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Zustellung III: Öffentliche Zustellung, oder: Anordnung durch Beschluss, nicht nur durch Verfügung

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Die dritte Entscheidung, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.02.2021 – III-2 RVs 5/21 – befasst sich mit Fragen in Zusammenhang mit der öffentlichen Zustellung.

Der Angeklagte ist vom AG verurteilt worden. Die gegen das Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen, nachdem er in der Berufungshauptverhandlung ohne Entschuldigung ausgeblieben war.  Dagegen der Antrag des Angeklagaten, ihm wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Revision mit dem Antrag wegen Versäumung der einmonatigen Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Begründungsfrist gibt es, die beiden anderen Anträge bleiben ohne Erfolg. Hier nur die Ausführungen des OLG zur öffentlichen Zustellung:

„2. Die mangelnde Antragsbegründung ist allerdings unschädlich, wenn sich ein Wiedereinsetzungsgrund aus aktenkundigen Tatsachen ergibt. Denn aktenkundige Tatsachen brauchen nicht vorgetragen zu werden (vgl. BVerfG NJW 1995, 2544; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142, 143; MüKo-Valerius a.a.O. § 45 Rdn. 5). Der Wille des Angeklagten zur Fortführung des Verfahrens kommt bereits durch den Wiedereinsetzungsantrag, der (hier verspätet) mit anderen Erwägungen begründet wurde, eindeutig zum Ausdruck.

In der Rechtsprechung ist weitgehend anerkannt, dass in entsprechender Anwendung der §§ 329 Abs. 7 Satz 1, 44, 45 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch demjenigen gewährt werden kann, der nicht wirksam zum Termin der Berufungshauptverhandlung geladen wurde und deshalb zu Unrecht als säumig behandelt worden ist (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 521; OLG Hamburg NStZ-RR 2001, 302; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142; OLG Brandenburg BeckRS 2011, 8101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 329 Rdn. 41 m.w.N.).

Vorliegend ist zwar anhand der Akten ein Ladungsmangel festzustellen (dazu II.2.a). Dieser Ladungsmangel war jedoch nicht kausal für das Nichterscheinen des Angeklagten (dazu II.2.b), so dass eine Wiedereinsetzung auch unter diesem Gesichtspunkt ausscheidet.

a) Eine ladungsfähige Anschrift des Angeklagten, der nach dem erstinstanzlichen Urteil in die Türkei zurückgekehrt ist, war in dem Berufungsverfahren nicht bekannt. Das Landgericht hat daher die öffentliche Zustellung der Ladung angeordnet (§ 40 Abs. 1 StPO).

Dies ist lediglich in der Weise geschehen, dass die Vorsitzende der Strafkammer in der Ladungsverfügung betreffend den Angeklagten den Zusatz „gegen öffentliche Zustellung“ vermerkt hat. Die Anordnung der öffentlichen Zustellung erfordert indes gemäß § 37 Abs. 1 StPO, § 186 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Gerichtsbeschluss, der – jedenfalls kurz – zu begründen ist. Eine Verfügung des Vorsitzenden genügt nicht und macht die Zustellung unwirksam (vgl. OLG Hamm JMBl NRW 1958, 262; KMR-Ziegler, StPO, 102. Lfg. 2020, § 40 Rdn. 19; KK-Maul a.a.O. § 40 Rdn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 40 Rdn. 6).

b) Ein Ladungsmangel als solcher rechtfertigt jedoch noch nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung. Erforderlich ist darüber hinaus, dass der Ladungsmangel kausal für das Nichterscheinen des Angeklagten war (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2002, 142; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 380; NStZ-RR 2009, 314; OLG Brandenburg BeckRS 2011, 8101; OLG Frankfurt BeckRS 2015, 7902; KG BeckRS 2017, 134409). Der Ladungsmangel muss verhindert haben, dass der erscheinungswillige Angeklagte an der Verhandlung teilnehmen konnte. Es besteht kein Anlass, einem Angeklagten, der ohnehin nicht erscheinen wollte oder sich aus anderen Gründen an der Teilnahme gehindert sah, wegen eines Ladungsmangels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

An der erforderlichen Kausalität fehlt es hier. Der Verteidiger hat zu Beginn der Berufungshauptverhandlung erklärt, dass ihm der Angeklagte mitgeteilt habe, dass er sich noch in der Türkei befinde und heute nicht erscheinen werde. Diese Erklärung des Verteidigers impliziert, dass der Angeklagte – offenbar durch telefonischen Kontakt mit dem Verteidiger – sogar Kenntnis von dem Termin hatte. Der dem Angeklagten nicht bekannte Umstand, dass die öffentliche Zustellung statt durch einen Gerichtsbeschluss lediglich im Rahmen der Ladungsverfügung angeordnet wurde, war jedenfalls nicht ursächlich für sein Nichterscheinen.

Soweit das OLG Köln in einer jüngeren Entscheidung (NStZ-RR 2015, 317) bei einer wirksamen öffentlichen Zustellung nicht tragend als obiter dictum bemerkt hat, dass das Kausalitätserfordernis nicht für den Fall der öffentlichen Zustellung gelte, da ansonsten Ladungsmängel bei dieser Zustellungsform nahezu stets folgenlos blieben, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn das Instrument der Wiedereinsetzung dient nicht einer umfassenden Rechtskontrolle.

Um einen für das Nichterscheinen nicht kausalen Ladungsmangel erfolgreich beanstanden zu können, steht dem Angeklagten das Rechtsmittel der Revision zur Verfügung. Auf eine entsprechende Verfahrensrüge bleibt auch ein solcher Ladungsmangel nicht folgenlos, da ein Verwerfungsurteil, das nur bei ordnungsgemäßer Ladung hätte ergehen dürfen, bei einem Ladungsmangel der Aufhebung unterliegt, ohne dass es auf die Kausalität für das Nichterscheinen des Angeklagten ankommt.“

Im Übrigen: Verteidiger scheint ein „Künstler“ gewesen zu sein. 🙂

Verfahrensrüge III: Berufungsverwerfung (§ 329 StPO) wegen Ausbleibens, oder: Ladungsmangel

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Und zum Tagesschluss dann eine OLG-Entscheidung zur Verfahrensrüge bei/nach  Berufungsverwerfung (§ 329 Abs. 1 StPO). Es handelt sich um den OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.01.2021 – 1 Ss 221/20. Der Angeklagte hatte gegen das Verwerfungsurtel geltend gemacht, dass er nicht ordnungsgemäß geladen worden sei. Dazu dann das OLG, das die Verfahrensrüge als unzulässig angesehen hat:

„1. Die erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form entspricht.

Der Angeklagte rügt, nicht ordnungsgemäß geladen worden zu sein. Die ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten als Berufungsführer ist Voraussetzung für den Erlass eines Verwerfungsurteils nach § 329 Abs. 1 StPO. Das Fehlen dieser Voraussetzung kann vom Angeklagten im Revisionsverfahren nur mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Diese ist in der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO anzubringen. Danach müssen die den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und genau mitgeteilt werden, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsbegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.08.1995 – 2 Ss 72/95, NStZ-RR 1996, 245; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.01.2006 – 5 Ss 570/05, juris Rn. 8; KG, Urteil vom 16.06.2008 – 1 Ss 44/08, NStZ 2009, 111 f.). Erst dann, wenn die Revisionsschrift diesen Anforderungen gerecht wird, ist vom Revisionsgericht im Wege des Freibeweises zu prüfen, ob die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung ordnungsgemäß erfolgt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11.11.1986 – 1 StR 207/86, NJW 1987, 1776 <1777>; OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.2004 – 4 Ss 359/04, NStZ-RR 2005, 114; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.01.2006 – 5 Ss 570/05, juris Rn. 8).

Nach diesen Maßstäben ermöglicht die Revisionsschrift dem Senat nicht die Überprüfung der Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden.

Der Angeklagte begründet seine Revision lediglich damit, die Ladung zur Berufungshauptverhandlung nicht erhalten zu haben. Die Ladung sei seinerzeit der Drogenberatungsstelle (DROBS) in (…) zugestellt worden. Eine telefonische Nachfrage bei dieser Einrichtung habe ergeben, dass dort über den Erhalt eines solches Schreibens kein Buch geführt oder sonst der Eingang registriert werde. Daher könne nicht gesagt werden, ob der Angeklagte die Ladung erhalten habe. Auch die Tatsache, dass er seinerzeit im erstinstanzlichen Verfahren die Ladung über die DROBS tatsächlich erhalten habe, rechtfertige nicht den Schluss, dass dies im Berufungsverfahren ebenfalls geschehen sei. An seinem Fernbleiben im Termin treffe den Angeklagten mithin keine Schuld.

Diese Angaben sind zur Darlegung eines Ladungsmangels unzureichend.

Wird für die Ladung der zwar nicht gesetzlich vorgeschriebene, aber in Nr. 117 Abs. 1 Satz 1 RiStBV empfohlene Weg der Zustellung gewählt und erfolgt diese in Form der Ersatzzustellung, dann ist es für die Wirksamkeit einer ordnungsgemäßen Ladung als Voraussetzung für ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO ohne Belang, ob der Angeklagte das Schriftstück tatsächlich erhalten und zur Kenntnis genommen hat; es genügt, dass ihm in einer den Anforderungen verfahrens-, insbesondere zustellungsrechtlicher Vorschriften genügenden Weise Gelegenheit dazu gegeben worden ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.08.1995 – 2 Ss 72/95, NStZ-RR 1996, 245).

Letzteres ist hier der Fall. Die Ladung zur Berufungshauptverhandlung erfolgte ausweislich der Postzustellungsurkunde an den Angeklagten unter der Anschrift der DROBS in (…) durch Übergabe der Terminsladung an einem zum Empfang berechtigten Vertreter dieser Gemeinschaftseinrichtung, nachdem der Angeklagte selbst dort nicht angetroffen werden konnte. Damit liegen im Ausgangspunkt die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Ersatzzustellung gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vor. Etwas Anderes würde nur dann gelten, wenn der Angeklagte in dieser Einrichtung im Zeitpunkt der Zustellung nicht seinen räumlichen Lebensmittelpunkt gehabt (vgl. vgl. OLG Köln, Beschluss vom 12.06.2018 – 1 RVs 107/18, StraFo 2019, 21), dort also weder gelebt noch insbesondere geschlafen hätte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.2004 – 4 Ss 359/04, NStZ-RR 2005, 114; Schultzky, in: Zöller, ZPO33, § 178 Rn. 20).

Hierzu verhält sich die Revisionsbegründung indes mit keinem Wort, obwohl die vorliegende Fallgestaltung gerade Gegenteiliges nahelegt: So ist der Angeklagte bereits in erster Instanz unter der Adresse der DROBS geladen worden. Der sodann im Termin vor dem Amtsgericht erschienene Angeklagte hat ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls gegenüber dem Gericht ausdrücklich erklärt, unter dieser Adresse wohnhaft zu sein und dort ein Postfach zu haben. Daher durfte das Landgericht Aurich im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung mangels anderweitiger – jedenfalls im Rahmen der Revision nicht vorgetragener weiterer – Erkenntnisse ohne weiteres davon ausgehen, dass der Angeklagte über die Adresse der DROBS wirksam geladen werden konnte. Mit anderen Worten, angesichts der Tatsache, dass der (erst- wie zweitinstanzlichen) Postzustellungsurkunde bei der Ersatzzustellung hinsichtlich des tatsächlichen Lebensmittelpunkts des Adressaten zwar nicht die volle Beweiskraft des § 418 ZPO, immerhin aber eine Indizwirkung zukommt, hätte diese Wirkung auch im Rechtsmittelverfahren – wie hier – im Fall der Geltendmachung nicht offen- oder aktenkundiger Ladungsmängel durch die schlüssige und plausible Darlegung konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte entkräftet werden müssen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.01.2003 – 5 Ws 75/02, juris Rn. 5 f.).

Vor diesem Hintergrund reicht die bloße Behauptung, dass der Eingang der Ladung bei der DROBS nicht registriert und diese auch nicht an ihn weitergeleitet worden sei, als Revisionsvorbringen nicht aus, was zur Folge hat, dass die Verfahrensrüge insgesamt unzulässig ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.2004 – 4 Ss 359/04, NStZ-RR 2005, 114 <115>).“