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Und nochmals Rahmengebühren im Bußgeldverfahren, oder: Die Mittelgebühr ist immer der richtige Ansatz

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Und als zweite Entscheidung dann der AG Leipzig, Beschl. v. 07.08.2023 – 227 OWi 953/23 -, der noch einmal zur Bemessung der Rahmengebühren im Bußgeldverfahren Stellung nimmt. Und das AG macht es richtig, es geht davon aus, dass grudnsätzlich die Mittelgebühr zugrunde zu legen ist:

„Zugrunde liegt ein straßenverkehrsrechtliches Bußgeldverfahren wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes, welches mit einer Geldbuße i.H.v. 200 € und einem Fahrverbot von 1 Monat zu ahnden wäre und bei Verurteilung 2 Punkte im FAER als mittelbare Folge mit sich bringen würde.

Der Verteidiger hat sich zunächst bestellt und Akteneinsicht begehrt (BI. 9 d.A.) und gegen den am 13.10.2021 erlassenen Bußgeldbescheid (BI. 24 d.A.) form- und fristgerecht am 20.10.2021 Einspruch eingelegt (BI. 26 d.A.). Mit eingegangenem Schriftsatz vom 2.6.2022 hat der Verteidiger auf Verfolgungsverjährung hingewiesen (BI. 27 d.A.) und nach Einstellung des Verfahrens wegen Verfolgungsverjährung durch die Ordnungsbehörde (BI. 28 d.A.) Kostengrundentscheidung (BI. 29 d.A.) beantragt, die am 20. 9.2022 mit der Maßgabe erfolgt ist, dass die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Stadtkasse auf Leipzig auferlegt werden.

Am 6.10.2022 hat der Verteidiger Kostenfestsetzungsantrag gestellt. Die Höhe entspricht der obigen Tenorierung (BI. 46, 46 Rückseite der Akte).

Mit Kostenbescheid vom 2.5.2023 hat die Bußgeldbehörde die Gebühren auf 454,58 € gekürzt: Grundgebühr 65 €, Verfahrensgebühr 110 €, so dass der Gesamtbetrag auf 454,58 € festgesetzt worden ist. Die Ordnungsbehörde setzte die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr herab, weil sie der Auffassung ist, das nur eine herabgesetzte Mittelgebühr anzusetzen sei. Es handele sich bei den Bußgeldverfahren im Straßenverkehr um Massenverfahren, das Verfahren habe keine tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten aufgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Verteidiger mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Die Mittelgebühr sei gerechtfertigt, er habe umfangreich vorgetragen.

2. Dem Antrag des Verteidigers auf gerichtliche Entscheidung ist der Erfolg nicht zu versagen. Er hat ein Anspruch auf Erstattung der von ihm begehrten Gebühren nach dem RVG.
Die Rahmengebühr nach § 14 RVG ist unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen (Amtsgericht Hamburg- Harburg, Beschluss vom 3.6.2021 -621OWiG 128/ 1, Rn. 12, juris).

Anzusetzen ist in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr (Amtsgericht München, Urteil vom 2.12.2019 -213 C 16136/19; Gerold/Schmidt/ Mayer, 24. Aufl. 2019, RVG § 14 Rn. 54-57), Abweichung davon sind im Einzelfall denkbar.

Eine Abweichung nach unten, die zur Herabsetzung der Gebühren des Verteidiger führen, sind vorliegend nicht ersichtlich.

Bei der konkreten Tätigkeit des Verteidigers ist seine beantragte Mittelgebühr festzusetzen. Dieser hat sich nicht nur bestellt und formal Akteneinsicht beantragt, sondern hat sich auch darüber hinaus mit dem Messsystem befasst und nach Erlass des Bußgeldbescheides die Verfolgungsverjährung geprüft, und diese erfolgreich durchgesetzt, sodass auch ein Hauptverfahren vermieden werden konnte.

Vorliegend handelte es sich auch um einen qualifizierten Rotlichtverstoß, der für den Betroffenen erhebliche Konsequenzen hätte, wenn es zu einer Hauptverhandlung gekommen wäre. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen sind vorliegend unerheblich.“

Geht doch 🙂 .

Verkehrs-Owi sind immer unterdurchschnittlich, oder: Fehlende Ermessensausübung des Verteidigers

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Am letzten Freitag im September dann zwei gebührenrechtliche Entscheidungen zu den Rahmengebühren, also § 14 RVG.

Ich beginne mit dem LG Dresden, Beschl. v. 14.09.2023 – 5 Qs 56/23. Das LG äußert sich noch einmal zu den Rahmengebühren im Bußgeldverfahren. In dem Verfahren ging es um einen Rotlichtverstoß mit einem Bußgeld in Höhe von 90,00 €, verbunden mit der Eintragung von einem Punkt in das Fahreignungsregister. Dagegen der Einspruch des Verteidigers. Die Hauptverhandlung beim AG hat dann 27 Minuten gedauert. Der Betroffene ist frei gesprochen worden.

Der Verteidiger macht dann seine Gebühren geltend, wobei er bezüglich der Grund- und Verfahrensgebühren jeweils 90 % der Mittelgebühr und betreffend der Terminsgebühr 96 % der Mittelgebühr ansetzt. Der Bezirksrevisor hat  die Festsetzung der Gebühren jeweils in Höhe von 70 % der jeweiligen Mittelgebühr beantragt. In der Höhe hat das AG dann festgesetzt. Dagegen die sofortige Beschwerde, die keinen Erfolg hatte:

„Nach § 14 RVG bestimmt ein Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände. Solche sind v. a. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Wenn die Gebühr von einem Dritten, mithin auch von der Staatskasse, zu ersetzen ist, ist die anwaltlich getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist, § 14 Abs. 1 S. 4 RVG.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer sind durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Fahreignungsregister grundsätzlich als unterdurchschnittliche Bußgeldsache anzusehen, (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 29.09.2017, 5 Qs 63/17, im Ergebnis wie hier LG Hanau, Beschluss vom 18. Mai 2020 – 7 Qs 38/20 -, juris; LG Osnabrück, Beschluss vom 25. Februar 2020 – 15 Qs 11/20 -, juris; LG Halle (Saale), Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 3 Qs 117/19 -, juris; LG Kassel, Beschluss vom 20. Mai 2019 – 8 Qs 18/19 -, juris und LG Berlin, Beschluss vom 12. September 2006 – 526 Qs 257/06 -, juris). Als angemessene Vergütung in derlei Fällen kommt grundsätzlich nicht die Mittelgebühr, sondern eine niedrigere Gebühr in Betracht.

Der Verteidiger des Betroffenen hat in Kenntnis dieser ständigen Rechtsprechung der Kammer, die in vergleichbaren Fällen eine Gebührenerstattung in einem Umfang von 70 % der Mittelgebühr vorsieht, 20 % bzw. 26 % hinzuaddiert und vorgetragen, dass bei der Gebührenbemessung das Ermessen in dieser Bußgeldsache berücksichtigt worden sei, indem er gerade nicht die Mittelgebühr in Ansatz gebracht habe.

Der Verteidiger des Betroffenen übersieht dabei, dass der Toleranzrahmen von 20 % bei der anwaltlichen Bestimmung der billigen Gebühr nach § 14 RVG nicht den Zweck hat, die eindeutig angemessene Gebühr einfach um 20 % zu erhöhen. Eine vom Gericht zu tolerierende Gebührenbestimmung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn sie auf Grund der Umstände des Einzelfalls in Verbindung mit den Bemessungskriterien getroffen worden ist, (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, § 14 Rn. 12).

Daran fehlt es vorliegend. Bereits aus dem Verteidigervorbringen ergibt sich, dass sich die Entscheidung nicht mit den Umständen des Einzelfalls, der Bedeutung der Angelegenheit, der Schwierigkeit und des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Betroffenen auseinandergesetzt hat, sondern lediglich unter Berufung auf die Toleranzgrenze ein Aufschlag auf die angemessene Gebühr um 20 % bzw. 26 % vorgenommen wurde.

Eine solche ohne das gebotene Ermessen getroffene Bestimmung ist ermessensfehlerhaft und damit unbillig und nicht verbindlich, auch wenn die geltend gemachten Gebühren die Toleranzgrenze von 20 % teilweise nicht überschreiten sollten….“

Dazu nur zwei Punkte:

1. Das, was das LG zur Rahmengebühr und zur Mittelgebühr schreibt, ist falsch und wird auch nicht dadurch richtig(er), dass man auf eine falsche ständige Rechtsprechung verweist. Das ist mal wieder eine der Sachen, bei der ich schreien möchte: Ich mag nicht mehr.

2. Zutreffend ist allerdings dann – blindes Huhn und so 🙂 -, was das LG zur Gebührenbestimmung schreibt. Da muss die Ausübung des Ermessens des Rechtsanwalts erkennbar sein, was hier aber nicht der Fall war. Also: Keine Bindungswirkung.

Festsetzung von Rahmengebühren im OWi-Verfahren, oder: Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG

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Und zum Ausklang der Woche dann noch Gebührenrecht.

Zunächst der der AG Offenbach, Beschl. v. 15.07.2021 – 275 Owi 248/21 – zum Anfall der zusätzlichen Gebühr Nr. 5115 VV RVG und zur Bemessung der Rahmengebühren im Bußgeldverfahren.

Gegen den Betroffenen ist ein Bußgeldbescheid ergangen. Gegen den hatte der Verteidiger des Betroffene Einspruch eingelegt und zugleich Akteneinsicht beantragt. Zudem hat der Verteidiger angekündigt, nach Einsichtnahme eine Einlassung abzugeben. Das Verfahren ist dann später nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, ohne dass der Verteidiger eine Einlassung abgegeben hat. Der Betroffene beantragte die Erstattung der ihm entstandenen notwendigen Auslagen und macht auch die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 5115 VV RVG geltend. Die Verwaltungsbehörde hat die Erstattung dieser Gebühr abgelehnt. Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte keinen Erfolg:

„Die Mitwirkungsgebühr gem. Nr. 5115 VV RVG war nicht festzusetzen, da hier keine anwaltliche Mitwirkung vorlag, durch die eine Verfahrensbeendigung eingetreten ist.

Für die Entstehung dieser Gebühr ist ein Beitrag des Verteidigers an der Verfahrensbeendigung erforderlich. Dabei sind allerdings keine hohen Anforderungen an den Beitrag zu stellen. So kann bereits die Mitteilung, dass keine Angaben zur Sache gemacht werden, einen Beitrag darstellen. Im hiesigen Fall hatte der Verteidiger allerdings eine solche Angabe nicht gemacht. Er hatte vielmehr erklärt, Einspruch einzulegen und angekündigt, eine weitere Stellungnahme abzugeben. Eine solche Stellungnahme erfolgte allerdings nicht. Es erfolgte gerade nicht die Mitteilung, dass von einem Schweigerecht Gebrauch gemacht werde. Der Behörde wurde vielmehr suggeriert, dass noch weitere Angaben erfolgen würden. Auch die Sachstandsanfrage des Verteidigers stellt keine Verfahrenshandlung dar, die an einer Beendigung des Verfahrens mitwirkt.“

Und zur Bemessung der Rahmengebühren führt das AG aus:

„Grundsätzlich ist bei der Bemessung der Gebühr von der Mittelgebühr auszugehen. Bei Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten ist allerdings in der Regel, aufgrund des Massencharakters, der einfach gelagerten Sachverhalte und der niedrigen Höhe der Bußgelder eine Gebühr unterhalb der Mittelgebühr festzusetzen. Bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, denen ein standardisiertes Messverfahren zugrunde liegt, erfolgt in der Regel eine Festsetzung deutlich unterhalb der Mindestgebühr, da es sich dabei um besonders einfache Sachverhalte handelt, die leicht zu prüfen sind, keine rechtlichen Schwierigkeiten aufweisen und für die Betroffenen häufig nicht von besonderer Bedeutung sind. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei solchen Verkehrsordnungswidrigkeiten in der Regel keine Zeugen zu vernehmen sind, da der Beweis alleine durch Urkunden und Lichtbilder geführt wird. Dies ist bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, denen kein standardisiertes Messverfahren zugrunde legt, in der Regel nicht der Fall. Es ist allerdings immer eine Prüfung des Einzelfalles vorzunehmen und der Umfang und die Bedeutung des konkreten Verfahrens zu bestimmen.

Dem hiesigen Verfahren lag ein Geschwindigkeitsverstoß zu Grunde, wobei nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht wurde. Von der Behörde wurde die Regelgeldbuße von 160 Euro und das Regelfahrverbot von 1 Monat festgesetzt. Der Antragsteller hat mitgeteilt, dass die Betroffene deutlich oberhalb des Einkommensdurchschnittsverdiene. Damit hat das Verfahren für sie aufgrund der geringen Bußgeldhöhe eine niedrige Bedeutung, auch wenn hier ein Fahrverbot verhängt wurde. Aufgrund ihrer guten Einkommensverhältnisse wäre es für die Betroffene, im Vergleich zu weniger gut gestellten Menschen, ein leichtes gewesen, dass Fahrverbot durch die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Taxis zu kompensieren.

Inhaltlich enthält die Akte nur 9 Seiten relevanten Inhaltes. Das Verfahren lag damit hinsichtlich seines Umfanges am absolut unteren Ende. Ausweislich des Akteninhaltes war hinsichtlich des Geschwindigkeitsverstoßes der Vollbeweis erbracht. Die Messung erfüllte die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens. Hätte der Verteidiger den Akteninhalt geprüft, so wäre ihm bewusst gewesen, dass in diesem Verfahren nur eine Verurteilung der Betroffenen hätte erfolgen können, sofern nicht zuvor ein Verfahrensfehler auftritt. Der Akteninhalt war allerdings überhaupt nicht bekannt, da die Behörde dem Akteneinsichtsgesuch des Verteidigers nicht nachgekommen war und dies auch im Verfahren zu keinem Zeitpunkt nachgeholt hat. Der Verteidiger hatte damit nur einen Aktenumfang von 2 Seiten zu prüfen, nämlich den Anhörungsbogen und den Bußgeldbescheid. Auf dieser Basis konnte nur eine Prüfung erfolgen, ob die auf dem Lichtbild des Anhörungsbogens abgebildete Fahrerin die Betroffene war. Ein derart beschränkter Prüfungsumfang rechtfertigt nur die Festsetzung deutlich unterhalb der Mittelgebühr liegender Gebühren. Dies gilt sowohl für die Grund- als auch für die Verfahrensgebühr.“

13 Seiten LG Aachen zu Gebühren im Strafverfahren, oder: U.a. Billigkeit, Bemessung, Erstattung

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Und als zweite Entscheidung dann noch der LG Aachen, Beschl. v. 26.05.2021 – 60 Qs 18/21. Das LG nimmt umfangreich zur Gebührenbemessung nach § 14 RVG Stellung. Hier sollen dann die ebenfalls umfangreichen Leitsätze reichen, nämlich:

  1. In strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren besteht eine Abhilfemöglichkeit nicht. Ein gleichwohl erlassener Nichtabhilfebeschluss ist im Hinblick hierauf (deklaratorisch) aufzuheben.

  2. Dem Verteidiger steht gegen einen den Antrag auf Festsetzung der Wahlverteidigervergütung teilweise ablehnenden Kostenfestsetzungsbeschluss keine Beschwerderecht zu (Anschluss an LG Saarbrücken, Beschluss vom 7. November 2012 – 2 Qs 40/12; LG Hagen, Beschluss vom 6. Juli 2016 – 44 Qs 65/16). Zu Gunsten des ehemaligen Angeklagten ist ein von dem Verteidiger im eigenen Namen eingelegtes Rechtsmittel daher so auszulegen, dass dieses (auch) im Namen des ehemaligen Angeklagten eingelegt worden ist.

  3. Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, einen Beruf auszuüben, ist untrennbar mit der Freiheit verbunden, eine angemessene Vergütung zu fordern. Gesetzliche Vergütungsregelungen und ihre Anwendung durch die Fachgerichte sind daher am Maßstab dieses Grundrechts zu messen (BVerfG, Kammerbeschuss vom 19. August 2011 – 1 BvR 2473/10).

  4. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt in Verfahren, für welche die RVG-VV eine (Betrags-)Rahmengebühr vorsieht, die Höhe der Gebühr innerhalb des vorgegebenen Rahmens unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten (hier: der Landeskasse), zu erstatten, ist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebührenhöhe nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Unbillig ist der Gebührenansatz dann, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 % über der angemessenen Höhe liegt.

  5. Darüber hinaus liegt eine vom ersatzpflichtigen Dritten zu tolerierende Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt nur dann vor, wenn sie aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles in Verbindung mit den Bemessungskriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG getroffen worden ist. Liegt eine solche Ermessensentscheidung nicht vor (hier: pauschale Erhöhung der Gebührentatbestände aufgrund einer psychischen Erkrankung des Mandanten ohne Berücksichtigung der hierdurch jeweils abgegoltenen Tätigkeit), ist die vom Verteidiger vorgenommene Gebührenbestimmung auch dann unbillig, wenn sie die Toleranzgrenze von 20 % nicht überschreitet (Anschluss an OLG Stuttgart, Urteil vom 19. April 2012 – 2 U 91/11; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 1998 – 1 Ws 148/98; LG Tübingen, Beschluss vom 15. Juni 2016 – 9 Qs 37/16).

  6. Sind wesentliche Bemessungskriterien des § 14 Abs. 1 RVG als eher unterdurchschnittlich anzusehen und ist aufgrund einer psychischen Erkrankung des Mandanten ausschließlich die Informationsbeschaffung im Rahmen des Erstgesprächs als überdurchschnittlich anzusehen, kann auch unter Berücksichtigung rechtlicher Schwierigkeiten des Rechtsfalles davon auszugehen sein, dass unter Berücksichtigung des konkreten Umfangs der entfalteten anwaltlichen Tätigkeit bezogen auf den Abgeltungsbereich der Grundgebühr im Vergleich sämtlicher Strafverfahren einschließlich Schwurgerichts- oder Wirtschaftsstrafverfahren insgesamt der Ansatz einer Mittelgebühr angemessen ist (sog. Kompensationstheorie; Anschluss an OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 Ws 254/13).

  7. Ist der später freigesprochene Angeklagte einem Hauptverhandlungstermin unentschuldigt ferngeblieben, hat er keinen Anspruch auf Erstattung der auf diesen Tag entfallenden Gebühren und Auslagen seines Verteidigers. Die von dem Verteidiger entfaltete Tätigkeit stellt sich in diesem Fall als zwecklos dar. Die hierdurch entstandenen Gebühren sind daher keine erstattungsfähigen notwendigen Auslagen i.S. des § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V. mit § 91 Abs. 2 ZPO (Anschluss an LG Osnabrück, Beschluss vom 16. September 1997 – 2 Qs 36/97; AG Koblenz, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 2060 Js 49013/04 und AG Tiergarten, Beschluss vom 11. Januar 2016 – 232b Ds 10/15).

Die restlichen 13 Seiten bitte selbst lesen :-).

Gebührenbemessung im Bußgeldverfahren, oder: Gebührenexperten aus Sachsen am Werk

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Heute ist Freitag und damit Zeit für RVG-Entscheidungen bzw. auch Entscheidungen zum Kostenrecht.

Ich starte mit dem LG Dresden, Beschl. v. 05.10.2020 – 5 Qs 77/20. Gegenstand der Entscheidung sind Gebühren im straßenverkehrsrechtlcichen Bußgeldverfahren. Es handelt sich leider mal wieder um eine dieser Entscheidungen, über die man nur den Kopfschütteln und sich ärgern kann. Da waren mal wieder richtige Gebührenexperten am Werk.

Denn: Das LG sieht die vom Verteidiger getroffene Gebührenbestimmung als unverbindlich an. Der Verteidiger hatte die Mittelgebühr um jeweils 20 % erhöht. Nun lassen wir mal dahingestellt, ob diese Erhöhung angemessen ist/war. Das LG Dresden „kürzt“ nämlich nicht nur auf die Mittelgebühr, sondern geht darüber noch hinaus und bestätigt seine frühere – falsche Rechtsprechung -, wonach in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren immer nur eine niedrigere Gebühr als die Mittelgebühr angemessen sein soll:

„Die Gebührenbestimmung bewegt sich nicht innerhalb der zuzubilligenden Toleranzgrenze von 20 % und ist daher unverbindlich.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer kommt als angemessene Gebühr für die Verteidigung eines Betroffenen, dem eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit mit geringer Bedeutung zur Last gelegt wird, grundsätzlich nicht die Mittelgebühr, sondern nur eine niedrigere Gebühr in Betracht (vgl. Landgericht Dresden, 03.04.2014, 5 Qs 24/14; 24.03.2009, 5 Qs 34/09, zuletzt 25.01.2019, 5 Qs 122/18 und 13.03.2019, 5 Qs 23/19).

Die in Teil 5 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG vorgesehenen Gebührenraten sind für die Vergütung in sämtlichen Bußgeldsachen heranzuziehen. Dies sind neben Verkehrsordnungswidrigkeiten auch solche aus den Bereichen des Bau-, Gewerbe-, Umwelt- oder Steuerrechts, die häufig mit Bußgeldern im oberen Bereich des Bußgeldrahmens von 60,00 bis 5.000,00 Euro geahndet werden und mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind. Zwar können auch Verkehrsordnungswidrigkeiten im Einzelfall einen gleich hohen oder höheren Aufwand als andere Ordnungswidrigkeiten verursachen. Allerdings sind durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Verkehrszentralregister als unterdurchschnittliche Bußgeldsachen anzusehen.

Gegenstand des Ordnungswidrigkeitenverfahrens war eine Geschwindigkeitsübertretung innerhalb einer geschlossenen Ortschaft um 35 km/h mit der Folge einer Geldbuße von 160,00 Euro, einem drohenden einmonatigen Fahrverbot und einer Eintragung von zwei Punkten in das Fahreignungsregister.

Der Verteidiger des Betroffenen hat den Einspruch nicht begründet und hatte bereits im verwaltungsrechtlichen Verfahren Einsicht in die zu diesem Zeitpunkt 9 Seiten umfassende Akte genommen.

Der Umfang (der zeitliche Aufwand) und die Schwierigkeit (die Intensität der Arbeit) der anwaltlichen Tätigkeit waren als unterdurchschnittlich zu bewerten, auch wenn der Verteidiger nach eigenem Vorbringen mehrere ausführliche Beratungsgespräche geführt haben will. Auch der Umstand, dass der Betroffenen beruflich auf den Führerschein angewiesen ist, mach die Angelegenheit nicht zu einer zumindest durchschnittlichen Ordnungswidrigkeit i.S.d. des Gebührenrechts.

Vielmehr ist das vorliegende Bußgeldverfahren unter Berücksichtigung dieser Kriterien gegenüber anderen als unterdurchschnittlich anzusehen. Aufgrund der Gesamtumstände erscheint daher – wie es der Rechtsprechung der Kammer in vergleichbaren Fällen entspricht – eine Festsetzung der Grund- und Verfahrensgebühren in Höhe von 70 % der jeweiligen Mittelgebühr angemessen.

In Anbetracht dieser Sachlage ist der Ansatz der Kostenbeamtin, jeweils die Mittelgebühr anzusetzen, nicht gerechtfertigt. Sofern sich der Verteidiger im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zur Angemessenheit zumindest der jeweiligen Mittelgebühren auf anderslautende Entscheidungen beruft, ist dies kein Anlass für die Kammer, von der ständigen Rechtsprechung abzuweichen. Danach sind zur Beurteilung der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowohl die Höhe der Geldbuße, der Aktenumfang, als auch die Dauer der Hauptverhandlung Kriterien, welche neben dem Inhalt des Vorwurfs des Verkehrsverstoßes zu berücksichtigen sind.

Wie der Bezirksrevisor des Amtsgerichts Dresden zu Recht ausführt, stellt die hier in Rede stehende Ordnungswidrigkeit (Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit) eine unterdurchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit dar. Auch der Umstand, dass die Eintragung von zwei Punkten in das Fahreignungsregister und ein einmonatiges Fahrverbot drohte, führt zu keinem anderen Ergebnis.

Die Mittelgebühr ist zugeschnitten auf den Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche und nicht auf den Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten.

Zum anderen ist auch das drohende Fahrverbot von einem Monat nicht geeignet, einen besonderen Umstand zu begründen. Ein besonderer Härtefall, der Verlust des Arbeitsplatzes oder eine besondere Bedürftigkeit (z.B. Behinderung) drohten nicht. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen spielten bei der Entscheidung keine Rolle.

Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit war insgesamt vielmehr im unterdurchschnittlichen Bereich anzusiedeln. Die Verfahrensakte war überschaubar, einfach zu erfassen und wies in rechtlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten auf. Aufgrund dieser Gesamtumstände erscheint daher – wie es der Rechtsprechung der Kammer in vergleichbaren Fällen entspricht – eine Festsetzung der Grund- und Verfahrensgebühren wie auch der Terminsgebühr in Höhe von 70% der jeweiligen Mittelgebühr angemessen (vgl. u.a. LG Osnabrück, Beschluss vom 25. Februar 2020 – 15 Qs 11/20 -, juris; LG Hanau, Beschluss vom 18. Mai 2020 – 7 Qs 38/20 -, juris; LG Halle (Saale), Beschluss vom 18. Dezember 2019-3 Qs 117/19-, juris).

Nachdem die Gebührenbestimmung durch den eingereichten Kostenfestsetzungsantrag wegen Unbilligkeit nicht mehr bindend ist, hat das Beschwerdegericht die Gebühren selber festzulegen. Wie vom Bezirksrevisor des Amtsgerichts Dresden ausgeführt, ist hier lediglich eine auf 70 % reduzierte Mittelgebühr angemessen.“

Wie gesagt: Man kann nur den Kopfschütteln, wenn man das liest.Warum auch ein drohendes Fahrverbot nicht zumindest die Mittelgebürh rechtfertigt, erschließt sich nicht. Ich möchte mal erleben, dass einem Mitglied der Beschwerdekammer ein Fahrverbot droht. Das ist dann sicherlich die „wichtigste Sache der Welt“

Das Ganze lässt sich letztlich mit dem RVG nicht begründen und ist freie Rechtsschöpfung der LG und AG, die so vorgehen und sich dann nur selbst zitieren, ohne sich mit abweichenden Meinungen/Entscheidungen auseinander zu setzen.

Und die Ausführungen zur – natürlich nicht gewährten – zusätzlichen Verfahrensgebühr sind auch falsch:

„Soweit mit Antrag vom 16.04.2020 auch die Gebühr gem. Nr. 5115 VV RVG begehrt wurde, ist diese nicht zuzubilligen, da die Gebühr durch das Verhalten des Verteidigers nicht zur Vermeidung der Hauptverhandlung beigetragen hat. Allein der Umstand, dass vor dem Hintergrund eines standardisierten Messverfahrens prophylaktisch ein Gutachten durch das Gericht eingeholt werden sollte und der Verteidiger hierzu seine Zustimmung erteilte, führte dies nicht zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung.

Die Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG ist eine Erfolgsgebühr. Der Erfolg muss – anders als der Verteidiger offenbar meint – gerade durch die Mitwirkung des Verteidigers eingetreten sein. Der Verteidiger soll für eine Mitwirkung an einer Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens gesondert honoriert werden (Hartmann, Kostengesetze, 45. Auflage 2015, VV RVG 5115, Rdnr. 1 und 2), nicht aber für eine dem Betroffenen besonders günstige Verteidigungsstrategie.

Die Einlegung des Einspruchs ist für sich genommen keine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Mitwirkungshandlung und kann auch nicht als „gezieltes Schweigen“ angesehen werden.

Nachdem tatsächlich kein Gutachten eingeholt worden war, sondern das Verfahren schlicht nicht bearbeitet werden konnte und somit die verfahrensgegenständliche Ordnungswidrigkeit verjährt ist, lag in der Tätigkeit des Verteidigers keine Förderung des Verfahrens vor.“

„Der Verteidiger soll für eine Mitwirkung an einer Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens gesondert honoriert werden (Hartmann, Kostengesetze, 45. Auflage 2015, VV RVG 5115, Rdnr. 1 und 2), nicht aber für eine dem Betroffenen besonders günstige Verteidigungsstrategie.“ Eben. Liest den keiner in der Kammer mehr das, was der Berichterstatter geschrieben. Natürlich honoriert die Nr. 5115 VV RVG auch eine „besonders günstige Verteidigungsstrategie“, die zu einer „Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens “ führt, wodurch dem Rechtsanwalt die Terminsgebühr verloren geht.  Ob die Gebühr hier berechtigt war, lässt sich im Übrigen nicht abschließend sagen, da das LG nicht alle maßgeblichen Umstände mitteilt. Die Qualität des Beschlusses spricht aber m.E. dafür, dass das LG auch an der Stelle nicht richtig liegt.