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Gefährdungshaftung bei „passiver“ Unfallbeteiligung?, oder: Zweitanstoß im Verlauf eines Schleudervorgangs

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Und als zweite Entscheidung dann das OLG Celle, Urt. v.  10.05.2023 – 14 U 56/21 – zur Gefährdungshaftung von „passiv“ unfallbeteiligten Fahrzeugen.

Der Kläger verlangt in dem Verfahren von der Beklagten die Feststellung der Haftung für einen Verkehrsunfall, der sich am 11.08.2018 auf einer BAB ereignet hate. Der Kläger, ein zum Unfallzeitpunkt gesunder zehnjähriger Junge, saß angeschnallt im Fahrzeug seiner Mutter, die als Halterin ihr Fahrzeug VW Golf  zum Unfallzeitpunkt steuerte, auf einem Kindersitz im linken Bereich der Fahrzeugrückbank. Vor dem klägerischen Fahrzeug fuhr der Beteiligte E. mit seinem Fahrzeug welches bei der Beklagten haftpflichtversichert ist. Beide Fahrzeuge befuhren die rechten Fahrspur und verlangsamten ihre Fahrt, als sich vor ihnen ein Stau aufbaute.

Von hinten kommend auf der Überholspur näherte sich das Fahrzeug Dodge Ram 1500 der Beteiligten B. . Die Beteiligte B., bei der nach dem Unfall eine erhebliche Alkoholisierung festgestellt worden war (AAK von 1,1 Promille), wechselte aus ungeklärtem Grund von der Überholspur mit ca. 120 km/h nach rechts und prallte ungebremst auf das klägerische Fahrzeug. Durch die Wucht des Aufpralls wurde dieses in das vor ihm fahrende Fahrzeug des Beteiligten E. geschleudert. Das Beklagtenfahrzeug wurde seinerseits ebenfalls gegen das voranfahrende Fahrzeug der Beteiligten K. geschoben. Insgesamt waren vier Fahrzeuge an dem Unfall beteiligt.

Durch den Unfall erlitt der Kläger schwere, lebensgefährliche Verletzungen.

Die klägerische Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und diejenige der Beteiligten B. erklärten eine gesamtschuldnerische Haftung für die Schäden des Klägers. Mit seiner Klage begehrt der Kläger eine gleichlautende Erklärung von der Beklagten, die dies ablehnt. Die Parteien streiten darum, ob der zweite Aufprall des klägerischen Fahrzeugs auf das Beklagtenfahrzeug zu weiteren Verletzungen beim Kläger geführt hat und ob somit auch die Beklagte für die Unfallfolgen des Klägers einstandspflichtig ist.

Das LG hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Unfall sei für den Beteiligten E. ein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG gewesen. Das Fahrzeug sei bei einer wertenden Betrachtung nicht gem. § 7 StVG „bei Betrieb“ gewesen. Allein die Tatsache, dass es ein Hindernis gebildet habe, reiche nicht aus, um eine Gefährdungshaftung anzunehmen. Weder seine Fahrweise noch sein Betriebsvorgang hätten das Unfallgeschehen geprägt.

Dagegen die Berufung des Klägers, die in der Sache überwiegend begründet war:

„Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung gem. § 256 Abs. 1 ZPO, dass die Beklagte als Gesamtschuldnerin neben den im Antrag genannten Gesamtschuldnern für alle Folgen aus dem Verkehrsunfall vom 11. August 2018 gem. § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 421 BGB haftet.

a) Gem. 7 Abs. 1 StVG ist der Halter zum Schadensersatz verpflichtet, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch verletzt wird. Gem. § 7 Abs. 2 StVG ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

aa) Die Ersatzpflicht der Beklagten ist nicht durch höhere Gewalt ausgeschlossen. Gem. 7 Abs. 2 StVG beruht auf höherer Gewalt ein außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter (betriebsfremder) Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und das auch nicht im Hinblick auf seine Häufigkeit in Kauf genommen zu werden braucht (vgl. Hentschel, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 7 StVG, Rn. 32; Filthaut, Haftpflichtgesetz, 6. Aufl., § 1 Rn. 158; Steffen, DAR 1998, 135; jeweils mwN).

Zusammengefasst muss es sich um eine Einwirkung von außen handeln, die außergewöhnlich und nicht abwendbar ist. Alle drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, wenn höhere Gewalt vorliegen soll (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 2005 – 14 U 231/04, Rn. 13, juris).

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es fehlt bereits an einer von außen kommenden, mithin an einer betriebsfremden Einwirkung auf das Fahrzeug der Beklagten. Zwar kann eine solche Einwirkung grundsätzlich nicht nur in einem Naturereignis, sondern auch in einem menschlichen Verhalten bestehen. Hierunter fallen aber insbesondere vorsätzliche Eingriffe dritter Personen in den Verkehr, z. B. in Selbsttötungsabsicht, durch Sabotageakte oder durch absichtliches Stoßen eines Unbeteiligten vor ein Fahrzeug (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 2005 – 14 U 231/04, Rn. 14f., juris).

Weder bei der Kollision zwischen der Beteiligten B. und dem klägerischen Fahrzeug noch bei der darauffolgenden Kollision zwischen dem Beklagten- und dem Klägerfahrzeug hat es sich um vorsätzliches Dazwischentreten eines Dritten gehandelt, der den Zurechnungszusammenhang zum Beklagtenfahrzeug unterbrechen könnte. Vielmehr hat sich ein typisches Risiko verwirklicht, das auf Autobahnen aufgrund der dort gefahrenen Geschwindigkeiten besteht.

Überdies stellt auch das Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer keine höhere Gewalt dar. Auch grobe Regelverstöße sind bereits wegen ihrer Häufigkeit nicht geeignet, einen Haftungsausschluss zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1966 – VI ZR 280/64, Rn. 13, juris).

Auf die noch vom Landgericht thematisierte Frage, dass der Unfall vom Beteiligten E. nicht hätte verhindert werden können, kommt es nicht an, weil es bereits an den beiden ersten Begriffsmerkmalen der höheren Gewalt fehlt. Nach der Änderung des § 7 Abs. 2 StVG durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I S. 2674) begründet eine mögliche Unvermeidbarkeit des Unfalls für sich allein keinen Haftungsausschluss zugunsten des Fahrzeughalters mehr.

bb) Die Verletzungen des Klägers sind bei dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs entstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2019 – VI ZR 236/18, Rn. 8; Urteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19, juris) ist das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen (vgl. die ähnliche Auslegung der „Verwendung eines Fahrzeugs“ im EU-Recht, vgl. EuGH, Urteil vom 20. Juni 2019 – C-100/18, VersR 2019, 1008). Denn die Haftung nach 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Die Vorschrift will alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, Rn. 5; vom 21. Januar 2014 – VI ZR 253/13, Rn. 5; vom 31. Januar 2012 – VI ZR 43/11, Rn. 17; Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19, Rn. 42, alle zitiert nach juris). Erforderlich ist aber, dass die Fahrweise oder der Betrieb des Kraftfahrzeugs zu dem Unfallgeschehen beigetragen hat (BGH, Urteil vom 21. September 2010 – VI ZR 263/09, Rn. 3, juris).

cc) Die Grenzen einer Haftung aus 7 StVG ergeben sich ebenfalls aus dem Schutzzweck der Vorschrift (BGHZ 79, 259, 263). Die Haftung wird nicht schon durch jede Verursachung eines Schadens begründet, der im weitesten Sinne im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges ausgelöst worden ist. Eine Haftung tritt vielmehr erst dann ein, wenn das Schadensereignis dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch zugerechnet werden kann.

Gemessen daran befand sich das Fahrzeug des Beteiligten E. im Betrieb als es mit dem klägerischen Fahrzeug kollidierte. Es diente seiner Fortbewegungs- und Transportfunktion als Verkehrsmittel als sich der Unfall ereignete. Es hat insofern im Sinne einer Mitursächlichkeit durch seinen Betrieb („fahren“) zu dem Unfallgeschehen beigetragen. Im Sinne einer conditio sine qua non könnte das fahrende Beklagtenfahrzeugs auf der BAB 20 nicht weggedacht werden, ohne dass der Unfall passiert wäre.

Soweit die Beklagte meint, der Unfall habe nichts mit der spezifischen Gefährdung eines Fahrzeuges zu tun, weswegen es nicht mehr in den Bereich der Gefahren falle, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden sei, folgt der Senat dem nicht.

Die Gefährdungshaftung des § 7 StVG zielt gerade darauf ab, das Gefahrenpotential zu erfassen, das entsteht, wenn sich Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr bewegen. Geradezu typische risikoreiche Situationen entstehen auf Autobahnen, auf denen viele Verkehrsteilnehmer ihre Fahrzeuge mit hohen Geschwindigkeiten fahren. Entsteht sodann – wie hier – am Ende eines plötzlich aufgebauten Staus ein Auffahrunfall, hat sich genau das Risiko verwirklicht, für das § 7 StVG mit der Gefährdungshaftung erlassen wurde. Es geht bei § 7 StVG nicht um den Ausgleich von Verhaltensunrecht, sondern um eine erfolgsbezogene Haftung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1992 – VI ZR 62/91, Rn. 10, juris; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 7 StVG, Rn. 1 mwN).

Erst wenn sich in einem Schadensfall ein Risiko verwirklicht, das aus einem eigenständigen Gefahrenkreis stammt, wird dieser nicht mehr vom Schutzzweck der Norm des § 7 StVG erfasst. Der Bundesgerichtshof geht dabei von einer weiten wertenden Betrachtung aus, die typische Gefahrenquellen des Straßenverkehrs erfassen soll (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19; Urteil vom 7. Februar 2023 – VI ZR 87/22, beide juris, zur Anhängerhaftung).

(a) Ein eigenständiger neuer Gefahrenkreis, der geeignet gewesen wäre, die Gefährdungshaftung entfallen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1991 – VI ZR 6/91, juris [Schweinemast]; Senat, Urteil vom 18. November 2020 – 14 U 84/20, nachgehend BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2021 – VI ZR 1339/20, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen [Laternenmast]) oder eine Selbstgefährdung (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1990 – VI ZR 33/90, juris, Herausforderungsfall), liegen nicht vor, wie ausgeführt.

(b) Soweit die Beklagte meint, der vorliegende Unfall sei mit der Konstellation eines sog. berührungslosen Unfalls vergleichbar, folgt der Senat dem ebenfalls nicht.

Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis ist, dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat (vgl. st. Rspr. BGH, Urteil vom 22. November 2016 – VI ZR 533/15, Rn. 14 mwN, juris).

Dies ist vorliegend der Fall. Das Beklagtenfahrzeug war unmittelbar an einem Unfall beteiligt, es handelte sich nicht um einen berührungslosen Unfall oder eine vergleichbare Konstellation. Das Risiko der Gefahrenquelle hat sich – im Gegenteil – realisiert.

dd) Der Unfall stand ferner in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (BGH, Urteil vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, Rn. 5 mwN, juris). Auch dies war der Fall (s.o.).

ee) Die Verletzungen des Klägers sind kausal auf das Unfallereignis mit dem Beklagtenfahrzeug zurückzuführen…..“

Ampelausfall war für den Linksabbieger erkennbar?, oder: Wie verhält sich der „Idealfahrer“?

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Und als zweite „Verkehrsunfallentscheidung“ stelle ich das OLG Schleswig, Urt. v. 20.09.2022 – 7 U 201/21 – vor.

Dem Verfahren liegt ein Verkehrsunfall von Ende Oktober 2020 zugrunde. Die Klägerin befuhr mit ihrem PKW gegen 6:20 Uhr die Kreuzung der S.-Str. /W.-Str. auf der S.-Str. aus B. kommend. Sie wollte an der Kreuzung nach links in die W.-Str. einbiegen. Auf der S.-Str. ist für das Linksabbiegen in die W.-Str. eine eigene Abbiegespur mit „Linksabbieger-Ampel“ eingerichtet. Die Klägerin ordnete sich auf der Linksabbiegerspur in Richtung W.-Str. ein und bog dann ab.

In Gegenrichtung fuhr der Beklagte zu 2) mit einem Omnibus auf der S-Str. aus Richtung L. Innenstadt kommend in Fahrtrichtung B.

Der PKW der Klägerin wurde während des Abbiegevorgangs durch den Omnibus hinten rechts angefahren und beschädigt. Die Ampelanlage war zum Zeitpunkt der Kollision unstreitig ausgefallen, wobei Einzelheiten zwischen den Parteien streitig gewesen sind.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen die Berufung der Beklagten, die teilweise Erfolg hatte. Das OLG ist unter Abwägung der Verursachungsbeiträge „nur“ von einer Haftungsquote von 80 % zu 20 % zu Gunsten der Klägerin ausgegangen:

„1. Die Beklagten haben mit der Berufung die wesentlichen Feststellungen nicht angegriffen, insbesondere die zu Lasten des Beklagten zu 2) festgestellten Verkehrsverstöße nicht beanstandet. Auch die Feststellung, dass alle Kreuzungsampeln, mithin auch die zuvor für die Klägerin grünes Licht anzeigende „Linksabbiegerampel“, erst ausfielen, als die Klägerin die „Linksabbiegerampel“ bereits nicht mehr wahrnehmen konnte, da sie diese bereits bei für sie geltendem Grünlicht passiert hatte, wird mit der Berufung nicht beanstandet.

Gleichwohl rechtfertigen die festgestellten Tatsachen eine andere Entscheidung. Denn das Landgericht hat zu Unrecht für die Klägerin ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG angenommen. Ein unabwendbares Ereignis liegt nur dann vor, wenn der Unfall auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Dies erfordert ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus und damit das Verhalten eines Idealfahrers. Ein unabwendbares Ereignis ist zu verneinen, wenn ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr noch abgewendet hätte (vgl. OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.4.2014 – 16 U 213/13, NJOZ 2015, 169).

2. Diesem hohen Maßstab eines Idealfahrers genügt das Verhalten der Klägerin nicht. Ein Idealfahrer hätte aus dem Ausfall des Ampellichts der Fußgängerampel, der für die Linksabbieger erkennbar war, geschlossen, dass es eine Fehlfunktion der Ampelschaltung gibt. Dies wiederum hätte Anlass geben können, den Abbiegevorgang angesichts vorhandenen Gegenverkehrs zunächst abzubrechen um dadurch den Unfall zu vermeiden. Dass die Klägerin, wie das Landgericht angenommen hat, die Fußgängerampel vernachlässigen konnte, weil diese während einem grünen Ampellicht zum Linksabbiegen immer rotes Licht anzeigt, verkennt die besonders hohen Anforderungen an das Verhalten des Idealfahrers, der eine über den gewöhnlichen Fahrdurchschnitt besonders hinausgehende Aufmerksamkeit und Umsicht zeigen muss.

3. Im Rahmen der hiernach bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen Abwägung gemäß § 17 Absatz 1 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Absatz 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (vgl. BGH, NZV 1996, S. 231).

Neben den zu Lasten des Beklagten zu 2) zutreffend festgestellten Verkehrsverstößen ist dem Landgericht insoweit zu folgen, dass der Klägerin kein Verkehrsverstoß vorzuwerfen ist. Denn die Nichtbeachtung der Fußgängerampel genügt zwar, um ihr die Berufung auf ein unabwendbares Ereignis zu versagen, es erreicht aber nicht die Qualität eines Verkehrsverstoßes. Ein Verstoß gegen § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO liegt nicht vor. Denn zum Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie wies die vorhandene „Linksabbiegerampel“ für die Klägerin grünes Ampellicht auf.

Es liegt auch kein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vor, wonach derjenige, der am Verkehr teilnimmt sich so zu verhalten hat, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Denn derjenige, dem ein grüner Pfeil das Linksabbiegen gestattet, darf darauf vertrauen, dass Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.1991 – VI ZR 98/91, NZV 1992, 108, 109). Dieser Vertrauensgrundsatz wird nicht dadurch beseitigt, dass nach Passieren der Lichtzeichenanlage die Anlage ausfällt.

4. Zu Lasten der Klägerin verbleibt somit die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs, die im vorliegenden Fall nicht zurücktritt. Das Zurücktreten eines Verursachungsbeitrags setzt in der Regel eine nicht erheblich ins Gewicht fallende mitursächliche Betriebsgefahr auf der einen Seite und ein grobes Verschulden auf der anderen Seite voraus (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., StVG, § 17, Rn. 16). Hier handelt sich um ein Fehlverhalten leichterer Art in einer Verkehrssituation, die nicht alltäglich ist (Ampelausfall). Dies vermag die Einstufung als grober Verstoß nicht zu tragen.“

Na ja…..

Fußgänger versus Pkw, oder: „alkoholisierte Fußgänger an Karneval nicht gänzlich unwahrscheinlich“

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Karneval fällt ja in diesem Jahr weitgehend aus. Ich finde es übrigens wohltuend, im öffentlichen rechtlichen Fernsehen – aber auch bei den Privaten – nicht wochenlang mit irgendwelchen „Karnevalssitzungen“ überschwemmt zu werden. Aber das werden „Karnavalsfans“ sicherlich anders sehen.

Aber ganz ohne Karneval geht dann doch nicht. Und da habe ich dann heute im „Kessel Buntes“ den OLG Köln, Beschl. v. 06.03.2020 – 11 U 274/19 -, der schon etwas länger in meinem Blogordner hängt. Heute passt er dann. Es es ist ein sog. Hinweisbeschluss des OLG. Geklagt hatte ein „Karnevalsjeck“. Der war in der Nacht nach Rosenmontag 2018 zu Fuß auf dem Heimweg nach Hause. Er trug (immer noch) ein dunkelbraunes (Ganzkörper)-Bärenkostüm. Sein Weg führte ihn entlang einer Bundesstraße, an deren Seite sich ein Fuß- und Radweg befindet. Auf der unbeleuchteten Strecke war eine Geschwindigkeit von 70 km/h zulässig. Der mit 1,47 Promille alkoholisierte Kläger geriet auf die Fahrbahn der Bundesstraße. Dort wurde er auf der linken Hälfte der Fahrspur von einem Pkw erfasst und dabei schwer verletzt. Das LG  hat den Kläger zu 75% und den beklagten Fahrer und Haftpflichtversicherung des Pkw zu 25% für die Schäden haften lassen.

Dagegen die Berufung der Beklagten, die nach Auffassung des OLG Köln wegen der Haftungsquote keinen Erfolg haben würde:

„Auf dieser tatsächlichen Grundlage hat das Landgericht zutreffend eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten in Höhe von ¼ angenommen.

Bei einem schuldhaften Fehlverhalten des Fußgängers ist nach §§ 9 StVG, 254 BGB eine Quotenbildung zwischen der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG und der Verschuldenshaftung des Fußgängers aus § 823 Abs. 1 BGB vorzunehmen. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen – wie auch im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG – feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein; nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (BGH, NJW 1995, 1029, 1030). Die Gefährdungshaftung kann dabei ganz zurücktreten, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten ist (BGH, NJW 2014, 217).

Auf Seiten der Beklagten ist die Betriebsgefahr des Fahrzeugs anzusetzen.

Dem Kläger fällt ein ganz erheblicher Sorgfaltspflichtverstoß zur Last. Zu seinen Lasten steht fest, dass er sich nachts mitten auf der Fahrbahn befand, obwohl sich dort ein Fahrzeug näherte. Damit hat er entweder die Fahrbahn zu dem Zeitpunkt betreten, als sich der Beklagte zu 1) näherte, oder er hat die Fahrbahn betreten, als noch kein Fahrzeug in Sicht war, dann aber den Fahrstreifen nicht zügig überquert, sondern sich noch bis zum Unfall dort aufgehalten. In beiden Alternativen hat er sich verkehrswidrig verhalten und gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen. Danach hat ein Fußgänger vor dem Betreten und beim Überschreiten der Fahrbahn besondere Vorsicht walten zu lassen. Er muss dementsprechend auf den fließenden Fahrzeugverkehr achten und auf ihn Rücksicht nehmen. Insbesondere muss er darauf bedacht sein, nicht in die Fahrbahn eines herannahenden Fahrzeugs zu geraten, ansonsten handelt er grob fahrlässig (OLG Hamm, NJW-RR 2012, 1236). Die im Unfallzeitpunkt erhebliche Alkoholisierung von mindestens 1,47 Promille BAK (die Blutentnahme erfolgt etwa 1 ½ Stunden nach dem Unfall und nach Gabe von 1,5 l Infusion (Bl. 142 f. BA)) hat sich – entgegen der Ansicht des Landgerichts – auf den Unfall ausgewirkt. Der Kläger hatte unzweifelhaft erhebliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, als er etwa eine Stunde zuvor – noch in Begleitung der Zeugen C und D E – „kurz auf die Straße (wankte)“ (Bl. 187 BA). Bei diese Sachlage ist davon auszugehen, dass der Verunglückte alkoholbedingt verkehrsunsicher war. Der erste Anschein spricht dann dafür, dass die im Aufenthalt auf der Fahrbahn zum Ausdruck kommende enorme Sorglosigkeit des Klägers auf alkoholbedingte Ausfallerscheinungen beruhte (vgl. BGH, NJW 1976, 897).

Bei Abwägung dieser Umstände ist entgegen der Annahme der Berufung gleichwohl eine Haftungsverteilung ¼ zu ¾ angemessen: Obwohl der Kläger für die Entstehung des Schadens maßgebliche Ursachen grob fahrlässig selbst herbeigeführt hat, hat sich auch die auch mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verbundene Betriebsgefahr in geradezu klassischer Weise verwirklicht. Ihre nicht völlig untergeordnete Bedeutung lässt es nach den Umständen des Streitfalls nicht angemessen erscheinen, die Gefährdungshaftung vollends zurücktreten zu lassen. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 2015, 1056 f.) kommt eine Alleinhaftung im Rahmen von § 254 BGB nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dies gilt insbesondere auch bei einem grob fahrlässigen Verhalten eines nicht motorisierten Unfallopfers, wenn nicht feststeht, dass der Fahrzeugführer sich wie ein Idealfahrer verhalten hat (OLG Naumburg, NJW-RR 2014, 918, 919; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 925, 927). Angesichts der hiesigen Verkehrssituation, die bei Nacht und Feuchtigkeit durchaus besondere Aufmerksamkeit des Beklagten zu 1) erforderte (hierzu OLG Naumburg, NJW-RR 2014, 918, 919), erscheint die durch das Landgericht angenommene maßvolle Mithaftung sachgerecht, zumal alkoholisierte Fußgänger an Karneval nicht gänzlich unwahrscheinlich sind (Freymann, in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 27 Rn. 129). Diese Quote bewegt sich auch im Rahmen der üblicherweise angenommenen Haftungsverteilung (etwa Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Aufl. 2017, Rn. 411).

Aber: Aus prozessualen Gründen wollte das OLG dennoch terminieren. Insoweit bitte selbts weiter lesen.

Gespann ./. Geschwindigkeitsüberschreitung bei Gegenverkehr und Dunkelheit, oder: Haftungsverteilung

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zwei zivilrechtliche Entscheidungen. Zunächst stelle ich hier das OLG Celle, Urt. v. 04.03.2020 – 14 U 182/19 vor. Es behandelt die Frage nach der Betriebsgefahr eines landwirtschaftlichen Gespanns, das Überbreite hat, im Verhältnis zum Verschulden eines Pkw-Fahrers, der mit erhöhter Geschwindigkeitsüberschreitung und und unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot auf einer schmalen Straße ohne Fahrbahnmarkierungen bei Dunkelheit fährt.

Hört sich kompliziert an. Daher hier der Sachverhalt der Entscheidung:

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Verkehrsunfall am 23. September 2017 in H., OT H., außerorts auf der Gemeindestraße „pp.“ zwischen den Orten B. und H. in Fahrtrichtung B. Der Sohn des Klägers – T. W. – steuerte ein landwirtschaftliches Gespann, bestehend aus Schlepper und Anhänger, pp. und pp., mit einer Geschwindigkeit von 25 – 35 km/h. Die Gemeindestraße ist 4,95 m breit ohne Fahrbahnmarkierungen; das klägerische Gespann wies eine Breite von 2,95 m auf bei einer Masse von 18.000 kg. Im Gegenverkehr steuerte die Versicherungsnehmerin der Beklagten – K. S. – das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug Skoda Fabia, pp., mit einer Geschwindigkeit von 75 – 85 km/h. Es kam zur Kollision beider Fahrzeuge dergestalt, dass das Beklagtenfahrzeug mit der vorderen linken Seite gegen den vorderen linken Reifen des Anhängers vom klägerischen Gespann stieß. Das Beklagtenfahrzeug schleuderte – sich überschlagend – in den rechten Straßengraben; die Fahrerin erlitt schwerste Verletzungen.

Mit der Klage hat der Kläger gegenüber der Beklagten seinen materiellen Schaden (Fahrzeugschaden, Mietfahrzeug und Pauschale) in Höhe von unstreitigen 15.629,23 EUR insgesamt geltend gemacht. Hierauf hatte die Beklagte vorgerichtlich die Hälfte, nämlich 7.814,62 EUR, erstattet. Der Kläger hat gemeint, die Beklagte müsse seinen Schaden zu 100 % ersetzen. Sein Sohn habe nach den sachverständigen Feststellungen nicht weiter rechts fahren und den Unfall folglich nicht vermeiden können. Dagegen sei die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit unangepasster Geschwindigkeit und unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot über die Fahrbahnmitte hinausgekommen. Ihr Verschulden sei so groß, dass die Betriebsgefahr für das klägerische Gespann vollständig zurücktrete.

Die Beklagte hat eine Haftungsquote von 50 % zu 50 % für angemessen erachtet. Sie hat eine Unvermeidbarkeit des Unfallgeschehens für den Sohn des Klägers bestritten. Dieser hätte weiter rechts fahren können und müssen. Das Anbringen einer Rundumleuchte an dem klägerischen Gespann wäre geboten gewesen. Eine eventuelle Blendung ihrer Versicherungsnehmerin sei ebenso wenig auszuschließen wie eine Übermüdung des Fahrers des klägerischen Gespanns, der bereits 10 Stunden im Ernteeinsatz zugebracht habe. Die hohe Gefährlichkeit des klägerischen Gespanns durch seine Überbreite und Masse müsse sich in einer Haftungsquote wiederspiegeln.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Es hat hat eine Haftungsquote von 65 % zu 35 % zulasten des Klägers für angemessen gehalten. Der Sohn des Klägers habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zwar nicht gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO verstoßen, aber gegen § 1 Abs. 2 StVO, indem er die Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht durch Hupen oder Lichtzeichen auf sein überbreites Fahrzeug aufmerksam gemacht und dieses nicht angehalten habe. Eine Rundumleuchte habe nicht benutzt werden müssen, weil es dafür an der erforderlichen Genehmigung gemäß § 52 Abs. 4 Nr. 3 StVZO gefehlt habe, die erst bei Fahrzeugen ab 3 m Breite erteilt werde. Dagegen sei die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit unangepasster Geschwindigkeit und nicht weit rechts genug gefahren (§§ 2 Abs. 2, 3 Abs. 1 StVO). Im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1 StVG sei das Schwergewicht der Haftung auf Klägerseite zu erblicken wegen der Gefährlichkeit des Fahrzeuggespanns.“

Das OLG hat auf die Berufung das LG-Urteil abgeändert. Es ist von einer Haftungsquote von 70 % zu 30 % zulasten der Beklagten ausgegangen.

Dazu gib es dann folgende Leitsätze:

  1. Bei Dunkelheit auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen und nicht befestigtem Seitenstreifen sowie erkennbaren Gegenverkehr (landwirtschaftliches Gespann mit Überbreite) in einer leichten Rechtskurve ist gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 StVO auf halbe Sicht zu fahren.
  2. Wer ein landwirtschaftliches Gespann mit Überbreite auf einer schmalen Straße, die er befahren darf, so weit nach rechts steuert, wie es tatsächlich möglich ist, verstößt nicht gegen § 1 Abs. 2 StVO.
  3. Kommt es im Begegnungsverkehr auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen bei Dunkelheit zu einer Kollision zwischen einem landwirtschaftlichen Gespann mit Überbreite, das so weit nach rechts gesteuert wird, wie es tatsächlich möglich ist, mit einem Pkw, der die Fahrbahnmitte grundlos leicht überschreitet, so tritt die Haftung aus Betriebsgefahr für das landwirtschaftliche Gespann nicht zurück, sondern fließt mit 30 % in die Haftungsquote gemäß § 17 Abs. 1 StVG ein.

Und zur Haftungsabwägung führt das OLG aus:

„Im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG sieht der Senat keinen Anlass dafür, die Haftung des Klägers gegenüber der Beklagten deutlich überwiegen zu lassen, wie die Einzelrichterin es getan hat. Das zweifache Verschulden der Versicherungsnehmerin der Beklagten (Geschwindigkeitsüberschreitung und Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot) hat den tragischen Verkehrsunfall im Wesentlichen verursacht. Wenngleich die Überbreite des landwirtschaftlichen Gespannes ebenfalls zur Kollision mit beigetragen hat, ist doch zu bedenken, dass die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit einem Fahren weiter rechts problemlos daran hätte vorbeifahren können. Eine geringere Geschwindigkeit hätte ihr mehr Zeit zur Reaktion, sprich einem Lenkmanöver nach rechts, gelassen. Maßgeblich kausal war der Umstand, dass sie die Fahrbahnmitte überfahren hat. Der Umstand, dass das klägerische Gespann überbreit ist und ebenfalls über die Fahrbahnmitte hinausgeragt hat, hat sich wegen der ausreichenden Platzverhältnisse für die Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht maßgeblich für das Unfallgeschehen ausgewirkt. Der Sohn des Klägers durfte die schmale Straße befahren und musste dies auch tun, um vom Feld zum Hof des Klägers zu gelangen. Die Überbreite von landwirtschaftlichen Gespannen auf der Straße hätte die Versicherungsnehmerin der Beklagten berücksichtigen müssen, als sie das klägerische Gespann im Gegenverkehr wahrgenommen hat. Nach Abwägung dieser Umstände erscheint dem Senat eine Haftungsquote von 30 % zu 70 % zulasten der Beklagten für angebracht, weil hier einer Verschuldenshaftung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot nur eine erhöhte Betriebsgefahr für ein überbreites Fahrzeuggespann gegenübersteht, was zu einer überwiegenden Haftung der Beklagten führen muss.

Ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr, für die der Kläger gemäß § 7 Abs. 1 StVG haftet, hinter dem Verschulden der Versicherungsnehmerin der Beklagten erscheint dem Senat nicht angebracht. Die Überbreite des Gespanns auf der schmalen Straße und seine Masse haben andere Verkehrsteilnehmer nennenswert gefährdet und hier konkret zur Schwere des Verletzungsbildes bei der Versicherungsnehmerin der Beklagten beigetragen. Für diese standen auf jeder Seite ihres 1,66 m breiten Wagens nur 17 cm zur Verfügung (2 m minus 1,66 geteilt durch 2). Bei einem so schmalen Korridor, noch dazu bei Dunkelheit und auf einer Straße ohne Fahrbahnmarkierungen, kann es relativ leicht geschehen, die Fahrbahnmitte um wenige cm zu überschreiten.“

Unfall beim Entladen eines Lkw mit Ladekran, oder: Betriebsgefahr

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Author Thiemo Schuff

Der Halter eines im öffentlichen Verkehrsraum abgestellten Lkw haftet für die Gefahren, die während eines Entladevorgangs von einem auf dem Lkw montierten Ladekran ausgehen. Das ist das Fazit aus dem OLG Köln, Beschl. v. 21.02.2019 – 14 U 26/18.

Entschieden hat das OLG über eine Schadensersatzforderung gegen die Beklagte, die mit ihrem LKW für ein Bauvorhaben Baumaterial geliefert hate. Entladen wurde mit einem auf dem Lkw montierten hydraulischen Kran. Dabei ist ein Schlauch geplatz, wodurch Hydrauliköl austrat und das Haus und den Vorgarten der Kläger bespritzte. Dieser hat dann als Schadensersatz die Reinigungskosten verlangt. Das OLG hat eine Haftung aus § 7 StVG bejaht:

„1. Die Berufung, die sich nur gegen die Bejahung einer Haftung dem Grunde nach wendet, die Bemessung des Schadens der Höhe nach aber nicht angreift, hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung zu Recht angenommen, dass die Beklagte den Klägern dem Grunde nach gemäß § 7 Abs. 1 StVG zum Schadensersatz verpflichtet ist.

a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Der Vorgarten und die Hausfassade der Kläger sind beim Betrieb des von der Beklagten gehaltenen Lkw beschädigt worden.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (zuletzt Urteile vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 11; vom 24.3.2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 5; vom 21.1.2014 – VI ZR 253/13, BGHZ 199, 377 Rn. 5; jew. mwN).

Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen ist es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeugs als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeugs keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird (vgl. BGH, Urteile vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 12; vom 23.5.1978 – VI ZR 150/76, VersR 1978, 827; vom 27.5.1975 – VI ZR 95/74, VersR 1975, 945).

Bei einem stehenden Fahrzeug mit Arbeitsfunktionen ist eine Verbindung mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs auch dann gegeben, wenn das Kraftfahrzeug in innerem Zusammenhang mit seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel entladen wird, und zwar auch dann, wenn das Entladen mithilfe einer speziellen Entladevorrichtung des Kraftfahrzeugs erfolgt. Daher haftet der Halter auch in diesen Fällen für die Gefahr, die das Kraftfahrzeug beim Entladen in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. Hierunter fällt nicht nur die Gefahr durch das entladene Kraftfahrzeug als solches, sondern auch diejenige, die von den Entladevorrichtungen und dem Ladegut ausgeht (BGH, Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 14).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen zu Recht angenommen, dass der Schaden der Kläger auf den Betrieb des Lkw der Beklagten zurückzuführen ist.

Maßgeblich hierfür ist, dass der Lkw im öffentlichen Verkehrsraum vor dem Haus der Nachbarn der Kläger abgestellt war und dass das Öl aus dem aufgeplatzten Schlauch des Krans gespritzt ist, während der Lkw mithilfe dieses Krans entladen wurde. Bei diesem Hergang war es allein vom Zufall abhängig, ob nur der Verkehrsraum, andere Verkehrsteilnehmer oder auch die Grundstücke der Anlieger beschädigt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 15). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von demjenigen, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 1975 – VI ZR 95/74 – (VersR 1975, 945) zugrunde lag. In diesem Fall wurde ein auf einem Hof abgestelltes Tankfahrzeug durch einen Schlauch in ein neben dem Fahrzeug befindliches Silo entladen, wobei das Silo beschädigt wurde.

Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, der Kran sei keine „Entladevorrichtung des Kraftfahrzeugs“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sondern eine „eigenständige“ Einrichtung. Der Kran war bestimmungsgemäß – wenn auch möglicherweise nicht dauerhaft – auf dem Lkw montiert und ist ebenso bestimmungsgemäß dazu verwandt worden, den Lkw zu entladen. Kran und Lkw bildeten deshalb – ebenso wie ein mit Kran arbeitender Abschleppwagen oder ein mit einem Aufladegreifer versehenes Langholzfahrzeug (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.5.1975 – VI ZR 95/74, VersR 1975, 945; Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, 27. Aufl., 25. Kap. Rn. 84) – eine haftungsrechtliche Einheit (zum Abladen von Baumaterial mit einem Ladekran vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 5.4.2007 – 23 U 54/06, OLGR 2008, 470, 471; Wussow/Fad, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 17 Rn. 87).

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ihre Haftung auch nicht nach § 8 Satz  1 StVG ausgeschlossen. Dass das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt mit ausgefahrenen Stützen abgestellt war, ändert nichts daran, dass es auf Grund seiner konstruktionsbedingten Beschaffenheit (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17.6.1997 – VI ZR 156/96, VersR 1997, 1115), die durch ein bloßes Ausfahren der Stützen nicht verändert wird, auf ebener Bahn mit einer höheren Geschwindigkeit als zwanzig Kilometer in der Stunde fahren kann.“