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Klima II: Straßenblockaden der Klimaaktivisten, oder: Erstmals (kurze) Haftstrafen ohne Bewährung

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Und im zweiten Posting dann eine/die Entscheidung, die vor einigen Tagen die Gemüter bewegt hat. Es handelt sich um das – noch nicht rechtskräftige – AG Heilbronn, Urt. v. 06.03.2023 – 26 Ds 16 Js 4813/23  -, das mir der Kollege Dr. J. Rienhoff aus Marburg übersandt hat. Über das Urteil ist ja auch in der Tagespresse berichtet worden, vor allem wohl deshalb weil es – so weit ersichtlich – die erste Entscheidung ist, die für Straßenblockaden der Klimaaktivisten Freiheitsstrafen ohne Bewährung verhängt hat.

Nach den Feststellungen des AG hatten die Angeklagten am 06.02.2023 an einer bundesweiten Protestaktion in Form einer Straßenblockade der „Letzte Generation“ teilgenommen. Ziel der Angeklagten, die sich allesamt aus politischer Überzeugung der „Letzte Generation.“ angeschlossen hatten, war es, den Verkehr öffentlichkeitswirksam zu blockieren, Aufmerksamkeit für die Belange des Klimaschutzes zu erregen und Druck auf die Bundesregierung auszuüben, insbesondere zur Einrichtung eines sog, „Gesellschaftsrats“. Die Protestaktion war für mehrere Städte – darunter Heilbronn – im Vorfeld medial ohne Mitteilung der genauen Orte der Straßenblockade angekündigt worden.

In Ausführung dieses Planes setzen sich die Angeklagten gegen 8 Uhr in Heilbronn auf die stadteinwärts führende mehrspurige Neckarsulmer Straße (B27) und setzten sich dem gemeinsamen Tatplan entsprechend mit jeweils rund einem bis eineinhalb Meter Abstand zueinander in einer Reihe auf die drei Richtungsfahrbahnen. Dem Tatplan entsprechend befestigte sodann zwei Angeklagte jeweils eine Hand mittels Kleber auf dem Asphalt, so dass die Angeklagten beim Heranfahren von Kraftfahrzeugen nicht ausweichen konnten, und um hierdurch zugleich die Einsatzkräfte für eine nicht unerhebliche Zeit daran zu hindern, die Fahrbahn zu räumen, und die auf der Neckarsulmer Straße stadteinwärts am Verkehr teilnehmenden Kraftfahrzeugfahrer während der Dauer der Blockadeaktion von der Weiterfahrt abzuhalten.

Wie von den Angeklagten beabsichtigt, hielten die dann in der ersten Reihe stehenden Fahrzeuge, unter anderem die Zeugin E. mit ihrem Pkw Ford Kuga, amtliches Kennzeichen pp., an, wodurch, wie von den Angeklagten beabsichtigt, die dahinter befindlichen Kraftfahrzeuge aufgrund der die Fahrbahn blockierenden Fahrzeuge ihrerseits am Weiterfahren gehindert waren, so dass es zu einem Rückstau kam, wobei, wie von allen Angeklagten aufgrund ihrer Aktion beabsichtigt, insbesondere ein in zweiter Reihe mit seinem Pkw befindlicher Arzt sowie eine in dritter Reihe mit ihrem Fahrzeug stehende weitere Geschädigte nicht mehr weiterfahren konnten. Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Das AG hat die Angeklagten wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt. Insoweit verweise ich wegen der Begründung/Ausführungen des AG ebenfalls auf den Volltext. Die Überlegungen des AG lassen sich in folgenden Leitsätzen zusammen fassen:

    1. Keine Gewalt i.S. des § 240 StGB ist die „bloße Anwesenheit“ von Demonstranten auf der Fahrbahn, soweit sie sich nur als psychische Hemmung auf die anhaltenden Fahrer auswirkt, die Demonstranten nicht zu überfahren. Ab der „zweiten Reihe“ der anhaltenden Fahrer wirkt aber nicht nur die psychische Hemmung, sondern auch die in erster Reihe bzw. davorstehenden Fahrzeuge als physische Sperre.
    2. Zur Verwerflichkeit einer Straßenblockade i.S. von § 240 Abs. 2 StGB
    3. Auch wenn man den Klimawandel als eine gegenwärtige Gefahr einstuft, ist eine Straßenblockade dennoch weder ein erforderliches noch angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr im Sinne des § 34 StGB.

Von besonderem Interesse dann aber die Strafzumessungserwägungen des AG. Dazu heißt es:

„Der Strafrahmen ist § 240 Abs. 1 StGB zu entnehmen, der Geldstrafe bzw. Freiheitsstrafe bis 3 Jahre vorsieht.

Im Rahmen der konkreten Strafzumessung ist zugunsten aller Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie bislang alle nicht vorbestraft sind und Motiv der Tat ein für die Allgemeinheit wichtiges Thema darstellt. Auch war zu berücksichtigen, dass die Angeklagten eine Konfrontation mit der Staatsgewalt und Gewalttätigkeiten oder weitere Eskalationen vermeiden wollten und zugleich mittels ihrer Banner dafür sorgten, den Sinn ihrer Aktion zu verdeutlichen. Weiter ist den Angeklagten zu Gute halten, dass sich bewusst nur die äußersten Sitzblockadeteilnehmer am Asphalt festklebten, um im Notfall eine Rettungsgasse freimachen zu können, wobei diesbezüglich anzumerken ist, dass infolge des geringen Abstands von an der Ampel haltenden Fahrzeugen ein Rangieren und damit das Freimachen einer Rettungsgasse nicht möglich sein dürfte.

Strafschärfend fiel ins Gewicht, dass eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern von der Straßenblockade betroffen waren und infolge der Blockade der Zeuge Dr. pp. mit einer Verspätung von einer Stunde an seiner Arztpraxis ankam, sodass zahlreiche Patienten, darunter auch ein Notfall, nicht behandelt werden konnten.

1. PP1 und PP2

Zulasten der Angeklagten PP1 und PP2 ist weiterhin zu berücksichtigen, dass sie bereits an Straßenblockaden – laut der seitens der Staatsanwaltschaft übergebenen und als Anlage zu Protokoll genommenen ZStV für den Angeklagten PP1 41 an der Zahl, für den Angeklagten PP2 zwei an der Zahl teilgenommen haben, die jeweils gegen sie eingeleiteten Ermittlungsverfahren sie nicht beeindruckt haben, sondern sie vielmehr weiterhin an Straßenblockaden bundesweit teilnehmen und teilzunehmen beabsichtigen, was zeigt, dass keinerlei Unrechtseinsicht bei ihnen vorhanden ist und eine rasante Rückfallgeschwindigkeit vorliegt. Auch konnten den Angeklagten PP1 ergangene, jedoch noch nicht rechtskräftige Strafbefehle sowie eine bereits gegen ihn durchgeführte Hauptverhandlung nicht beeindrucken.

Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass der Angeklagte PP1 angibt, kein Urteil könne ihn davon abhalten, weiterhin gleichgelagerte Straftaten zu begehen und Geldstrafen träfen ihn nicht, da er die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe und eine Geldstrafe auf dem Stapel unbezahlter Rechnungen lande, liegen besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten PP1 vor, die zur Einwirkung auf ihn die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB auch unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes unerlässlich machen.

Nach Abwägung der vorgenannten Strafzumessungserwägungen hielt das Gericht daher die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten gegen den Angeklagten PP1 für tat- und schuldangemessen.

Nachdem der Angeklagte PP2 ebenfalls glaubhaft angegeben hat, von strafrechtlichen Sanktionen nicht davon abgehalten zu werden, gleichgelagerte Straftaten zu begehen, liegen besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten PP2 vor, die zur Einwirkung auf ihn die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB auch unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes unerlässlich machen.

Nach nochmaliger Abwägung der vorgenannten Strafzumessungserwägungen hielt das Gericht daher die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten gegen den Angeklagten PP2 für tat- und schuldangemessen.

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen konnte für die Angeklagten PP1 und PP2 nicht gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Dass die Angeklagten auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine weiteren Straftaten mehr begehen werden, kann nicht erwartet werden. Nicht übersehen wurde dabei, dass die Angeklagten erstmals zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, der Angeklagte PP2 darüber hinaus das erste Mal vor Gericht stand. Trotzdem erscheint selbst bei Ausschöpfung aller, nicht im Strafvollzug bestehenden Sanktionen die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens nicht größer als diejenige neuer Straftaten. Denn nicht zu übersehen ist, dass beide Angeklagten glaubhaft und nachdrücklich bekundet haben, von neuen gleichgelagerten Straftaten durch kein Urteil der Welt abzuhalten zu sein. Durch die bislang eingeleiteten Ermittlungsverfahren waren die beiden Angeklagten nicht zu beeindrucken. Auch die bereits gegen den Angeklagten PP1 durchgeführte Hauptverhandlung hat ihn von weiteren zumindest tatbestandsmäßigen Handlungen nicht abgehalten. Dies zeigt, dass bei beiden Angeklagten mit weiteren gleichgelagerten Straftaten jederzeit zu rechnen ist, sodass eine Einwirkung auf sie mittels des Strafvollzugs als einzig zur Verfügung stehendes Mittel anzusehen ist.

2. PP3, pp4 und pp5

Nachdem die Angeklagten PP3, pp4 und pp5 sich erstmals einem Strafverfahren stellen müssen, hielt das Gericht unter Abwägung der vorgenannten Strafzumessungserwägungen folgende Geldstrafen für tat- und schuldangemessen:……“

Nun, wie gesagt: Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Wir werden dann zu den Fragen, vor allem auch zur Strafzumessung, sicher etwas vom zuständigen OLG Stuttgart hören. Ich frage mich allerdings, welche Sanktionen das AG – bei den Feststellungen – sonst hätte verhängen sollen.

Und die Geschichte mit dem „Gesellschaftsrat“ muss man mir auch erst mal erklären. Ich meine, den haben wir bereits. Den nennt man Bundestag. Dem soll dann also ein Gremien „aus zufällig gelosten Menschen, die die Bevölkerung Deutschlands nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Migrationshintergrund bestmöglich abbilden“ Vorgaben machen?

Bewährung II: 2/3-Entscheidung positiv/negativ?, oder: Genügt bloßes Bekunden von Therapiebereitschaft?

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Im zweiten Posting dann zwei OLG-Entscheidungen. Die eine verhält sich zu den Voraussetzungen einer Zwei-Drittel-Entscheidung, die andere . Ich stelle aber jeweils nur die Leitsätze vor, den Rest bitte in den verlinkten Volltexten selbst lesen:

Neue Straftaten lassen sich für die Verantwortbarkeitsprognose nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB auch dann verwerten, wenn sie noch nicht rechtskräftig abgeurteilt sind. Die Entscheidung über die bedingte Reststrafenaussetzung im Rahmen des § 57 Abs. 1 StGB hat andere Voraussetzungen als die Nachtragsentscheidung nach § 56f StGB. Deshalb muss der Gefangene wegen neuer Straftaten, die ihm im Rahmen der Prognoseentscheidung entgegengehalten werden, nicht bereits rechtskräftig verurteilt sein. Für einen Bewährungswiderruf nach § 56f StGB ist grundsätzlich die Feststellung einer neuen Straftat erforderlich. Im Gegensatz dazu ist eine bedingte Reststrafenaussetzung an das Vorliegen einer günstigen Verantwortbarkeitsprognose geknüpft. Die Strafvollstreckungskammer hat die Tat und die Persönlichkeit des Verurteilten unter Berücksichtigung aller sonstiger bekannter Umstände und Gesichtspunkte zu würdigen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung gehen Zweifel über das Prognoseurteil zu Lasten des Verurteilten.

1. Die bloße Bekundung einer Einsicht in das begangene Unrecht stellt für sich genommen bei einem vielfach vorbestraften Angeklagten, der bislang Bewährungszeiten nicht durchgestanden und langjährigen Strafvollzug erlitten hat, regelmäßig keinen Gesichtspunkt dar, der die Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnte.
2. Die Bereitschaft des Angeklagten, eine Alkoholentwöhungstherapie durchzuführen, ist grundsätzlich für die Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB nicht von entscheidender Bedeutung.
3. Die Strafaussetzung zur Bewährung stellt kein Instrument zur Belohnung für ein erwünschtes Verhalten dar.

Bewährung I: Widerruf bei erneuter Straffälligkeit, oder: Bindung an zeitnahe Prognose des Tatgerichts?

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Heute stelle ich dann drei Entscheidungen vor, die sich zu Bewährungsfragen verhalten.

Ich beginne mit dem VerfG Brandenburg, Beschl. v. 18.11.2022 – 13/22 EA. Folgender Sachverhalt: Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, und zwar soll die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bis zur Entscheidung über der Verfassungsbeschwerde, mit der sie sich gegen den Widerruf der ihr bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung wendet, ausgesetzt werden.

Die mehrfach u. a. wegen Betrugsdelikten vorbestrafte Antragstellerin ist durch Urteil des AG Rathenow vom 25.06.2019 u.a. wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Amtsgericht ordnete zudem ein Berufsverbot an. Der Antragstellerin wurde für die Dauer von drei Jahren verboten, den Beruf der Altenpflegerin oder einen Beruf, der die Alten- oder Seniorenpflege zum Gegenstand hat, auszuüben.

Die Antragstellerin hat dann zum 01.01.2020, etwa zweieinhalb Monate nach Rechtskraft der Anordnung des Berufsverbots durch das AG, eine Beschäftigung als Altenpflegerin aufgenommen. Wegen Verstoßes gegen das Berufsverbot wurde die Antragstellerin durch Urteil des AG Potdsam u einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Antragstellerin änderte das LG Potsdam das Urteil hingehend ab, dass die Vollstreckung der darin verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Das AG Rathenow („Vollstreckungsgericht“) widerrief dann durch Beschluss vom 18.08.2022 die durch Urteil des AG Rathenow vom 25.06.2019 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Dagegen die sofortige Beschwerde begründete die Antragstellerin, die beim LG Potsdam keinen Erfolg hatte. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das VerfG hat den Antrag zurückgewiesen:

„2. Eine einstweilige Anordnung kann danach nicht ergehen. Es ist schon jetzt absehbar, dass die Verfassungsbeschwerde unbegründet ist.

Der Beschluss des Landgerichts Potsdam verletzt die Antragstellerin erkennbar nicht in ihrem Freiheitsgrundrecht aus Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LV.

Die Beschwerdekammer hat bei der Auslegung und Anwendung des § 56f StGB weder den Inhalt und die Tragweite des Freiheitsgrundrechts aus Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LV verkannt, noch ist sie objektiv unvertretbar oder willkürlich.

a) Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LV und der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens verlangen im Strafvollstreckungsverfahren ein Mindestmaß an zuverlässiger Wahrheitserforschung (Beschluss vom 20. Mai 2021 – VfGBbg 3/21 -, Rn. 24 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Zudem ist der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe gerichtlicher Entscheidungen Rechnung zu tragen. Eine tragfähig begründete Entscheidung über einen Bewährungswiderruf setzt daher eine auf zureichender Sachaufklärung beruhende, in sich schlüssige und nachvollziehbare Feststellung der Widerrufsvoraussetzungen voraus; die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts genügt insoweit nicht (Beschluss vom 29. September 2021 – VfGBbg 19/21 EA -, Rn. 19, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

b) Gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Die Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts obliegen bei der nach § 56f StGB zu treffenden Entscheidung den Strafgerichten, denen hierbei eine Einschätzungsprärogative zusteht (vgl. Beschlüsse vom 20. Mai 2021 – VfGBbg 3/21 -, Rn. 24 m. w. N., und vom 17. Dezember 2009 – VfGBbg 51/09 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Die verfassungsgerichtliche Überprüfung erstreckt sich lediglich darauf, ob die gerichtliche Entscheidung objektiv unvertretbar ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite des durch Art. 2 Abs. 2 GG bzw. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LV verbürgten Freiheitsrechts verkennt (Beschluss vom 20. Mai 2021 – VfGBbg 3/21 -, Rn. 24 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Die rechtskräftige Verurteilung wegen einer neuen Straftat ist ein zur Überzeugungs-bildung des für § 56f StGB zuständigen Gerichts ausreichendes, aber nicht bindendes Indiz für das entsprechende Bewährungsversagen (Groß/Kett-Straub, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 56f Rn. 40).

Bei neuen Straftaten des Probanden ist die Reaktion anderer Gerichte hierauf, soweit es um Strafaussetzung geht, für das Vollstreckungsgericht nicht präjudiziell. Dieses ist also nicht daran gehindert, die Strafaussetzung zu widerrufen, obwohl das Gericht, das über die neue Straftat zu urteilen hat, von einer unbedingten Freiheitsstrafe abgesehen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. April 1985 – 2 BvR 1269/84, NStZ 1985, 357; Groß/Kett-Straub, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 56f Rn. 40).

Das Vollstreckungsgericht ist zwar grundsätzlich gehalten, sich bei seiner Prognoseentscheidung der sach- und zeitnäheren Prognose eines Tatgerichts anzuschließen, das über die letzte, während der Bewährungszeit begangene Straftat geurteilt hat (Groß/ Kett-Straub, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 56f Rn. 30). Durchbrechungen dieses Grundsatzes sind allerdings möglich und jedenfalls nicht von Verfassungs wegen ausgeschlossen (BVerfG, Beschluss vom 19. April 1985 – 2 BvR 1269/84, NStZ 1985, 357).

Die befassten Vollstreckungsgerichte können auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Urteile und Bewährungshefte auf ausreichender Tatsachenbasis eine eigene Sachentscheidung treffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2007 – 2 BvR 1092/07 -, Rn. 4, juris). Ein Vollstreckungsgericht kann insbesondere von der Entscheidung eines Tatgerichts dann abweichen, wenn diese Entscheidung selbst an Mängeln leidet, wenn etwa das Tatgericht hinsichtlich seiner Prognose selbst erhebliche Bedenken geäußert, diese aber zurückgestellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2007 – 2 BvR 1092/07 -, Rn. 4, juris) oder wesentliche Gesichtspunkte nicht oder unzureichend bewertet hat, was insbesondere dann der Fall ist, wenn das Gericht sich mit den Vorstrafen und den der älteren Aussetzungsentscheidung zugrundeliegenden Erwägungen nicht auseinandergesetzt hat (vgl. Beschluss vom 25. Mai 2012 – VfGBbg 20/12 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Gleiches gilt auch, wenn das Tatgericht offensichtlich unzutreffende oder nicht nachvollziehbare Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2007 – 2 BvR 1092/07 -, Rn. 4, juris; vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 – 52/16 -, Rn. 64, juris; Groß/Kett-Straub, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 56f Rn. 30). Hat das Gericht mit der Aussetzung zur Bewährung besondere Erwartungen verbunden, die es später als enttäuscht ansieht, ist von Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, dass unter den Voraussetzungen des § 56f StGB der Widerruf ausgesprochen wird (BVerfG, Beschluss vom 19. April 1985 – 2 BvR 1269/84, NStZ 1985, 357).

c) Daran gemessen ist die Entscheidung des Landgerichts Potsdam in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die Beschwerdekammer des Landgerichts Potsdam hat sich im Beschluss vom 23. September 2022 (21 Qs 52/22) die Begründung des Widerrufsbeschlusses durch das Vollstreckungsgericht zu eigen gemacht, indem es auf dessen als zutreffend befundene Gründe Bezug genommen hat. Das Vollstreckungsgericht hat sich erkennbar auf die enttäuschte Erwartung des Amtsgerichts Rathenow gestützt, welche das Amtsgericht im Urteil vom 25. Juni 2019 (2 Ls 490 Js 22005/17 (1/18)) mit der angeordneten Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung verbunden hatte. Das Vollstreckungsgericht hat nachvollziehbar aufgezeigt, dass der amtsgerichtlichen Aussetzungsentscheidung vom 25. Juni 2019 (2 Ls 490 Js 22005/17 (1/18)) ein Gesamtkonzept (Strafzumessung, Berufsverbot, Bewährungskonzept) zugrunde lag, das auf der Beachtung des Berufsverbots durch die Antragstellerin aufbaute. Dass das Vollstreckungsgericht diese Erwartungshaltung als enttäuscht betrachtete, nachdem die Antragstellerin nur wenige Monate nach der Urteilsverkündung gegen das Berufsverbot verstieß, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Seine den Widerruf bestätigende Entscheidung hat das Landgericht zusätzlich zu den Gründen des Vollstreckungsgerichts darauf gestützt, dass die vom Berufungsgericht eingestellten Erwägungen kaum nachvollziehbar seien; sie setzten sich nicht hinlänglich mit dem Rückfall auseinander. Dabei hat die Beschwerdekammer des Landgerichts die für sie ausschlaggebenden Tatsachen angeführt – die Vielzahl an Vorstrafen, das frühere Bewährungsverhalten, die hohe progrediente Rückfallgeschwindigkeit und die berufsbezogene Straftat. Mildere Mittel als der Widerruf seien eingedenk dessen unzulänglich, zumal die Bewährungszeit bereits auf fünf Jahre festgesetzt worden und die Antragstellerin einem Bewährungshelfer unterstellt worden sei, ohne dass diese Mittel sie beeindruckt und von einer neuerlichen berufsbezogenen Straftat abgehalten hätten.

Auch diese nachvollziehbaren zusätzlichen Feststellungen tragen die der Antragstellerin vom Landgericht Potsdam attestierte negative Sozialprognose. Das Landgericht hat auch mildere Mittel in den Blick genommen und im Ergebnis verworfen, indem es festgestellt hat, dass sich die in § 56 Abs. 2 StGB vorgesehene Bewährungshilfe und verlängerte Bewährungszeit bereits als unzulänglich erwiesen hätten. Es ist gemäß dem aufgezeigten Maßstab verfassungsgerichtlich nicht zu beanstanden, dass die mit den Bewährungsurteilen und -unterlagen vertrauten Vollstreckungsgerichte mit einer plausiblen Begründung zu einem vom Tatgericht abweichenden Ergebnis kommen. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt darin nicht.“

Rechtsfolgen II: Keine „günstige Sozialprognose“, oder: Doch, positive Prognose trotz Bewährungsbruch?

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Die zweite Entscheidung kommt vom BayObLG. Das hat im BayObLG, Beschl. v. 05.07.2022 – 202 StRR 68/22 – zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung und zur Bedeutung neuer Umstände für eine positive Legalprognose Stellung genommen. Das LG hatte die gegen den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt. Das gefällt dem BayObLG nicht:

„2. Dagegen hält die Entscheidung der Berufungskammer, die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat vor allem mit Blick auf die Vorverurteilungen und das Bewährungsversagen eine günstige „Sozialprognose“ verneint und dabei maßgebliche Gesichtspunkte, die für die nach § 56 Abs. 1 StGB zu stellende Kriminalprognose von Bedeutung sind, zwar erkannt, aber nicht rechtsfehlerfrei gewichtet.

aa) Allerdings entspricht es gefestigter Rechtsprechung des Senats, dass einem Bewährungsbruch ganz erhebliche Bedeutung für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB zukommt (BayObLG, Urt. v. 01.04.2022 – 202 StRR 35/22; 24.09.2021 – 202 StRR 98/21, jew. bei juris). Denn die Begehung von Straftaten während laufender Bewährung belegt grundsätzlich, dass die frühere Prognose falsch war.

bb) Gleichwohl schließt ein Bewährungsversagen eine nochmalige Strafaussetzung zur Bewährung nicht von vornherein aus (BGH, Urt. v. 14.04.2022 – 5 StR 313/21 bei juris; Beschluss vom 21.03.2012 – 1 StR 100/12 = NStZ-RR 2012, 201; Urt. v. 22.07.2010 – 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306; 10.11.2004 – 1 StR 339/04 = NStZ-RR 2005, 38; Beschl. vom 04.01.1991 – 5 StR 573/90 = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15; BayObLG a.a.O.). Freilich kann in solchen Fällen eine günstige Prognose nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Gesichtspunkte infrage kommen. Im Falle der nochmaligen Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung ist deshalb eine sorgfältige Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte geboten, in die vor allem Umstände einzubeziehen sind, die der Tatbegehung zeitlich nachfolgten (BayObLG a.a.O.).

cc) Die Berufungskammer hat diese Grundsätze im Ansatz nicht verkannt, sondern bei der Prognoseentscheidung auch berücksichtigt, dass sich die finanzielle Situation des Angeklagten mittlerweile gebessert hat und die Taten längere Zeit zurückliegen. Jedoch hat es diesen Gesichtspunkten mit nicht tragfähigen Überlegungen keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen.

(1) Der Hinweis der Berufungskammer darauf, dass der Angeklagte mehrfach vorbestraft ist und die verfahrensgegenständlichen Taten während laufender Bewährungszeit begangen hat, vermag insbesondere den Gesichtspunkt der nachhaltigen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten eingetreten ist, nicht zu entkräften. Das Landgericht hat dabei vor allem dem Umstand nicht ausreichend Rechnung getragen, dass, wie sich aus der detaillierten Schilderung der zugrunde liegenden Sachverhalte im Berufungsurteil ergibt, sämtliche Vorstrafen ausschließlich auf die beengte wirtschaftliche Situation des Angeklagten zurückzuführen waren, der in jungen Jahren den landwirtschaftlichen Betrieb seiner früh verstorbenen Eltern im Jahr 2003/2004 übernehmen musste und sich von vornherein einer Schuldenlast in Höhe von ca. 650.000 Euro, die zu erheblichen Liquiditätsengpässen führte, ausgesetzt sah. Die Haupteinnahmequellen, nämlich die Milchgeldzahlungen in Höhe von 6.000 Euro monatlich und die Einnahmen aus Ausgleichszulagen in Höhe von ca. 36.500 Euro jährlich, waren zu den Tatzeitpunkten wegen Steuerschulden, die sich im Jahr 2019 noch auf ca. 140.000 Euro beliefen, an das Finanzamt abgetreten bzw. von diesem gepfändet. Die monatlichen Einnahmen aus einer Photovoltaikanlage waren wegen eines Darlehens in Höhe von ca. 100.000 Euro von einem Kreditinstitut gepfändet. Bis Ende 2021 wurden nach den Urteilsfeststellungen, die auf der Vernehmung des Steuerberaters des Angeklagten basieren, die Steuerschulden und die Verbindlichkeiten gegenüber der Bank aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen bzw. Tilgungsleistungen vollständig zurückgeführt. Bei Berücksichtigung dieser deutlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation einerseits und des Umstands andererseits, dass die Vorstrafen ebenso wie die verfahrensgegenständlichen Taten gerade ihren Ursprung in den früher vorherrschenden Liquiditätsengpässen hatten, vermag der Hinweis des Landgerichts auf die Vorverurteilungen und das Bewährungsversagen eine negative Kriminalprognose für sich genommen nicht zu rechtfertigen. Ein solches Verständnis würde darauf hinauslaufen, dass nachträglich eingetretenen Umständen von vornherein keine Bedeutung zukäme, was mit § 56 Abs. 1 StGB nicht in Einklang stünde. Denn für die nach dieser Vorschrift vorzunehmende Prognose kommt es gerade auf den Zeitpunkt der jetzigen Entscheidung an (vgl. nur BGH, Beschluss vom 30.04.2019 – 2 StR 545/18 = NStZ-RR 2019, 242 = StraFo 2019, 338 = StV 2019, 734 = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 35).

(2) Auch die zusätzlichen Erwägungen der Berufungskammer, die auf die „Zusammenarbeit“ des Angeklagten mit der Bewährungshilfe abstellen, vermögen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung nicht zu rechtfertigen. Hiernach habe der Angeklagte bis August 2021 die Termine bei der zuständigen Bewährungshelferin noch ordnungsgemäß wahrgenommen. In der Folgezeit sei er aber „unzuverlässig“ geworden; vereinbarte Termine habe er kurzfristig verschoben. Diese Wertungen sind schon nicht hinreichend mit Tatsachenfeststellungen belegt, sodass der Senat nicht beurteilen kann, wie oft und aus welchen Gründen der Angeklagte um Terminsverlegungen nachgesucht hat. Zudem bleibt offen, welche Auswirkungen dies auf die Kriminalprognose haben soll. Die von der Bewährungshelferin bei ihrer Vernehmung geschilderte Ablehnung einer „Schuldnerberatung“ durch den Angeklagten stellt für sich genommen mit Blick auf die Betreuung durch den Steuerberater einerseits und die deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Situation andererseits ebenfalls keinen Gesichtspunkt dar, der im Rahmen des § 56 Abs. 1 StGB von Bedeutung wäre.

(3) Soweit die Berufungskammer bei der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB berücksichtigt hat, dass der Angeklagte in der Vergangenheit Bewährungsauflagen in Form von Geldzahlungen nur unzureichend nachgekommen war, ist dies insbesondere im Hinblick auf die prekäre wirtschaftliche Situation, in der sich der Angeklagte damals befand, und die Rückführung der bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber Gläubigern kein Umstand, der einer günstigen Legalprognose entgegensteht. Im Gegenteil hätte das bewährungsaufsichtsführende Gericht vielmehr eine Abänderung der Bewährungsauflagen in Erwägung ziehen müssen.

b) Diese Rechtsfehler, die dem Landgericht bei der Kriminalprognose unterlaufen sind, haften auch den hilfsweisen Erwägungen, mit denen die Berufungskammer besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB verneint hat, an. Denn in die gebotene Gesamtschau wären auch die erhebliche Verbesserung der wirtschaftlichen Situation im allgemeinen und vor allem die hieraus möglicherweise resultierenden Auswirkungen auf die Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB im besonderen einzubeziehen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 30.04.2019 – 2 StR 545/18 a.a.O.; 28.06.2018 – 1 StR 171/18 = StV 2019, 559; 23.01.2018 – 3 StR 654/17 = NStZ-RR 2018, 105; 10.05.2016 – 4 StR 25/16 = StraFo 2016, 425; BayObLG, Beschluss vom 08.12.2020 – 202 StRR 123/20 = Blutalkohol 58 [2021], 34; StV 2022, 27 = VerkMitt 2021, Nr 22)….“

Strafzumessung I: Strafaussetzung zur Bewährung, oder: Kurzer Strafrest und erste Freiheitsstrafe

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Heute ist zwar Feiertag – Ostermontag – aber: Warum an dem Tag nicht ein wenig arbeiten? Und daher gibt es hier heute das ganz normale Programm, und zwar mit Entscheidungen zur Strafzumessung. Zweimal zwei BGH-Beschlüsse.

Ich beginne mit zwei Beschlüssen zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung. Zunächst der BGH,  Beschl. v. 22.03.2022 – 1 StR 62/22 – in dem der BGH ein im sog. 2. Durchgang ergangenes Urteil des LG München I aufgehoben hat, weil:

„Die Strafzumessung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung wegen eines durchgreifenden Erörterungsfehlers nicht stand. Denn das Landgericht hat sich nicht mit dem hier bestimmenden Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) auseinandergesetzt, dass nach Anrechnung erlittener Untersuchungshaft (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB) nunmehr allein etwas mehr als ein Monat der Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist. Der für eine Reststrafaussetzung gemäß § 57 Abs. 1 StGB maßgebliche Zweidrittelzeitpunkt ist längst überschritten. Der Angeklagte, der sich zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils seit über einem Jahr wieder auf freiem Fuß befand, arbeitet derzeit als Koch sowie für einen Sicherheitsdienst und hat einen festen Wohnsitz. Unter diesen Umständen ist ein Herausreißen aus den sozialen Bindungen durch die Vollstreckung des kurzen Strafrestes mit einer besonderen, vom Landgericht nicht ersichtlich bedachten Härte verbunden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. August 2009 – 5 StR 257/09, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 9 Rn. 6 f. und vom 28. August 2012 – 3 StR 305/12 Rn. 4); insbesondere ist dieser Gesichtspunkt nicht der strafmildernden Berücksichtigung des fast 20-monatigen Vollzugs der Untersuchungshaft unter den Einschränkungen der COVID-Pandemie zu entnehmen.“

Und als zweite Entscheidung dann der BGH, Beschl. v. 26.01.2022 – 6 StR 633/21. Auch in ihm beanstandet der BGH die Nichtgewährung von Bewährung:

„Die Strafkammer hat anknüpfend an die „Gefährlichkeitsprognose der Sachverständigen“ eine positive „Sozialprognose“ im Sinne des § 56 StGB (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 4. November 2021 – 6 StR 12/20, Rn. 119; zur Gefährlichkeitsprognose nach § 63 StGB, BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2014 – 2 StR 297/14) verneint und dabei zu Ungunsten des Angeklagten ausgeführt, dass aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung sowie der ungünstigen sozialen Situation – ungeregelte Lebensführung, keine berufliche Perspektive – eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Gewaltstraftaten bestehe. Diese Einschätzung wird von den Urteilsgründen nicht getragen. Hinzu kommt, dass wesentliche Umstände, die eine günstige Prognose begründen können, unbeachtet geblieben sind. Denn das Landgericht hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte erstmals zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1991 – 5 StR 598/91) und dass er sich im Sommer 2021 in dieser Sache mehr als zwei Monate in Haft befunden hat (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 215).“