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Linksabbieger kollidiert mit überholendem Motorrad, oder: Quote, wenn das Motorrad zu schnell fährt

entnommen wikimedi.org
Urheber Noop1958

Die zweite Unfallentscheidung kommt mit dem OLG Schleswig, Urt. v. 01.10.2024 – 7 U 145/23 – auch aus dem Norden. Es geht wieder um die Haftungsquote bei einem Abbbiegeunfall, und zwar in diesem Verfahren zwischen einem Linksabbiegers mit einem überholenden und zu schnell fahrenden Motorrad.

Folgender Sachverhalt: Gestritten wird um materiellen und immateriellen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall am Vormittag des 17.06.2018 in M. bei B. (Kreis R-E. Einmündung von der B4 in Richtung D-moor). Der Zeuge C. fuhr mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug auf der Bundesstraße 4 in Fahrtrichtung N.. Er beabsichtigte nach links in die Straße H. einzubiegen. Der Kläger fuhr mit einem Motorrad der Marke Honda CBR 900 Fireblade SC 33 (EZ 13.06.1997) hinter dem Beklagtenfahrzeug und setzte zum Überholen an. Hierdurch kam es zum Unfall dessen Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind. Streitig ist insbesondere ob und wann der Zeuge C. den Fahrtrichtungsanzeiger betätigte.

Durch den Unfall wurde der Kläger (geb. 1974) verletzt und musste stationär sowie ambulant behandelt werden. Er erlitt eine Sprengung des Schultergelenks links (Typ Rockwood 5, also mit Riss sowohl des Bandapparats als auch der Muskulatur), Schürfwunden und im Behandlungsverlauf eine Wundheilungsstörung. Die Bewegungsfähigkeit der Schulter ist dauerhaft beeinträchtigt. Der Kläger kann den linken Arm nicht mehr über die Horizontalebene heben. Für die weiteren Einzelheiten zum Behandlungsverlauf wird auf die Darstellung im angefochtenen Urteil verwiesen.

Der Kläger hat mit der Klage neben umfassender Feststellung die Beklagte auf Zahlung von Verdienstausfallschaden und Schmerzensgeld in Anspruch genommen, hierbei wurde der begehrte Verdienstausfall bis Ende März 2020 mit 33.858,43 € und Übrigen als monatliche Zahlung in Höhe von 3.183,20 € bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze geltend gemacht. Die Beklagte zahlte zur Erfüllung eines Schmerzensgeldanspruchs an den Kläger insgesamt 6.000,00 EUR. Auf den geltend gemachten Verdienstausfallschaden leistete die Beklagte Zahlungen in Höhe von 28.921,21 EUR. Das LG hat nach Beweisaufnahme der Klage auf Basis einer Haftungsverteilung von 80 % zu 20 % zu Lasten der Beklagten stattgegeben. Gegen die Entscheidung des LG wendet sich die Beklagte mit der Berufung und begehrt die vollständige Klagabweisung.

Das OLG hat auf die Berufung aufgehoben und zurückverwiesen wegen eines Verfahrensmangels. Das LG hatte nämlich einen Beweisantrag der Beklagten übersehen. es hat aber auch „Anmerkungen“ zur Haftungsquote und zum Schmerzensgeld gemacht. Wegen der Einzelheiten bitte den Volltext lesen. Hier gibt es nur die Leitsätze:

1. Das unberechtigte Übergehen eines Beweisantrags stellt einen Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs dar. Darin liegt zugleich ein wesentlicher Verfahrensmangel.

2. Die Entscheidung bei einem wesentlichen Verfahrensmangel zwischen Zurückverweisung und eigenen Sachentscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass eine Zurückverweisung in aller Regel zu einer Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreites führt und dies den Interessen der Parteien entgegenstehen kann.

3. Wenn sich ein Unfall im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Linksabbiegevorgang ereignet, spricht der Anschein dafür, dass der Linksabbieger die ihm obliegenden Sorgfaltsanforderungen, insbesondere die doppelte Rückschaupflicht, nicht ausreichend beachtet hat. Es genügt nicht, den rückwärtigen Verkehr nur über den Spiegel zu kontrollieren.

4. Eine unklare Verkehrslage ist gegeben, wenn der Überholer nach den Umständen mit einem ungefährdeten Überholen nicht rechnen darf, was insbesondere dann der Fall ist, wenn er nicht verlässlich beurteilen kann, was der Fahrer des vorausfahrenden Fahrzeugs sogleich tun werde.

5. Der Umfang eines etwaigen des Mitverschuldens des Verletzten an der Entstehung seiner unfallbedingten Verletzungen ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen.

Rechtsabbieger kollidiert mit Radfahrer auf Gehweg, oder: Quote bei verbotswidrigem Gehwegbefahren

https://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/8894.htm

Und dann im „Kessel Buntes“ am heutigen Samstag zwei zivilrechtliche Entscheidungen, und zwar zu Verkehrsunfällen.

Ich beginne mit dem OLG Schleswig, Urt. v. 19.11.2024 – 7 U 90/23 – zur Haftungsquote bei der Kollision zwischen einem rechtsabbiegenden PKW mit einem querenden Radfahrer, der verbotswidrig einen Gehweg befährt. Das ist sicherlich eine Konstellation, die man in der Praxis häufiger antrifft

Das OLG geht von folgendem Sachverhalt aus: Gestritten wird um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche sowie die Feststellung der Ersatzpflicht künftiger Schäden aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 16.05.2019 gegen 18:00 Uhr bei trockener Fahrbahn an der Einmündung H-weg / S.-straße in P. ereignet hat.

Der damals 18-jährige Kläger befuhr mit seinem Fahrrad, einem sog. All-Terrain-Bike, den entlang des H.-weges verlaufenden, mit dem Zeichen 239 gekennzeichneten und damit ausschließlich Fußgängern vorbehaltene Gehweg von der Lichtzeichenanlage kommend in Richtung P. Stadtzentrum. Im Verlauf zur Einmündung S.-straße hin wird der Gehweg zum Fahrbahnbereich des H.-wegs durch einen Zaun und einen Grünstreifen begrenzt, bevor die letzten Meter des Gehweges bis zum abgesenkten Bordstein zur Einmündung Schulstraße wieder ohne Begrenzung zur Fahrbahn verlaufen. Hinsichtlich des vom Kläger befahrenen Gehwegs in Fahrtrichtung ab der Lichtzeichenanlage und dem Zeichen 239 sowie die links daneben verlaufende Fahrspur des Beklagten zu 2) wird auf das als Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 21.07.2022 eingereichte Lichtbild Bezug genommen.

Der Beklagte zu 2) befuhr mit dem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten und als Taxi genutzten Pkw VW Caddy mit dem amtlichen Kennzeichen P-XX 4711 den H-weg in gleicher Fahrtrichtung und beabsichtigte, nach rechts in die S.-straße einzubiegen. Als der Kläger seinerseits die Einmündung S.-straße mit dem Fahrrad passieren wollte, wurde er von dem vom Beklagten zu 2) geführten Fahrzeug erfasst, vom Fahrrad gestoßen und überrollt. Der PKW kam auf dem gegenüberliegenden Fußgängerweg der Einmündung zur S.-straße zum Stehen.

Der Kläger erlitt durch den Unfall ein Polytrauma im Sinne eines Überrolltraumas, mehrere Rippenfrakturen, einen Leberriss, eine Blasenruptur, eine Querfortsatzfraktur sowie eine Becken- C-Fraktur und eine Schenkelhalsfraktur rechts. Er wurde stationär bis zum 04.06.2019 im UKSH behandelt. Die Beckenfraktur musste operativ versorgt werden. Im Anschluss erfolgte eine ambulante Rehabilitation und eine erneute stationäre Behandlung im UKSH in der Zeit vom 28.04.2021 bis zum 29.04.2021 zur Entfernung der dynamischen Hüftschraube und der Antirotationsschraube im Bereich der rechten Hüfte. Die Reko-Platte wurde im Bereich des vorderen Beckenringes belassen. Im Folgejahr wurde der Kläger in der Zeit vom 29.03.2022 bis zum 15.04.2022 wegen massiver Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte stationär in der O-Klinik in D. behandelt. Es wurde eine Hüftkopfnekrose rechts diagnostiziert und schließlich am 30.03.2022 eine Hüftgelenkstotalendoprothese (HTEP) rechts eingesetzt, was letztlich zu einer deutlichen Verbesserung der Beschwerden des Klägers führte.

Die beklagte Versicherung hat außergerichtlich auf das Schmerzensgeld einen Betrag in Höhe von 2.000,00 EUR gezahlt. Das LG hat auf die Klage auf Basis einer Haftungsquote von 25 % zur Zahlung weiterer 7.810 EUR verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung, mit der sie die Abweisung der Klage verfolgen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Wegen der Einzelheiten der Begründung des OLG verweise ich auf den verlinkten Volltext. Ich stelle hier nur die Leitsätze ein. Die lauten:

1. Ein erwachsener Fahrradfahrer, der verbotswidrig mit 10 – 27,5 km/h auf einem Fußweg fährt, muss sich als Geschädigter ein erhebliches unfallursächliches Verschulden von 75 % entgegenhalten lassen, wenn er eine Straße über den abgesenkten Bordstein überquert, ohne seiner Wartepflicht nachzukommen.

2. Dem rechts abbiegenden Autofahrer, der mit dem verbotswidrig den parallel zur Fahrbahn liegenden Gehweg nutzenden Radfahrer kollidiert, kann kein kausaler Verstoß gegen § 8 Abs. 1 StVO oder § 9 Abs. 1 S. 4 und Abs. 3 S. 1 StVO angelastet werden. Von diesen Regelungen wird nur der berechtigte nachfolgende Verkehr geschützt. Der Geschädigte kann für sich den besonderen Schutz aus den besonderen Abbiege- und Vorfahrtsregelungen nicht in Anspruch nehmen, wenn er als Radfahrer verbotswidrig einen parallel zur Fahrbahn liegenden Gehweg befahren hat.

3. Dem rechts abbiegenden Autofahrer kann aber ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot nach § 1 Abs. 2 StVO angelastet werden, wenn er bei gehöriger Sorgfalt den Radfahrer rechtzeitig hätte erkennen und die Kollision vermeiden können. Diese Pflicht beinhaltet, sich bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt unfallverhütend zu verhalten.

4. Rechtsabbiegende Autofahrer müssen damit rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer die Straße, in die eingebogen werden soll, in verkehrswidriger queren (hier Radfahrer auf einem Gehweg in Schulhofnähe).

Vergleichsmaßstab, Staatsschutz, Existenzgefährdung, oder: Ausreichende Begründung des „Pauschiantrags“

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Und hier im zweiten Posting dann drei OLG-Entscheidungen, in denen Pauschvergütungen nach § 51 RVG bewilligt worden sind. Das ist ja zumindest schon mal erfreulich. Über deren Höhe wird man allerdings streiten können.

Es handelt sich um folgende Entscheidungen, von denen ich allerdings nur die Leitsätze einstelle:

1. Der Vergleichsmaßstab für die Prüfung eines besonderen Verfahrensumfangs gemäß § 51 RVG ist ausnahmsweise ein durchschnittliches Verfahren aus dem gesamten Spektrum aller erstinstanzlichen Verfahren, wenn ein Staatsschutzverfahren bereits im ersten Hauptverhandlungstermin eingestellt worden ist.

2. Zur Erforderlichkeit einer (ausreichenden) Begründung des Pauschgebührantrags.

1. Zur Beurteilung von besonderem Umfang und besonderen Schwierigkeit in einem Staats-schutzverfahren.

2. Macht der Pflichtverteidiger im Hinblick auf die Gewährung einer Pauschgebühr eine wirt-schaftliche Existenzgefährdung geltend, muss er zu den konkreten Auswirkungen des Verfah-rens auf seinen Kanzleibetrieb nachvollziehbar vortragen.

1. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt eine Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben.

2. Zur besonderen Schwierigkeit eines Strafverfahrens, das wegen der aufgeworfenen Rechtsfragen insbesondere zur Verwertbarkeit sowie der tatsächlichen, durch Sachverständigengutachten zu bewertenden Umstände auch besonders schwierig war.

3. Bei der Zuerkennung einer Pauschgebühr hat sich das OLG – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles – grundsätzlich an den Höchstgebühren, die ein Wahlverteidiger für den entsprechenden Verfahrensabschnitt geltend machen könnte, zu orientieren.

Folgendes ist anzumerken:

Ob das OLG Celle richtig liegt, kann man m.E. bezweifeln. Maßgeblich sind für eine Pauschgebühr doch die Umstände des jeweiligen Verfahrens. Die sind maßgeblich und nicht irgendwelche anderen Staatsschutzverfahren. Damit hat hier zwar nur ein Hauptver-handlungstermin stattgefunden. Aber das reduziert doch die grundsätzliche Einarbei-tungszeit des Pflichtverteidigers nicht. Daher passt die Argumentation, worauf in anderen „Staatsschutzverfahren“ abgestellt wird, nicht.

Ob die Entscheidung des OLG München richtig ist, kann man – wie leider so oft – ohne genaue(re) Kenntnis der konkreten Umstände des Verfahrens nicht beurteilen. Für mich nicht verständlich ist allerdings, warum das OLG nicht eingehender zur Frage der Gewährung einer Pauschgebühr für Sitzungstage, an denen nicht der Pflichtverteidiger, sondern andere Rechtsanwälte teilgenommen hatten, Stellung nimmt. Die angeführte Begründung, ein Son-deropfer sei hier weder in der Person des Pflichtverteidigers, noch in den Personen der ande-ren Rechtsanwälte erkennbar, ist nichts sagend und lässt m.E. die Einzelheiten außer Betracht. Dies gilt um so mehr, weil ja aufgrund der Abtretung etwaiger Gebührenansprüche der Vertre-ter an den Pflichtverteidiger dieser im Zweifel die Terminsgebühren, um die es geht, als gesetz-liche Gebühren geltend gemacht hat und sich nun auf die Pauschgebühr anrechnen lassen muss, ohne dass die fraglichen Termine in die Berechnung der Pauschgebühr einfließen.

Auch OLG Schleswig lässt sich nicht abschließend beurteilen, da sich im Grunde überhaupt keine Einzelheiten des Verfahrens aus dem Beschluss entnehmen lassen.

Zutreffend ist es allerdings, wenn das OLG Celle und das OLG München auf eine ausreichende(re) Begründung des Pauschgebührantrags abstellen. Ohne die geht es nicht. Das ist übrigens ja auch in dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 02.07.2024 – 2 ARs 12/24 – und dem dazu ergangenen BVerfG, Beschl. v. 08.08.2024 – 1 BvR 1680/24 -, die ich heute morgen vorgestellt habe (vgl. Keine Pauschgebühr für den entbundenen Pflichti?, oder: OLG Frankfurt und BVerfG irren mal wieder) angeklungen.

 

 

KCanG I: Erneut „alte“ Überwachungserkenntnisse, oder: Einige OLG für, einige gegen Verwertbarkeit

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Und dann heute nach längerer Zeit mal wieder einige Entscheidungen zum KCanG.

Ich beginne mit einer Zusammenstellung der mir vorliegenden Rechtsprechung der OLG zu den Auswirkungen des KCanG auf die Verwertbarkeit „alter“ EncroChat-ANOM_Überwachungsdaten. Dazu habe ich hier vier Entscheidungen, und zwar:

Für eine Verwertbarkeit von vor Inkrafttreten des KCanG gewonnenen Überwachungsdaten haben sich ausgesprochen:

Vergehen nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG rechtfertigen als „schwere Straftaten“ weiterhin die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO (§ 100a Abs. 2 Nr. 7a StPO). Sie gehören indes nicht zu den Delikten, die als „besonders schwere Straftaten“ nach § 100b Abs. 2 StPO die Anordnung einer Online-Durchsuchung erlauben würden. Das hat aber keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit von vor dem Inkrafttreten des KCanG durch eine EncroChat-Maßnahme gewonnene Daten.

Zur – bejahten _ Verwertbarkeit von EncroChat- und SkyECC-Daten nach Einführung des KCanG.

Gegen eine Verwertbarkeit von vor Inkrafttreten des KCanG gewonnenen Überwachungsdaten haben sich ausgesprochen:

1. Erkenntnisse aus der Auswertung des über den Kryptomessenger-Dienst ANOM geführten Chatverkehrs sind unter Berücksichtigung des Grundgedankens der Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO verwertbar. Eine Beweisverwertung derart erlangter Daten ist demnach stets unzulässig, sofern diese den Kernbereich privater Lebensführung i. S. v. § 100d Abs. 2 S. 1 StPO betreffen. Darüber hinaus dürfen die Erkenntnisse in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung des Verdachts einer Katalogtat i. S. v. § 100b Abs. 2 StPO oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. Ferner sind die einschränkenden Voraussetzungen des § 100b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO zu beachten, wonach die Straftat auch im Einzelfall besonders schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein muss.

2. Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Katalogtat i. S. v. § 100b StPO erfüllt sind, ist auf den Zeitpunkt der Verwendung der Beweisergebnisse abzustellen. Vor dem 01.04.2024 im Zuge der Überwachung der „ANOM“-Chats erlangte Erkenntnisse sind demnach nur verwertbar, wenn die betreffenden Delikte auch im Verwertungszeitpunkt noch den Anforderungen des § 100e Abs. 6 StPO genügen, wenn sie also auch nach Inkrafttreten des KCanG zum 01.04.2024 noch als Katalogtaten i. S. v. § 100b Abs. 2 StPO einzustufen sind.

Der Senat hält auch in Anbetracht der zwischenzeitlich zur Frage der Verwertbarkeit der bei dem Krypto-Dienstanbieter EncroChat in Frankreich gesicherten und den deutschen Strafverfolgungsbehörden übermittelten Daten ergangenen, in der Sache divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung daran fest, dass diese Daten nur in denjenigen Fällen verwertbar sind, in denen sich der Tatvorwurf auf eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO bezieht. Hiervon nicht umfasst sind Straftaten gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 KCanG, also Fälle wie– das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG und die Abgabe von Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG.

Edit: Die Entscheidung des OLG Hamm muss man genau lesen. Das hatte ich erst nicht, habe ich dann aber auf netten Hinweis noch einmal getan und dann den Beitrag und die Überschrift etwas abgeändert

KCanG III: Nochmals die „nicht geringe Menge“, oder: Freigrenzen und Strafzumessung

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Und dann noch das OLG Schleswig, Urt. v.  26.08.2024 – 1 ORs 4 SRs 37/24. Das verhält sich zu zwei Fragen, nämlich einmla zur „nicht geringen Menge“ und zur Frage der Freigrenzen für Mengen und wie damit umzugehen ist.

Zur nicht geringen Menge bringt die Entscheidung nichts Neues, sondern wiederholt nur die Rechtsprechung des BGH.

Zu den Freigrenzen und zur Strafzumessung führt das OLG dann aus:

„2.  Diese Rechtsprechung bezieht sich allerdings im Ausgangspunkt auf solche Tathandlungen, die auch nach der seit dem 1. April 2024 geltenden Gesetzeslage uneingeschränkt – wenn auch unter abgesenkten Strafrahmen gegenüber den Strafvorschriften des BtMG – strafbar sind. In Fällen, die nach der neuen Rechtslage auch straflos sein können und erst mit erreichen von gesetzlich normierten Mengen strafbewehrt sind (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 KCanG) ist eine differenzierte Betrachtung geboten:

a) Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertritt die Auffassung, dass in diesen Fällen dem gesetzgeberischen Ziel der Entkriminalisierung dadurch Rechnung zu tragen ist, dass der legale Besitz bis zu den gesetzlich festgelegten Mengen nicht straferschwerend berücksichtigt werden darf, wenn diese insgesamt durch eine darüber hinausgehende Besitzmenge überschritten werden (BGH, Beschluss vom 30. April 2024 – 6 StR 536/23 –, juris, dort Rn. 27ff.; so auch: Patzak/Fabricius, Betäubungsmittelgesetz, 11. Auflage 204, § 34 KCanG Rn.23; AG Bautzen, Beschluss vom 27. Mai 2024 – 47 Gs 409/24 –, juris). Bei der Ermittlung einer nicht geringen Menge müssten hiernach also die legal besessenen Mengen bzw. Pflanzen ausgenommen werden.

b) Dem hat sich der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs angeschlossen. Danach handelt es sich bei den in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG normierten Einschränkungen zwar um Freigrenzen mit der Folge, dass bei deren Überschreiten die Handlung hinsichtlich des gesamten besessenen, angebauten oder erworbenen Cannabis strafbewehrt ist und das Cannabis als Bezugsgegenstand auch vollständig der Einziehung nach § 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB unterliegt (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2024 – 1 StR 105/24 – juris, dort Rn. 20ff.).

Für dieses Verständnis sei zunächst der Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG heranzuziehen, denn die Formulierung „mehr als“ … … „besitzt“, „anbaut“ oder „erwirbt“ bedeute lediglich, dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht komme, wenn die jeweils genannte Menge überschritten sei. Dass die „erlaubten“ Mengen in jedem Fall aus der Strafbarkeit ausgenommen sein sollen, ergebe sich hieraus nicht. Aus der Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG folge nichts Anderes, da nach § 2 KCanG der Umgang mit Cannabis grundsätzlich verboten sei.

Auch die Systematik des Konsumcannabisgesetzes und der Wille des Gesetzgebers sprächen hierfür; insbesondere führe die Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Besitzmengen in §§ 3, 4 KCanG von dem in § 2 KCanG normierten Verbot des Umgangs mit Cannabis auszunehmen, zu keiner anderen Bewertung. Der Normgeber habe in §§ 3, 4 KCanG infolge einer „geänderten Risikobewertung“ von Cannabis für Erwachsene den Besitz bestimmter Mengen zum Eigenkonsum von dem grundsätzlichen Umgangsverbot des § 2 KCanG ausgenommen (BT-Drucks. 20/8704, S. 93). Zwar teile die Gesetzesbegründung nicht mit, von welchen Erwägungen sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Mengen konkret habe leiten lassen. Angesichts dessen, dass das Konsumcannabisgesetz nach seiner Präambel einen verbesserten Gesundheitsschutz und die Stärkung eines „verantwortungsvolle[n] Umgang[s] mit Cannabis“ (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) zum Ziel habe, sei jedoch davon auszugehen, dass sich die festgesetzten Mengen hieran orientieren und das äußerste Maß dessen darstellen, was mit Blick auf die – auch aus der Sicht des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) – grundsätzlich weiterhin gegebene Gefährlichkeit von Cannabis vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung noch verantwortet werden kann. Dies bedeute, dass der Gesetzgeber den gleichzeitigen Besitz größerer als in §§ 3, 4 KCanG genannter Mengen als gefährlich angesehen und daher verboten habe (vgl. dazu BT-Drucks. 20/8704, S. 131: „erst bei Überschreiten … … strafbar“). Da die Straftatbestände des § 34 KCanG der Durchsetzung der gesetzgeberischen Wertungen – mithin auch dem strikten Verbot, mehr als die in §§ 3, 4 KCanG genannten Mengen zu besitzen – dienen sollen, seien die Regelungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG als Freigrenzen zu verstehen.

Allerdings sei auf der Strafzumessungsebene der geänderten Bewertung des Umgangs mit Cannabis durch den Gesetzgeber Rechnung zu tragen, denn die Wertung des Normgebers, den Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum in einem bestimmten Maß zu erlauben und damit einhergehend den Besitz, Anbau und Erwerb zum Eigenkonsum nur bei Überschreiten bestimmter Grenzen unter Strafe zu stellen, wirke sich auf den Schuldumfang aus. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG genannten Freigrenzen seien daher innerhalb der Straftatbestände des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG) bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).

Auch dieser Auffassung tritt der Senat bei. Bei Überschreitung der zulässigen Gesamtmenge ist der gesamte Besitz strafbewehrt und unterliegt deshalb der Beschlagnahme und Einziehung; der Entkriminalisierung ist allein auf der Rechtsfolgenseite Rechnung zu tragen.

c) Im vorliegenden Fall bedeutet dies bei der Strafrahmenwahl, dass ausgehend von den sechs Cannabis-Pflanzen, die bei dem Angeklagten gefunden wurden, nur drei Pflanzen die Annahme einer nicht geringen Menge begründen könnten, und die drei Pflanzen, die er legal hätte besitzen dürfen, wenn er die legale Besitzmenge nicht insgesamt überschritten hätte, bei der Berechnung außer Betracht zu bleiben haben. Ist es – wie vorliegend – zu einer Gesamtbeschlagnahme gekommen, wäre daher Voraussetzung für den Nachweis einer nicht geringen Menge des illegalen Cannabis-Besitzes, dass eine sichere Tatsachengrundlage derartige Feststellungen (noch) ermöglicht. So liegt es hier. Aufgrund der konkreten tatsächlichen Feststellungen des Schöffengerichts, dass die Pflanzen „etwa 2 Wochen vor der Ernte standen“, geht der Senat davon aus, dass es sich um in Wuchs und Wirkstoffgehalt vergleichbare Cannabispflanzen gehandelt hat, diese mithin auch einen vergleichbaren Wirkstoffgehalt hatten. Bei dieser Tatsachengrundlage kann trotz der rechtmäßigen Gesamtbeschlagnahme unter Berücksichtigung der Freigrenzen im Rahmen der Strafzumessung eine nicht geringe Menge hinsichtlich des illegalen Cannabis-Besitzes festgestellt werden, denn die der Freigrenze unterliegenden Besitzmengen können bei der Berechnung der nicht geringen Menge herausgerechnet werden. Ausgehend von den Feststellungen des Amtsgerichts enthielten drei der Pflanzen, die der Angeklagte besessen hat, insgesamt 18,75 Gramm des Wirkstoffes THC, so dass die nicht geringe Menge um mehr als das Doppelte überschritten war. Selbst wenn hiervon zugunsten des Angeklagten ein Abschlag von 10 % aufgrund der nicht ganz auszuschließenden Qualitätsdivergenz der Pflanzen in Abzug gebracht würde, beliefe sich die bereinigte Wirkstoffmenge immer noch auf 16, 87 Gramm THC. (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 24. April 2024 – 4 StR 50/24 –, juris Rn. 18).

3. Das Schöffengericht hat daher seiner Entscheidung einen falschen Strafrahmen zugrunde gelegt. Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil zugunsten des Angeklagten auch, weil nicht auszuschließen ist, dass eine andere Schöffenabteilung des Amtsgerichts unter Anwendung des höheren Strafrahmens des § 34 Abs. 3 KCanG nach neuer Hauptverhandlung im Rechtsfolgenausspruch auf eine höhere Strafe erkennen wird, insbesondere von einer Anwendung des § 59 StGB möglicherweise absieht. Es war daher auf das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten im tenorierten Umfang aufzuheben. Da sich allein die Strafrahmenwahl als rechtsfehlerhaft erweist, haben die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO) und können in der neuen Hauptverhandlung ggf. ergänzt werden.“