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StPO I: Durchsuchung wegen „Anti-Merz-Schmiererei“, oder: Inhalt des AG-Beschlusses überrascht mich nicht

© Rawpixel.com – Fotolia.deUnd dann heute hier ein StPO-Tag.

Den eröffne ich mit zwei Entscheidungen, die auch gestern gut gepasst hätten. Es geht nämlich in den Entscheidungen auch um eine Durchsuchung. Aber – ich will es mal vorsichtig ausdrücken: Es ist nicht einfach eine „Feld-Wald und Wiesen-Durchsuchung“, sondern schon eine mit etwas – oder auch etwas mehr – Brisanz.

Es geht nämlich um eine Durchsuchung, die vom AG Arnsberg am 28.02.2025 angeordnet worden ist, und zwar gegen die (damals) 17-jährige Juso-Vorsitzende in Menden. Grund für die Durchsuchung war der Vorwurf der Sachbeschädigung durch Besprühen/Bemalen von Wänden und Wahlplakaten vor einer Veranstaltung mit dem damaligen Kanzlerkandidaten Merz. Die angeordnete Durchsuchung ist auf der Grundlage dieses AG Arnsberg, Beschl. v. 28.02.2025 – 5 Gs 736/25 – durchgeführt worden. Inzwischen hat dann das LG Arnsberg mit dem LG Arnsberg, Beschl. v. 01.08.2025 – 2 Qs 10/25 – die Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses festgestellt.

So weit, so gut. Nein, eben nicht. Denn seitdem der Beschluss des LG Arnsberg bekannt worden ist, rauscht es im deutschen Blätterwald = jede (Tages)Zeitung und auch die ARD haben in ihren Onlineportalen berichtet. Das liegt aber nun m.E. nicht an den Beschlüssen, sondern wohl eher an den beteiligten Personen: Nämlich der jetzige Bundeskanzler Merz, eine Juso-Vorsitzende und vor allem wohl der „Vorsteherin“ des AG Merz – gemeint ist wohl die Direktorin des AG Arnsberg – der Ehefrau von Friedrich Merz. Da wittert man (?) natürlich eine Einflussnahme und ruft – zumindest indirekt – „Skandal, Skandal….“. Wer mehr lesen möchte, einfach mal googeln 🙂 .

Und das hat dann mein Interesse geweckt im Hinblick auf eine Berichterstattung hier im Blog  betreffend „Graffiti in Arnsberg“ – meinetwegen auch (angebliche) Causa Merz – und ich wollte wissen, was ist denn nun dran an dem aufgeregten „Geschnatter“.  Wir alle wissen, wie heute berichtet wird und ich möchte eben immer das Original eines Beschlusses lesen und nicht das, was irgendwelche Reporter berichten. Das ist leider häufig „gefärbt“, je nachdem, „welcher Seite“ man mehr zuneigt. Leider haben aber alle Quellen nur allgemein berichtet, also ohne die Aktenzeichen. Ich habe aber trotzdem mal um die Volltexte der Beschlüsse beim LG Arnsberg gebeten. Und ich war mehr überrascht, dass ich die nach fünf (sic!) Minuten im Postfach hatte.  Nochmals besten Dank nach Arnsberg.

Und somit kann ich dann heute berichten. Vorab zur Klarstellung: Mir geht es nicht um einen weiteren Bericht der Marke „Skandal, Skandal“. Zwar wird derzeit überall Frau Merz als „Vorsteherin“ des AG Arnsberg genannt – ok, sie ist dort Direktorin – aber das allein macht die Sache ja nun nicht zu einem Skandal. Das ist mir letztlich egal, da die Fragen m.E. eh derzeit wohl niemand sicher beurteilen kann und in meinen Augen häufig nur eine „Verbindung“ oder Einflussnahme insinuiert wird.

Ich stelle dann hier – um jeden Vorwurf der „Beschneidung“ auszuschließen – entgegen den sonstigen Gepflogenheiten von beiden Beschlüssen die vollständigen Gründe ein, auch wenn der Beitrag dadurch ein wenig länger wird.

Hier zunächst der AG Arnsberg, Beschl. v. 28.02.2025 – 5 Gs 736/25:

„Die Beschuldigte ist verdächtig, gemeinschaftlich mit einem Komplizen in der Nacht vom 25. auf den 26.01.2025 in F. zahlreiche Sachbeschädigungen begangen zu haben. Einerseits wurden im Tatzeitraum Wände und Wahlplakate im Bereich der Schützenhalle F-N besprüht / bemalt, andererseits entstanden in diesem Tatzeitraum zahlreiche gleich gelagerte Sachbeschädigungen im F-ner Stadtteil „Y-Straße“. Diese Sachbeschädigungen sind thematisch gleichlautend linkspolitisch bis linksextrem gerichtet, darüber hinaus gleichen sie sich auch in Farbauftrag und Schriftbild. Parallel dazu wurden im selben Tatzeitraum und an den gleichen Tatörtlichkeiten linkspolitische Parolen mittels schwarzer Farbe aufgetragen.

Es wird daher von einer gemeinschaflich begangenen Tatserie ausgegangen.

Am Folgetag, dem 26.01.2025, fand in der Schützenhalle F-N eine Wahlkampfveranstaltung des E-Partei-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz statt. Einige der aufgesprühten / gemalten Parolen im Bereich der Schützenhalle nehmen direkten Bezug auf Herrn Merz und die E-Partei.

Der Kl Staatsschutz in M liegen Zeugenhinweise vor, die eine männliche und eine weibliche Person, im Alter von 20-25 Jahren, zur Tatzeit in Tatortnähe an der Schützenhalle F-N gesehen haben. Die Personen trugen eine größere Einkaufstasche mit der Aufschrift „Z“. Es wird vermutet, dass hierin entsprechende Tatmittel mitgeführt wurden. Eine Tatausführung selbst wurde nicht beobachtet.

Weiterhin liegt ein anonymes Schreiben vor, das direkten Bezug auf die Serie an Sachbeschädigungen nimmt. Dieses Schreiben ist versehen mit dem namentlichen Hinweis auf die beiden hier Tatverdächtigen. Es handelt sich hierbei um eine männliche und eine weibliche Person im mit den Zeugenfeststellungen korrespondierenden Alter.

Die Beschuldigte E ist Mitglied der F-ner Jungsozialisten und kann somit zumindest dem gemäßigt linken Spektrum zugeordnet werden.

Die Tatverdächtige wohnt bei ihren Eltern im H.-straße, nur wenige Gehminuten von der Tatörtlichkeit in F-N entfernt.

Nach den bisherigen Ermittlungen ist zu vermuten, dass die Durchsuchung zur Auf-findung von Beweismitteln, die für die Ermittlungen von Bedeutung sind, führen wird.“

Und dann die Beschwerdeentscheidung im LG Arnsberg, Beschl. v. 01.08.2025 – 2 Qs 10/25:

„I.

Die Staatsanwaltschaft C führt ein Ermittlungsverfahren gegen die zur Tatzeit 17jährige Beschwerdeführerin und einen weiteren heranwachsenden Beschuldigten. Dem Verfahren liegt im Wesentlichen der folgende Sachverhalt zugrunde:

In der Nacht auf den 26.01.2025 tauchten an verschiedenen Orten im F. Stadtteil Y.-straße Graffitis in einer ähnlichen Farbgebung (schwarz und rot) und einem ähnlichen Schriftbild, die inhaltlich der W. zuzuordnen sind. In derselben Nacht wurden am Bürger- und Schützenheim im Stadtteil N., in welchem am Folgetag eine Wahlkampfveranstaltung mit dem Kanzlerkandidaten der E-Partei, Friedrich Merz, stattfinden sollte, Parolen mit Bezug zur E-Partei und ihrem Kanzlerkandidaten aufgebracht („FCK CDU“, „GEH WEG, FASCHO-FRITZ“, „HAU AB MERZ“, „GEGEN DIE POLITIK DER REICHEN UND RECHTEN!“, „#NIE WIEDER CDU! ANTIFA in die OFFENSIVE“, „GANZ MENDEN HASST DIE CDU“).

Vergleichbare Sprüche fanden sich auf Wahlplakaten und Verteilerkästen in der näheren Umgebung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Lichtbildmappe BL. 62 ff. d.A. verwiesen.

Hinweise auf Tatverdächtige ergaben sich zunächst nicht. Ausweislich ihrer polizeilichen Vernehmung beobachtete die Zeugin D. in der Tatnacht um etwa 00:15 Uhr zwei Personen im Alter von etwa 20 bis 25 Jahren, im räumlicher Nähe zu dem Schützenheim. Hierbei soll es sich nach ihrer Beschreibung um eine Frau mit hellen Haaren und einen Mann mit dunkleren Haaren handeln (Vermerk des Polizeibeamten R. Bl. 22 d.A.). In der Vernehmung gab die Zeugin an, Der Mann habe eine Tragetasche mit Aufdruck des Discounters „Z.“ bei sich gehabt. Die Frau sei blond und dick angezogen gewesen, sie habe sie „nicht so gut gesehen“, da sie hinter dem Mann gegangen sei. Die Zeugin ergänzte: „Ich konnte mir die Gesichter nicht merken.“

Am 10.02.2025 erreichte das Polizeipräsidium M. ein maschinengeschriebenes anonymes Schreiben mit folgendem Inhalt:

„Farbschmierereien an der Schützenhalle in F. (Y) [sic!] am 16.01.2025 Hinweise:

Nehmen Sie für Ihre Ermittllungen bitte unbedingt folgende beiden [sic!] Personen ins Visier: E. und C. Diese Mitteilung dient Aufklärungszwecken.“

Die Polizei recherchierte zu den Personen in den polizeilichen Datenbanken und in allgemein zugänglichen Quellen. Zu der Beschwerdeführerin lagen keine polizeilichen Erkenntnisse vor. Die Internet-Recherche ergab ausweislich des Vermerks des Polizeibeamten KOK Q. lediglich, dass die Beschwerdeführerin Mitglied in der Jugendorganisation der U-Partei („V“) ist.

Hinsichtlich des weiteren Beschuldigter ergaben sich Hinweise, er habe in K. schon einmal Sticker der W. geklebt, sei 2019 für „Fridays for future“ aktiv gewesen und eine zumindest namensgleiche Person habe in X. Bezug zur Partei „F-Partei“.

In welcher Verbindung die beiden Beschuldigten zueinander standen, wurde nicht ermittelt. Auf einer von dem Mitteiler J. übermittelten Liste von Personen, die angeblich in F der W. angehören, befanden sich die Namen der Beschuldigten nicht.

Auf dieser Grundlage regte die Polizei bei dem Amtsgericht C den Erlass entsprechender Durchsuchungsbeschlüsse an. In dem polizeilichen Vermerk (Bl. 83 d.A.) teilt KOK Q. mit: „Die Staatsanwaltschaft C, StA S., stimmt der Durchsuchung nach Sachvortrag zu und stellt einen entsprechenden Antrag im Sinne der Anregung.“ Ein Antrag der Staatsanwaltschaft ist in den Akten weder schriftlich noch mündlich dokumentiert. Eine Nachfrage des Berichterstatters bei dem befassten Ermittlungsrichter ergab, dass dieser keinen unmittelbaren Kontakt mit dem ermittelnden Staatsanwalt hatte.

Das Amtsgericht hat den Beschluss antragsgemäß erlassen. Auf die gerichtliche Entscheidung wird wegen der Gründe, welche im Wesentlichen der polizeilichen Anregung entsprechen, Bezug genommen.

Am 01.04.2025 fand die genehmigte Durchsuchung im Wohnhaus der Beschuldigten und ihrer Eltern statt.

Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin bezweifelt die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung. Sie führt im Wesentlichen aus, gegen sie habe kein die Schwere des Rechtsgutseingriffs tragender Tatverdacht vorgelegen. Dieser sei von der Polizei geradezu konstruiert. Anonymen Hinweisen sei mit großer Skepsis zu begegnen. Vielmehr entstehe der Eindruck, sie solle wegen ihres politischen Hintergrundes in den Fokus genommen werden. Das Amtsgericht habe eine falsche Verdächtigung nicht erwogen. Im Übrigen rügt sie die Art und Weise der Durchsuchung und die Beteiligung des Kriminalbeamten R., der für die E-Partei ein öffentliches Amt bekleide und in dieser Funktion wegen des Sachverhalts in der Presse abgelichtet gewesen sei.

Ergänzend führt sie aus, die vorliegenden vagen Anhaltspunkte rechtfertigten keinen Anfangsverdacht im Sinne des § 102 StPO gegen sie. Es treffe nicht einmal zu, dass sie hellere Haare als der weitere Beschuldigte habe.

Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf die Beschwerdeschrift vom 03.04.2025 und die Ergänzung vom 09.07.2025 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet.

Die Beschwerde ist vorliegend weiterhin zulässig. Denn es besteht ein Interesse der Beschwerdeführerin an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach deren Erledigung. Es handelt sich bei der Wohnungsdurchsuchung um einen tiefgreifenden Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG.

Zu Recht rügt die Beschwerdeführerin die Annahme eines gegen sie gerichteten Tatverdachts auf der Grundlage der im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung vorliegenden Ermittlungsergebnisse.

Verdächtiger ist diejenige Person, von der aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte oder kriminalistischer Erfahrungen angenommen werden kann, dass sie als Täter oder Teilnehmer (nicht aber nur als notwendiger Teilnehmer) einer verfolgbaren Straftat in Betracht kommt. Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn die Maßnahme setzt bereits einen Verdacht voraus. Erforderlich ist somit der personenbezogene, qualifizierte Anfangsverdacht einer Straftat, also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass der Verdächtige eine bestimmte Straftat begangen hat. Im Gegensatz zu § 103 ist bereits die begründete Aussicht, relevante Beweismittel zu finden, ausreichend, nicht jedoch vage Anhaltspunkte. Auch bloße Vermutungen, zB aufgrund mehrerer einschlägiger Vorahndungen des Beschuldigten, genügen nicht. Ein ausreichender konkreter Verdacht kann allein durch die Angaben eines Zeugen begründet werden, wenn weitere Ermittlungen den Tatverdacht weder erhärten noch entkräften konnten, es sei denn es handelt sich um eine augenscheinliche Falschbelastung (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 102 Rn. 8, beck-online).

Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – hingegen nicht (BGH, Beschl. v. 12.8.2015 − 5 StB 8/15, NStZ 2016, 370, beck-online).

Erhöhte Anforderungen an die Begründung des Tatverdachts ergeben sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, insbesondere durch pauschale Angaben in einer anonymen Anzeige oder von zweifelhaften Zeugen. Bei der Begründung des für eine Durchsuchung erforderlichen, auf konkreten Tatsachen beruhenden Anfangsverdachts sind Angaben anonymer Hinweisgeber als Verdachtsquelle nicht generell ausgeschlossen; als Grundlage für eine stark in Grundrechtspositionen eingreifende Zwangsmaßnahme wie eine Durchsuchung kann eine anonyme Aussage aber nur genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wurde (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 102 Rn. 12, beck-online).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG Beschl. v. 14.7.2016 – 2 BvR 2474/14, BeckRS 2016, 50709, beck-online) sind Angaben anonymer Hinweisgeber als Verdachtsquelle zur Aufnahme weiterer Ermittlungen dabei nicht generell ausgeschlossen. Ein solcher pauschaler Ausschluss widerspräche dem zentralen Anliegen des Strafverfahrens, nämlich der Ermittlung der materiellen Wahrheit in einem justizförmigen Verfahren als Voraussetzung für die Gewährleistung des Schuldprinzips. Bei anonymen Anzeigen müssen die Voraussetzungen des § 102 StPO im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten aber wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung besonders sorgfältig geprüft werden. Bei der Prüfung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeitsabwägung sind insbesondere der Gehalt der anonymen Aussage sowie etwaige Gründe für die Nichtoffenlegung der Identität der Auskunftsperson in den Blick zu nehmen; als Grundlage für eine stark in Grundrechtspositionen eingreifende Zwangsmaßnahme wie eine Durchsuchung kann eine anonyme Aussage nur genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist (BVerfG, aaO., Rn. 15-17).

Gemessen hieran lagen keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor, welche die Annahme eines Anfangsverdachts gegen die Beschwerdeführerin zu rechtfertigen vermocht hätten:

Die Aussage der Zeugin D. ist zur Personifizierung von Beschuldigten ersichtlich nicht geeignet, da diese eine allenfalls vage Personenbeschreibung abgibt und nicht in der Lage ist, die von ihr beobachteten Tatverdächtigen zu identifizieren.

Das anonyme Hinweisschreiben reicht zur Annahme eines Verdachts gegen die Beschwerdeführerin nicht aus. Der Hinweis hat keinerlei sachliche Qualität. Denn er geht über die bloße Nennung zweier Personen mit dem Ziel, die Ermittlungen gegen sie zu richten, nicht hinaus. Die anonymen Angaben enthalten keinerlei Anknüpfungstatsachen, aus denen der unbekannte Mitteiler seine Anschuldigungen herleitet. Es kann daher nach Auffassung der Kammer nicht ohne weiteres von einer zutreffenden Belastung ausgegangen werden. Eine falsche Verdächtigung kann nicht ausgeschlossen werden. Im Ergebnis stellt sich der Inhalt des Schreibens für die Ermittlungsbehörden als bloße Vermutung dar.

Auch die weiteren Ermittlungsergebnisse liefern keine tatsächlichen Anhaltspunkte, welche geeignet wären, den anonym erhobenen Verdacht gegen die Beschwerdeführerin zu bestätigen. Den Angaben der Zeugin D. und dem anonymen Schreiben ist einzig die Tatsache gemein, dass es sich um eine männliche und eine weibliche Person handelt. Dieses Merkmal ist jedoch so allgemein, dass es zur Annahme eines konkreten Verdachts nicht ausreicht. Zudem weist die Beschwerdeführerin darauf hin, dass die Beschreibung der weiblichen Person durch die Zeugin nicht ohne weiteres auf sie zutrifft. Die politische Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zur Jugendorganisation einer konkurrierenden demokratischen Partei rechtfertigt in keiner Weise die Annahme, die Beschwerdeführerin werde aufgrund ihrer politischen Ansichten Straftaten begehen. Hierfür spricht insbesondere nicht der Umstand, dass die V wegen ihrer inhaltlichen Kritik an den Positionen des Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zu einer politischen Demonstration anlässlich des Wahlkampftermins in F aufgerufen haben. Die Beschwerdeführerin ist polizeilich bisher nie in Erscheinung getreten.

Die Kammer weist ergänzend darauf hin, dass es nach ihrer Auffassung bei Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses der Antrag der Staatsanwaltschaft aktenkundig zu machen ist, und zwar entweder durch die Staatsanwaltschaft selbst (schriftlicher Antrag oder Vermerk über einen fernmündlichen Antrag beim zuständigen Ermittlungsrichter) oder durch den befassten Ermittlungsrichter (Vermerk über ein Telefonat mit dem Staatsanwalt). Die bloße Übermittlung einer gegenüber der Polizei geäußerten Absicht der Staatsanwaltschaft, einen solchen Antrag stellen zu wollen, erscheint der Kammer rechtsstaatlich bedenklich. Denn der Ermittlungsrichter entscheidet auf Antrag der Staatsanwaltschaft, Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind hingegen nicht antragsbefugt. Deren Anträge an das Gericht können lediglich als Anregung für eine richterliche Nothandlung nach § 165 StPO ausgelegt werden (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 105 Rn. 6, beck-online).“

Was ist dazu jetzt zu sagen? Nun: Ich hatte dem LG Arnsberg mitgeteilt, dass ich nur Interesse an dem Text des Beschlusses des LG Arnsberg und ggf. dem des AG Arnsberg habe. Und: „Und wenn die Begründung des AG „dünn“ war, überrascht mich das nicht. Der Makel haftet vielen Durchsuchungsbeschlüssen an.“ Und genauso ist es. Das was, das AG da geschrieben hat, überrascht nicht. Es reicht einfach für die Anordnung einer Durchsuchung – egal gegen wen und warum – nicht aus. Das liest man so oder ähnlich knapp dann aber leider doch in vielen Fällen. Die Rechtsprechung des BVerfG und vieler LG, die das häufig zumindest nachträglich feststellen, ist der deutliche Beweis. Das ist ggf. ein „Skandal“, über den man reden und berichten muss. Alles andere, was in den Berichten, die ich gelesen habe – ich habe nicht alle gelesen (sic!) -, und was dort angedeutet wird, wäre, wenn es zuträfe, also Zustandekommen und/oder eine Einflussnahme, in der Tat ein Skandal. Aber so lange es dazu keine gesicherten Erkenntnisse gibt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

„Unschön“ ist, das muss man allerdings einräumen, dass für den AG-Beschluss offenbar ein Antrag der StA fehlt. Zumindest ist der oder ein „Antragsersatz“ nicht in der Akte und ergibt sich auch nicht aus der Anfrage bei der Staatsanwaltschaft. Und ein „Antrag“ der Polizei wegen „Gefahr im Verzug“ dürfte bei dem dargestellten Verfahrensgang auch ausscheiden. Also „sehr unschön“.

Edit: Ermittler halten Durchsuchung nach Anti-Merz-Graffiti weiter für rechtens

U-Haft III: Anordnung/Kontrolle der Fortdauer der Haft, oder: Welches Rechtmittel bei Untersuchungshaft?

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Und dann habe ich hier noch zwei Entscheidungen, die mit Rechtsmitteln in Haftsachen zusammenhängen, und zwar einmal BGH und einmal BayObLG.

Hier sind dann:

1. Unter § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 Var. 1 StPO fallen lediglich Entscheidungen, mit denen unmittelbar darüber entschieden wird, ob der Beschuldigte in Haft zu nehmen oder zu halten ist, nicht aber Beschlüsse oder Verfügungen, die allein Anordnungen während der Untersuchungshaft, also die Art und Weise des Vollzugs betreffen. Der Angeklagte muss sich ausdrücklich gegen die Anordnung und Aufrechterhaltung seiner Haft und nicht gegen die Ausgestaltung des Vollzugs von Untersuchungshaft wenden.

2. Für eine analoge Anwendung der restriktiv auszulegenden Ausnahmevorschrift ist kein Raum.

Als Akte der Rechtsprechung unterliegen die Anordnung der Untersuchungshaft und die Kontrolle der Fortdauer nicht der Überprüfung nach §§ 23 ff. EGGVG.

Verkehrsrecht II: Anordnung der Blutentnahme/-probe, oder: Anforderungen an den Anfangsverdacht

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Vor einiger Zeit haben die mit der Anordnung der Entnahme einer Blutprobe (§ 81a StPO) zusammenhängenden Fragen die Praxis beschäftigt. Dabei ging es insbesondere meist um die Frage des so. Richtervorbehalts. Die Problematik hat sich dann durch die Änderungen durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.17 (BGBl. I S. 3202) weitgehend erledigt.

Sie hat nun aber dann doch noch mal ein AG beschäftigt, und zwar das AG Ratzeburg im AG Ratzeburg, Beschl. v. 22.12.2023 – 31a OWi 46/23 jug. Sachverhalt und Gründe dann hier:

„Am 2. Juli 2023 gegen 15:29 Uhr führte der Polizeibeamte und Zeuge PK pp. im Rahmen einer Standkontrolle auf dem Rastplatz Gudow an der Bundesautobahn 24 in Fahrtrichtung Hamburg eine Kontrolle des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen pp. durch, dessen Fahrer der Betroffene war. Der Betroffene händigte dem Zeugen seinen Führerschein, Personalausweis und die Zulassungsbescheinigung Teil 1 aus. Im Rahmen der Kontrolle nahm der Zeuge wahr, dass der Betroffene sehr nervös wirkte. Der Betroffene konnte nicht stillstehen und hatte deutlich zitternde Hände. Ebenso führte der Betroffene häufig seine Hände an verschiedene Körperstellen, einmal zum Kratzen am Hals, einmal um in seine Hosentaschen zu greifen oder der Betroffene wedelte damit herum. Zudem war der Betroffene redselig und aus Sicht des Zeugen unangepasst euphorisch. Aus diesen Beobachtungen leitete der Zeuge den Verdacht ab, dass der Betroffene eine bußgeldbewährte Tat gemäß § 24a StVG begangen haben könnte. Nach entsprechender Belehrung gab der Betroffene an, keine Drogen konsumiert zu haben, er sei lediglich sehr müde. Die Durchführung eines Urintests lehnte der Betroffene unter Hinweis darauf ab, dass er nicht urinieren müsse. Daraufhin ordnete der Zeuge eine Blutprobe an. Diese wurde um 15:40 Uhr durch einen Arzt an der Kontrollstelle durchgeführt. Nach dem Ergebnis des Untersuchungsberichts des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 26. September 2023 befanden sich im Blut des Betroffenen 3,9 ng/ml THC.

Der Verteidiger trug mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2023, eingegangen bei der Bußgeldbehörde am 4. Dezember 2023, auf gerichtliche Entscheidung mit der Begründung an, dass die Anordnung der Blutprobe unzulässig gewesen sei. Dies führe aus Sicht des Verteidigers zu einem Beweisverwertungsverbot.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, insbesondere statthaft. Mit dem Wegfall des Richtervorbehalts und Normierung der Anordnungskompetenz für Blutproben auf die zuständige Verwaltungsbehörde und — gleichrangig — auf deren Ermittlungsbeamte (§ 53 Abs. 2 OWiG) hat die Frage des dagegen zulässigen Rechtsbehelfs an Bedeutung gewonnen. Die Anordnung einer Blutprobe im Bußgeldverfahren ist eine Maßnahme nach § 62 OWiG und als solche grundsätzlich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung anfechtbar. Soweit – wie hier – ein Polizeibeamter als originär zuständige Verwaltungsbehörde die Anordnung trifft, ist dies soweit ersichtlich unbestritten (KK-OWiG/Lampe, 5. Auflage, § 46, Rn.41).

Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 46 Abs.4 S.1 OWiG ist § 81a Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO mit der Einschränkung anzuwenden, dass zwar nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind, aber die Entnahme einer Blutprobe abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 StPO keiner richterlichen Anordnung bedarf, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist nach den §§ 24a und 24c StVG.

Der Gesetzeswortlaut fordert eine „einfachen“ Verdacht, also keinen hinreichenden oder gar dringenden Tatverdacht. Ein solcher Anfangsverdacht setzt nur voraus, dass zureichende, über bloße Vermutungen hinausreichende, tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat (hier: Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG) vorliegen (vgl. BGH BeckRS 2021, 3096; BGH NStZ2016, 370; 551; OLG Koblenz BeckRS 2021; 13791; KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl. 2023, StPO § 160. Rn. 7).

Vorliegend ist dem Verteidiger einzugestehen, dass die vom Zeugen PK pp. geschilderten Umstände isoliert betrachtet den Verdacht einer Tat gemäß § 24a StVG nicht begründen könnten. Entscheidend ist Überzeugung des Gerichts indessen, dass eine Vielzahl von Besonderheiten beim Betroffenen vorlag, die eben diesen Verdacht begründen. Mag man durch die Situation der polizeilichen Kontrolle noch die Nervosität des Betroffenen erklären können, so gilt dies nicht für das Hinzutreten zitternder Hände sowie einer in der Situation unangemessenen Euphorie. Derartige kumulative, situationsuntypische Reaktionen sind gerade durch die Einnahme von Betäubungsmittel zu erklären. Aufgrund dieser Kumulation der Umstände hat der Polizeibeamte zur Überzeugung des Gerichts zu Recht die Entnahme der Blutprobe angeordnet. Die weitere Frage, ob aus einem etwaigen Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot folgen würde, kann deshalb in diesem Fall dahinstehen.“

Na ja. Es gibt AG-Rechtsprechung, wonach die (allein) „Nervosität“ nicht reicht …..

StPO II: Durchsuchung wegen Steuerhinterziehung, oder: Nur „dürftige Beschreibung“ des Tatvorwurfs

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Die zweite Entscheidung des Tages, der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 07.062023 – 12 Qs 24/23 – kommt aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Entscheidungen betreffend Durchsuchungsmaßnahmen.

Der Ermittlungsrichter des AG hatte gegen den Beschuldigten einen auf § 102 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss. Es sollte u.a. in seinem Wohnhaus nach diversen Unterlagen gesucht werden. Begründet war der – von der Steuerfahndung dem Ermittlungsrichter vorformuliert vorgelegte – Beschluss wie folgt:

„Der Beschuldigte wird beim Finanzamt unter der Steuernummer … geführt. Nach Erkenntnissen der Steuerfahndung erzielt der Beschuldigte ausschließlich Einkünfte aus der Beteiligung an der … oHG und geringe Einkünfte aus Kapitalvermögen. In seinem Eigentum befinden sich zwei Grundstücke. Seine in den Steuerbescheiden zu Grund gelegte Einkommenslage in den Jahren 2015 bis 2019 entspricht weder seinem Lebensstandard noch den Geldströmen aus seinen Bankkonten. Der Beschuldigte ist daher verdächtig folgende Steuerstraftaten begangen zu haben:

Hinterziehung der Einkommensteuer … 2015-2019 … der Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer … 2015-2019“

Die Durchsuchung wurde vollzogen; die Durchsicht der aufgefundenen Papiere dauerte an. Gegen den Durchsuchungsbeschluss legte der Beschuldigte Beschwerde ein, die beim LG ERfolg hatte:

„1. Da die Durchsuchung in Form der Durchsicht nach § 110 StPO andauert, ist der Antrag, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festzustellen, dahin umzudeuten, dass der Durchsuchungsbeschluss aufgehoben wird.

2. Die Aufhebung hatte zu erfolgen, weil der Durchsuchungsbeschluss den an ihn zu stellenden Mindestanforderungen nicht genügt.

a) Der Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten. Dazu muss er den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Betroffene wird auf diese Weise zugleich in den Stand versetzt, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen von vornherein entgegenzutreten. In dem Beschluss muss zum Ausdruck kommen, dass der Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat. Dazu ist zu verlangen, dass ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen benannt werden. Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden (BVerfG, Beschluss vom 19.04.2023 – 2 BvR 2180/20, juris Rn. 28 f. m.w.N.).

b) Diesen seit langem geklärten Maßstäben genügt der angegriffene Beschluss nicht. Es fehlt schon eine hinreichende Beschreibung der vorgeworfenen Straftaten. Die Steuerhinterziehung ist ein Erklärungsdelikt. Strafbar macht sich, wer die Steuern falsch (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder pflichtwidrig nicht (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) erklärt. Hier ist nach der Beschlussbegründung noch nicht einmal klar, ob der Beschuldigte unrichtige Angaben gemacht hat oder ob die (wann und mit welchem Inhalt auch immer) ergangenen Steuerbescheide wegen Nichterklärung aufgrund von Schätzungen erlassen wurden. Ein Normzitat, das die Begehungsweise klären könnte (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AO?), findet sich in dem Beschluss nicht. Sollten unrichtige Angaben gemacht worden sein, so ist nicht klar, wann was erklärt wurde und zu welcher Steuerfestsetzung dies geführt hat.

Für die Kammer ist ein Grund für die Dürftigkeit der Beschreibung des Tatvorwurfs nicht erkennbar. Der bei der Akte befindliche Verdachtsprüfungsvermerk enthält genügend tatsächliches Material, das dafür herangezogen werden könnte, die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes zu verbalisieren. Das ist unterblieben. Die Kammer könnte angesichts dieses Mangels eine Überzeugung, der Ermittlungsrichter habe die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft, nicht intersubjektiv vermittelbar begründen.

3. Die weiter beantragte Herausgabe der sichergestellten Asservate hat zu erfolgen, weil die Aufhebung des Durchsuchungsbeschlusses der vorläufigen Sicherstellung die Grundlage entzogen hat (BGH, Beschluss vom 18.05.2022 – StB 17/22, juris Rn. 11).“

Durchsuchung III: Und nochmals Anfangsverdacht, oder: Einmal reicht es, einmal nicht…..

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Im dritten Posting dann noch zwei Entscheidungen zur Durchsuchung, und zwar einmal hopp, einmal topp:

Zunächst hier der LG Magdeburg, Beschl. v. 04.05.2023 – 25 Qs 35/23 – ergangen in einem Ermittlungsverfahren wegen Jagdwilderei. In dem hat sich das AG bei der Anordnung einer Durchsuchung beim Beschuldigten allein auf Angaben mittelbarer Zeugen gestützt. Das hat dem LG nicht gereicht.

Zu der Entscheidung passt der Leitsatz:

Voraussetzung für die Anordnung der Durchsuchung gemäß § 102 StPO ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen und nicht nur straflos vorbereitet worden ist. Hierfür müssen zumindest tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Ggf. ist die Vernehmung unmittelbarer Tatzeugen erforderlich.

Und dann komme ich noch einmal zurück auf den OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23. Den hatte ich neulich schon wegen der materiellen Frage vorgestellt, Stichwort: Impfpassfälschung (vgl. hier: Corona I: Gefälschter Impfpass vor Kreistagssitzung, oder: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse). Das OLG hat in der Entscheidung dann auch zur Zulässigkeit der Durchsuchung beim Angeklagten Stellung genommen und die bejaht:

2. Bei der Feststellung des Tatgeschehens hat das Landgericht kein Beweisverwertungsverbot missachtet. Die Verfahrensrüge ist unbegründet. Die durch Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. November 2021 angeordnete Durchsuchung bei dem Angeklagten, bei der der zur Tatausführung verwendete Impfausweis aufgefunden und sichergestellt wurde, war rechtmäßig.

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung beim Beschuldigten gem. § 102 StPO genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05 -, BGH, Beschluss vom 30. März 2023 – StB 58/22 -; Beschluss vom 26. Juni 2019 – StB 10/19 -; jeweils juris; jeweils m. w. N.).

Daran gemessen lagen sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten vor. Denn der Angeklagte hatte gegenüber der Zeugin Q. angegeben, 300 bis 400 Ipfausweise des Impfzentrums Lage zu besitzen, und der Zeugin Q. einen solchen Impfausweis für 350 € zum Kauf angeboten. Die Zeugin Q. hatte dies dem Zeugen C. berichtet, der den Landrat in einem Gespräch hierüber informiert hatte. Diesen Gesprächsinhalt zeigte der Zeuge S. bei der Polizei an.

Zwar mögen die Angaben eines Zeugen, der nicht aus eigener Wahrnehmung über einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt berichten kann, weniger zuverlässig sein als die Angaben eines unmittelbaren Zeugen. Deshalb ist aber nicht umgekehrt den Angaben eines Zeugen vom Hörensagen von vornherein jeder Beweiswert abzusprechen; vielmehr können auch die Angaben eines mittelbaren Zeugen den für eine Durchsuchung ausreichenden Anfangsverdacht begründen (BGH, Beschluss vom 12. August 2015 – 5 StB 8/15 -, NStZ 2016, 370; vgl. auch Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 250, Rn. 10f.).

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den Angaben um eine Falschbelastung handelt, bestanden nicht; für die Richtigkeit sprach vielmehr, dass die Information durch einen Parteifreund und Fraktionskollegen des Angeklagten weitergegeben wurde. Zudem hatten sich während der Pandemie AfD-Politiker und -Anhänger so ablehnend gegenüber den Corona-Schutzregelungen geäußert, dass ausreichend Anlass bestand, konkrete Hinweise auf die Verletzung von § 279 StGB a. F. durch Angehörige dieses Personenkreises ernst zu nehmen.

b) Die Durchsuchung war auch nicht unverhältnismäßig.

Die Maßnahme war geeignet, zur Klärung des Tatverdachts beizutragen. Gegenüber der Durchsuchung stand kein gleichwirksames milderes Mittel zur Verfügung. Denn auch eine Vernehmung der weiteren Zeugen hätte zu diesem Zeitpunkt keine abschließende Klärung herbeigeführt, ob der Angeklagte unwahre Impfausweise besitzt.

Die Durchsuchung war auch angemessen. Soweit mit § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 5 CoronaSchVO NRW in der seinerzeit gültigen Fassung der Zugang zu Veranstaltungen bzw. Angeboten von einer Immunisierung oder Testung abhängig gemacht wurde, diente dies dem Gesundheitsschutz der anderen Nutzer bzw. Besucher der betreffenden Einrichtungen oder Veranstaltungen (OVG NRW, Beschluss vom 30. September 2021 – 15 B 1529/21 -, juris, m. w. N.). Zur Erreichung dieses Zwecks war der Schutz des Rechtsverkehrs vor unwahren Impfzeugnissen unabdingbar. Die Verletzung des Vertrauens in die Richtigkeit von Gesundheitszeugnissen konnte in diesem Fall über die unmittelbare rechtliche Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Landrat weit hinausreichende, im Einzelfall für Dritte auch sehr ernsthafte gesundheitliche, schlimmstenfalls tödliche Folgen haben.“