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OWi III: Kein Absehen vom Fahrverbot beim Rentner, oder: „In keinster Weise“ „Rentner*innen“ oder so

entnommen wikimedia.org

Und zum Tagesschluss dann noch das AG Dortmund Urt. v. 11.10.2022 – 729 OWi-262 Js 1751/22-110/22.

Das AG hat eine Rentnerin wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Bußgeldkatalog sieht für den vom AG festgestellten Verstoß in 11.3.7 eine Regelgeldbuße von 320,00 EUR und ein Fahrverbot von 1 Monat vor.

Das AG hat „angesichts der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse und von der Betroffenen dargestellter erheblicher Erhöhungen der derzeitigen Lebenshaltungskosten, insbesondere der Energiekosten“ die Geldbuße auf 200,00 EUR abgesenkt.

Es hat aber das Regelfahrverbot festgesetzt und führt dazu aus:

„Umstände, die ein Absehen vom Regelfahrverbot hätten nahelegen können, waren nicht erkennbar und wurden auch nicht weiter geltend gemacht. Der Verteidiger regte zwar im Rahmen der Hauptverhandlung die Verdopplung der Geldbuße gegen ein Absehen vom Fahrverbot an. Die Betroffene erklärte jedoch darauf, dass sie dann lieber für die Zeit eines Fahrverbotes laufe aber nicht so viel für einen derartigen Verstoß zahlen wolle. Die Anwendung des § 4 Abs. 4 BKatV hat das Gericht daher dem Betroffenenwillen entsprechend ausgeschlossen. Etwaige Härten wurden seitens der Betroffenen nicht geltend gemacht. Insbesondere schieden diese auch deshalb aus, weil der Ehemann der Betroffenen selbst Führerscheininhaber ist und die Betroffene erklärte, bei Bedarf könne er sie fahren. Überdies sind Rentner*innen ebenso wie etwa Arbeitslose und natürlich auch Beamt*innen grundsätzlich in keinster Weise auf die Existenz einer Fahrerlaubnis zwingend angewiesen.“

Dazu: Die Fahrverbotsentscheidung lässt sich so vertreten, sie ist zumindest von OLG-Rechtsprechung gedeckt. Zwingend ist sie nicht, zumindest dürfte es auf den Einzelfall ankommen – wie immer.

Aber – schon wieder Mecker 🙂 – bei dem letzten Satz in o.a. Zitat habe ich dann doch Bauchschmerzen. Zunächst die Formulierung: „in keinster Weise“. „Kein“ kann man nicht steigern, „Null“ bleibt „Null“. Weniger geht m.E. nicht.

Und: Was sollen die „*“ bei „Rentner*innen“ und bei „Beamt*innen“? Muss das sein? Wenn man damit anfängt, sind die Urteile bald unlesbar. Zudem: Hätte es dann nicht auch „Arbeitslos*innen“ oder „Personen ohne Arbeit“ heißen müssen? Wenn schon, denn schon.

Ich habe mir übrigens erlaubt, beim Einstellen der Entscheidung auf meiner Homepage den entsprechenden amtlichen Leitsatz zu „begradigen“.

Fahrverbot: Rentner/freiberuflich tätiger Architekt?

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Das AG sieht bei einem Rentner, der freiberuflich noch als Architekt tätig ist, vom Fahrverbot ab. Begründung: Das Fahrverbot „treffe den Betroffenen in unzumutbarer Weise. Der Betroffene sei noch in erheblichem Umfang freiberuflich als Architekt tätig. In naher Zukunft sei er an der Realisierung von fünf großen Bauprojekten beteiligt. Die sachgerechte Betreuung dieser Bauprojekte erfordere die Benutzung eines Pkw; eine Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei nicht möglich. Die zu überwindenden Entfernungen seien nicht zuletzt deswegen zum Teil erheblich, weil der Betroffene nicht in einem Ballungsraum, sondern in S in einem ländlichen Umfeld wohne. Die Ehefrau des Betroffenen könne dieser nicht als Fahrerin einsetzen, da sie schwerbehindert sei. Der Betroffene müsse im Gegenteil sogar Fahrten für seine Ehefrau durchführen. Um gegebenenfalls auch kurzfristig zu einer Baustelle gelangen zu können, müsse der Betroffene letztlich einen Fahrer auf Vollzeitbasis einstellen. Es entziehe sich der Kenntnis des Amtsgerichts, ob in S eine geeignete Person zur Verfügung stehe, die der Betroffene für die Dauer eines Fahrverbotes als Fahrer einstellen und beschäftigen könne. Die Kosten für ein solches Beschäftigungsverhältnis stünden jedenfalls in keinem angemessenen Verhältnis mehr zu der Bedeutung des Tatvorwurfs.“

Dem OLG Hamm reicht das so nicht. Der 3. Senat für Bußgeldsachen hebt im OLG Hamm, Beschl. v. 28.03.2012 – III 3 RBs 19/12 – auf, weil das AG nicht genügend Feststellungen getroffen hat. Wenn man es liest: War wohl wirklich ein „wenig dünn“ die amtsgerichtliche Entscheidung:

Dass dem Betroffenen insbesondere bei einer Kombination möglicher Ausgleichsmaßnahmen ein Ausgleich etwaiger beruflicher Härten nicht möglich oder zumutbar wäre, geht aus dem angefochtenen Beschluss nicht hervor. Als Ausgleichsmaßnahmen kommen namentlich die Abstimmung seiner beruflichen Termine mit dem Beginn des Fahrverbotes – dem Betroffenen dürfte hier eine Abgabefrist von vier Monaten nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG zu gewähren sein – und die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxen oder gegebenenfalls die vorübergehende Beschäftigung eines Fahrers in Betracht.

 Das Amtsgericht hat nicht einmal nachvollziehbar dargelegt, dass es dem Betroffenen nicht oder nur unter unzumutbarem zeitlichen und organisatorischen Aufwand möglich ist, seine beruflichen Termine unter Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel – gegebenenfalls in Verbindung mit einem Taxi – wahrzunehmen. Es hat nicht konkret festgestellt, wo sich die von dem Betroffenen zu betreuenden Baustellen befinden, aus welchem Anlass, wann und wie häufig er diese Baustellen aufsuchen muss und welche Unterlagen oder sonstigen Gegenstände er hierbei mitführen muss. Feststellungen zu den Fahrplänen der dem Betroffenen zur Verfügung stehenden öffentlichen Verkehrsmittel fehlen ebenfalls.

 Aus dem angefochtenen Beschluss ergibt sich auch nicht, dass keine geeignete Person zu finden ist, die der Betroffene für die Dauer eines Fahrverbotes als (Aushilfs-)Fahrer einstellen könnte. Das Amtsgericht hat sich insofern auf die Äußerung einer Vermutung beschränkt. Dass die vorübergehende Beschäftigung eines Fahrers dem Betroffenen in finanzieller Hinsicht nicht möglich sein soll, ist nicht ersichtlich. Der Betroffene verfügt als Rentenempfänger über ein geregeltes Einkommen. Zudem hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend darauf hingewiesen, dass der Betroffene neben dem Rentenbezug nicht ganz unerhebliche Einkünfte aus seiner freiberuflichen Tätigkeit als Architekt erzielen dürfte. Nötigenfalls muss er sich die erforderlichen Mittel durch eine Kreditaufnahme beschaffen.

c) Schließlich enthält der angefochtene Beschluss auch keine konkreten Darlegungen zum Gesundheitszustand der Ehefrau des Betroffenen und zu der Frage, ob, aus welchem Anlass und in welchem Umfang der Betroffene Fahrten für seine Ehefrau durchführt. Auch auf diesen Gesichtspunkt kann das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes mithin nicht gestützt werden.

Ergebnis: Zurückverweisung, aber an andere Abteilung ;-).

 

 

 

Schlechte wirtschaftliche Verhältnisse: Arbeitsloser: Ja, Rentner. Nein?

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Das OLG Hamm hat am 20.03.2012 zwei Beschlüsse erlassen, die für mich nicht miteinander in Einklang stehen. In beiden Verfahren hatten die AG jeweils Geldbußen von 1.000 € festgesetzt. In beiden Verfahren waren zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen keine näheren Feststellungen getroffen worden. In einem Verfahren hat das OLG die Rechtsbeschwerde verworfen. In dem anderen Verfahren hat es das amtsgerichtliche Urteil wegen Lücken in den Feststellungen aufgehoben und zurückverwiesen.

Der Unterschied:

  • In dem dem OLG Hamm, Beschl. v., 20.03.2012 – III 3 RBs 440/11 – zugrunde liegenden Verfahren handelte es sich bei dem Betroffenen um einen Rentner. Da sagt das OLG: Allein der Umstand lässt nicht auf außergewöhnliche schlechte Verhältnisse schließen, die besondere Feststellungen erfordert hätten.
  • In dem dem OLG Hamm, Beschl. v. 20.03.2012 – III 3 RBs 441/11 – zugrunde liegenden Verfahren handelte es sich bei dem Betroffenen um einen Arbeitslosen. Da sagt das OLG:Die Arbeitslosigkeit des Betroffenen ist regelmäßig als Anhaltspunkt für außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse anzusehen und erfordert tatsächliche Feststellungen zu der Frage.

M.E. passen die beiden Beschlüsse nicht zusammen: Es ist zwar richtig, dass allein der Umstand, dass der Betroffene Rentner ist nicht sofort auf außergewöhnliche schlechte wirtschaftliche Verhältnisse schließen lässt. Aber: Muss nicht der Umstand, dass es – wie es wohl allgemein bekannt ist – eine große Zahl Rentner gibt, die nur eine kleine Rente beziehen, die oft nicht oder nicht viel höher als Arbeitslosengeld ist, dazu führen, dass im Urteil dargelegt werden muss, welche Rente der betroffene Rentner erhält? Wenn ich das nicht weiß, muss man m.E. zugunsten des Betroffenen davon ausgehen, dass er nur eine kleine Rente bekommt und dann Feststellungen fehlen, wie er davon die Geldbuße von 1.000 € zahlen soll.

Ich hätte im zweiten Fall auch aufgehoben.