Schlagwort-Archive: Anordnung

StPO II: Durchsuchung wegen Steuerhinterziehung, oder: Nur „dürftige Beschreibung“ des Tatvorwurfs

Bild von Alexa auf Pixabay

Die zweite Entscheidung des Tages, der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 07.062023 – 12 Qs 24/23 – kommt aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Entscheidungen betreffend Durchsuchungsmaßnahmen.

Der Ermittlungsrichter des AG hatte gegen den Beschuldigten einen auf § 102 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss. Es sollte u.a. in seinem Wohnhaus nach diversen Unterlagen gesucht werden. Begründet war der – von der Steuerfahndung dem Ermittlungsrichter vorformuliert vorgelegte – Beschluss wie folgt:

„Der Beschuldigte wird beim Finanzamt unter der Steuernummer … geführt. Nach Erkenntnissen der Steuerfahndung erzielt der Beschuldigte ausschließlich Einkünfte aus der Beteiligung an der … oHG und geringe Einkünfte aus Kapitalvermögen. In seinem Eigentum befinden sich zwei Grundstücke. Seine in den Steuerbescheiden zu Grund gelegte Einkommenslage in den Jahren 2015 bis 2019 entspricht weder seinem Lebensstandard noch den Geldströmen aus seinen Bankkonten. Der Beschuldigte ist daher verdächtig folgende Steuerstraftaten begangen zu haben:

Hinterziehung der Einkommensteuer … 2015-2019 … der Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer … 2015-2019“

Die Durchsuchung wurde vollzogen; die Durchsicht der aufgefundenen Papiere dauerte an. Gegen den Durchsuchungsbeschluss legte der Beschuldigte Beschwerde ein, die beim LG ERfolg hatte:

„1. Da die Durchsuchung in Form der Durchsicht nach § 110 StPO andauert, ist der Antrag, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festzustellen, dahin umzudeuten, dass der Durchsuchungsbeschluss aufgehoben wird.

2. Die Aufhebung hatte zu erfolgen, weil der Durchsuchungsbeschluss den an ihn zu stellenden Mindestanforderungen nicht genügt.

a) Der Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten. Dazu muss er den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Betroffene wird auf diese Weise zugleich in den Stand versetzt, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen von vornherein entgegenzutreten. In dem Beschluss muss zum Ausdruck kommen, dass der Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat. Dazu ist zu verlangen, dass ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen benannt werden. Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden (BVerfG, Beschluss vom 19.04.2023 – 2 BvR 2180/20, juris Rn. 28 f. m.w.N.).

b) Diesen seit langem geklärten Maßstäben genügt der angegriffene Beschluss nicht. Es fehlt schon eine hinreichende Beschreibung der vorgeworfenen Straftaten. Die Steuerhinterziehung ist ein Erklärungsdelikt. Strafbar macht sich, wer die Steuern falsch (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder pflichtwidrig nicht (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) erklärt. Hier ist nach der Beschlussbegründung noch nicht einmal klar, ob der Beschuldigte unrichtige Angaben gemacht hat oder ob die (wann und mit welchem Inhalt auch immer) ergangenen Steuerbescheide wegen Nichterklärung aufgrund von Schätzungen erlassen wurden. Ein Normzitat, das die Begehungsweise klären könnte (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AO?), findet sich in dem Beschluss nicht. Sollten unrichtige Angaben gemacht worden sein, so ist nicht klar, wann was erklärt wurde und zu welcher Steuerfestsetzung dies geführt hat.

Für die Kammer ist ein Grund für die Dürftigkeit der Beschreibung des Tatvorwurfs nicht erkennbar. Der bei der Akte befindliche Verdachtsprüfungsvermerk enthält genügend tatsächliches Material, das dafür herangezogen werden könnte, die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes zu verbalisieren. Das ist unterblieben. Die Kammer könnte angesichts dieses Mangels eine Überzeugung, der Ermittlungsrichter habe die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft, nicht intersubjektiv vermittelbar begründen.

3. Die weiter beantragte Herausgabe der sichergestellten Asservate hat zu erfolgen, weil die Aufhebung des Durchsuchungsbeschlusses der vorläufigen Sicherstellung die Grundlage entzogen hat (BGH, Beschluss vom 18.05.2022 – StB 17/22, juris Rn. 11).“

Durchsuchung III: Und nochmals Anfangsverdacht, oder: Einmal reicht es, einmal nicht…..

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Im dritten Posting dann noch zwei Entscheidungen zur Durchsuchung, und zwar einmal hopp, einmal topp:

Zunächst hier der LG Magdeburg, Beschl. v. 04.05.2023 – 25 Qs 35/23 – ergangen in einem Ermittlungsverfahren wegen Jagdwilderei. In dem hat sich das AG bei der Anordnung einer Durchsuchung beim Beschuldigten allein auf Angaben mittelbarer Zeugen gestützt. Das hat dem LG nicht gereicht.

Zu der Entscheidung passt der Leitsatz:

Voraussetzung für die Anordnung der Durchsuchung gemäß § 102 StPO ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen und nicht nur straflos vorbereitet worden ist. Hierfür müssen zumindest tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Ggf. ist die Vernehmung unmittelbarer Tatzeugen erforderlich.

Und dann komme ich noch einmal zurück auf den OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23. Den hatte ich neulich schon wegen der materiellen Frage vorgestellt, Stichwort: Impfpassfälschung (vgl. hier: Corona I: Gefälschter Impfpass vor Kreistagssitzung, oder: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse). Das OLG hat in der Entscheidung dann auch zur Zulässigkeit der Durchsuchung beim Angeklagten Stellung genommen und die bejaht:

2. Bei der Feststellung des Tatgeschehens hat das Landgericht kein Beweisverwertungsverbot missachtet. Die Verfahrensrüge ist unbegründet. Die durch Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. November 2021 angeordnete Durchsuchung bei dem Angeklagten, bei der der zur Tatausführung verwendete Impfausweis aufgefunden und sichergestellt wurde, war rechtmäßig.

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung beim Beschuldigten gem. § 102 StPO genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05 -, BGH, Beschluss vom 30. März 2023 – StB 58/22 -; Beschluss vom 26. Juni 2019 – StB 10/19 -; jeweils juris; jeweils m. w. N.).

Daran gemessen lagen sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten vor. Denn der Angeklagte hatte gegenüber der Zeugin Q. angegeben, 300 bis 400 Ipfausweise des Impfzentrums Lage zu besitzen, und der Zeugin Q. einen solchen Impfausweis für 350 € zum Kauf angeboten. Die Zeugin Q. hatte dies dem Zeugen C. berichtet, der den Landrat in einem Gespräch hierüber informiert hatte. Diesen Gesprächsinhalt zeigte der Zeuge S. bei der Polizei an.

Zwar mögen die Angaben eines Zeugen, der nicht aus eigener Wahrnehmung über einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt berichten kann, weniger zuverlässig sein als die Angaben eines unmittelbaren Zeugen. Deshalb ist aber nicht umgekehrt den Angaben eines Zeugen vom Hörensagen von vornherein jeder Beweiswert abzusprechen; vielmehr können auch die Angaben eines mittelbaren Zeugen den für eine Durchsuchung ausreichenden Anfangsverdacht begründen (BGH, Beschluss vom 12. August 2015 – 5 StB 8/15 -, NStZ 2016, 370; vgl. auch Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 250, Rn. 10f.).

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den Angaben um eine Falschbelastung handelt, bestanden nicht; für die Richtigkeit sprach vielmehr, dass die Information durch einen Parteifreund und Fraktionskollegen des Angeklagten weitergegeben wurde. Zudem hatten sich während der Pandemie AfD-Politiker und -Anhänger so ablehnend gegenüber den Corona-Schutzregelungen geäußert, dass ausreichend Anlass bestand, konkrete Hinweise auf die Verletzung von § 279 StGB a. F. durch Angehörige dieses Personenkreises ernst zu nehmen.

b) Die Durchsuchung war auch nicht unverhältnismäßig.

Die Maßnahme war geeignet, zur Klärung des Tatverdachts beizutragen. Gegenüber der Durchsuchung stand kein gleichwirksames milderes Mittel zur Verfügung. Denn auch eine Vernehmung der weiteren Zeugen hätte zu diesem Zeitpunkt keine abschließende Klärung herbeigeführt, ob der Angeklagte unwahre Impfausweise besitzt.

Die Durchsuchung war auch angemessen. Soweit mit § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 5 CoronaSchVO NRW in der seinerzeit gültigen Fassung der Zugang zu Veranstaltungen bzw. Angeboten von einer Immunisierung oder Testung abhängig gemacht wurde, diente dies dem Gesundheitsschutz der anderen Nutzer bzw. Besucher der betreffenden Einrichtungen oder Veranstaltungen (OVG NRW, Beschluss vom 30. September 2021 – 15 B 1529/21 -, juris, m. w. N.). Zur Erreichung dieses Zwecks war der Schutz des Rechtsverkehrs vor unwahren Impfzeugnissen unabdingbar. Die Verletzung des Vertrauens in die Richtigkeit von Gesundheitszeugnissen konnte in diesem Fall über die unmittelbare rechtliche Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Landrat weit hinausreichende, im Einzelfall für Dritte auch sehr ernsthafte gesundheitliche, schlimmstenfalls tödliche Folgen haben.“

Zustellung III: Öffentliche Zustellung, oder: Anordnung durch Beschluss, nicht nur durch Verfügung

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Die dritte Entscheidung, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.02.2021 – III-2 RVs 5/21 – befasst sich mit Fragen in Zusammenhang mit der öffentlichen Zustellung.

Der Angeklagte ist vom AG verurteilt worden. Die gegen das Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen, nachdem er in der Berufungshauptverhandlung ohne Entschuldigung ausgeblieben war.  Dagegen der Antrag des Angeklagaten, ihm wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Revision mit dem Antrag wegen Versäumung der einmonatigen Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Begründungsfrist gibt es, die beiden anderen Anträge bleiben ohne Erfolg. Hier nur die Ausführungen des OLG zur öffentlichen Zustellung:

„2. Die mangelnde Antragsbegründung ist allerdings unschädlich, wenn sich ein Wiedereinsetzungsgrund aus aktenkundigen Tatsachen ergibt. Denn aktenkundige Tatsachen brauchen nicht vorgetragen zu werden (vgl. BVerfG NJW 1995, 2544; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142, 143; MüKo-Valerius a.a.O. § 45 Rdn. 5). Der Wille des Angeklagten zur Fortführung des Verfahrens kommt bereits durch den Wiedereinsetzungsantrag, der (hier verspätet) mit anderen Erwägungen begründet wurde, eindeutig zum Ausdruck.

In der Rechtsprechung ist weitgehend anerkannt, dass in entsprechender Anwendung der §§ 329 Abs. 7 Satz 1, 44, 45 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch demjenigen gewährt werden kann, der nicht wirksam zum Termin der Berufungshauptverhandlung geladen wurde und deshalb zu Unrecht als säumig behandelt worden ist (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 521; OLG Hamburg NStZ-RR 2001, 302; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142; OLG Brandenburg BeckRS 2011, 8101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 329 Rdn. 41 m.w.N.).

Vorliegend ist zwar anhand der Akten ein Ladungsmangel festzustellen (dazu II.2.a). Dieser Ladungsmangel war jedoch nicht kausal für das Nichterscheinen des Angeklagten (dazu II.2.b), so dass eine Wiedereinsetzung auch unter diesem Gesichtspunkt ausscheidet.

a) Eine ladungsfähige Anschrift des Angeklagten, der nach dem erstinstanzlichen Urteil in die Türkei zurückgekehrt ist, war in dem Berufungsverfahren nicht bekannt. Das Landgericht hat daher die öffentliche Zustellung der Ladung angeordnet (§ 40 Abs. 1 StPO).

Dies ist lediglich in der Weise geschehen, dass die Vorsitzende der Strafkammer in der Ladungsverfügung betreffend den Angeklagten den Zusatz „gegen öffentliche Zustellung“ vermerkt hat. Die Anordnung der öffentlichen Zustellung erfordert indes gemäß § 37 Abs. 1 StPO, § 186 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Gerichtsbeschluss, der – jedenfalls kurz – zu begründen ist. Eine Verfügung des Vorsitzenden genügt nicht und macht die Zustellung unwirksam (vgl. OLG Hamm JMBl NRW 1958, 262; KMR-Ziegler, StPO, 102. Lfg. 2020, § 40 Rdn. 19; KK-Maul a.a.O. § 40 Rdn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 40 Rdn. 6).

b) Ein Ladungsmangel als solcher rechtfertigt jedoch noch nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung. Erforderlich ist darüber hinaus, dass der Ladungsmangel kausal für das Nichterscheinen des Angeklagten war (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2002, 142; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 380; NStZ-RR 2009, 314; OLG Brandenburg BeckRS 2011, 8101; OLG Frankfurt BeckRS 2015, 7902; KG BeckRS 2017, 134409). Der Ladungsmangel muss verhindert haben, dass der erscheinungswillige Angeklagte an der Verhandlung teilnehmen konnte. Es besteht kein Anlass, einem Angeklagten, der ohnehin nicht erscheinen wollte oder sich aus anderen Gründen an der Teilnahme gehindert sah, wegen eines Ladungsmangels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

An der erforderlichen Kausalität fehlt es hier. Der Verteidiger hat zu Beginn der Berufungshauptverhandlung erklärt, dass ihm der Angeklagte mitgeteilt habe, dass er sich noch in der Türkei befinde und heute nicht erscheinen werde. Diese Erklärung des Verteidigers impliziert, dass der Angeklagte – offenbar durch telefonischen Kontakt mit dem Verteidiger – sogar Kenntnis von dem Termin hatte. Der dem Angeklagten nicht bekannte Umstand, dass die öffentliche Zustellung statt durch einen Gerichtsbeschluss lediglich im Rahmen der Ladungsverfügung angeordnet wurde, war jedenfalls nicht ursächlich für sein Nichterscheinen.

Soweit das OLG Köln in einer jüngeren Entscheidung (NStZ-RR 2015, 317) bei einer wirksamen öffentlichen Zustellung nicht tragend als obiter dictum bemerkt hat, dass das Kausalitätserfordernis nicht für den Fall der öffentlichen Zustellung gelte, da ansonsten Ladungsmängel bei dieser Zustellungsform nahezu stets folgenlos blieben, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn das Instrument der Wiedereinsetzung dient nicht einer umfassenden Rechtskontrolle.

Um einen für das Nichterscheinen nicht kausalen Ladungsmangel erfolgreich beanstanden zu können, steht dem Angeklagten das Rechtsmittel der Revision zur Verfügung. Auf eine entsprechende Verfahrensrüge bleibt auch ein solcher Ladungsmangel nicht folgenlos, da ein Verwerfungsurteil, das nur bei ordnungsgemäßer Ladung hätte ergehen dürfen, bei einem Ladungsmangel der Aufhebung unterliegt, ohne dass es auf die Kausalität für das Nichterscheinen des Angeklagten ankommt.“

Im Übrigen: Verteidiger scheint ein „Künstler“ gewesen zu sein. 🙂

Durchsuchung II: Wenn das AG „keine Anträge mehr annehmen“ will, oder: Closed Shop?

entnommen wikimedia.org
Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Nicht (unmittelbar) zur Durchsuchung ist der umfangreiche BGH, Beschl. v. 26.01.2017 – StB 26 und 28/14 – ergangen. Er behandelt nämlich Fragen des nachträglichen Rechtsschutz gegen bereits erledigte verdeckte polizeiliche Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus nach §§ 20g bis 20n BKAG. Insoweit – sagt der BGH – ist nicht der ordentliche, sondern ausschließlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet; das gilt auch, wenn wegen des zugrundeliegenden Sachverhalts ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren ge-führt wird und somit gemäß § 20w Abs. 2 Satz 2 BKAG die Benachrichtigung der von diesen Überwachungsmaßnahmen betroffenen Personen durch die Strafverfolgungsbehörde entsprechend den Vorschriften des Strafverfahrensrechts durchzuführen ist.

In der Sache geht es um die Vewertung der Ergebnisse von TKÜ-Maßnahmen, die vom BKA nach dem BKA-Gesetz durchgeführt worden waren. In dem Zusammenhang dann auf Seite 41 des Beschlusses folgende Ausführungen des BGH:

(b) Sämtliche anderen von dem Bundeskriminalamt präventiv durchge-führten Überwachungsmaßnahmen waren – soweit hier für die Begründung des gegen die Beschwerdeführer bestehenden Tatverdachts von Belang – rechtmä-ßig. Der näheren Erörterung bedarf insoweit nur Folgendes:……….

(bb) Hinsichtlich der Überwachung der ISDN-Anschlüsse der Betreiber des Internetcafes „Cy. Cafe“ gemäß § 20l BKAG bestehen allerdings rechtliche Bedenken, soweit dieser Maßnahme aufgrund angenommenen Gefahrenverzugs zunächst nur die Eilanordnung des Präsidenten des Bundeskriminalamts vom 23. Dezember 2010 zugrunde lag (§ 20l Abs. 3 Satz 2 BKAG). Der Eilanordnung war um 15.05 Uhr ein Telefonat zwischen einem Beamten des Bundeskriminalamts und dem für die Anordnung zuständigen Amtsrichter vorausgegangen, bei dem der Amtsrichter erklärt hatte, dass das Amtsgericht Wiesbaden an diesem Tage „keine Anträge mehr annehmen würde. Der zuständige Richter sei heute damit nicht mehr zu erreichen“ (Vermerk des Bun-deskriminalamts vom 23. Dezember 2010). Da in die Bewertung des Gefahrenverzugs seitens der für den Erlass einer Eilanordnung zuständigen nichtrichterlichen Organe auch einzustellen ist, in welchem zeitlichen Rahmen mit einer Anordnung durch das Gericht zu rechnen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10 u.a., BVerfGE 139, 245, 270), begegnete das Vorgehen des Beamten des Bundeskriminalamts zwar keinen rechtlichen Bedenken, soweit dieser zunächst abklärte, ob in einem vertretbaren zeitlichen Rahmen mit einer gerichtlichen Entscheidung über die Anordnung gerechnet werden konnte. Jedoch lassen sich die Hintergründe für die Erklärung des Amtsrichters – etwa die Notwendigkeit, vorrangig andere bereits eingegangene Anträge auf Erlass von Anordnungen nach den §§ 20g ff. BKAG bearbeiten zu müssen – weder dem Vermerk des Bundeskriminalamts vom 23. Dezember 2010 noch der daraufhin ergangenen Eilanordnung entnehmen. Diese verstehen sich – abgesehen davon, dass die Entscheidung, ob Anträge der Ermittlungsbehörden „angenommen“ werden, nicht der Disposition des Gerichts unterliegt – insbesondere angesichts der Uhrzeit des Telefonats auch nicht von selbst (zum Erfordernis der Dokumentation der den Gefahrenverzug begrün-denden Umstände vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 1 StR 534/05, wistra 2006, 311, 312). Das lässt besorgen, dass seitens des Amtsgerichts eine richterliche Entscheidung aus sachwidrigen Erwägungen verweigert und diese Erklärung vom Bundeskriminalamt ohne weiteres hingenommen worden war. Es bedarf indes keiner Klärung, ob dies zur Rechtswidrigkeit der Eilanordnung führte, weil die nach § 20l Abs. 3 Satz 1 und 3 BKAG erforderliche richterliche Entscheidung am 25. Dezember 2010 nachgeholt und relevante Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung erst danach gewonnen wurden.“

Warum der Beschluss hier? Nun, eine „Konstellation, die sich ggf. auch mal bei der beantragten Anordnung einer Durchsuchungsmaßnahme stellen kann, mit der sich daran dann anschließenden Frage: Besteht dann „Gefahr im Verzug“?

Allerdings: Schon heftig, wenn das AG „keine Anträge mehr annehmen“ will. Closed Shop?

Wenn es zu schnell geht mit der Durchsuchung, gibt es einen Rüffel aus Karlsruhe

© Klaus Eppele - Fotolia.com

© Klaus Eppele – Fotolia.com

Ein wenig zu sorglos/lax ist man beim AG Münster und dann in der Beschwerdeinstanz beim LG Münster mit dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 2 GG) umgegangen. Das hat vor kurzem das BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 16.12.2014 – 2 BvR 2393/12 – den beteiligten (Instanz)Gerichten attestiert. Der ehemalige Beschuldigte, ein Arzt (?), hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde Durchsuchungsbeschlüsse des AG/LG Münster angegriffen. In einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verleumdung und der falschen Verdächtigung war seine Privatwohnung durchsucht worden. Das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten ging zurück auf ein anderes Verfahren, in dem die StA Münster zunächst wegen des Verdachts der Vergewaltigung beziehungsweise sexuellen Nötigung gegen einen früheren Kollegen des Beschwerdeführers am Klinikum in I., der zugleich an der Klinik des Landschaftsverbands W. in L. tätig war, ermittelt hatte. Dieser war in mehreren anonymen Schreiben aus November 2011 an die StA Münster, die Polizei L., die Ärztekammer Münster und die Leitung des Landschaftsverbands W. in M. beschuldigt worden, in der Klinik in L. eine 15 Jahre alte Patientin während ihres fünfwöchigen Aufenthalts im Sommer 2011 nachts unter Verabreichung von Medikamenten missbraucht zu haben. Diese anonymen Beschuldigungen hatten sich schnell als offensichtlich gegenstandslos erwiesen, da in der Klinik in L. im angegebenen Zeitraum keine Patientin dieses Alters über fünf Wochen in Behandlung war.

Bei seiner Beschuldigtenvernehmung im Dezember 2011 gab der frühere Kollege des Beschwerdeführers, Dr. B., an, er habe sich nach Bekanntgabe der Vorwürfe gegen ihn mit der Betriebsleitung zusammen überlegt, wer Interesse daran haben könnte, ihm persönlich zu schaden. Er könne sagen, dass er sich mit einer Ausnahme mit allen Mitarbeitern stets sehr gut verstanden habe, seit er als Chefarzt der Neurologie sowohl in L. als auch in I. arbeite. Er nannte sodann den Namen des Beschwerdeführers, der bis zum September 2011 als Honorararzt für die Neurologie in I. tätig war. Mit ihm sei es wegen verschiedener Vorkommnisse zum Streit gekommen.

Und dann nehmen die Dinge ihren Lauf. AG und LG gehen von einem hinreichenden Tatverdacht aus. Es wird die Durchsuchung angeordnet und durchgeführt. Rechtsmittel des Beschuldigten haben keinen Erfolg. Erst das BVerfG rückt die Dinge in seinem Beschl. v. 16.12.2014 wieder gerade:

„Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob vorliegend ein hinreichender Anfangsverdacht gegeben war, denn die Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer war bezogen auf den geringen Grad des Anfangsverdachts und die weiteren zur Ermittlung zur Verfügung stehenden Maßnahmen jedenfalls unverhältnismäßig. Dies gilt schon ungeachtet der Frage, ob das mögliche Vorhandensein von Patientendaten auf dem privaten Laptop des Beschwerdeführers im Rahmen der Durchsuchungsanordnung zu einer Berücksichtigung seiner Stellung als Berufsgeheimnisträger hätte führen müssen.

Das Amtsgericht begründet die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung allein mit der Schwere der Vorwürfe; das Landgericht nimmt hierauf lediglich Bezug. Zwar sind umfangreiche Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit weder im Durchsuchungsbeschluss noch in der Beschwerdeentscheidung grundsätzlich und stets von Verfassungs wegen geboten. Insbesondere bei einem nur vagen Auffindeverdacht ist allerdings die Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung wegen der Schwere des Eingriffs eingehend zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2014 – 2 BvR 9/10 -, NJW 2014, S. 2265 <2266>, Rn. 19, 23 jeweils m.w.N.). Vorliegend hätten sich derartige Ausführungen angesichts der Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens aufdrängen müssen.

Der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer fußte allein auf dem Vorliegen eines möglichen Motivs zur Schädigung Dr. B. aufgrund der von diesem geschilderten Auseinandersetzung mit dem Beschwerdeführer. Da Dr. B. in seiner Vernehmung durch die Polizei zwar in der Tat konkret allein den Beschwerdeführer, darüber hinaus aber auch weitere für eine Täterschaft in Betracht kommende Personenkreise, namentlich psychisch kranke Patienten und andere Mitarbeiter benannt hatte, wären vor der Anordnung einer in die Grundrechte des Betroffenen schwerwiegend eingreifenden Durchsuchung andere grundrechtsschonende Ermittlungsschritte vorzunehmen gewesen, um den allenfalls geringen Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer zu erhärten oder endgültig zu zerstreuen (vgl. zur Ausschöpfung grundrechtsschonenderer Ermittlungsschritte bei Vorliegen von auf eine Täterschaft des Beschwerdeführers hinweisenden Umständen mit allenfalls geringem Gewicht BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. November 2005 – 2 BvR 728/05 u.a. -, NStZ-RR 2006, S. 110).

So wäre zunächst eine Befragung weiterer Mitarbeiter der Kliniken in I. und L. geboten gewesen. Dies hätte sowohl das Verhältnis zwischen Dr. B. und dem Beschwerdeführer aus einer neutralen Perspektive näher aufklären – und den Beschwerdeführer im Übrigen auch entlasten -, als auch dazu beitragen können, weitere mögliche Autoren der anonymen Briefe zu ermitteln.

Eine besondere Eilbedürftigkeit, die diese naheliegenden Ermittlungen hätte ausschließen können, ist bereits deshalb nicht zu erkennen, weil zwischen der Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Dezember 2011 und dem Erlass der (zweiten) Durchsuchungsanordnung im Beschluss des Amtsgerichts vom 10. April 2012 mehrere Monate vergingen, ohne dass die Staatsanwaltschaft im hier vorliegenden Ermittlungsverfahren andere weiterführende Ermittlungen angestellt hätte. Dieser Umstand führt im Übrigen auch dazu, dass sich das Fortbestehen eines Auffindeverdachts jedenfalls zu diesem Zeitpunkt als allenfalls vage darstellte.“

Der Beschluss ist nicht nur „unschön“ für AG und LG Münster, auch die Staatsanwaltschaft Münster bekommt „ihr Fett ab“. Ihr hält das BVerfG vor:

„Ohne weitere Ermittlungen durchzuführen beantragte die Staatsanwaltschaft Münster daraufhin am 12. Januar 2012 den Erlass eines Beschlusses zur Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers, zur Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel sowie zur Entnahme von Körperzellen des Beschwerdeführers für einen Abgleich mit DNA an den Briefmarken auf den sichergestellten anonymen Schreiben wegen des Verdachts eines Betruges, der Verleumdung und der falschen Verdächtigung.“

und legt dann im Beschluss ja auch gleich da, welche weiteren Ermittlungen möglich und auch wohl nötig gewesen wären. Also: In Zukunft nicht mehr zu schnell mit der Durchsuchungsanordnung sein, dann gibt es auch keinen Rüffel aus Karlsruhe mehr.