand des Zeugen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss eine erhöhte Vergütung, wenn die entsprechende Tätigkeit im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht erhöht vergütet werden würde. Darüber hinaus auch dem nach § 68 b StPO auf Staatskosten beigeordneten Vernehmungsbeistand die Verteidigergebühren und deren Erhöhung zuzubilligen, wäre nicht sachgerecht, weil seine Tätigkeit im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht genauso auf die Wahrung der Zeugenrechte beschränkt ist, wie im Verfahren vor dem Amts- und Landgericht. Die Tätigkeit eines bloßen Zeugenbeistands ist demnach mit der Tätigkeit eines Verteidigers in einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht normalerweise nicht vergleichbar, so dass auch eine erhöhte Vergütung nicht gerechtfertigt ist. Die hohen Gebühren, die Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und Nr. 4118 ff. VV RVG für einen in einem erstinstanzlich vor einem Oberlandesgericht geführten Verfahren tätigen Verteidiger vorsieht, verdient ein Zeugenbeistand nur, wenn er als Wahlbeistand mit der umfassenden Vertretung und Beratung des Zeugen beauftragt ist. Nur dann kann womöglich von einer im Hinblick auf Umfang und Schwierigkeit mit der Tätigkeit eines Verteidigers vergleichbaren Tätigkeit eines Zeugenbeistands ausgegangen werden. Für einen Zeugenbeistand im parlamentarischen Untersuchungsausschuss kann nichts Anderes gelten, vgl. auch OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 5. Februar 2009, Az.: III-3 Ws 451/08, 3 Ws 451/08, zitiert nach juris.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts in der Nichtabhilfeentscheidung vom 5. Februar 2020 geht der Senat davon aus, dass die Aufgabe eines Zeugenbeistands vor einem Untersuchungsausschuss nicht gravierend anders zu betrachten ist, als die eines Zeugenbeistands in einem Strafverfahren. Auch einem Zeugen in einem Strafverfahren können strafrechtliche Konsequenzen drohen, auch diesem stehen Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte zur Seite, auch dieser kann, ohne dies im Gesetz ausdrücklich geregelt ist, Beweisanregungen erteilen. Ein geschädigter Zeuge etwa, der sich beispielsweise entschieden hat, sich am Verfahren nicht als Nebenkläger zu beteiligen, kann selbstverständlich, um z.B. das Ausmaß seiner Verletzungen zu belegen, anregen, dass diesbezüglich ergänzend Unterlagen beigezogen werden.

Anders als im Rahmen eines Untersuchungsausschusses, dessen Ziel es in erster Linie ist, politische Verantwortlichkeiten und Konsequenzen festzustellen, und bei dem die Frage der Strafbarkeit von bestimmten Verhaltensweisen sozusagen als Nebenaspekt eine Rolle spielt, ist es ureigene Aufgabe des Strafverfahrens, die Strafbarkeit eines Verhalten festzustellen. Auch insofern ist für den Einzelnen ein Eingriff durch einen Untersuchungsausschuss nicht zwingender, als dies bei einem Strafverfahren der Fall ist. Das Gegenteil dürfte der Fall sein.

Soweit die Vergütung des nach § 68 b StPO beigeordneten Zeugenbeistands im Einzelfall mit der Verfahrensgebühr im Hinblick auf die Vorbereitungszeit, die Vernehmungsdauer, den konkreten Zeit- und Arbeitsaufwand nicht abgegolten sein sollte, steht es dem Zeugenbeistand wie ausgeführt frei, gemäß § 51 RVG einen Antrag auf Pauschgebühr zu stellen.“

Sorry, OLG Naumburg, aber das ist schlicht falsch, denn:

Zu beanstanden ist schon, dass nicht klar ist, welche Gebühren das OLG denn nun eigentlich festgesetzt hat bzw., wovon auszugehen ist. Einerseits heißt es nämlich, dass der Rechtsanwalt als Zeugenbeistand bestellt worden ist. Ist das aber der Fall, ist nicht nachvollziehbar, warum die Landtagsverwaltung andererseits „die Mittelgebühr von 210,00 Euro auf 250,00 Euro um 40,00 Euro erhöht“ hat. Welche Mittelgebühr von 250 EUR, die das OLG Übernimmt? Der beigeordnete/bestellte Zeugenbeistand erhält gesetzliche Gebühren. Das sind Festgebühren. Die Frage einer Mittelgebühr und/oder einer Erhöhung der Mittelgebühr – über § 14 RVG ? – stellt sich nicht. Das dürfte auch in Sachsen-Anhalt und beim OLG Naumburg der Fall sein. Diese Unklarheit ist insofern misslich, weil mit ihr die gesamte Argumentation des OLG steht und fällt. Denn wäre der Rechtsanwalt nicht beigeordneter Zeugenbeistand (gewesen), bestünde wohl auch nach Auffassung des OLG kein Anlass, ggf. nur Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG festzusetzen.

Unabhängig davon ist die Entscheidung aber auch im Übrigen falsch. Dazu muss man m.E. gar nicht näher auf die in meinen Augen nach wie vor falsche Ansicht der OLG eingehen, wonach der als Zeugenbeistand beigeordnete Rechtsanwalt nur nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG abrechnet. Für die Unterscheidung zwischen einem Wahlbeistand und einem beigeordneten Beistand lässt sich dem RVG nichts entnehmen. Deren Tätigkeit unterscheidet sich auch nicht, auch wenn die OLG das immer wieder wie ein Mantra – zum Schutz der Landeskassen (?) – wiederholen (zu allem eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl. 2021 Vorbem. 4.1 VV Rn 5 ff.). Hier hatten wir es nämlich mit einem Zeugenbeistand vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu tun. Für den gilt aber nicht Teil 4 VV RVG, sondern aufgrund ausdrücklicher Regelung Vorbem. 2 Abs. 2 VV RVG. Diese Regelung kann das OLG nun nicht dadurch aushebeln, dass es dann doch wieder auf Teil 4 VV RVG zurückgreift und meint, die hohen Gebühren (sic!), die Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und Nr. 4118 ff. VV RVG für einen in einem erstinstanzlich vor einem Oberlandesgericht geführten Verfahren tätigen Verteidiger vorsehe, verdiene ein Zeugenbeistand nur, wenn er als Wahlbeistand mit der umfassenden Vertretung und Beratung des Zeugen beauftragt sei. In der Gesetzesbegründung zur Vorbem. 2 Abs. 2 Satz 2 VV RVG (BT-Drucks. 15/1971, S. 205) heißt es ausdrücklich: „Eine weitere Ausnahme bildet nach Absatz 2 Satz 2 der Vorbemerkung die Tätigkeit als Beistand eines Zeugen oder Sachverständigen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Hierfür soll der Rechtsanwalt die gleichen Gebühren wie für die entsprechende Beistandsleistung in einem Strafverfahren des ersten Rechtszuges vor dem Oberlandesgericht erhalten. Hier kommen Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und nach den Nummern 4118 ff. VV RVG-E in Betracht.“. Diese Begründung enthält eben keinen Hinweis auf die Tätigkeit eines Verteidigers. Warum auch, denn der Rechtsanwalt als Zeugenbeistand erbringt andere Tätigkeiten als ein Verteidiger? Zudem enthält die Begründung auch nicht die so vielfach und immer wieder bemühte Unterscheidung zwischen dem Wahlzeugenbeistand und dem beigeordneten Zeugenbeistand, sondern den mehr als deutlichen Hinweis des Gesetzgebers, dass der Zeugenbeistand eines Zeugen bei einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss – egal ab Wahlbeistand oder beigeordneter Beistand – eben nicht nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG zu honorieren ist, sondern nach den ausdrücklich erwähnten Vorschriften in „Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und nach den Nummern 4118 ff. VV RVG“. Alles andere macht auch keinen Sinn. Die Auffassung des OLG Naumburg lässt sich mit dieser Regelung/Begründung jedenfalls nicht vereinbaren. Die Antwort auf die Frage, welchen Sinn – die Auffassung des OLG als richtig unterstellt – die Regelung in Vorbem. 2 Abs. 2 Satz 2 VV RVG überhaupt noch hätte, bleibt das OLG schuldig. Das überrascht nicht, denn es gibt keine.