Schlagwort-Archive: LSG Sachsen

Kann man Rahmengebühren typisieren bzw. über Tabellen ermitteln?

© Gina Sanders – Fotolia.com

Kann man Rahmengebühren typisieren bzw. kann man auf Rahmengebühren Tabellen, die die Gerichte entwickelt haben, anwenden? Eine interessante Frage, auf die ich immer wieder mal gestoßen bin, wenn ich in Gebührenentscheidungen Formulierungen wie: „… nach den von der Kammer entwickelten Grundsätzen“ gelesen habe. So lange das interne Grundsätze sind und auch die Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung finden, habe ich mit solchen Tabellen kein Problem. Nur, wenn die Rahmengebühren rein schematisch nach einer Tabelle bestimmt werden sollen – wenn das überhaupt geht – und werden, dann ist das m.E. unzulässig. Denn § 14 Abs. 1 RVG geht von einer Bestimmung der Gebühren im Einzelfall aus.

So hat jetzt auch vor kurzem das LSG Sachsen entschieden, zwar nicht für Straf- und Bußgeldverfahren, sondern für sozialgerichtliche Verfahren. Aber die vom LSG zu den Verfahren, in denen ja auch Rahmengebühren anfallen, angestellten Überlegungen gelten für die Gebühren nach Teil 4 und 5 VV RVG entsprechend. Im LSG Sachsen, Beschl. v. 22.04.2013 – 8 AS 527/12 B KO – heißt es:

„Bereits unter der Geltung der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) entwickelt und inzwischen von Literatur und Rechtsprechung einhellig als Grundsatz anerkannt ist für den Durchschnitts- oder Normalfall die Mittelgebühr billige Gebühr im Sinne des RVG.

Sie beträgt die Hälfte der Summe von Mindest- und Höchstgebühr des jeweiligen Betragsrahmens, hier also 250,00 € (40,00 € + 460,00 €, geteilt durch 2) und ist in Fällen zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt (vgl. Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, § 14 RdNr. 10). Hiermit wird zum einen Vereinfachungs- und Zweckmäßigkeitsgründen und zum anderen dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz Rechnung getragen, wesentlich Gleiches gleich und Wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 21/09 R – juris RdNr. 24).

Ausgangspunkt der Bestimmung der billigen Gebühr ist daher in jedem Fall die Mittelgebühr.

Unter Beachtung der – nicht abschließenden – Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG sind danach alle konkreten Umstände des Einzelfalls wertend zu betrachten, um in einer Gesamtschau zu beurteilen, ob von der Mittelgebühr nach oben oder unten und ggf. in welchem Maß abzuweichen ist.

Der Senat hält hierbei an der Rechtsprechung des bis 15.07.2012 für das Kostenrecht zuständigen 6. Senats des Sächsischen LSG zur so genannten „Chemnitzer Tabelle“ (vgl. Beschluss vom 31.03.2010 – L 6 AS 99/10 B KO – juris) nicht fest. Zur Vereinheitlichung und Vorhersehbarkeit von PKH-Vergütungsfestsetzungen entwickelte der 6. Senat ein System zu vereinfachten Bestimmung der billigen Gebühr im sozialgerichtlichen Verfahren.

Hierzu wurden ausgehend vom statistischen sozialgerichtlichen Durchschnittsfall (Rentenfall ohne rechtliche Besonderheiten mit Befundberichten und einem Gutachten) für verschiedene Kriterien (z. B. Kausalitätsproblem, nur eine Rechtsfrage, Leistungen für mehr als ein Jahr) Zu- oder Abschläge von der Mittelgebühr vorgenommen (vgl. im Einzelnen Sächsisches LSG, aaO. RdNr. 46 ff.).

Der erkennende Senat hält die hiermit einher gehende weitreichende Typisierung für nicht vereinbar mit § 14 Abs. 1 RVG. Der zur Rechtfertigung angeführte Rechtssicherheitsgedanke trägt die dem Tabellensystem immanente Pauschalierung nicht. Dieser Gedanke stößt dann an seine Grenzen, wenn er den vom Parlamentsgesetzgeber vorgegebenen Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG nicht beachtet. Diese Gefahr besteht, denn das Tabellensystem wird den Umständen des Einzelfalls nicht durchgehend und nicht hinreichend gerecht. Bereits der Ausgangspunkt vom Rentenfall ohne rechtliche Besonderheiten mit Befundberichten und einem Gutachten als typisch existenzsichernder und statistischer Durchschnittsfall (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 31.03.2010 – L 6 AS 99/10 B KO – juris RdNr. 98) ist zweifelhaft. Dies mag in der Vergangenheit statistisch zutreffend gewesen sein. In den letzten Jahren stehen in der Sozialgerichtsbarkeit jedoch Fälle der Grundsicherung für Arbeitsuchende quantitativ im Vordergrund. Im Jahre 2011 etwa entfielen 54,7 Prozent der erledigten Fälle in der sächsischen Sozialgerichtsbarkeit in dieses Teilrechtsgebiet, während auf den Bereich der (allgemeinen) Rentenversicherung insgesamt nur 17,2 Prozent der Erledigungen entfielen (vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Statistischer Bericht – Organisation, Personal und Geschäftsanfall bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften im Freistaat Sachsen 2011, S. 52, abrufbar unter www.statistik.sachsen.de/download/100_Berichte-B/B_VI_2_j11_SN.pdf). Dem Erledigungsanteil entspricht hierbei in etwa auch der Eingangsanteil. Es ist gerichtsbekannt, dass auch bundesweit Streitigkeiten aus dem Bereich des SGB II einen Großteil der sozialgerichtlichen Verfahren stellen.“

Let`s talk about – befangen werde/bin ich nicht…

Bei der Recherche nach interessanten Entscheidungen bin ich auf LSG Sachsen, Beschl. v. 27.09.2011 – L 7 SF 114/11 AB gestoßen, das über das Selbstablehnungsgesuch eines Richters am SG entschieden hat. Das LSG hat das Gesuch als unbegründet angesehen, und zwar mit folgender Begründung bzw. trotz Vorlage folgender Umstände:

Die von Richter am Sozialgericht P im Schreiben vom 11.07.2011 mit Ergänzung vom 31.08.2011 angezeigten Umstände rechtfertigen seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit i.S.d. §§ 42 Abs. 2, 48 ZPO nicht. Soweit er mitgeteilt hat, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihre Kanzlei in Bürogemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin betreibt und dass Rechtsanwältin P ihn privat in der Angelegenheit vor Klageerhebung um eine rechtliche Auskunft gebeten habe, die er erteilt habe, führt dies nicht zur Annahme einer Voreingenommenheit, die eine (Selbst-)Ablehnung begründen könnte. Es ist weder unüblich noch zu beanstanden, dass sich Juristen untereinander in ihrer Freizeit über rechtliche Fragen, die ihnen in ihrem Beruf und ihrer täglichen Arbeit begegnen, austauschen und ihre rechtlichen Ansichten kund tun. Dies beinhaltet weder eine Vorfestlegung zu einem bestimmten rechtlichen Problem, noch bestehen begründete Zweifel daran, dass der Richter, wenn er die vorher besprochene Frage in seinem beruflichen Amt zu entscheiden hat, nicht in der Lage sein wird, die im konkreten gerichtlichen Verfahren aufgeworfenen Rechts- und Tatsachenfragen mit der erforderlichen Objektivität und Unvoreingenommenheit zu prüfen und zu entscheiden. Daher begründet der Umstand, dass Richter am Sozialgericht P gegenüber Rechtsanwältin P eine rechtliche Einschätzung zu dem dem Rechtstreit zugrundeliegenden Sachverhalt (ohne Benennung der Verfahrensbeteiligten) abgegeben hat, keine Besorgnis der Befangenheit.

Auch der mitgeteilte Umstand, dass die Familie des Richters am Sozialgericht P und diejenige von Rechtsanwältin P aufgrund deren gemeinsamer Berufsausübung mit der Lebensgefährtin des Richters freundschaftlich eng miteinander verbunden sind, stellt für sich genommen keinen Anlass dar, an der unvoreingenommenen und neutralen Einstellung des Richters gegenüber den Verfahrensbeteiligten zu zweifeln. Die private freundschaftliche Beziehung eines Richters zu einem Prozessbevollmächtigten ist regelmäßig nicht geeignet, einen Verfahrensbeteiligten an dessen Unvoreingenommenheit im gerichtlichen Verfahren zweifeln zu lassen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass Richter ebenso wie Prozessbevollmächtigte in der Lage sind, ihre berufliche und private Beziehung zu trennen, wozu sie aufgrund ihres Amtes bzw. ihres Berufsstandes ohnehin verpflichtet sind. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend aufgrund der freundschaftlichen Verbundenheit der beiden Familien von einer besonders engen persönlichen Beziehung des Richters zur Prozessbevollmächtigten vergleichbar einer Ehe oder nahen Verwandtschaft ausgegangen werden kann, sind für den Senat nicht erkennbar (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 20. Aufl., § 42 RdNr. 13 i.V.m. RdNr. 2).“

Na ja, geht mir ein wenig weit. Die Besorgnis der Befangenheit, und nur darum geht es, soll das „Umständebündel“ nicht begründen?