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OLG Naumburg zum „geplatzten Termin“, oder: „Richtungsweisend“, aber in die falsche Richtung

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Ich hatte im April 2020 über den schönen und vor allem richtigen LG Magdeburg, Beschl. v. 15.04.2020 – 21 Ks 5/19 – berichtet, den mir der Kollege Eickelberg aus Burgwedel geschickt hatte. In der Entscheidung war es u.a. um eine Terminsgebühr für einen geplatzten Termin gegangen. Es war ein Hauptverhandlungsterming, zu dem der Kollege geladen war, kurzfristig telefonisch morgens aufgehoben worden. Diese Abladung hatte den Kollegen erst nach Fahrtantritt zum Gericht auf der A2, kurz vor dem Dreieck Braunschweig-Nord, erhalten. Dort hatte er die Reise abgebrochen und den Rückweg angetreten. Das LG hatte die Terminsgebühr Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG gewährt.

Das hat der Bezirksrevisorin natürlich keine Ruhe gelassen und sie hat, da sie eine „richtungsweisende Entscheidung zu der noch streitigen Problematik „Terminsgebühr für einen geplatzten Termin“ …. anstrebe“, Beschwerde eingelegt. Über die hat das OLG Naumburg inzwischen im OLG Naumburg, Beschl. v. 12.08.2020 – 1 Ws (s) 154/20 – entschieden.

Ich stelle hier von der Entscheidung nur den Leitsatz ein. Die Entscheidung enthält nämlich nichts Neues, da es das OLG genauso falsch macht wie die übrigen OLG, die dazu bisher etwas gesagt haben, nämlich die OLG Frankfurt und München. Also:

Eine Terminsgebühr für einen sog. „geplatzten Termin“ (Vorbem. 4 Abs.3 Satz 2 VV) entsteht nur, wenn der Rechtsanwalt körperlich im Gerichtsgebäude mit dem Ziel der Teilnahme an dem Termin erscheint; das bloße Antreten der Anreise reicht nicht aus.

Dazu allerdings folgende Anmerkung:

Mal wieder eine Entscheidung, die einen, jedenfalls mich, verärgert zurücklässt. Ein OLG schreibt gebührenrechtlich nicht Haltbares – hier zunächst im Jahr 2007 das OLG Frankfurt am Main – und alle anderen OLG springen auf den fahrenden Zug auf und beten das nach. So dann jetzt auch das OLG Naumburg, dass sich lieber erst gar nicht im Einzelnen mit dem gut begründeten Beschluss des LG Magdeburg befasst. Warum auch? Hatte doch die Bezirksrevisorin ausdrücklich „klargestellt, dass sie eine richtungsweisende Entscheidung zu der noch streitigen Problematik „Terminsgebühr für einen geplatzten Termin“, …. anstrebe.“ Den Wunsch erfüllt man doch gern und erlässt eine richtungsweisende Entscheidung. Nur leider weist sie in die falsche Richtung.

Es ist müßig, die Gründe, warum die Entscheidung falsch ist, noch einmal zusammen zu stellen. Ich habe es inzwischen oft genug geschrieben. Es interessiert niemanden, zumindest kein OLG. Nur noch einmal so viel: Es geht um den Sinn und Zweck der Regelung der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG, nämlich nutzlosen Zeitaufwand des Verteidigers zu honorieren. Und der ist angefallen, und zwar nicht erst, wenn der Verteidiger im Sitzungssaal erscheint. Und die immer wieder beschworenen „Abgrenzungsprobleme“. Das LG Magdeburg hat drauf hingewiesen, dass es ureigene Aufgabe von Richtern ist, gerade solche Probleme zu lösen. Das sollte man auch bei einem OLG können. Oder ist das zu viel verlangt? Im Übrigen: Wo sind da Probleme? § 14 Abs. 1 RVG gibt den Gerichten ein vortreffliches Werkzeug in die Hand, um die Terminsgebühr für den geplatzten Termin eines Wahlanwalts zu bemessen. Und beim Pflichtverteidiger ist es ebenso, dass er wegen des Pauschalcharakters dann die Terminsgebühr erhält, egal, wann er davon erfahren hat, dass der Hauptverhandlungstermin ausfällt. Das kann doch alles nicht so schwierig sein, ist es aber offenbar doch.

Was ist das Ergebnis dieses Beschlusses und der Rechtsprechung der OLG? Man kann Verteidigern nur empfehlen, nach Antritt der Fahrt zum Termin das Handy auszuschalten, damit sie vom Büro nicht vom Ausfallen des Termins unterrichtet werden können. Und dann natürlich auf jeden Fall im Gerichtssaal „erscheinen“, damit den Anforderungen der OLG genüge getan ist. Also: Verteidigertourismus. Allerdings ist auch diese Vorgehensweise nicht ungefährlich. Denn wahrscheinlich wird dann ein OLG in seiner unerforschlichen Gebührenweisheit auf die Idee kommen, dem Verteidiger wegen des ausgeschalteten Handys ein Verschulden zur Last zu legen und damit dann Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 3 und 4 VV RVG anzuwenden. Die Argumentation wird den OLG sicherlich besser gefallen, als endlich die Regelung der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG entsprechend ihrem Sinn und Zweck.

StPO II: Selbstleseverfahren, oder: Kenntnis genommen?

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Die zweite Entscheidung, der OLG Naumburg, Beschl. v. 30.06.2020 – 1 Rv 94/20 -, hat mir mal wieder der Kollege Funck geschickt. Er behandelt einen Fall aus der Hauptverhandlung, nämlich das Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO).

Das AG verurteilt den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe. Dagegen die Revision, die Erfolg hat:

„Zu Recht rügt die Revision einen Verstoß gegen § 261 StPO. Das Amtsgericht legt seinem Urteil Beweismittel zugrunde, namentlich das Betäubungsmittelgutachten des Landeskriminalamts vom 20. August 2019, die es nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht hat. Das Amtsgericht hat zwar durch Beschluss das Selbstleseverfahren im Sinne des § 249 Abs. 2 StPO unter anderem für dieses Behördengutachten angeordnet. Es hat sodann aber nicht festgestellt, dass die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben.

Die Verfahrensrüge ist zulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO erhoben worden. Der mitgeteilte Verfahrensablauf ist, wie sich dem auf die Verfahrensrüge hin eröffneten und auch durch die Revision mitgeteilten Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls entnehmen lässt, zutreffend wiedergegeben.

Die Rüge ist auch nicht deshalb unzulässig, weil eine vorherige Entscheidung des Gerichts gemäß § 249 Abs. 2 S, 2 StPO oder § 238 Abs. 2 StPO nicht herbeigeführt wurde (s. OLG Celle, Beschluss vom 3. Februar 2016 — 2 Ss 211/15, BeckRS 2016, 108236). Denn dies ist nur dann der Fall, wenn es darum geht, ob die Anordnung des Selbstleseverfahren als solches zulässig war (dann § 249 Abs. 2 S. 2 StPO) oder die Art und Weise der Durchführung des Selbstleseverfahren beanstandet werden soll (dann § 238 Abs. 2 StPO). Das ist hier nicht der Fall.

Die Rüge ist auch begründet. Im Urteil heißt es, dass die Feststellungen bezüglich der Qualität und Quantität der sichergestellten Betäubungsmittel aufgrund des in die Beweisaufnahme eingeführten Behördengutachtens vom 20. August 2019 getroffen worden seien (UA Seite 10). Dies verletzt § 261 StPO, weil aufgrund der negativen Beweiskraft des Protokolls (vergleiche § 274 StPO) davon auszugehen ist, dass das Gutachten nicht zur Kenntnis gelangt und es dem Revisionsgericht auch verwehrt ist, dies im Wege des Freibeweises zu erforschen (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2004 – 5 StR 412/03, in: NStZ 2005, 160),

Die Revision trägt im Übrigen auch, was erforderlich ist (vgl. MüKoStPO/Kreicker, 1. Aufl. 2016, StPO § 249 Rn. 79), vor, dass der Inhalt des Gutachtens nicht auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Auch geben weder das Hauptverhandlungsprotokoll noch die entsprechende Formulierung im Urteil („die Feststellungen […] hat das Gericht aufgrund des in die Beweisaufnahme eingeführten Behördengutachtens […] getroffen“) einen Anhaltspunkt dafür, dass die hier relevanten Teile des Gutachtens im Wege des Vorhalts bei der Vernehmung des Angeklagten oder der Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt worden sein könnten.“

OWi III: Amtsrichter hat keine Kenntnis vom Entbindungsantrag, oder: AG führt kein Faxeingangsjournal

folgenden Text dazu nutzen:
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Und als letzte OWi-Entscheidung der OLG Naumburg, Beschl. v. 09.06.2020 – 1 Ws 23/20. Er stammt aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Aufhebung von Verwerfungsentscheidungen nach § 74 Abs. 2 OWiG. Hier geht/ging es mal wieder um den nicht beschiedenen Entbindungsantrag. Nein,  nicht die Problematik des (zu) kurz vor dem Hauptverhandlungstermins – 08.07.2019 – gestellten Antrags, sondern: Der nicht zur Kenntnis des Amtsrichters gelangte Antrag, der am 05.07.2019 gefaxt worden war. In dem Zusammenhang macht das OLG noch einmal ganz interessante Ausführungen zum Nachweis des Eingangs eines Fax-Schreibens bei Gericht.

„Das Amtsgericht wäre verpflichtet gewesen, über den per Fax-Schreiben zuvor eingegangenen Entbindungsantrag zu entscheiden. Da dies fehlerhaft unterblieben ist, bestand für eine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG eine Sperrwirkung. Darauf, ob das Faxschreiben der zuständigen Richterin vor ihrer Entscheidung vorgelegt worden ist oder nicht, kommt es hingegen nicht an (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 25. August 2015, 2 Ws 163/15; OLG Bamberg, Beschluss vom 23. Mai 2017, 3 Ss OWG 654/17 Rn. 5, 6; BayObLG, Beschluss vom 15. April 2019, 202 ObOWi 400/19, Rn. 4 -7; zitiert nach juris).

Der den Verfahrensmangel begründende Umstand — hier der rechtszeitige Eingang des Fax-Schreibens vor der Verwerfungsentscheidung -, muss nicht bloß glaubhaft gemacht, sondern erwiesen sein, wobei verbleibende Zweifel zu Lasten des Betroffenen gehen. Für den Eingang eines Fax-Schreibens ist eine erfolgreiche Übermittlung der Signale auf dem Empfängergerät erforderlich. Deshalb ist der vom Verteidiger vorgelegte „OK-Vermerk“, der lediglich das ordnungsgemäße Zustandekommen der Verbindung, nicht aber die Übermittlung der anschließenden Fax-Signale belegt, für die Annahme eines Eingangs des Fax-Schreibens für sich genommen noch nicht ausreichend. Es ist jedoch in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. Meyer-Goßner, Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 337, Rn. 12 m. w. N.), dass ein vollständiger Nachweis des gerügten Verfahrensverstoßes dann nicht zu fordern ist, wenn die entstandenen Beweisschwierigkeiten aus der Sphäre der Justizbehörden stammen und auf deren schuldhaften Ver-halten beruhen. So verhält es sich hier. Denn das Amtsgericht hat es zu der hier fraglichen Zeit verabsäumt, ein Fax-Eingangsjournal, welches näheres zum Eingang des Fax-Schreibens hätte belegen können, zu führen bzw. die entsprechenden Journale aufzubewahren. Hinzukommt, dass auch nach den eingeholten Auskünften der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin nicht auszuschließen ist, dass das Fax-Schreiben, so wie vom Verteidiger vorgetragen, beim Amtsgericht einging.“

Pauschgebühr II: Vorschussgewährung, oder: Aber nicht auf das, was noch kommt

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, der OLG Naumburg, Beschl. v. 13.08.2019 –  1 AR (Kost) 7/19 – kommt vom OLG Naumburg. Er hat eine „Vorschussproblematik“ zum Gegenstand (§ 51 Abs. 1 Satz 5 RVG).

Bewilligt worden ist ein Vorschuss von 78.900,00 EUR bewilligt worden. Einen höheren Vorschuss hat das OLG abgelehnt:

„Gem. § 51 Abs. 1 S. 5 RVG ist dem Rechtsanwalt „ein angemessener Vorschuss zu bewilligen, wenn ihm insbesondere wegen der langen Dauer des Verfahrens nicht zugemutet werden kann, die Festsetzung der Pauschgebühr abzuwarten“.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist hier ein Vorschussanspruch im Hinblick auf den außerordentlichen Umfang sowie die Länge und die Schwierigkeit des Verfahrens dem Grunde nach gerechtfertigt. Der Höhe nach erachtet der Senat im Anschluss an die Ausführungen der Bezirksrevisorin in deren Stellungnahme vom 31.07.2019 einen Vorschuss i.H.v. 78.900,00 € (entspricht den doppelten Pflichtverteidigergebühren) für angemessen. Hiermit hat sich der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 09.08.2019 auch einverstanden erklärt und seinen weitergehenden Antrag zurückgenommen.

Dem im Schriftsatz vom 09.08.2019 gestellten Antrag, auszusprechen, dass die doppelte Pflichtverteidigergebühr auch als Pauschvorschuss für das noch weiterhin durchzuführende Verfahren gilt, konnte hingegen nicht entsprochen werden. Maßstab für einen Vorschuss ist stets die bereits erbrachte Leistung. Auf erst noch zu erbringende Leistungen kann demnach kein Vorschuss gezahlt werden, sondern es kann erst nach (weiterer) Leistungserbringung ein (weiterer) Vorschuss verlangt werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 S. 5 RVO vorliegen (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., § 51 Rn. 69, 73, 74 m.w.N.“

M.E. zutreffend.

Entbindung III: Der unwirksame Entbindungsantrag, oder: Keine Abwesenheitsverhandlung

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Die dritte und letzte „Entbindungsentscheidung“ – für heute 🙂 – kommt dann vom OLG Naumburg. Geschickt hat mir den OLG Naumburg, Beschl. v. 06.02.2019 – 1 Ws 25/19 – der Kollege Schneider aus Leipzig.

Der Beschluss hat eine ganz interessante Konstellation zur Grundlage. Nämlich ein widersprüchliches Verhalten des Gerichts, dass es in Abwesenheit des Betroffenen zur Sache verhandelt hat, nachdem es zuvor zu erkennen gegeben hat, dass ein wirksamer Entbindungsantrag nicht vorliegt. Das geht so nicht, sagt das OLG unter Bezug auf die Stellungnahme der GStA:

„…. 2. Die fristgerecht begründete und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 8 StPO einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

Der Betroffene hat in seiner Rechtsbeschwerdebegründung vom 14. November 2018 zu Recht eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung wegen Verstoßes des Gerichts gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gerügt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 338 Rn. 59). Das Gericht hat dem Verteidiger des Betroffenen mit Schreiben vom 22. August 2018 ausdrücklich mitgeteilt, es liege ein wirksamer Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zur Teilnahme an der Hauptverhandlung am 28. August 2018 nicht vor, weshalb der Entbindungsantrag ,,nach hiesiger Auffassung derzeit zurückzuweisen“ sei. Es mag sein, dass die Rechtsauffassung des Gerichts falsch ist und das Gericht seinen Irrtum beim genauen Lesen der Vollmachtsurkunde vom 5. März 2018 nachträglich erkannt hat. Dies ändert aber nichts daran, dass das Gericht mit jenem Schreiben vom 22. August 2018 einen Rechtsschein geschaffen hat und der Betroffene darauf vertrauen durfte, das Gericht werde nach § 74 Abs. 2 OWiG verfahren, wenn er, der Betroffene, der Hauptverhandlung fernbleibe. Eine Entbindung des Betroffenen setzt nämlich gemäß § 73 Abs. 2 OWiG einen Antrag“ voraus, der nach Auffassung des Gerichts gerade nicht vorliegen sollte. Da das Amtsgericht entgegen seinem Schreiben vom 22. August 2018 gehandelt hat und zwischen dem Verfahrensfehler und dem Urteil, das nach Verhandlung zur Sache verkündet worden ist, eine konkret-kausale Beziehung besteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 338 Rn. 59 m. w. N.), beruht das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes. Es kann keinen Bestand haben, auch weil es dem Betroffenen prozessuale Rechte entzieht.

Das Urteil vom 28. August 2018 ist deshalb mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Es besteht kein Anlass, die Sache einer anderen als der bislang zuständigen Abteilung des Amtsgerichts Halle (Saale) zu übertragen.“

Dem tritt der Senat bei.“

Geht wirklich nicht 🙂 .