Schlagwort-Archive: Rahmengebühren

Verwirkung bei der Kostenerstattung, oder: Warum so lange warten?

© Elena Schweitzer – Fotolia.com

Heute am Freitag dann zwei Gebührenentscheidungen bzw. Entscheidungen mit gebührenrechtlichem Einschlag. Das ist zunächst der LG Düsseldorf, Beschl. v. 12.05.2017 – 61 Qs 5/17. Der behandelt u.a. eine Verwirkungsproblematik. Ergangen ist der Beschluss in einem Bußgeldverfahren. Das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen ist durch Beschluss des AG vom 02.07.2013 eingestellt worden. Kosten und Auslagen wurden der Landeskasse auferlegt. Der Kostenfestsetzungantrag wird erst am 17.09.2016 gestellt. Das LG diskutiert die Frage der Verwirkung und verneint sie:

„8. Keine Verwirkung des Auslagenerstattungsanspruchs

Der Auslagenerstattungsanspruch des Betroffenen ist auch trotz des verhältnismäßig langen Zeitraums zwischen der Rechtskraft des Urteils (11. Juli 2013) und dem Kostenfestsetzungsantrag (17. September 2016) nicht verwirkt.

a) Die Verwirkung stellt einen auch von Amts wegen zu berücksichtigenden Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung dar, dem auch prozessuale Befugnisse wie Ansprüche auf Kostenerstattung unterliegen können. Die Rechtsfigur der Verwirkung stellt einen Ausnahmetatbestand dar. Der Verstoß gegen Treu und Glauben, der den Verwirkungstatbestand begründet, besteht in der Illoyalität der verspäteten Geltendmachung des Anspruchs (OLG Düsseldorf, ZFSch 2011, 527 m.w.N.). Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es lange Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat („Zeitmoment“) und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte („Umstandsmoment“), dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (OLG Oldenburg, NStZ 2006, 411 m.w.N.).

b) Der rechtskräftig festgestellte Auslagenerstattungsanspruch des Betroffenen gegen die Staatskasse, der der 30-jährigen Verjährungsfrist unterliegt (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), ist noch nicht verjährt. Eine Verwirkung kann indes grundsätzlich schon vor der Verjährung eintreten; darin liegt gerade die besondere Bedeutung der Verwirkung in der Praxis (OLG Oldenburg, NStZ 2006, 411).

c) Der Betroffene hat seinen Anspruch über mehr als drei Jahre – und damit über einen längeren Zeitraum hinweg – nicht geltend gemacht. Das Zeitmoment als Voraussetzung einer Verwirkung liegt vor diesem Hintergrund vor.

d) Es liegt jedoch das darüber hinaus erforderliche Umstandsmoment nicht vor. Die Landeskasse durfte sich nach den Umständen und dem Verhalten des Betroffenen (noch) nicht darauf einrichten, dass dieser sein Recht nicht geltend machen werde.

Auch wenn der Betroffene seinen Anspruch über mehr als drei Jahre hinweg nicht geltend gemacht hat und – wie bereits gezeigt – damit das für eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment bereits vorliegt, ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass die Verjährungsfrist für seinen Anspruch gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB 30 Jahre beträgt. Das Gesetz geht daher grundsätzlich davon aus dass eine Geltendmachung des Anspruchs binnen dieser 30 Jahre möglich ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene dementgegen seinen Anspruch nicht mehr geltend machen würde und aufgrund derer die Landeskasse hätte darauf vertrauen dürfen, liegen nicht vor. Zum Zeitpunkt der Stellung des Kostenfestsetzungsantrages war erst etwas mehr als ein Zehntel der Verjährungsfrist verstrichen. Ein konkretes Verhalten des Betroffenen, aus dem geschlossen werden könnte, dass dieser seinen Anspruch nicht mehr geltend machen würde, ist nicht festzustellen. Festzustellen ist lediglich eine bloße Untätigkeit des Betroffenen über etwas mehr als drei Jahre. Jedenfalls unter Berücksichtigung der Tatsache, dass – im Verhältnis zur Verjährungsfrist – seit der Rechtskraft des Urteils bis zur Stellung des Kostenfestsetzungsantrages ein eher kurzer Zeitraum verstrichen ist, vermag die bloße Untätigkeit des Betroffenen nicht das erforderliche Umstandsmoment zu begründen (vgl. auch OLG Düsseldorf, ZFSch 2011, 527 für den Fall des Zuwartens für über 6 ½ Jahre). Aus der Tatsache, dass die Akte durch die (am Kostenfestsetzungsverfahren unbeteiligte) Staatsanwaltschaft bereits im Jahr 2013 weggelegt wurde, könnte allenfalls der Rückschluss gezogen werden, dass seitens der Staatsanwaltschaft nicht mehr mit einem Kostenfestsetzungsantrag gerechnet wurde, was allerdings Zweifeln begegnet, da das Weglegen die Bearbeitung eines später gestellten Kostenfestsetzungsantrages nicht hindert. Jedenfalls kann aus dem Weglegen aber nicht geschlossen werden, dass seitens der Landeskasse auch davon ausgegangen werden durfte, dass der Auslagenerstattungsanspruch nicht mehr geltend gemacht würde.“

Für mich unverständlich, warum man mehr als drei Jahre verstreichen lässt, bevor man den Kostenerstattungsanspruch des Mandanten geltend macht. Die Gefahr, dass Verwirkung angenommen wird, ist groß.

Das LG hat im Übrigen auch zur Bemessung der Gebühren Stellung genommen. Dazu nur die Leitsätze:

  1. Der Umfang der Akte zum Zeitpunkt der ersten Akteneinsicht ist ein wesentliches Indiz für den Aufwand bei der erstmaligen Einarbeitung in den Rechtsfall. Ein Aktenumfang von zwölf Seiten ist als sehr gering einzustufen und führt zu einer die Mittelgebühr unterschreitenden Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG.
  2. Die Terminsdauer ist ein objektiver Maßstab für die Bemessung der Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG. Ein nur wenige Minuten dauernder Hauptverhandlungstermin ist als deutlich unterdurchschnittlich anzusehen.

In meinen Augen leider ein bisschen knapp.

Schönes vom OLG Schleswig, oder: Der Wahlverteidiger verdient so viel wie der Pflichti/die Nebenklage

entnommen openclipart.org

Die zweite gebührenrechtliche Entscheidung, die ich heute vorstellen möchte, ist der OLG Schleswig, Beschl. v. 02.02.2017 – 1 Ws 11/17 (23/17). Der ist „schön“, zumindest (viel) schöner als der OLG Rostock, Beschl. v. 18.01.2017 – 20 Ws 21/17 (vgl. dazu Die „besondere Bedeutung“ beim OLG Rostock, oder: Vielleicht doch mal einen Blick in einen Kommentar?).

Auch hier geht es um die Kostenfestsetzung nach Freispruch. Im Streit sind beim OLG noch die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG, die die Rechtspflegerin mit 110,– € (!) angesetzt hatte und die Verfahrensgebühr im Revisionsverfahren Nr. 4130 VV RVG, die mit 200,– € bemessen worden ist. Der Verteidiger hat sich damit nicht zufrieden gegeben und Rechtsmittel eingelegt und geltend gemacht, dass die Gebühren mindestens in Höhe der Gebühren für einen Pflichtverteidiger festzusetzen seien. Und das OLG gibt ihm Recht, wobei hinzuweisen ist auf folgende Punkte aus der Begründung:

„………..Die Tätigkeit des Verteidigers im vorbereitenden Verfahren erstreckte sich mitnichten lediglich auf die Anfertigung einer kurzen Stellungnahme, sondern auch auf das Betreiben des Beschwerdeverfahrens, mehrfachen Schriftwechsel mit der Staatsanwaltschaft und wiederholte Akteneinsichtnahmen. Im Übrigen war die Sache von erheblicher Bedeutung. Immerhin war der Angeklagte u. a. wegen eines Verbrechens des besonders schweren Falls der Vergewaltigung angezeigt worden, was zwar (nur) zu einer Anklage wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen, aber immerhin vor der großen Jugendkammer des Landgerichts führte. Vor diesem Hintergrund war die Gebühr Nr. 4104 jedenfalls in Höhe der Gebühren für einen Pflichtverteidiger in Höhe von 132,– € alles andere als unbillig.

Auch die geltend gemachte Revisionsgebühr in Höhe der Pflichtverteidigergebühr von 492,– € ist nicht unbillig. …………. Die Sache ist für den Angeklagten auch nicht unbedeutend. Immerhin wäre das Revisionsverfahren nicht vor dem Oberlandesgericht — wie die Rechtspflegerin irrtümlich annimmt -, sondern vor dem Bundesgerichtshof zu führen gewesen. Da es sich um eine Revision der Staatsanwaltschaft handelte, lag auch kein Verschlechterungsverbot gem. § 358 Abs. 2 StPO vor, und der Angeklagte sah sich der ganzen Strafdrohung des § 182 Abs. 3 StGB von Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren ausgesetzt.

Bei der Prüfung der Unbilligkeit der Forderung darf auch nicht unberücksichtigt gelassen werden, dass die Rechtspflegerin des Landgerichts der Nebenklägervertreterin ohne jede Beanstandungen die Revisionsgebühr Nr. 4130 VV RVG in Höhe von 492,– € zugebilligt hatte. Es erscheint als unbillig, den Verteidiger des Angeklagten, der — anders als die Nebenklägervertreterin — eine nach außen sichtbare Tätigkeit in Form der Anfertigung einer Revisionserwiderung entfaltet hat, auf eine Gebühr in Höhe von lediglich 200,– € zu verweisen.“

Noch schöner wäre es, wenn das OLG geschrieben hätte, dass dem Wahlanwalt immer Gebühren in Höhe mindestens der Pflichtverteidigergebühren zustehen (vgl. dazu AG Köthen, Beschl. v. 22.11.2016 – 13 OWi 31/16 und RVG II: AG Köthen, oder: Sind die Pflichtverteidigergebühren die untere Grenze für die Wahlanwaltsgebühren?). Aber das wäre dann zu schön gewesen 🙂 .

Das kleine gallische Dorf im Gebührenrecht: AG Meißen versus LG Dresden – zur Nachahmung empfohlen

Like - thumb upAn das berühmte kleine gallische Dorf in den Astrix-Geschichte denke ich nicht mehr nur bei PoliscanSpeed, wenn es um das AG Emmendingen geht (vgl. “ein kleines gallisches Dorf…”, oder: AG Emmendingen versus PoliscanSpeed, die 2.„) sondern (jetzt) auch im Gebührenrecht, wenn es um das AG Meißen geht. Ein Kollege hatte mir nämlich den AG Meißen, Beschl. v. 23.01.2015 –  13 OW 703 Js 22714/12 – übersandt, der eine Abrechnung im Bußgeldverfahren, und zwar die Bemessung der Rahmengebühren, zum Inhalt hat. Und ich war dann hoch erfreut, als ich mal wieder lesen konnte, dass die anwaltlichen Tätigkeiten im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren eben nicht grundsätzlich unterdurchschnittlich sind, wie einige Bußgeldkammern verschiedener Landgerichte meinen. Anders der o.a. Beschluss und das dann auch noch mit der Formulierung gegenüber der eigenen Beschwerdekammer: „Die Betrachtungsweise der Bußgeldkammer des Landgerichts Dresden findet im Gesetz keine Stütze.“ Hut ab, Frau Kollegin 🙂 .

„In Bußgeldverfahren erhält der Verteidiger Rahmengebühren, welche der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen bestimmt. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Von Letzterem ist die Rechtspflegerin hinsichtlich der Gebühren Nr. 5100 und 5110 VV in nicht zutreffender Weise ausgegangen. Im Übrigen ist gegen die Einschätzung der Rechtspflegerin hinsichtlich der von der Staatskasse angegriffenen Festsetzung der jeweiligen Mittel-gebühren nichts zu erinnern.

Das Amtsgericht Meißen folgt der Rechtsprechung der Bußgeldkammer des Landgerichts Dresden, wonach wegen des Massencharakters von Verkehrsordnungswidrigkeiten die anwaltliche Tätigkeit in diesen Sachen lediglich als unterdurchschnittlich einzustufen sei, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, in eigener ständiger Rechtsprechung nicht.

Die Betrachtungsweise der Bußgeldkammer des Landgerichts Dresden findet im Gesetz keine Stütze. Soweit dort unterschieden ist zwischen Verfahren mit einer Geldbuße von 40,00 Euro bis 5.000,00 Euro und Verfahren mit einer Geldbuße über 5.000,00 Euro, so ist hieraus nicht zu entnehmen, dass die Anwaltsgebühr in Relation zur Höhe der Geldbuße zu stehen habe. Vielmehr ist das Gesetz nach den zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden da-hingehend zu verstehen, dass Verfahren, in denen Geldbußen von mehr als 5.000,00 Euro zur Anwendung regelmäßig rechtlich und tatsächlich schwierig sind, weil es bereits deren Tatbestand ist. Dies sind regelmäßig recht seltene Fälle aus Nebengesetzen, die in der Regel Spezialkenntnisse verlangen. Verfahren, in denen Geldbußen von 40,00 Euro bis 5.000,00 Euro sollen hingegen der Normalfall an Bußgeldverfahren sein. Dabei soll die dortige Mittelgebühr wiederum den dort durchschnittlichen Bußgeldfall abdecken. Durchschnittsfall im Bußgeldreferat, sei es die richterliche oder anwaltliche Tätigkeit, ist aber die Verkehrsordnungswidrigkeit. Diese Verfahren nehmen den weit überragenden Teil aller Bußgeldverfahren ein. Die vom Landgericht Dresden zum Vergleich herangezogenen Bußgeldtatbestände anderer Rechtsgebiete, insbesondere auf dem Gebiet des Wirtschafts- , Steuer- oder Umweltrechtes machen, wenn sie denn überhaupt einmal auftreten, einen verschwindend geringen Anteil im bußgeld-rechtlichen Dezernat aus. Sie können somit nicht als Durchschnittsfall gelten. So stellt es im durchschnittlichen amtsrichterlichen Dezernat den Normalfall dar, wenn eine Geldbuße um die 100 € verhängt wird. Bereits die Verhängung eines Fahrverbotes ist verhältnismäßig selten höhere Geldbußen ebenfalls. Der Regelfall ist ein Fall der vorliegenden Art und Güte.

Stellen solche Art Verfahren den Normalfall dar, sind sie auch gleichzeitig der Normalfall anwaltlicher Tätigkeit. Dieser soll entsprechend des gesetzgeberischen Willens gerade durch die Mittelgebühr honoriert werden. Soweit es einmal doch zu einem Bußgeldverfahren in Wirtschafts-, Steuer- oder Umweltverfahren kommen sollte, mag dies durch entsprechende Erhöhung der Mittelgebühr bis hin zur Höchstgebühr berücksichtigt werden. Jenseits einer Geldbuße von 5.000 €käme dann ohnehin Nr. 5111 VV zur Anwendung.

Hinzu kommt, dass bei der anzustellenden Einzelfallprüfung ohnehin die jeweilige Bedeutung der Angelegenheit nur ein Entscheidungskriterium neben anderen Erwägungen ist, keinesfalls doch das Ausschließliche oder das Überragende. Im Sinne einer wertenden Entscheidung des Einzelfalls sind vielmehr sämtliche Umstände heranzuziehen, die für die Bestimmung des jeweiligen Gebührenrahmens von Belang sein können. Die Bewertung beschränkt sich namentlich nicht auf die in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG benannten Merkmale. Die Verwendung des Wortes „vor allem“ belegt vielmehr, dass diese nicht enumerativ sondern lediglich exemplarisch aufgeführt sind, vgl. auch Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18.06.2004, L6B 92/03 RJ-KO — noch zu § 12 Abs. 1 BRAGO und der dortigen Verwendung des Wortes „insbesondere“. Gemessen an diesem Maßstab ist die von dem Erinnerungsführer in Ansatz ge-brachte Gebührenbestimmung mit der Mittelgebühr nicht unbillig.“

Zur Nachahmung empfohlen.

Ich möchte das „Geschrei“ nicht hören, wenn man selbst betroffen wäre…

© mpanch - Fotolia.com

© mpanch – Fotolia.com

Und zum Abschluss des Tages – bevor die Osterfeiertage dann richtig beginnen – noch der Hinweis auf das AG Düsseldorf, Urt. v. 18.02.2014 – 20 C 3087/13 – zur Frage der Bemessung der Rahmengebühren im Bußgeldverfahren. Ein Thema, das für den anwaltlichen Geldbeutel von großer Bedeutung ist.

Das AG setzt sich in seiner Entscheidung mit den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG auseinander und geht bei der Gebührenbemessung von einer an den Kriterien des § 14 RVG orientierten Einzelfallbetrachtung aus. Insoweit stimme ich dem AG zu. Seine Auffassung entspricht der erkennbaren Tendenz in der Rechtsprechung, eine Gesamtabwägung aller Umstände vorzunehmen (vgl. dazu u.a. LG Saarbrücken VRR 2013, 39 = RVGreport 2013, 53 = RVGprofessionell 2013, 107 = StRR 2013, 315 und So macht Gebührenrecht Spaß: Munition im Kampf um die Mittelgebühr)

Probleme habe ich dann aber mit der weiteren Argumentation des AG. Dabei mag die Frage des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit und deren Schwierigkeit dahinstehen. Die Umstände kann man nur abschließend beurteilen, wenn man das Verfahren im Einzelnen kennt. M.E. ist es aber einfach falsch, wenn das AG das von mir „eingeführte“ gebührenrechtliche Doppelverwertungsverbot verneint (vgl. dazu z.B. auch Jungbauer DAR 2007, 56; Hansens RVGreport 2006, 210; AnwKomm-RVG/N. Schneider, Vor Vorb. 5.1 Rn. 6). Eine nachvollziehbare Begründung gibt das AG dafür nicht. M.E. kann man aber den Umstand der Höhe der Geldbuße, nachdem sie für die Ermittlung der Gebührenstufe herangezogen worden ist, nicht noch einmal verwenden, um die Gebührenhöhe zu bestimmen.

Unzutreffend ist es m.E. auch, wenn das AG die Punktebelastung im Fall einer Verurteilung als für die Beurteilung der Bedeutung der Angelegenheit nicht bzw. nicht besonders maßgebliches Kriterium ansieht. Das Gegenteil ist m.E. der Fall. Und die Bedeutung wird sich ab 01.05.2014 nach Verschärfung des Punktesystems noch erhöhen. Denn dann sind nur noch 8 Punkte erforderlich, bis die Fahrerlaubnis entzogen wird. Und die sind schnell erreicht. In dem Zusammenhang: Ich möchte das „Geschrei“ nicht hören, wenn der Amtsrichter selbst Betroffener eines solchen Verkehrsverstoßes wäre und die Bedeutung der Angelegenheit so herabgestuft würde, wie man es hier tut. Es gäbe dann sicherlich keine bedeutendere Angelegenheit als die eigene. Dann bitte aber auch bei dem „normalen“ Betroffenen, dem drei Punkte im VZR oder demnächst ein oder zwei Punkte im FAER drohen.

Kann man Rahmengebühren typisieren bzw. über Tabellen ermitteln?

© Gina Sanders – Fotolia.com

Kann man Rahmengebühren typisieren bzw. kann man auf Rahmengebühren Tabellen, die die Gerichte entwickelt haben, anwenden? Eine interessante Frage, auf die ich immer wieder mal gestoßen bin, wenn ich in Gebührenentscheidungen Formulierungen wie: „… nach den von der Kammer entwickelten Grundsätzen“ gelesen habe. So lange das interne Grundsätze sind und auch die Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung finden, habe ich mit solchen Tabellen kein Problem. Nur, wenn die Rahmengebühren rein schematisch nach einer Tabelle bestimmt werden sollen – wenn das überhaupt geht – und werden, dann ist das m.E. unzulässig. Denn § 14 Abs. 1 RVG geht von einer Bestimmung der Gebühren im Einzelfall aus.

So hat jetzt auch vor kurzem das LSG Sachsen entschieden, zwar nicht für Straf- und Bußgeldverfahren, sondern für sozialgerichtliche Verfahren. Aber die vom LSG zu den Verfahren, in denen ja auch Rahmengebühren anfallen, angestellten Überlegungen gelten für die Gebühren nach Teil 4 und 5 VV RVG entsprechend. Im LSG Sachsen, Beschl. v. 22.04.2013 – 8 AS 527/12 B KO – heißt es:

„Bereits unter der Geltung der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) entwickelt und inzwischen von Literatur und Rechtsprechung einhellig als Grundsatz anerkannt ist für den Durchschnitts- oder Normalfall die Mittelgebühr billige Gebühr im Sinne des RVG.

Sie beträgt die Hälfte der Summe von Mindest- und Höchstgebühr des jeweiligen Betragsrahmens, hier also 250,00 € (40,00 € + 460,00 €, geteilt durch 2) und ist in Fällen zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt (vgl. Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, § 14 RdNr. 10). Hiermit wird zum einen Vereinfachungs- und Zweckmäßigkeitsgründen und zum anderen dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz Rechnung getragen, wesentlich Gleiches gleich und Wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 21/09 R – juris RdNr. 24).

Ausgangspunkt der Bestimmung der billigen Gebühr ist daher in jedem Fall die Mittelgebühr.

Unter Beachtung der – nicht abschließenden – Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG sind danach alle konkreten Umstände des Einzelfalls wertend zu betrachten, um in einer Gesamtschau zu beurteilen, ob von der Mittelgebühr nach oben oder unten und ggf. in welchem Maß abzuweichen ist.

Der Senat hält hierbei an der Rechtsprechung des bis 15.07.2012 für das Kostenrecht zuständigen 6. Senats des Sächsischen LSG zur so genannten „Chemnitzer Tabelle“ (vgl. Beschluss vom 31.03.2010 – L 6 AS 99/10 B KO – juris) nicht fest. Zur Vereinheitlichung und Vorhersehbarkeit von PKH-Vergütungsfestsetzungen entwickelte der 6. Senat ein System zu vereinfachten Bestimmung der billigen Gebühr im sozialgerichtlichen Verfahren.

Hierzu wurden ausgehend vom statistischen sozialgerichtlichen Durchschnittsfall (Rentenfall ohne rechtliche Besonderheiten mit Befundberichten und einem Gutachten) für verschiedene Kriterien (z. B. Kausalitätsproblem, nur eine Rechtsfrage, Leistungen für mehr als ein Jahr) Zu- oder Abschläge von der Mittelgebühr vorgenommen (vgl. im Einzelnen Sächsisches LSG, aaO. RdNr. 46 ff.).

Der erkennende Senat hält die hiermit einher gehende weitreichende Typisierung für nicht vereinbar mit § 14 Abs. 1 RVG. Der zur Rechtfertigung angeführte Rechtssicherheitsgedanke trägt die dem Tabellensystem immanente Pauschalierung nicht. Dieser Gedanke stößt dann an seine Grenzen, wenn er den vom Parlamentsgesetzgeber vorgegebenen Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG nicht beachtet. Diese Gefahr besteht, denn das Tabellensystem wird den Umständen des Einzelfalls nicht durchgehend und nicht hinreichend gerecht. Bereits der Ausgangspunkt vom Rentenfall ohne rechtliche Besonderheiten mit Befundberichten und einem Gutachten als typisch existenzsichernder und statistischer Durchschnittsfall (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 31.03.2010 – L 6 AS 99/10 B KO – juris RdNr. 98) ist zweifelhaft. Dies mag in der Vergangenheit statistisch zutreffend gewesen sein. In den letzten Jahren stehen in der Sozialgerichtsbarkeit jedoch Fälle der Grundsicherung für Arbeitsuchende quantitativ im Vordergrund. Im Jahre 2011 etwa entfielen 54,7 Prozent der erledigten Fälle in der sächsischen Sozialgerichtsbarkeit in dieses Teilrechtsgebiet, während auf den Bereich der (allgemeinen) Rentenversicherung insgesamt nur 17,2 Prozent der Erledigungen entfielen (vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Statistischer Bericht – Organisation, Personal und Geschäftsanfall bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften im Freistaat Sachsen 2011, S. 52, abrufbar unter www.statistik.sachsen.de/download/100_Berichte-B/B_VI_2_j11_SN.pdf). Dem Erledigungsanteil entspricht hierbei in etwa auch der Eingangsanteil. Es ist gerichtsbekannt, dass auch bundesweit Streitigkeiten aus dem Bereich des SGB II einen Großteil der sozialgerichtlichen Verfahren stellen.“