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Historischer Gesetzgeber wollte Teil 4 Abschnitt 1 VV, oder: Aber egal, wir machen es anders

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Und dann heute im RVG-Topf zwei Entscheidungen zum Zeugenbeistand, einem gebührenrechtlichen Dauerbrennner.

Zunächst stelle ich den LG Dresden, Beschl. v. 11.04.2022 – 15 Qs 29/21 –,  der noch einmal bekräftigt, dass die Tätigkeiten nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG, also also als Einzeltätigkeit abgerechnet werden sollen. M.E. falsch, aber man wird müde gegen diesen Unsinn anzuschreiben. Richtig erkannt hat das LG, dass der „historische Gesetzgeber“ eine andere Abrechnung im Auge hatte, aber, was soll es. Man macht es trotzdem anders:

„2. Die Kammer schließt sich der inzwischen wohl überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung an, nach der von einer Einzeltätigkeit des Zeugenbeistands auszugehen ist, vgl. OLG Dresden Beschlüsse vom 30.08.2019, 1 WS 220/19 und vom 17.12.2007, 3 Ws 84/07, juris und die umfänglichen Zitate bei LG Leipzig Beschl. v. 11.1.2021 – 701 Js 17306/17, BeckRS 2021, 41479, Rn 17.

Einzuräumen ist, dass die historische Auslegung zu dem Ergebnis kommt, dass der Gesetzgeber den Beistand gleich dem Verteidiger vergüten wollte und gerade nicht die Vergütung nach Abschnitt 3 des 4. Teils, BT DrS 15/1971 S. 220 f., 230. Dass die begehrte Klarstellung (BT DrS 17/11471 S. 281) im 2. KostRMoG am Bundesrat scheiterte (Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2012, BR DrS 517/12 S. 91), ändert nichts an der ursprünglichen Intension (anders offenbar OLG Dresden, Beschluss vom 10.12.2021, 6 Ws 42/21, juris).

Die ursprüngliche Annahme des Gesetzgebers, dass die Gleichstellung von Verteidiger und Beistand sachgerecht sei, weil die Gebührenrahmen ausreichend Spielraum böten, den konkreten Arbeitsaufwand abzubilden (BT DrS 15/1971 S. 220), hat sich nach Einschätzung der Kammer allerdings nicht bestätigt. Weitaus regelmäßiger als die Opferbegleitung scheint die Beistandschaft heute der Durchsetzung des Schutzes des § 55 StPO zu dienen und ist regelmäßig mit einer Beiordnung verbunden, die nach VV RVG zu einer fixen Gebühr führt, ohne dass die Gebühr dem Aufwand nach aus dem Rahmen entnommen würde. In den meisten Fällen ist die Gleichstellung mit der Vergütung des Verteidigers daher nicht sachgerecht. Insofern ist die bereits zitierte Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2012, die die begrenzten prozessualen Mittel des Zeugenbeistandes referiert, inhaltlich zutreffend.

Die Kammer kann ihre Auffassung auf den Wortlaut stützen, denn die Vorbemerkung 4 Abs. 1 des VV RVG unterstellt die Vergütung des Beistandes dem „Teil“, mithin auch Abschnitt 3. Vergleichbar ist die Tätigkeit des Zeugenbeistandes ihrer Art nach regelmäßig eher mit einer Einzeltätigkeit als dem Wirken als Verteidiger. Es gibt keinen Vorrang der historischen Auslegung vor den anderen Auslegungstopoi.

Die Position der Kammer bleibt (inzwischen) auch innerhalb der Systematik des VV: Falls die Gebühr nach Nr. 4301 wegen hohen Aufwandes (zB mehrere Sitzungstage) unangemessen wird, kann eine Pauschgebühr festgesetzt werden. Der Widerspruch zu Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV ist jedenfalls zum 1.1.2021 durch die Angleichung an die Vorbemerkung 4 Abs. 1 entfallen (G v. 21.12.2020, BGBl. I S. 3229). Die Bundesregierung hat im Gesetzentwurf ausgeführt: „Da der Zeugenbeistand nach § 68b Absatz 2 StPO nur für Dauer der Vernehmung beigeordnet wird, behandelt die herrschende Meinung den beigeordneten Zeugenbeistand vergütungsrechtlich nicht wie Verteidigerinnen und Verteidiger nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, sondern wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die in einem Strafverfahren eine Einzeltätigkeit ausüben (Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG).“ BT DrS 19/23484, S. 87. Weiter heißt es dort: „Die Regelungen in Vorbemerkung 4 Absatz 1 VV RVG und in Vorbemerkung 5 Absatz 1 VV RVG sollen daher angeglichen werden. Im Hinblick darauf, dass die Beiordnung durch § 68b Absatz 2 StPO ausdrücklich auf die Dauer der Vernehmung beschränkt ist, erscheint es sachgerecht, den Zeugenbeistand wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu vergüten, die keine Verteidiger sind und nur eine Einzeltätigkeit ausüben.“ Insoweit kann der Gesetzgeber inzwischen mit der durch die Gerichte gefundenen Auslegung leben.“

Und dieser Blödsinn mit der Pauschvergütung an der Stelle, der wird durch dauernde Wiederholungen auch nicht besser. Denn wir wissen alle, wie die OLG – häufig – mit den Pauschvergütungen umgehen.

Tätigkeit des Zeugenbeistands ist Einzeltätigkeit, oder: Danke BMJV für die Vorlage

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Und dann heute am „Weltkuscheltag“ 🙂 , einem Freitag, natürlich auch RVG-Entscheidungen.

Die erste Entscheidung, die ich vorstelle, ist aber leider gar nicht kuschelig. Das OLG Dresden hat im OLG Dresden, Beschl. v. 10.12.2021 – 6 Ws 42/21 – noch einmal/mal wieder zu den Gebühren des Rechtsanwalts für die Tätigkeit als Zeugenbeistand Stellung genommen. Leider falsch, das das OLG von Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG ausgeht:

„Das Landgericht hat die Tätigkeit des Zeugenbeistandes zu Recht als Einzeltätigkeit bewertet, für die lediglich die Gebühr nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG entstanden ist.

Die Frage, ob der nach § 68b StPO beiordnete Zeugenbeistand wie ein Verteidiger nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zu vergüten ist oder lediglich die Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG beanspruchen kann, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten.

Mit der Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG („Für die Tätigkeit als Beistand … sind die Vorschriften entsprechend anzuwenden“) war unklar geblieben, ob der nach § 68b StPO beigeordnete Rechtsanwalt die Gebühren eines Verteidigers nach Abschnitt 1 oder eine Einzeltätigkeit nach Abschnitt 3 abrechnen konnte. Vereinzelt wurde vor diesem Hintergrund in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass mit Blick auf den Willen des Gesetzgebers die Gebühren eines Verteidigers entstehen würden (vgl. nur OLG Dresden – 2. Strafsenat -, Beschluss vom 6. November 2007 – 2 Ws 495/06 – und vom 6. November 2008 – 2 Ws 103/08 -, juris m.w.N.). Ausweislich der Begründung des zugrundeliegenden Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts sollten erstmals auch im Strafverfahren die Gebühren des Rechtsanwalts für seine Tätigkeit als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen gesetzlich geregelt werden. Die Gleichstellung mit dem Verteidiger sah der Gesetzgeber als sachgerecht an, weil die Gebührenrahmen ausreichend Spielraum bieten würden, dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts Rechnung zu tragen. Bei der Bestimmung der konkreten Gebühr werde sich der Rechtsanwalt als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen an dem üblichen Aufwand eines Verteidigers in einem durchschnittlichen Verfahren messen lassen müssen (BT-Drs. 15/1971, Seite 220).

Wie das Landgericht weiter zutreffend ausführt, ist der Versuch, den Meinungsstreit durch eine Klarstellung im Gesetzgebungsverfahren zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zu beenden, gescheitert. Nach dem dort zugrunde liegenden Entwurf der Bundesregierung sollte der gesetzgeberische Wille durch eine klarstellende Formulierung der Vorbemerkung 4 Abs. 1, die der Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV RVG folgt, deutlicher zum Ausdruck gebracht werden [BT-Drs. 17/11741 (neu), Seite 281]. Die Vorbemerkung 5 Abs. 1 zu Teil 5 (Bußgeldsachen) lautete seinerzeit: „Für die Tätigkeit als Beistand … eines Zeugen … entstehen die gleichen Gebühren wie für einen Verteidiger in diesem Verfahren“. Diese Klarstellung ist indes am Widerstand des Bundesrates gescheitert, der es nicht für sachgerecht hielt, für die begrenzte Tätigkeit eines Zeugenbeistandes die gleichen Gebühren anzusetzen wie für das Wirken als Verteidiger (BR-Drs. 517/1/12, Seite 94 f.).

Bereits damit konnte nicht mehr von einem gesetzgeberischen Willen ausgegangen werden, den Zeugenbeistand wie einen Verteidiger zu vergüten, sondern der Gesetzeswortlaut und die Verlautbarungen des Gesetzgebers ließen auch eine Vergütung als Einzeltätigkeit zu.

Den Widerspruch zur Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV RVG, hat der Gesetzgeber schließlich mit der Begründung zum Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I, 3229) aufgelöst. Mit dem Gesetz ist die Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV RVG ihrerseits an die unverändert gebliebene Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG angeglichen worden. Zur Begründung hat der Gesetzgeber angeführt, dass im Hinblick darauf, dass die Beiordnung durch § 68b Abs. 2 StPO ausdrücklich auf die Dauer der Vernehmung beschränkt ist, es sachgerecht erscheine, den Zeugenbeistand wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu vergüten, die keine Verteidiger sind und nur eine Einzeltätigkeit ausüben (BT-Drs. 19/23484, Seite 87). Für die Annahme, der Zeugenbeistand sei wie ein Verteidiger nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zu vergüten, ist danach kein Raum mehr (vgl. auch unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung OLG Dresden – 2. Strafsenat -, Beschluss vom 15. Februar 2021 – 2 Ws 20/21).2

War klar, dass die Argumentation mit der Änderung/Anpassung der Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG kommen würde. Danke BMJV. Aber das macht die Entscheidung und die Auffassung, die für Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG plädiert, nicht richtig(er). Die Zeugenbeistände dürfen sich gern beim BMJV bedanken. Ich verstehe nicht, warum man nicht endlich die Regelungen so trifft, wie sie 2004 gedacht waren.

Mein Aufreger der Woche ist diese Woche schon da, oder: Für 10 Termine als Zeugenbeistand 220 EUR

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Es ist noch nicht einmal Montag, High Noon, und ich habe schon meinen Aufreger der Woche. Worum geht es? Klar, es kann nur um Gebühren gehen. Was sonst? Und zwar:

Mich erreicht gerade die Mail eines Kollegen, der mir folgenden Sachverhalt mitteilt: Er ist vom Vorsitzenden einer Strafkammer zum Zeugenbeistand bestellt worden, und zwar „ für die Dauer der Vernehmung des Zeugen pp. und aller mit ihr in enger Verbindung stehenden Angelegenheiten“. Die Vernehmung war auf 10 Hauptverhandlungstermine terminiert. Nachdem die Vernehmung beendet ist, hat der Kollege seine Gebühren gegenüber der Staatskasse geltend gemacht. Er hat, was richtig ist, Grundgebühr, Verfahrensgebühr und 10 x Terminsgebühr abgerechnet.

Und dann? Nun, er bekommt – wie nicht anders zu erwarten – die Beanstandung der Rechtspflegerin, die ihm Folgendes mitteilt:

„werden Sie gebeten, die Kostenrechnung vom 31.08.2021 zu überprüfen und eine berichtigte Rechnung zu den Akten zu reichen:

Für die Vertretung bei der Dauer der Vernehmung des Zeugen pp. erhält der Beistand insgesamt nur die Einzeltätigkeitsgebühr Nr.4301 Nr.4 VV RVG in Höhe von 220,00 Euro nebst Reisekosten, §68b StPO, vgl. Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021 RVG VV 4301, Rn.14; OLG Düsseldorf lll-1Ws562/09.

Die Kosten sind insoweit zu reduzieren.“

Mal abgesehen davon, dass das der Rechtspflegerin schon sprachlich misslungen ist, es ist für mich unfassbar/unglaublich, und zwar:

1. Das Zitat „Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021 RVG VV 4301, Rn.14“ ist falsch bzw. es wird der falsche Eindruck erweckt, im „Gerold/Schmidt“ stehe an der Stelle, dass für die Tätigkeit des Zeugenbeistand nur eine Gebühr nach Nr. 4301 VV RVG an fällt. Das ist – wie gesagt – falsch. Ich bin mir da ganz sicher, weil ich Verfasser der Ausführungen bin. An der Stelle heißt es:

„Die VV 4301 Nr. 4 RVG für die Beistandsleistungen für den Beschuldigten oder einen sonstigen Verfahrensbeteiligten (vgl. VV Vorb. 4 Abs. 1 RVG). Das kann auch der Zeugenbeistand sein, wenn er (nach der hier vertretenen Ansicht) nur ausnahmsweise im Rahmen einer Einzeltätigkeit tätig wird; die wohl hM geht allerdings grds. von einer Einzeltätigkeit des Zeugenbeistands aus.1 Nimmt man bei der Tätigkeit des Zeugenbeistandes eine Einzeltätigkeit an, erstreckt sich die Beiordnung des RA als Zeugenbeistand gem. § 68b StPO auf die Dauer der Vernehmung des Zeugen und endet grds. erst mit dessen Entlassung. Wird daher die in einem Termin begonnene und mangels Entlassung des Zeugen noch nicht beendete Vernehmung in einem anderen Termin fortgesetzt, entsteht insgesamt nur eine Verfahrensgebühr nach VV 4301 RVG.2

Bei der Fußnote 1 wird dann u.a. verwiesen auf: „Zum Zeugenbeistand ? RVG VV Teil 4 Abschn. 1 Einl. Rn. 5 ff. mwN aus Rspr. und Lit. …….“.

Wenn sich die Rechtspflegerin mal die Mühe gemacht und dort nachgelesen hätte, dann hätte sie festgestellt, dass Gerold/Schmidt nicht ihrer Auffassung ist, aber, was auch wissenschaftlich sauber ist, die abweichende andere (falsche) Ansicht der OLG nicht unterschlägt, sondern sie anführt. Daraus dann aber zu entnehmen, dass der Verfasser der Auffassung sei, bei der Tätigkeit des Zeugenbeistands handele es sich um eine Einzeltätigkeit, ist – in meinen Augen „frech“.

2.2. Im Übrigen: Die Auffassung der Rechtspflegerin ist falsch. Dazu habe ich bereits vielfach geschrieben. So eben auch im Gerold/Schmidt oder auch in Burhoff7Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, RVG 6. Aufl. 2021, Vorbem. 4.1 VV Rn 5 ff. m.w.N. Sollte man als Rechtspfleger(in), die mit solchen Dingen befasst ist, vielleicht dann doch mal lesen. Aber: Warum eigentlich? Ist ja nicht ihr Geld.

3. Ich habe dann mit dem Kollegen telefoniert und folgendes geraten:

3.1 Er wird seinen Festsetzungsantrag nicht reduzieren. Warum auch? Er ist richtig.

Er wird allerdings darauf hinweisen, dass die Formulierung der Beiordnung – „und aller mit ihr in enger Verbindung stehenden Angelegenheiten“ – und der Umfang von 10 Hauptverhandlungsterminen wohl auch nach der (falschen) Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung kaum noch als Einzeltätigkeit (!) bezeichnet werden kann.

3.2 Wenn, womit zu rechnen ist, die Rechtspflegerin unbelehrbar ist und bei ihrer Auffassung bleibt, wird der Kollege gegen die reduzierte Festsetzung der (Un)Summe von 220 EUR Rechtsmittel einlegen.

Vielleicht hat ja die Kammer ein Einsehen und setzt dann richtig fest. Dagegen wird dann aber der Hüter der Staatskasse Rechtsmittel einlegen, so dass die Sache dann beim OLG landet. Was dabei herauskommt, kann man sich vorstellen. Ein Beschluss, in dem es heißt: Haben wir immer so gemacht und machen wir auch weiter so. Aber du kannst ja nach § 51 RVG eine Pauschgebühr beantragen.

Das wird der Kollege dann tun und im Zweifel vom zuständigen OLG-Senat dann mitgeteilt bekommen: Die 220 EUR sind nicht unzumutbar. Und es handelt sich auch nicht um ein Sonderopfer. Dazu muss man z.B. nur hier schauen.

Und dann? Dann bleibt nur noch die Verfassungsbeschwerde. Aber auch da habe ich nach dem BVerfG, Beschl. v. 22.07.2019 – 1 BvR 1955/17 – wenig Hoffnung (dazu: 200 EUR für 9,5 Stunden sind nicht unzumutbar, oder: Zum Kotzen). Das BVerfG macht in Gebührensachen inzwischen fast alles mit. Leider. Also: Im Zweifel wird der Kollege auf seinen 220 EUR „sitzen bleiben“.

Warum regt mich das so auf: Nun, dieser Fall zeigt mal wieder deutlich, wie unsinnig die Rechtsprechung der OLG in dieser Frage ist. Es kann – und es darf – aber m.E. nicht sein, dass der (Pflicht)Zeugenbeistand ggf. für seine Tätigkeit mit einem Betrag von 220 EUR abgespeist werden soll.

Die OLG halten an dieser falschen Rechtsprechung seit Jahren fest. Und sie werden darin auch noch vom (Bundes)Gesetzgeber – hier dem BMJV – unterstützt. Das hat schon beim, 2. KostRMoG vor den Ländern gekniffen und nicht auf der damals geplanten Änderung der Vorbem. 4. 1 VV RVG und der darin enthaltenen Klarstellung zugunsten des Zeugenbeistandes bestanden. Beim KostRÄG 2021 hat man dann die Situation durch die Änderung der Vorbem. 5. 1 VV RVG noch verschlimmert. Warum eigentlich? Hat denn niemand mal den sprichwörtlichen „A……. in der Hose“ und bringt die erforderlichen Änderungen endlich auf den Weg und durch? Offenbar nicht, denn sonst hätte man schon längst etwas unternommen. Und wo sind eigentlich bei solchen Fragen mal der DAV oder die BRAK? Man hat von denen dazu bisher nichts gehört. Damit könnte/sollte man sich aber mal beschäftigen. Aber Gebühren in Straf- und Bußgeldsachen hat man nicht auf der Agenda. Man muss sich nur den Katalog der Änderungen durch das KostRÄG 2021 ansehen. Für mich unfassbar.

Beistand nach § 69 JGG, oder: Wie wird abgerechnet?

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Im RVG-Teil der Woche beginne ich heute mit einem schon etwas älteren Beschluss des OLG Dresden, der mir allerdings erst vor kurzem übersandt worden ist.

In dem OLG Dresden, Beschl v. 25.02.2021 – 2 Ws 541/19 – geht es um die Frage, ob überhaupt eine wirksame Beiordnung vorliegt, die dann dazu führt, dass die Rechtsanwältin nahc §§ 45, 48 RVG gegenüber der Staatskasse Gebühren abrechnen kann.

Die Kollegin hatte in einem Verfahren beim Jugendrichter des AG (vorsorglich) ihre Bestellung zur Pflichtverteidigerin der Angeklagten beantragt. Sie ist dann vom AG der Angeklagten „als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG“ bestellt worden. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat das AG der Rechtsanwältin gestattet, „als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG […] auf Staatskosten Fahrten zur JVA Chemnitz zur Angeklagten durchzuführen“. In der Hauptverhandlung hat die Kollegin dann die Angeklagte verteidigt. Sie hat später (Pflichtverteidiger-)Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit im Strafverfahren in Höhe von insgesamt 1.297,93 EUR einschließlich Mehrwertsteuer geltend gemacht. Den Antrag hat das AG zunächst mit der Begründung zurückgewiesen, dass gemäß § 1 Abs. 2 RVG das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht für einen Verfahrensbeistand gelte. Dagegen die Erinnerung, auf die teilweise festgesetzt worden ist. Dagegen die Beschwerde an das LG und die weitere Beschwerde zum OLG. Das OLG hat festgesetzt:

„2. Die weitere Beschwerde ist gemäß § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG statthaft, weil das Landgericht sie im angefochtenen Beschluss wegen der besonderen Bedeutung der Sache zugelassen hat. Sie ist auch begründet, weil der Antragstellerin die beantragten Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit als Pflichtverteidigerin in dem oben genannten Strafverfahren zustehen.

a) Zwar hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass die Gebührentatbestände des RVG nach § 1 Abs. 2 RVG grundsätzlich nicht auf einen Verfahrensbeistand anwendbar sind. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die am 12. April 2018 durch den Jugendrichter erfolgte Bestellung als „Beistand“ ungeachtet des Wortlauts aber als (konkludente) Bestellung zur Pflichtverteidigerin der Angeklagten nach §§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 Satz 1 StPO auszulegen. Zwar hat der Jugendrichter die ursprüngliche Wahlverteidigerin der Angeklagten ausweislich des Beschlusswortlauts (Sitzungsprotokoll vom 12. April 2018, BI. 127 d. A.) „als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG“ bestellt. Jedoch kam eine Bestellung als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht, weil ein Verfahrensbeistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG nur einem Jugendlichen bestellt werden darf und die Angeklagte am 12. April 2018 bereits 18 Jahre alt und damit keine Jugendliche mehr war. Für Heranwachsende gilt, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, die Vorschrift des § 69 Abs. 1 JGG nicht. Die Bestellung wäre, falls sie als Beistandsbestellung auszulegen wäre, mithin unwirksam und damit gegenstandslos gewesen. Zudem hatte die Antragstellerin bereits unter dem 22. März 2018 einen Antrag als Bestellung zur Pflichtverteidigerin gemäß § 68 JGG gestellt, welchen das Amtsgericht nicht ausdrücklich beschieden hat. Sie hat darüber hinaus zu Beginn der Sitzung am 12. April 2018 ihr Wahlverteidigermandat niedergelegt. Auch dies erschiene nur dann sinnvoll, wenn sie davon ausgegangen wäre, antragsgemäß zur Pflichtverteidigerin der Angeklagten bestellt zu werden. Weiter spricht auch der Umstand, dass der Jugendrichter mit Beschluss vom gleichen Tage der Antragstellerin gestattet hat, „auf Staatskosten Fahrten zur JVA Chemnitz zur Angeklagten durchzuführen“ dafür, dass eigentlich eine Bestellung zur Pflichtverteidigerin gewollt war. Schließlich lagen die Voraussetzungen einer Bestellung zur Pflichtverteidigerin gemäß § 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 Satz 1 StPO vor. Denn angesichts der Schwere der angeklagten Taten war es nicht ausgeschlossen, dass die Angeklagte zu einer erheblichen Jugendstrafe verurteilt werden würde; der Jugendrichter hat sie letztlich tatsächlich zu einer Einheitsjugendstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Antragstellerin hat nach ihrer Bestellung zum „Beistand“ im Übrigen trotz Niederlegung des Wahlmandats wie eine Verteidigerin agiert und Termine in der JVA und den Hauptverhandlungstermin wahrgenommen, so dass die Zuerkennung der Pflichtverteidigergebühren auch angesichts der tatsächlich erbrachten Leistungen gerechtfertigt erscheint.

….“

Nun ja, im Ergebnis zutreffend. Kann man auch so begründen. Ich habe allerdings Zweifel, ob das OLG mit seinem Ansatz, das RVG sei auf den Beistand nach § 69 JGG nicht anwendbar, richtig liegt.

Zeugenbeistand beim PuA, oder: Das OLG Naumburg versteht das RVG nicht

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Genau so falsch wie der vorhin vorgestellte OLG Bamberg-Beschluss ist die zweite Entscheidung des Tages – der OLG Naumburg, Beschl. v. 27.02.2020 – 1 Ws (s) 65/20. Er behandelt eine Thematik, mit der man nicht jeden Tag zu tun, nämlich die Vergütung des Rechtsanwaltes, der im Rahmen eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses als Zeugenbeistand tätig war.

Das LG Magdeburg hatte die Gebühren zutreffend festgesetzt, nämlich die Grundgebühr gemäß § Nr. 4100 VV RVG, eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4118 VV RVG und eine Terminsgebühr gemäß Nr. 4120 VV RVG. Dagegen die weitere Beschwerde der Landeskasse – natürlich – und natürlich ändert das (besser wisssende) OLG ab und setzt nur eine Nr. 4301 Nr. 5 VV RVG – also Einzeltätigkeit – fest:

„Dem Beschwerdeführer steht für seine Tätigkeit als Beistand des Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags des Landes Sachsen-Anhalt ausschließlich eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG in Höhe von 250,00 Euro, nebst einer Auslagenpauschale von 20,00 Euro und Umsatzsteuer von 19 % in Höhe von 51,30 Euro zu. Es ergibt sich demnach ein Gesamterstattungsbetrag in Höhe von 321,30 Euro, der zugunsten des Zeugenbeistands mit dem angefochtenen Beschluss in der Fassung der ergänzenden Festsetzung vom 10. Januar 2018 festgesetzt worden ist.

a) Auf den Beistand eines Zeugen sind nach der Vorbemerkung 4 Abs. 1 zu Teil 4 VV RVG die Vorschriften dieses Teils entsprechend anzuwenden.

aa) Umstritten ist, ob diese Verweisung im Falle der Beiordnung nach § 68 b StPO zur entsprechenden Anwendung von Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG führt, in dem die Gebühren des Verteidigers, Nr. 4100 ff. VV RVG, geregelt sind, oder zur Anwendung von Teil 4 Abschnitt 3 – Einzeltätigkeiten, hier Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG: „Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung“.

Nach einer Auffassung begründet die Beiordnung nach § 68 b StPO grundsätzlich eine volle anwaltliche Vertretung des Zeugen, die den Anwendungsbereich des ersten Abschnittes aus Teil 4 VV RVG eröffnet.

Nach anderer Ansicht hängt die Anwendung des ersten Abschnitts davon ab, ob der nach § 68 b StPO beigeordnete Rechtsanwalt im Einzelfall tatsächlich mehr als eine Einzeltätigkeit enthaltet hat.

Schließlich wird die Auffassung vertreten, dass die Beiordnung nach § 68 b StPO regelmäßig nur den Auftrag zu einer Einzeltätigkeit begründe, die entsprechend Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG zu vergüten sei.

Im Hinblick auf den Meinungsstand wird auf die umfassende Darstellung im Beschluss des Senats vom 15. August 2011, 1 Ws 657/11, Bezug genommen.

Der Senat hält in der umstrittenen Frage der Vergütung des gem. § 68 b StPO bestellten Zeugenbeistandes an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. Beschluss vom 2. Mai 2006, 1 Ws 154/06, vom 27. August 2009, 1 Ws 105/09, vom 29. September 2010, 1 Ws 513/10, und vom 15. August 2011, 1 Ws 657/11, – jeweils m. w. Nachw.).

Zur Begründung ist im Senatsbeschluss vom 15. August 2011 wie folgt ausgeführt worden:

„Nach Abs. 1 der Vorbemerkung 4 der VV-RVG sind „die Vorschriften“ für die Tätigkeit als Beistand eines Zeugen entsprechend anwendbar, d. h. die gesamten im 4. Teil des Vergütungsverzeichnisses geregelten Gebührentatbestände. Für den Zeugenbeistand sind deshalb nicht nur die im Abschnitt 1 geregelten „Gebühren des Verteidigers“ (so aber etwa KG, NStZ-RR 2005, 358; OLG Köln, NStZ 2006, 410, jeweils m. w. Nw.), sondern auch die im Abschnitt 3 gelegten Gebühren für „Einzeltätigkeiten“ entsprechend anwendbar. Die in Abschnitt 3 geregelten Gebührentatbestände sind nach der Vorbemerkung 4.3 des VV RVG anzuwenden, wenn ein Rechtsanwalt nur für eine einzelne Tätigkeit beauftragt ist, ohne dass ihm die (gesamte) Verteidigung übertragen worden ist. Dieser Fall liegt hier vor. Der Beschwerdeführer ist nur für die Dauer der Vernehmung der Zeugin J. B. beigeordnet worden. Es liegt daher nur die Beauftragung für eine Einzeltätigkeit im Sinne des Abschnittes 3 des VV-RVG vor. Dieser Fall kann vergütungsrechtlich nicht gleichgestellt werden mit der Tätigkeit eines Verteidigers für das gesamte Verfahren, für den die Gebühren nach Abschnitt 1 des VV RVG anfallen. Eine vergütungsrechtliche Gleichstellung von Verteidiger (für das gesamte Verfahren) und Zeugenbeistand (für die Vernehmung eines einzelnen Zeugen) würde zu einem Missverhältnis führen (so zutreffend auch OLG Oldenburg, StraFo 2006, 130f.). Dass der Beschwerdeführer der Zeugin bezüglich aller ihr zustehenden Rechte (und Pflichten) beistehen soll, ändert – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – nichts an der Einordnung als „Einzeltätigkeit“. Für einen Zeugenbeistand gemäß § 68 b StPO fällt daher nur eine Gebühr gemäß Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG an (so auch etwa OLG Bamberg, DAR 2008, 493f; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 96; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19. Februar 2008 – 1 Ws 346/07, recherchiert bei juris).

Auch die Gesetzesmaterialien sprechen nicht gegen die hier vertretene Auffassung. Zwar wird in dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 11. November 2003 (BT-DRs 15/1971, S. 219, 220) zu Teil 4 Abs. 1 der Vorbemerkung 4 ausgeführt, dass der Beistand eines Zeugen oder eines Sachverständigen die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhalten soll. Zugleich stellt die Begründung jedoch klar, dass „die Vorschriften dieses Teils“ und damit nicht nur die die Gebühren des Verteidigers regelnden Vorschriften des Abschnitt 1 des Teil 4 für die Tätigkeit des Zeugenbeistands entsprechend anwendbar sein sollen. Zudem lässt die Begründung durch den Bezug auf die Gebührenrahmen als sachliche Rechtfertigung der Gleichstellung des Zeugenbeistandes mit dem Verteidiger erkennen, dass der Entwurf insoweit nur den Wahlbeistand und nicht den nach § 68 b StPO beigeordneten Beistand vor Augen hatte. Denn nur bei ersterem sind für die Vergütung Gebührenrahmen heranzuziehen, die dann auch „ausreichenden Spielraum bieten, dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts Rechnung zu tragen.

Das VV RVG beruht letztlich auf einer typisierenden Betrachtung bestimmter Tätigkeiten. Wenn die Vergütung des nach § 68 b StPO beigeordneten Zeugenbeistandes mit einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG im Einzelfall, etwa wegen langer zeitlicher Bindung des Zeugenbeistandes im Hauptverhandlungstermin oder der Notwendigkeit umfangreicher Vorbereitung, dem von ihm erbrachten Zeit- und Arbeitsaufwand nicht gerecht wird und sich als unzumutbar erweist, kann der beigeordnete Rechtsanwalt eine Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG geltend machen. Über einen solchen, hier nicht gestellten und nicht gegenständlichen Antrag nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG hat der Senat indes nicht zu entscheiden.“

bb) Dem schließt sich der Senat mit der wohl zwischenzeitlich herrschenden Auffassung, vgl. OLG München, Beschluss vom 7. März 2014, Az.: 4 c Ws 4/14; OLG Köln, Beschluss vom 3. Mai 2016, Az.: III-2 Ws 138/16, zitiert nach juris, an.

Es wird weiterhin die Auffassung vertreten, dass gravierende Unterschiede zwischen den Aufgaben eines Zeugenbeistands und denen eines Verteidigers bestehen. Die Tätigkeit eines Zeugenbeistands erschöpft sich im Wesentlichen darin, den Mandanten zu der Vernehmung zu begleiten, ihn hinsichtlich der Ausübung eines Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrecht zu beraten, unzulässige Fragen zu beanstanden und Missverständnisse zu verhindern. Ein Zeugenbeistand ist anders als ein Verteidiger auch kein Verfahrensbeteiligter und hat auch kein umfassendes Akteneinsichtsrecht sowie kein Antragsrecht. Seine Tätigkeit endet mit dem Ende der Vernehmung, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 68 b Rn. 4 u. 5.

b) Schließlich veranlasst auch der Umstand, dass der Zeugenbeistand vorliegend im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses tätig geworden ist, zu keiner abweichenden Entscheidung.

Gemäß der Vormerkung 2 Abs. 2 S. 2 VV RVG entstehen für die Tätigkeit als Beistand eines Zeugen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss die gleichen Gebühren wie für die entsprechende Beistandsleistung in einem Strafverfahren, das im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfindet.

Die Verweisung ermöglicht demnach dem Wahlbeistand des Zeugen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss eine erhöhte Vergütung, wenn die entsprechende Tätigkeit im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht erhöht vergütet werden würde. Darüber hinaus auch dem nach § 68 b StPO auf Staatskosten beigeordneten Vernehmungsbeistand die Verteidigergebühren und deren Erhöhung zuzubilligen, wäre nicht sachgerecht, weil seine Tätigkeit im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht genauso auf die Wahrung der Zeugenrechte beschränkt ist, wie im Verfahren vor dem Amts- und Landgericht. Die Tätigkeit eines bloßen Zeugenbeistands ist demnach mit der Tätigkeit eines Verteidigers in einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht normalerweise nicht vergleichbar, so dass auch eine erhöhte Vergütung nicht gerechtfertigt ist. Die hohen Gebühren, die Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und Nr. 4118 ff. VV RVG für einen in einem erstinstanzlich vor einem Oberlandesgericht geführten Verfahren tätigen Verteidiger vorsieht, verdient ein Zeugenbeistand nur, wenn er als Wahlbeistand mit der umfassenden Vertretung und Beratung des Zeugen beauftragt ist. Nur dann kann womöglich von einer im Hinblick auf Umfang und Schwierigkeit mit der Tätigkeit eines Verteidigers vergleichbaren Tätigkeit eines Zeugenbeistands ausgegangen werden. Für einen Zeugenbeistand im parlamentarischen Untersuchungsausschuss kann nichts Anderes gelten, vgl. auch OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 5. Februar 2009, Az.: III-3 Ws 451/08, 3 Ws 451/08, zitiert nach juris.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts in der Nichtabhilfeentscheidung vom 5. Februar 2020 geht der Senat davon aus, dass die Aufgabe eines Zeugenbeistands vor einem Untersuchungsausschuss nicht gravierend anders zu betrachten ist, als die eines Zeugenbeistands in einem Strafverfahren. Auch einem Zeugen in einem Strafverfahren können strafrechtliche Konsequenzen drohen, auch diesem stehen Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte zur Seite, auch dieser kann, ohne dies im Gesetz ausdrücklich geregelt ist, Beweisanregungen erteilen. Ein geschädigter Zeuge etwa, der sich beispielsweise entschieden hat, sich am Verfahren nicht als Nebenkläger zu beteiligen, kann selbstverständlich, um z.B. das Ausmaß seiner Verletzungen zu belegen, anregen, dass diesbezüglich ergänzend Unterlagen beigezogen werden.

Anders als im Rahmen eines Untersuchungsausschusses, dessen Ziel es in erster Linie ist, politische Verantwortlichkeiten und Konsequenzen festzustellen, und bei dem die Frage der Strafbarkeit von bestimmten Verhaltensweisen sozusagen als Nebenaspekt eine Rolle spielt, ist es ureigene Aufgabe des Strafverfahrens, die Strafbarkeit eines Verhalten festzustellen. Auch insofern ist für den Einzelnen ein Eingriff durch einen Untersuchungsausschuss nicht zwingender, als dies bei einem Strafverfahren der Fall ist. Das Gegenteil dürfte der Fall sein.

Soweit die Vergütung des nach § 68 b StPO beigeordneten Zeugenbeistands im Einzelfall mit der Verfahrensgebühr im Hinblick auf die Vorbereitungszeit, die Vernehmungsdauer, den konkreten Zeit- und Arbeitsaufwand nicht abgegolten sein sollte, steht es dem Zeugenbeistand wie ausgeführt frei, gemäß § 51 RVG einen Antrag auf Pauschgebühr zu stellen.“

Sorry, OLG Naumburg, aber das ist schlicht falsch, denn:

Zu beanstanden ist schon, dass nicht klar ist, welche Gebühren das OLG denn nun eigentlich festgesetzt hat bzw., wovon auszugehen ist. Einerseits heißt es nämlich, dass der Rechtsanwalt als Zeugenbeistand bestellt worden ist. Ist das aber der Fall, ist nicht nachvollziehbar, warum die Landtagsverwaltung andererseits „die Mittelgebühr von 210,00 Euro auf 250,00 Euro um 40,00 Euro erhöht“ hat. Welche Mittelgebühr von 250 EUR, die das OLG Übernimmt? Der beigeordnete/bestellte Zeugenbeistand erhält gesetzliche Gebühren. Das sind Festgebühren. Die Frage einer Mittelgebühr und/oder einer Erhöhung der Mittelgebühr – über § 14 RVG ? – stellt sich nicht. Das dürfte auch in Sachsen-Anhalt und beim OLG Naumburg der Fall sein. Diese Unklarheit ist insofern misslich, weil mit ihr die gesamte Argumentation des OLG steht und fällt. Denn wäre der Rechtsanwalt nicht beigeordneter Zeugenbeistand (gewesen), bestünde wohl auch nach Auffassung des OLG kein Anlass, ggf. nur Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG festzusetzen.

Unabhängig davon ist die Entscheidung aber auch im Übrigen falsch. Dazu muss man m.E. gar nicht näher auf die in meinen Augen nach wie vor falsche Ansicht der OLG eingehen, wonach der als Zeugenbeistand beigeordnete Rechtsanwalt nur nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG abrechnet. Für die Unterscheidung zwischen einem Wahlbeistand und einem beigeordneten Beistand lässt sich dem RVG nichts entnehmen. Deren Tätigkeit unterscheidet sich auch nicht, auch wenn die OLG das immer wieder wie ein Mantra – zum Schutz der Landeskassen (?) – wiederholen (zu allem eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl. 2021 Vorbem. 4.1 VV Rn 5 ff.). Hier hatten wir es nämlich mit einem Zeugenbeistand vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu tun. Für den gilt aber nicht Teil 4 VV RVG, sondern aufgrund ausdrücklicher Regelung Vorbem. 2 Abs. 2 VV RVG. Diese Regelung kann das OLG nun nicht dadurch aushebeln, dass es dann doch wieder auf Teil 4 VV RVG zurückgreift und meint, die hohen Gebühren (sic!), die Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und Nr. 4118 ff. VV RVG für einen in einem erstinstanzlich vor einem Oberlandesgericht geführten Verfahren tätigen Verteidiger vorsehe, verdiene ein Zeugenbeistand nur, wenn er als Wahlbeistand mit der umfassenden Vertretung und Beratung des Zeugen beauftragt sei. In der Gesetzesbegründung zur Vorbem. 2 Abs. 2 Satz 2 VV RVG (BT-Drucks. 15/1971, S. 205) heißt es ausdrücklich: „Eine weitere Ausnahme bildet nach Absatz 2 Satz 2 der Vorbemerkung die Tätigkeit als Beistand eines Zeugen oder Sachverständigen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Hierfür soll der Rechtsanwalt die gleichen Gebühren wie für die entsprechende Beistandsleistung in einem Strafverfahren des ersten Rechtszuges vor dem Oberlandesgericht erhalten. Hier kommen Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und nach den Nummern 4118 ff. VV RVG-E in Betracht.“. Diese Begründung enthält eben keinen Hinweis auf die Tätigkeit eines Verteidigers. Warum auch, denn der Rechtsanwalt als Zeugenbeistand erbringt andere Tätigkeiten als ein Verteidiger? Zudem enthält die Begründung auch nicht die so vielfach und immer wieder bemühte Unterscheidung zwischen dem Wahlzeugenbeistand und dem beigeordneten Zeugenbeistand, sondern den mehr als deutlichen Hinweis des Gesetzgebers, dass der Zeugenbeistand eines Zeugen bei einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss – egal ab Wahlbeistand oder beigeordneter Beistand – eben nicht nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG zu honorieren ist, sondern nach den ausdrücklich erwähnten Vorschriften in „Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und nach den Nummern 4118 ff. VV RVG“. Alles andere macht auch keinen Sinn. Die Auffassung des OLG Naumburg lässt sich mit dieser Regelung/Begründung jedenfalls nicht vereinbaren. Die Antwort auf die Frage, welchen Sinn – die Auffassung des OLG als richtig unterstellt – die Regelung in Vorbem. 2 Abs. 2 Satz 2 VV RVG überhaupt noch hätte, bleibt das OLG schuldig. Das überrascht nicht, denn es gibt keine.