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Fußgänger versus Pkw, oder: „alkoholisierte Fußgänger an Karneval nicht gänzlich unwahrscheinlich“

ennommen wikimedia Commons – Author NobbiP

Karneval fällt ja in diesem Jahr weitgehend aus. Ich finde es übrigens wohltuend, im öffentlichen rechtlichen Fernsehen – aber auch bei den Privaten – nicht wochenlang mit irgendwelchen „Karnevalssitzungen“ überschwemmt zu werden. Aber das werden „Karnavalsfans“ sicherlich anders sehen.

Aber ganz ohne Karneval geht dann doch nicht. Und da habe ich dann heute im „Kessel Buntes“ den OLG Köln, Beschl. v. 06.03.2020 – 11 U 274/19 -, der schon etwas länger in meinem Blogordner hängt. Heute passt er dann. Es es ist ein sog. Hinweisbeschluss des OLG. Geklagt hatte ein „Karnevalsjeck“. Der war in der Nacht nach Rosenmontag 2018 zu Fuß auf dem Heimweg nach Hause. Er trug (immer noch) ein dunkelbraunes (Ganzkörper)-Bärenkostüm. Sein Weg führte ihn entlang einer Bundesstraße, an deren Seite sich ein Fuß- und Radweg befindet. Auf der unbeleuchteten Strecke war eine Geschwindigkeit von 70 km/h zulässig. Der mit 1,47 Promille alkoholisierte Kläger geriet auf die Fahrbahn der Bundesstraße. Dort wurde er auf der linken Hälfte der Fahrspur von einem Pkw erfasst und dabei schwer verletzt. Das LG  hat den Kläger zu 75% und den beklagten Fahrer und Haftpflichtversicherung des Pkw zu 25% für die Schäden haften lassen.

Dagegen die Berufung der Beklagten, die nach Auffassung des OLG Köln wegen der Haftungsquote keinen Erfolg haben würde:

„Auf dieser tatsächlichen Grundlage hat das Landgericht zutreffend eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten in Höhe von ¼ angenommen.

Bei einem schuldhaften Fehlverhalten des Fußgängers ist nach §§ 9 StVG, 254 BGB eine Quotenbildung zwischen der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG und der Verschuldenshaftung des Fußgängers aus § 823 Abs. 1 BGB vorzunehmen. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen – wie auch im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG – feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein; nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (BGH, NJW 1995, 1029, 1030). Die Gefährdungshaftung kann dabei ganz zurücktreten, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten ist (BGH, NJW 2014, 217).

Auf Seiten der Beklagten ist die Betriebsgefahr des Fahrzeugs anzusetzen.

Dem Kläger fällt ein ganz erheblicher Sorgfaltspflichtverstoß zur Last. Zu seinen Lasten steht fest, dass er sich nachts mitten auf der Fahrbahn befand, obwohl sich dort ein Fahrzeug näherte. Damit hat er entweder die Fahrbahn zu dem Zeitpunkt betreten, als sich der Beklagte zu 1) näherte, oder er hat die Fahrbahn betreten, als noch kein Fahrzeug in Sicht war, dann aber den Fahrstreifen nicht zügig überquert, sondern sich noch bis zum Unfall dort aufgehalten. In beiden Alternativen hat er sich verkehrswidrig verhalten und gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen. Danach hat ein Fußgänger vor dem Betreten und beim Überschreiten der Fahrbahn besondere Vorsicht walten zu lassen. Er muss dementsprechend auf den fließenden Fahrzeugverkehr achten und auf ihn Rücksicht nehmen. Insbesondere muss er darauf bedacht sein, nicht in die Fahrbahn eines herannahenden Fahrzeugs zu geraten, ansonsten handelt er grob fahrlässig (OLG Hamm, NJW-RR 2012, 1236). Die im Unfallzeitpunkt erhebliche Alkoholisierung von mindestens 1,47 Promille BAK (die Blutentnahme erfolgt etwa 1 ½ Stunden nach dem Unfall und nach Gabe von 1,5 l Infusion (Bl. 142 f. BA)) hat sich – entgegen der Ansicht des Landgerichts – auf den Unfall ausgewirkt. Der Kläger hatte unzweifelhaft erhebliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, als er etwa eine Stunde zuvor – noch in Begleitung der Zeugen C und D E – „kurz auf die Straße (wankte)“ (Bl. 187 BA). Bei diese Sachlage ist davon auszugehen, dass der Verunglückte alkoholbedingt verkehrsunsicher war. Der erste Anschein spricht dann dafür, dass die im Aufenthalt auf der Fahrbahn zum Ausdruck kommende enorme Sorglosigkeit des Klägers auf alkoholbedingte Ausfallerscheinungen beruhte (vgl. BGH, NJW 1976, 897).

Bei Abwägung dieser Umstände ist entgegen der Annahme der Berufung gleichwohl eine Haftungsverteilung ¼ zu ¾ angemessen: Obwohl der Kläger für die Entstehung des Schadens maßgebliche Ursachen grob fahrlässig selbst herbeigeführt hat, hat sich auch die auch mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verbundene Betriebsgefahr in geradezu klassischer Weise verwirklicht. Ihre nicht völlig untergeordnete Bedeutung lässt es nach den Umständen des Streitfalls nicht angemessen erscheinen, die Gefährdungshaftung vollends zurücktreten zu lassen. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 2015, 1056 f.) kommt eine Alleinhaftung im Rahmen von § 254 BGB nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dies gilt insbesondere auch bei einem grob fahrlässigen Verhalten eines nicht motorisierten Unfallopfers, wenn nicht feststeht, dass der Fahrzeugführer sich wie ein Idealfahrer verhalten hat (OLG Naumburg, NJW-RR 2014, 918, 919; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 925, 927). Angesichts der hiesigen Verkehrssituation, die bei Nacht und Feuchtigkeit durchaus besondere Aufmerksamkeit des Beklagten zu 1) erforderte (hierzu OLG Naumburg, NJW-RR 2014, 918, 919), erscheint die durch das Landgericht angenommene maßvolle Mithaftung sachgerecht, zumal alkoholisierte Fußgänger an Karneval nicht gänzlich unwahrscheinlich sind (Freymann, in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 27 Rn. 129). Diese Quote bewegt sich auch im Rahmen der üblicherweise angenommenen Haftungsverteilung (etwa Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Aufl. 2017, Rn. 411).

Aber: Aus prozessualen Gründen wollte das OLG dennoch terminieren. Insoweit bitte selbts weiter lesen.

Gespann ./. Geschwindigkeitsüberschreitung bei Gegenverkehr und Dunkelheit, oder: Haftungsverteilung

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zwei zivilrechtliche Entscheidungen. Zunächst stelle ich hier das OLG Celle, Urt. v. 04.03.2020 – 14 U 182/19 vor. Es behandelt die Frage nach der Betriebsgefahr eines landwirtschaftlichen Gespanns, das Überbreite hat, im Verhältnis zum Verschulden eines Pkw-Fahrers, der mit erhöhter Geschwindigkeitsüberschreitung und und unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot auf einer schmalen Straße ohne Fahrbahnmarkierungen bei Dunkelheit fährt.

Hört sich kompliziert an. Daher hier der Sachverhalt der Entscheidung:

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Verkehrsunfall am 23. September 2017 in H., OT H., außerorts auf der Gemeindestraße „pp.“ zwischen den Orten B. und H. in Fahrtrichtung B. Der Sohn des Klägers – T. W. – steuerte ein landwirtschaftliches Gespann, bestehend aus Schlepper und Anhänger, pp. und pp., mit einer Geschwindigkeit von 25 – 35 km/h. Die Gemeindestraße ist 4,95 m breit ohne Fahrbahnmarkierungen; das klägerische Gespann wies eine Breite von 2,95 m auf bei einer Masse von 18.000 kg. Im Gegenverkehr steuerte die Versicherungsnehmerin der Beklagten – K. S. – das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug Skoda Fabia, pp., mit einer Geschwindigkeit von 75 – 85 km/h. Es kam zur Kollision beider Fahrzeuge dergestalt, dass das Beklagtenfahrzeug mit der vorderen linken Seite gegen den vorderen linken Reifen des Anhängers vom klägerischen Gespann stieß. Das Beklagtenfahrzeug schleuderte – sich überschlagend – in den rechten Straßengraben; die Fahrerin erlitt schwerste Verletzungen.

Mit der Klage hat der Kläger gegenüber der Beklagten seinen materiellen Schaden (Fahrzeugschaden, Mietfahrzeug und Pauschale) in Höhe von unstreitigen 15.629,23 EUR insgesamt geltend gemacht. Hierauf hatte die Beklagte vorgerichtlich die Hälfte, nämlich 7.814,62 EUR, erstattet. Der Kläger hat gemeint, die Beklagte müsse seinen Schaden zu 100 % ersetzen. Sein Sohn habe nach den sachverständigen Feststellungen nicht weiter rechts fahren und den Unfall folglich nicht vermeiden können. Dagegen sei die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit unangepasster Geschwindigkeit und unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot über die Fahrbahnmitte hinausgekommen. Ihr Verschulden sei so groß, dass die Betriebsgefahr für das klägerische Gespann vollständig zurücktrete.

Die Beklagte hat eine Haftungsquote von 50 % zu 50 % für angemessen erachtet. Sie hat eine Unvermeidbarkeit des Unfallgeschehens für den Sohn des Klägers bestritten. Dieser hätte weiter rechts fahren können und müssen. Das Anbringen einer Rundumleuchte an dem klägerischen Gespann wäre geboten gewesen. Eine eventuelle Blendung ihrer Versicherungsnehmerin sei ebenso wenig auszuschließen wie eine Übermüdung des Fahrers des klägerischen Gespanns, der bereits 10 Stunden im Ernteeinsatz zugebracht habe. Die hohe Gefährlichkeit des klägerischen Gespanns durch seine Überbreite und Masse müsse sich in einer Haftungsquote wiederspiegeln.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Es hat hat eine Haftungsquote von 65 % zu 35 % zulasten des Klägers für angemessen gehalten. Der Sohn des Klägers habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zwar nicht gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO verstoßen, aber gegen § 1 Abs. 2 StVO, indem er die Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht durch Hupen oder Lichtzeichen auf sein überbreites Fahrzeug aufmerksam gemacht und dieses nicht angehalten habe. Eine Rundumleuchte habe nicht benutzt werden müssen, weil es dafür an der erforderlichen Genehmigung gemäß § 52 Abs. 4 Nr. 3 StVZO gefehlt habe, die erst bei Fahrzeugen ab 3 m Breite erteilt werde. Dagegen sei die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit unangepasster Geschwindigkeit und nicht weit rechts genug gefahren (§§ 2 Abs. 2, 3 Abs. 1 StVO). Im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1 StVG sei das Schwergewicht der Haftung auf Klägerseite zu erblicken wegen der Gefährlichkeit des Fahrzeuggespanns.“

Das OLG hat auf die Berufung das LG-Urteil abgeändert. Es ist von einer Haftungsquote von 70 % zu 30 % zulasten der Beklagten ausgegangen.

Dazu gib es dann folgende Leitsätze:

  1. Bei Dunkelheit auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen und nicht befestigtem Seitenstreifen sowie erkennbaren Gegenverkehr (landwirtschaftliches Gespann mit Überbreite) in einer leichten Rechtskurve ist gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 StVO auf halbe Sicht zu fahren.
  2. Wer ein landwirtschaftliches Gespann mit Überbreite auf einer schmalen Straße, die er befahren darf, so weit nach rechts steuert, wie es tatsächlich möglich ist, verstößt nicht gegen § 1 Abs. 2 StVO.
  3. Kommt es im Begegnungsverkehr auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen bei Dunkelheit zu einer Kollision zwischen einem landwirtschaftlichen Gespann mit Überbreite, das so weit nach rechts gesteuert wird, wie es tatsächlich möglich ist, mit einem Pkw, der die Fahrbahnmitte grundlos leicht überschreitet, so tritt die Haftung aus Betriebsgefahr für das landwirtschaftliche Gespann nicht zurück, sondern fließt mit 30 % in die Haftungsquote gemäß § 17 Abs. 1 StVG ein.

Und zur Haftungsabwägung führt das OLG aus:

„Im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG sieht der Senat keinen Anlass dafür, die Haftung des Klägers gegenüber der Beklagten deutlich überwiegen zu lassen, wie die Einzelrichterin es getan hat. Das zweifache Verschulden der Versicherungsnehmerin der Beklagten (Geschwindigkeitsüberschreitung und Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot) hat den tragischen Verkehrsunfall im Wesentlichen verursacht. Wenngleich die Überbreite des landwirtschaftlichen Gespannes ebenfalls zur Kollision mit beigetragen hat, ist doch zu bedenken, dass die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit einem Fahren weiter rechts problemlos daran hätte vorbeifahren können. Eine geringere Geschwindigkeit hätte ihr mehr Zeit zur Reaktion, sprich einem Lenkmanöver nach rechts, gelassen. Maßgeblich kausal war der Umstand, dass sie die Fahrbahnmitte überfahren hat. Der Umstand, dass das klägerische Gespann überbreit ist und ebenfalls über die Fahrbahnmitte hinausgeragt hat, hat sich wegen der ausreichenden Platzverhältnisse für die Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht maßgeblich für das Unfallgeschehen ausgewirkt. Der Sohn des Klägers durfte die schmale Straße befahren und musste dies auch tun, um vom Feld zum Hof des Klägers zu gelangen. Die Überbreite von landwirtschaftlichen Gespannen auf der Straße hätte die Versicherungsnehmerin der Beklagten berücksichtigen müssen, als sie das klägerische Gespann im Gegenverkehr wahrgenommen hat. Nach Abwägung dieser Umstände erscheint dem Senat eine Haftungsquote von 30 % zu 70 % zulasten der Beklagten für angebracht, weil hier einer Verschuldenshaftung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot nur eine erhöhte Betriebsgefahr für ein überbreites Fahrzeuggespann gegenübersteht, was zu einer überwiegenden Haftung der Beklagten führen muss.

Ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr, für die der Kläger gemäß § 7 Abs. 1 StVG haftet, hinter dem Verschulden der Versicherungsnehmerin der Beklagten erscheint dem Senat nicht angebracht. Die Überbreite des Gespanns auf der schmalen Straße und seine Masse haben andere Verkehrsteilnehmer nennenswert gefährdet und hier konkret zur Schwere des Verletzungsbildes bei der Versicherungsnehmerin der Beklagten beigetragen. Für diese standen auf jeder Seite ihres 1,66 m breiten Wagens nur 17 cm zur Verfügung (2 m minus 1,66 geteilt durch 2). Bei einem so schmalen Korridor, noch dazu bei Dunkelheit und auf einer Straße ohne Fahrbahnmarkierungen, kann es relativ leicht geschehen, die Fahrbahnmitte um wenige cm zu überschreiten.“

Unfall beim Entladen eines Lkw mit Ladekran, oder: Betriebsgefahr

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Author Thiemo Schuff

Der Halter eines im öffentlichen Verkehrsraum abgestellten Lkw haftet für die Gefahren, die während eines Entladevorgangs von einem auf dem Lkw montierten Ladekran ausgehen. Das ist das Fazit aus dem OLG Köln, Beschl. v. 21.02.2019 – 14 U 26/18.

Entschieden hat das OLG über eine Schadensersatzforderung gegen die Beklagte, die mit ihrem LKW für ein Bauvorhaben Baumaterial geliefert hate. Entladen wurde mit einem auf dem Lkw montierten hydraulischen Kran. Dabei ist ein Schlauch geplatz, wodurch Hydrauliköl austrat und das Haus und den Vorgarten der Kläger bespritzte. Dieser hat dann als Schadensersatz die Reinigungskosten verlangt. Das OLG hat eine Haftung aus § 7 StVG bejaht:

„1. Die Berufung, die sich nur gegen die Bejahung einer Haftung dem Grunde nach wendet, die Bemessung des Schadens der Höhe nach aber nicht angreift, hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung zu Recht angenommen, dass die Beklagte den Klägern dem Grunde nach gemäß § 7 Abs. 1 StVG zum Schadensersatz verpflichtet ist.

a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Der Vorgarten und die Hausfassade der Kläger sind beim Betrieb des von der Beklagten gehaltenen Lkw beschädigt worden.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (zuletzt Urteile vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 11; vom 24.3.2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 5; vom 21.1.2014 – VI ZR 253/13, BGHZ 199, 377 Rn. 5; jew. mwN).

Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen ist es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeugs als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeugs keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird (vgl. BGH, Urteile vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 12; vom 23.5.1978 – VI ZR 150/76, VersR 1978, 827; vom 27.5.1975 – VI ZR 95/74, VersR 1975, 945).

Bei einem stehenden Fahrzeug mit Arbeitsfunktionen ist eine Verbindung mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs auch dann gegeben, wenn das Kraftfahrzeug in innerem Zusammenhang mit seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel entladen wird, und zwar auch dann, wenn das Entladen mithilfe einer speziellen Entladevorrichtung des Kraftfahrzeugs erfolgt. Daher haftet der Halter auch in diesen Fällen für die Gefahr, die das Kraftfahrzeug beim Entladen in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. Hierunter fällt nicht nur die Gefahr durch das entladene Kraftfahrzeug als solches, sondern auch diejenige, die von den Entladevorrichtungen und dem Ladegut ausgeht (BGH, Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 14).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen zu Recht angenommen, dass der Schaden der Kläger auf den Betrieb des Lkw der Beklagten zurückzuführen ist.

Maßgeblich hierfür ist, dass der Lkw im öffentlichen Verkehrsraum vor dem Haus der Nachbarn der Kläger abgestellt war und dass das Öl aus dem aufgeplatzten Schlauch des Krans gespritzt ist, während der Lkw mithilfe dieses Krans entladen wurde. Bei diesem Hergang war es allein vom Zufall abhängig, ob nur der Verkehrsraum, andere Verkehrsteilnehmer oder auch die Grundstücke der Anlieger beschädigt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 15). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von demjenigen, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 1975 – VI ZR 95/74 – (VersR 1975, 945) zugrunde lag. In diesem Fall wurde ein auf einem Hof abgestelltes Tankfahrzeug durch einen Schlauch in ein neben dem Fahrzeug befindliches Silo entladen, wobei das Silo beschädigt wurde.

Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, der Kran sei keine „Entladevorrichtung des Kraftfahrzeugs“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sondern eine „eigenständige“ Einrichtung. Der Kran war bestimmungsgemäß – wenn auch möglicherweise nicht dauerhaft – auf dem Lkw montiert und ist ebenso bestimmungsgemäß dazu verwandt worden, den Lkw zu entladen. Kran und Lkw bildeten deshalb – ebenso wie ein mit Kran arbeitender Abschleppwagen oder ein mit einem Aufladegreifer versehenes Langholzfahrzeug (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.5.1975 – VI ZR 95/74, VersR 1975, 945; Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, 27. Aufl., 25. Kap. Rn. 84) – eine haftungsrechtliche Einheit (zum Abladen von Baumaterial mit einem Ladekran vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 5.4.2007 – 23 U 54/06, OLGR 2008, 470, 471; Wussow/Fad, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 17 Rn. 87).

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ihre Haftung auch nicht nach § 8 Satz  1 StVG ausgeschlossen. Dass das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt mit ausgefahrenen Stützen abgestellt war, ändert nichts daran, dass es auf Grund seiner konstruktionsbedingten Beschaffenheit (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17.6.1997 – VI ZR 156/96, VersR 1997, 1115), die durch ein bloßes Ausfahren der Stützen nicht verändert wird, auf ebener Bahn mit einer höheren Geschwindigkeit als zwanzig Kilometer in der Stunde fahren kann.“

Das umgefallene Motorrad, oder: Immer Haftung aus Betriebsgefahr

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Urheber Noop1958

In dem LG Regensburg, Beschl. v.  05.07.2018 – 22 S 74/18 – zugrunde liegenden Verfahren haben die Parteien um die Haftung für Schäden an einem dem Kläger gehörenden Motorrad gestritten, dass umgefallen und dadurch beschädigt worden war. Umstritten war, wie es zum Umfallen des Motorrades gekommen ist. Der Kläger hatte behauptet, der Fahrer des der Beklagten gehörenden Lkw sei beim Rangieren mit dem Lkw gegen das Motorrad gestoßen. Die Beklagte hatte vorgetragen, der Fahrer des Lkw habe das Motorrad weggeschoben und sei anschließend wieder in den Lkw gestiegen.

Das LG Regensburg sagt: Ist egal, was stimmt. Der Beklagte haftet auf jeden Fall:

„Zu Recht ist das Amtsgericht Regensburg davon ausgegangen, dass keine Beweisaufnahme durchzuführen ist, um den Grund für das Umfallen des Motorrades zu klären. Nach dem Vortrag der Parteien kommen lediglich 2 Varianten in Betracht. Hierzu hat der Kläger vorgetragen, sein Motorrad sei umgefallen, weil der Lkw der Beklagten beim Rangieren an das Motorrad gestoßen sei. Von Beklagtenseite wurde vorgetragen, das Motorrad sei umgestürzt, nachdem der Zeuge … dieses beiseite geschoben hatte. Als der Zeuge mit dem Beklagten-Fahrzeug wieder losfahren wollte, sei das Motorrad umgefallen. Weitere Ursachen sind nicht denkbar und wurden auch beklagtenseits nicht vorgetragen.

Bei dieser Sachlage ist das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagtenpartei in jedem Fall zu 100 % haftet. Sollte das Motorrad beim Rangieren des Lkw umgestoßen worden sein, könnte eine Haftung der Beklagten ohnehin nicht in Abrede gestellt werden. Vielmehr bestreitet die Beklagte diesen Sachvortrag, trägt aber selbst vor, dass das Motorrad umgefallen sei, nachdem der Zeuge pp dieses weggeschoben hatte und wieder in den Lkw eingestiegen war. Schon der enge zeitliche und räumliche Zusammenhang mit dem Wegschieben begründet die Zurechnung der Betriebsgefahr zu Lasten der Beklagten.

Dagegen ist eine mitwirkende Betriebsgefahr oder gar ein Verschulden des Klägers weder dargelegt noch ersichtlich. Insbesondere ist auch die unsubstantiierte Behauptung, das Motorrad sei verkehrsbehindernd abgestellt worden, einer Beweiserhebung nicht zugänglich. Dies gilt auch für die erstmals in der Berufung aufgestellte Behauptung, dass sich das Motorrad „in die Fahrbahn hineinragend“ dort befunden habe. Insoweit ist noch nicht einmal vorgetragen, wo das Motorrad sich genau befunden haben bzw. wie weit es in die Fahrbahn hineingeragt haben soll. Das Amtsgericht konnte daher ohne Rechtsfehler den vom Kläger angegebenen Abstellort zugrunde legen. Eine Einvernahme des Zeuge pp. hierzu wäre ein unzulässiger Ausforschungsbeweis.“

Abwägung Tier-/Betriebsgefahr, oder: Welchen Seitenabstand muss ich zu einem Pony einhalten?

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Urheber Ganida

Folgender Sachverhalt lag dem OLG Celle, Urt. v. 10.04.2018 – 14 U 147/17 -, in dem das OLG über Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, bei dem das Pony der Klägerin verletzt und infolgedessen eingeschläfert wurde,  zugrunde:

Am 20.04.2011 ritt die damals 13-jährige Tochter der Klägerin, die Zeugin T. M., zwischen 11:00 Uhr und 12:00 Uhr auf der 6-jährigen Ponystute „Sunny Surprise“ der Klägerin auf der rechten Fahrbahnseite der Verlängerung des S.weges in S., OT E. Bei der Verlängerung des S.weges handelt es sich um eine einspurige Fahrbahn mit Randstreifen auf beiden Seiten.
Der Zeugin T. M. kam der Beklagte zu 1 mit einem Lkw (Sattelzugmaschine mit Auflieger) der Beklagten zu 2, der bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist, entgegen. Die Zeugin M. parierte ihr Pferd zum Halten durch und stellte es auf dem aus ihrer Sicht rechten Seitenstreifen leicht schräg mit dem Kopf des Pferdes in Richtung Fahrbahn, als sich der Lkw näherte. Dabei blieb sie auf dem Pferd sitzen.

Der Beklagte zu 1 verlangsamte seine Geschwindigkeit und passierte Pferd und Reiterin, wobei er den Lkw ganz nach rechts auf der asphaltierten Fahrbahn lenkte. Als der Lkw Pferd und Reiterin etwa zur Hälfte passiert hatte, scheute das Pferd. Ob es zu einer Berührung mit dem Lkw kam, steht im Streit. Jedenfalls verletzte sich das Pferd schwer, weshalb es in der Folge eingeschläfert wurde.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin neben der Erstattung von Behandlungskosten insbesondere den Wert des Pferdes ersetzt.
Erstinstanzlich hat sie die Ansicht vertreten, der Beklagte zu 1 hätte den Seitenstreifen, der auch befahrbar gewesen sei, nutzen müssen, um ein gefahrloses Passieren durch die Reiterin zu ermöglichen. Stattdessen sei er ohne den notwendigen Mindestabstand von 1,50 bis 2,00 Metern an der Reiterin vorbeigefahren. Außerdem hat die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1 habe beim Vorbeifahren Gas gegeben, wodurch sich das Pferd erschreckt habe. Es sei sodann durch die Berührung mit dem Lkw schwer verletzt worden. Es habe keine Aussicht auf Heilung bestanden, weshalb es tierschutzgerecht zu euthanasieren gewesen sei. Das Pony habe einen Verkehrswert von 10.000 Euro gehabt.“

Das LG ist von einer Haftungsverteilung „halbe/halbe“ ausgegangen. Das OLG hat das gehalten. Es hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:

1. Sowohl beim Passieren als auch beim Begegnen eines Reiters sollte ein Fahrzeug – abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls – einen Seitenabstand von wenigstens 1,50 m bis etwa 2,00 m einhalten.

2. Auch wenn das Bankett nicht zur Fahrbahn gehört, kann es die konkrete Verkehrslage als sachgerechte und vernünftige Maßnahme erscheinen lassen, das Bankett mitzubenutzen, um z. B. den gebotenen Seitenabstand zu einem Reiter einhalten zu können.