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Verein II: Abberufung/Wahl eines Vorstandsmitgliedes, oder: War die Ladung zur Mitgliederversammlung ok?

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Und als zweite Entscheidung dann das OLG Naumburg, Urt. v. 26.10.2023 – 4 U 11/23. In dem Verfahren wurde um die Wirksamkeit der Abberufung des 2. Vorsitzenden eines Vereins und die Neuwahl eines (neuen) 2. Vorsitzenden auf einer Mitgliederversammlung gestritten. Es geht um den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Der Kläger war 2. Vorsitzender des beklagten Vereins.

Das LG hat den Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, die keinen Erfolg hatte:

„Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen, denn dem Kläger steht weder ein Verfügungsanspruch (1.) noch ein Verfügungsgrund (2.) zur Seite.

Die Nichtigkeit von Beschlüssen eines Vereins ist im Wege der Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO geltend zu machen (Ellenberger, in: Grüneberg, 82. Aufl. 2023, § 32 Rn. 11). Demzufolge ist auch der prozessuale Weg eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eröffnet, im einstweiligen Verfügungsverfahren jedoch nur nach Maßgabe der zuletzt im Termin der mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 2023 gestellten Anträge. Denn die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Mitgliederversammlung des Beklagten vom 22. Oktober 2022 zur Abberufung des Klägers als 2. Vorsitzender des Beklagten nähme die Hauptsache vorweg, was nicht zulässig ist. Im einstweiligen Verfügungsverfahren kann aber entschieden werden, dass bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache ein Beschluss keine Wirkungen entfaltet.

Der Kläger dringt jedoch auch mit den aktualisierten Anträgen nicht durch, weder mit den Haupt- noch mit den Hilfsanträgen. Es fehlt sowohl am Verfügungsanspruch als auch an einem Verfügungsgrund i.S.d. §§ 935, 940 ZPO.

Das Landgericht geht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend davon aus, dass ein Verfügungsanspruch nicht vorliegt, weil der am 22. Oktober 2022 in der Mitgliederversammlung des Verfügungsbeklagten unter Tagungsordnungspunkt 3 gefasste Beschluss (Amtsenthebung von Herrn pp. als 2. Vorsitzenden) wirksam ist.

Die Nichtigkeit eines Beschlusses eines Vereins (§ 32 BGB) kann vorliegen bei Nichtladung eines Teils der Mitglieder (BGH 59, 369, NJW-RR 06, 831, BayObLG NJW-RR 97, 289). Mängel der Beschlussfassung eines Vereins sind jedoch weder direkt noch analog nach §§ 241 ff. AktG oder nach § 51 GenG zu beurteilen (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007, II ZR 111/05, NJW 2008, 69 Tz 36).

Der streitige Beschluss ist nicht schon deshalb unwirksam, weil der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte den (rechtzeitige) Zugang der Ladung zur Mitgliederversammlung am 22. Oktober 2022 beim Kläger nicht bewiesen hat. Der Mangel der Ladung ist im vorliegenden Fall durch die unstreitige persönliche Anwesenheit des Klägers in der Mitgliederversammlung vom 22. Oktober 2022 und seine dortige Mitwirkung geheilt.

Eine ordnungsgemäße Ladung zu einer Mitgliederversammlung erfordert, dass der Gegenstand der Beschlussfassung in der Einladung zu einer Mitgliederversammlung so genau bestimmt ist, dass den Mitgliedern eine sachgerechte Vorbereitung der Versammlung und eine Entscheidung, ob sie an der Versammlung teilnehmen wollen, möglich ist (BGH vom 2. Juli 2007, II ZR 111/05, Rn 38, juris,). Eine Heilung ist möglich, wenn dem nicht ordnungsgemäß geladenen Mitglied der Gegenstand der Beschlussfassung auch ohne Ladung rechtzeitig bekannt wurde. Ferner führt ein Verfahrensfehler nur dann zur Ungültigkeit eines Beschlusses, wenn er für das Abstimmungsergebnis für die Ausübung der Mitwirkungsrechte relevant wurde. Dabei ist auf ein objektiv urteilendes Verbandsmitglied abzustellen (BGH, a.a.O., Rn. 44 unter Verweis auf BGHZ 385, 391 f.; 153, 32, 37). Im vorliegenden Fall kann der Senat nicht erkennen, dass die mangelhafte Ladung des Klägers für das Abstimmungsergebnis relevant wurde, wobei dem Senat bewusst ist, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Irrelevanz beim Beklagten liegt.

Dem Kläger war die Zeit und die Tagesordnung der Versammlung vom 22. Oktober 2022 aus dem Protokoll der Vorstandssitzung vom 17. September 2022 bekannt. Dieses Protokoll hat er unstreitig erhalten. Er wusste somit, dass seine Abwahl als 2. Vorsitzender und ggf. die Nachwahl des 2. Vorsitzenden auf der Tagesordnung standen und er hatte Gelegenheit, sich gerade hierauf vorzubereiten. Soweit der Kläger mit der Berufungsbegründung in diesem Zusammenhang vorträgt, „Wären dem Berufungskläger die Tagesordnungspunkte der (außerordentlichen) Mitgliederversammlung – wie sie durchgeführt worden ist – sowie die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe im Einzelnen bekannt gewesen und hätten ihm als Vorbereitung auf diese Versammlung jedenfalls die satzungsmäßigen 14 Tage zur Verfügung gestanden, wäre in der Versammlung möglicherweise anders abgestimmt worden. Zum einen wären dem Antragsteller (bei Kenntnis der genauen Vorwürfe) insbesondere bei entsprechender Vorbereitungszeit in Kenntnis der Einzelheiten Gespräche mit den übrigen Vereinsmitgliedern, auch denjenigen, die zur Versammlung nicht erschienen sind, möglich gewesen, deren Ergebnisse möglicherweise die Willensbildung und somit die Stimmabgabe der übrigen Mitglieder beeinflusst hätten. Zum anderen hätte der Antragsteller die Versammlung bei Kenntnis der Einzelheiten zu den Vorwürfen und bei mehr (Vorbereitungs-) Zeit gewissenhafter vorbereiten und letztlich durch entsprechende Redebeiträge und Anträge in der Versammlung maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung und die Stimmabgabe der Mitglieder nehmen können. All dieses war ihm verwehrt. …“, vermag dieser Vortrag der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn schon dem Vorstandsbeschluss vom 17. September 2022 waren mehrfach Unstimmigkeiten zwischen dem Kläger und dem Vorstand sowie den Vereinsmitgliedern vorausgegangen, welche das Verhalten des Klägers, insbesondere die Verwendung von Vereinsvermögen zum Gegenstand hatten. Auch in der Berufungsverhandlung ist nicht ersichtlich geworden, dass in der Versammlung vom 22. Oktober 2022 neue Vorwürfe gegen den Kläger Gegenstand der Diskussion geworden wären. Auch wäre es dem Kläger mit der unstreitigen Übersendung des Protokolls des Vorstandes vom 17. September 2022 möglich gewesen, Kontakt zu jedem Mitglied des Beklagten – der Verein hat insgesamt nur 17 Mitglieder – aufzunehmen und mit diesen Gespräche zu führen. Davon hat der Kläger offensichtlich keinen Gebrauch gemacht, jedenfalls lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass er insoweit – vergebliche – Versuche unternommen hat.

Der Kläger kann eine Nichtigkeit des Beschlusses der außerordentlichen Mitgliederversammlung vom 22. Oktober 2022 auch nicht darauf stützen, dass kein wichtiger Grund für seine Abberufung vorläge. Gemäß § 27 Abs. 2 S. 2 BGB kann durch die Satzung vom Grundsatz der freien Widerruflichkeit der Vorstandsbestellung abgewichen und die Widerruflichkeit auf den Fall beschränkt werden, dass ein wichtiger Grund vorliegt. Eine solche Beschränkung sieht die Satzung des Beklagten nicht vor. Da der Kläger jedoch für eine bestimmte Amtszeit zum 2. Vorsitzenden bestimmt wurde, darf er grundsätzlich darauf vertrauen, während der laufenden Periode nicht ohne wichtigen Grund abberufen zu werden.

Ein wichtiger Grund für die Abberufung ist nach einhelliger Auffassung gegeben, wenn dem Verein eine Fortsetzung des Organverhältnisses mit dem Vorstandsmitglied bis zum Ende seiner Amtszeit nicht zugemutet werden kann (BeckOGK/Segna, 1.12.2022, BGB § 27 Rn. 4446.1; Staudinger/Schwennicke, 2019, Rn. 55; Soergel/Hadding Rn. 18; Wagner in Reichert/Schimke/Dauernheim Vereins- und VerbandsR-HdB Kap. 2 Rn. 2200). Ein solcher Fall liegt hier vor, weil das Verhältnis des Klägers zu den übrigen Vorstandsmitgliedern so gestört ist, dass eine konstruktive Zusammenarbeit ganz offensichtlich nicht mehr möglich ist. Dabei kommt es auf die Gründe für die Zerrüttung, die auch in der Berufungsverhandlung deutlich zu Tage getreten ist, nicht entscheidend an. Die Zerstörung der Vertrauensbeziehung im Vorstand war erkennbar Grund für die Absicht des Vorstandes des Beklagten, über die Abberufung des Klägers abstimmen zu lassen.

Auch der weitere Vortrag des Klägers, wonach die Verweigerung der Teilnahme und des Rederechts des gemäß § 11 Abs. 3 S. 3 der Satzung des Deutschen pp. e. V. von dessen Präsidium bevollmächtigte Herr Giersch in der Versammlung vom 22. Oktober 2022 zur Nichtigkeit der dort gefassten Beschlüsse führe, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Es ist nicht ersichtlich, dass die Verweigerung der Teilnahme und des Rederechts des Herrn pp.3 durch den Mangel der Ladung des Klägers zu der Mitgliederversammlung vom 22. Oktober 2022 verursacht wurde. Auch bildet diese Verweigerung keinen eigenständigen Grund für die Nichtigkeit des Beschlusses über die Abberufung des Klägers. Der Beklagte hat mit der Verweigerung zweifelsohne gegen seine Pflicht als Mitglied des Deutschen pp. e.V., dessen Vertreter in der Mitgliederversammlung ein Rederecht einzuräumen, verstoßen (§ 11 Abs. 3 S. 3 der Satzung des Deutschen pp. e. V). Daraus folgt aber nicht ohne Weiteres die Verletzung eines Mitgliedsrechts des Klägers.

Auch der Hauptantrag zu A 2.a), wonach der Beschluss des Beklagten aus der außerordentlichen Mitgliederversammlung vom 22. Oktober 2022, durch Nachwahl des 2. Vorsitzenden nunmehr Herrn pp.2 als neuen 2. Vorsitzenden des Berufungsbeklagten zu berufen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache keine Wirkungen entfalten soll, ist aus den vorgenannten Ausführungen unbegründet. Dies gilt auch für den Hauptantrag zu A 2.b).

Mit seinen Hilfsanträgen im Übrigen vermag der Kläger aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht durchzudringen.

Selbst unter Annahme des Vorliegens eines Verfügungsanspruches scheitert die Berufung jedenfalls daran, dass der Kläger einen Verfügungsgrund nicht glaubhaft gemacht hat, § 940 ZPO……“

Zustellung III: Öffentliche Zustellung, oder: Anordnung durch Beschluss, nicht nur durch Verfügung

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Die dritte Entscheidung, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.02.2021 – III-2 RVs 5/21 – befasst sich mit Fragen in Zusammenhang mit der öffentlichen Zustellung.

Der Angeklagte ist vom AG verurteilt worden. Die gegen das Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen, nachdem er in der Berufungshauptverhandlung ohne Entschuldigung ausgeblieben war.  Dagegen der Antrag des Angeklagaten, ihm wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Revision mit dem Antrag wegen Versäumung der einmonatigen Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Begründungsfrist gibt es, die beiden anderen Anträge bleiben ohne Erfolg. Hier nur die Ausführungen des OLG zur öffentlichen Zustellung:

„2. Die mangelnde Antragsbegründung ist allerdings unschädlich, wenn sich ein Wiedereinsetzungsgrund aus aktenkundigen Tatsachen ergibt. Denn aktenkundige Tatsachen brauchen nicht vorgetragen zu werden (vgl. BVerfG NJW 1995, 2544; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142, 143; MüKo-Valerius a.a.O. § 45 Rdn. 5). Der Wille des Angeklagten zur Fortführung des Verfahrens kommt bereits durch den Wiedereinsetzungsantrag, der (hier verspätet) mit anderen Erwägungen begründet wurde, eindeutig zum Ausdruck.

In der Rechtsprechung ist weitgehend anerkannt, dass in entsprechender Anwendung der §§ 329 Abs. 7 Satz 1, 44, 45 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch demjenigen gewährt werden kann, der nicht wirksam zum Termin der Berufungshauptverhandlung geladen wurde und deshalb zu Unrecht als säumig behandelt worden ist (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 521; OLG Hamburg NStZ-RR 2001, 302; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142; OLG Brandenburg BeckRS 2011, 8101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 329 Rdn. 41 m.w.N.).

Vorliegend ist zwar anhand der Akten ein Ladungsmangel festzustellen (dazu II.2.a). Dieser Ladungsmangel war jedoch nicht kausal für das Nichterscheinen des Angeklagten (dazu II.2.b), so dass eine Wiedereinsetzung auch unter diesem Gesichtspunkt ausscheidet.

a) Eine ladungsfähige Anschrift des Angeklagten, der nach dem erstinstanzlichen Urteil in die Türkei zurückgekehrt ist, war in dem Berufungsverfahren nicht bekannt. Das Landgericht hat daher die öffentliche Zustellung der Ladung angeordnet (§ 40 Abs. 1 StPO).

Dies ist lediglich in der Weise geschehen, dass die Vorsitzende der Strafkammer in der Ladungsverfügung betreffend den Angeklagten den Zusatz „gegen öffentliche Zustellung“ vermerkt hat. Die Anordnung der öffentlichen Zustellung erfordert indes gemäß § 37 Abs. 1 StPO, § 186 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Gerichtsbeschluss, der – jedenfalls kurz – zu begründen ist. Eine Verfügung des Vorsitzenden genügt nicht und macht die Zustellung unwirksam (vgl. OLG Hamm JMBl NRW 1958, 262; KMR-Ziegler, StPO, 102. Lfg. 2020, § 40 Rdn. 19; KK-Maul a.a.O. § 40 Rdn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 40 Rdn. 6).

b) Ein Ladungsmangel als solcher rechtfertigt jedoch noch nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung. Erforderlich ist darüber hinaus, dass der Ladungsmangel kausal für das Nichterscheinen des Angeklagten war (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2002, 142; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 380; NStZ-RR 2009, 314; OLG Brandenburg BeckRS 2011, 8101; OLG Frankfurt BeckRS 2015, 7902; KG BeckRS 2017, 134409). Der Ladungsmangel muss verhindert haben, dass der erscheinungswillige Angeklagte an der Verhandlung teilnehmen konnte. Es besteht kein Anlass, einem Angeklagten, der ohnehin nicht erscheinen wollte oder sich aus anderen Gründen an der Teilnahme gehindert sah, wegen eines Ladungsmangels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

An der erforderlichen Kausalität fehlt es hier. Der Verteidiger hat zu Beginn der Berufungshauptverhandlung erklärt, dass ihm der Angeklagte mitgeteilt habe, dass er sich noch in der Türkei befinde und heute nicht erscheinen werde. Diese Erklärung des Verteidigers impliziert, dass der Angeklagte – offenbar durch telefonischen Kontakt mit dem Verteidiger – sogar Kenntnis von dem Termin hatte. Der dem Angeklagten nicht bekannte Umstand, dass die öffentliche Zustellung statt durch einen Gerichtsbeschluss lediglich im Rahmen der Ladungsverfügung angeordnet wurde, war jedenfalls nicht ursächlich für sein Nichterscheinen.

Soweit das OLG Köln in einer jüngeren Entscheidung (NStZ-RR 2015, 317) bei einer wirksamen öffentlichen Zustellung nicht tragend als obiter dictum bemerkt hat, dass das Kausalitätserfordernis nicht für den Fall der öffentlichen Zustellung gelte, da ansonsten Ladungsmängel bei dieser Zustellungsform nahezu stets folgenlos blieben, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn das Instrument der Wiedereinsetzung dient nicht einer umfassenden Rechtskontrolle.

Um einen für das Nichterscheinen nicht kausalen Ladungsmangel erfolgreich beanstanden zu können, steht dem Angeklagten das Rechtsmittel der Revision zur Verfügung. Auf eine entsprechende Verfahrensrüge bleibt auch ein solcher Ladungsmangel nicht folgenlos, da ein Verwerfungsurteil, das nur bei ordnungsgemäßer Ladung hätte ergehen dürfen, bei einem Ladungsmangel der Aufhebung unterliegt, ohne dass es auf die Kausalität für das Nichterscheinen des Angeklagten ankommt.“

Im Übrigen: Verteidiger scheint ein „Künstler“ gewesen zu sein. 🙂

Verfahrensrüge III: Berufungsverwerfung (§ 329 StPO) wegen Ausbleibens, oder: Ladungsmangel

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Und zum Tagesschluss dann eine OLG-Entscheidung zur Verfahrensrüge bei/nach  Berufungsverwerfung (§ 329 Abs. 1 StPO). Es handelt sich um den OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.01.2021 – 1 Ss 221/20. Der Angeklagte hatte gegen das Verwerfungsurtel geltend gemacht, dass er nicht ordnungsgemäß geladen worden sei. Dazu dann das OLG, das die Verfahrensrüge als unzulässig angesehen hat:

„1. Die erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form entspricht.

Der Angeklagte rügt, nicht ordnungsgemäß geladen worden zu sein. Die ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten als Berufungsführer ist Voraussetzung für den Erlass eines Verwerfungsurteils nach § 329 Abs. 1 StPO. Das Fehlen dieser Voraussetzung kann vom Angeklagten im Revisionsverfahren nur mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Diese ist in der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO anzubringen. Danach müssen die den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und genau mitgeteilt werden, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsbegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.08.1995 – 2 Ss 72/95, NStZ-RR 1996, 245; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.01.2006 – 5 Ss 570/05, juris Rn. 8; KG, Urteil vom 16.06.2008 – 1 Ss 44/08, NStZ 2009, 111 f.). Erst dann, wenn die Revisionsschrift diesen Anforderungen gerecht wird, ist vom Revisionsgericht im Wege des Freibeweises zu prüfen, ob die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung ordnungsgemäß erfolgt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11.11.1986 – 1 StR 207/86, NJW 1987, 1776 <1777>; OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.2004 – 4 Ss 359/04, NStZ-RR 2005, 114; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.01.2006 – 5 Ss 570/05, juris Rn. 8).

Nach diesen Maßstäben ermöglicht die Revisionsschrift dem Senat nicht die Überprüfung der Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden.

Der Angeklagte begründet seine Revision lediglich damit, die Ladung zur Berufungshauptverhandlung nicht erhalten zu haben. Die Ladung sei seinerzeit der Drogenberatungsstelle (DROBS) in (…) zugestellt worden. Eine telefonische Nachfrage bei dieser Einrichtung habe ergeben, dass dort über den Erhalt eines solches Schreibens kein Buch geführt oder sonst der Eingang registriert werde. Daher könne nicht gesagt werden, ob der Angeklagte die Ladung erhalten habe. Auch die Tatsache, dass er seinerzeit im erstinstanzlichen Verfahren die Ladung über die DROBS tatsächlich erhalten habe, rechtfertige nicht den Schluss, dass dies im Berufungsverfahren ebenfalls geschehen sei. An seinem Fernbleiben im Termin treffe den Angeklagten mithin keine Schuld.

Diese Angaben sind zur Darlegung eines Ladungsmangels unzureichend.

Wird für die Ladung der zwar nicht gesetzlich vorgeschriebene, aber in Nr. 117 Abs. 1 Satz 1 RiStBV empfohlene Weg der Zustellung gewählt und erfolgt diese in Form der Ersatzzustellung, dann ist es für die Wirksamkeit einer ordnungsgemäßen Ladung als Voraussetzung für ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO ohne Belang, ob der Angeklagte das Schriftstück tatsächlich erhalten und zur Kenntnis genommen hat; es genügt, dass ihm in einer den Anforderungen verfahrens-, insbesondere zustellungsrechtlicher Vorschriften genügenden Weise Gelegenheit dazu gegeben worden ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.08.1995 – 2 Ss 72/95, NStZ-RR 1996, 245).

Letzteres ist hier der Fall. Die Ladung zur Berufungshauptverhandlung erfolgte ausweislich der Postzustellungsurkunde an den Angeklagten unter der Anschrift der DROBS in (…) durch Übergabe der Terminsladung an einem zum Empfang berechtigten Vertreter dieser Gemeinschaftseinrichtung, nachdem der Angeklagte selbst dort nicht angetroffen werden konnte. Damit liegen im Ausgangspunkt die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Ersatzzustellung gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vor. Etwas Anderes würde nur dann gelten, wenn der Angeklagte in dieser Einrichtung im Zeitpunkt der Zustellung nicht seinen räumlichen Lebensmittelpunkt gehabt (vgl. vgl. OLG Köln, Beschluss vom 12.06.2018 – 1 RVs 107/18, StraFo 2019, 21), dort also weder gelebt noch insbesondere geschlafen hätte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.2004 – 4 Ss 359/04, NStZ-RR 2005, 114; Schultzky, in: Zöller, ZPO33, § 178 Rn. 20).

Hierzu verhält sich die Revisionsbegründung indes mit keinem Wort, obwohl die vorliegende Fallgestaltung gerade Gegenteiliges nahelegt: So ist der Angeklagte bereits in erster Instanz unter der Adresse der DROBS geladen worden. Der sodann im Termin vor dem Amtsgericht erschienene Angeklagte hat ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls gegenüber dem Gericht ausdrücklich erklärt, unter dieser Adresse wohnhaft zu sein und dort ein Postfach zu haben. Daher durfte das Landgericht Aurich im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung mangels anderweitiger – jedenfalls im Rahmen der Revision nicht vorgetragener weiterer – Erkenntnisse ohne weiteres davon ausgehen, dass der Angeklagte über die Adresse der DROBS wirksam geladen werden konnte. Mit anderen Worten, angesichts der Tatsache, dass der (erst- wie zweitinstanzlichen) Postzustellungsurkunde bei der Ersatzzustellung hinsichtlich des tatsächlichen Lebensmittelpunkts des Adressaten zwar nicht die volle Beweiskraft des § 418 ZPO, immerhin aber eine Indizwirkung zukommt, hätte diese Wirkung auch im Rechtsmittelverfahren – wie hier – im Fall der Geltendmachung nicht offen- oder aktenkundiger Ladungsmängel durch die schlüssige und plausible Darlegung konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte entkräftet werden müssen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.01.2003 – 5 Ws 75/02, juris Rn. 5 f.).

Vor diesem Hintergrund reicht die bloße Behauptung, dass der Eingang der Ladung bei der DROBS nicht registriert und diese auch nicht an ihn weitergeleitet worden sei, als Revisionsvorbringen nicht aus, was zur Folge hat, dass die Verfahrensrüge insgesamt unzulässig ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.2004 – 4 Ss 359/04, NStZ-RR 2005, 114 <115>).“