Und dann habe ich als zweite Entscheidung den BGH, Beschl. v. 19.03.2025 – 6 StR 585/24. Das LG hat den Angeklagten L. wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, die es zur Bewährung ausgesetzt hat. Den nicht revidierenden Mitangeklagten W. hat es ebenfalls wegen dieser gemeinschaftlich begangenen Tat verurteilt. Das auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten L. hatte mit der Sachrüge teilweise Erfolg:
„1. Nach den Feststellungen verbrachten die beiden Angeklagten sowie der Mitangeklagte A. den Abend des 26.09.2023 gemeinsam in einer Bar. Als sie diese nach Mitternacht verließen, setzte sich der aggressiv gestimmte Angeklagte A. an den Straßenrand und schrie laut herum. Der 49-jährige alkoholisierte spätere Geschädigte, der sich auf dem Heimweg befand, blieb bei der Gruppe stehen und erkundigte sich nach A. Befinden. Der Angeklagte W., der sich über die Einmischung ärgerte, forderte den Geschädigten vergeblich zum Weitergehen auf und begann nach einer verbalen Auseinandersetzung, diesen zu stoßen. Der Geschädigte wehrte sich, woraufhin sich der Angeklagte A. an der Auseinandersetzung beteiligte. Beide forderten den Nebenkläger zunächst lautstark auf, sich zu entfernen, schlugen schließlich mehrfach auf ihn ein und trafen ihn im Gesicht. Zudem versetzte der Angeklagte W. dem Kopf des Geschädigten einen massiven Fußtritt, worauf der Geschädigte das Bewusstsein verlor und zu Boden fiel. Nunmehr trat der Angeklagte L. dem Nebenkläger mit seinem beschuhten Fuß so kräftig auf den Hals, dass das Sohlenprofil sichtbar blieb. Nach weiteren Tritten des Angeklagten A. forderte der Angeklagte W. die Mitangeklagten zum Gehen auf. Sie ließen daher von dem Geschädigten ab. Nachdem sie sich zwei „Häuserlängen“ vom Nebenkläger entfernt hatten, kehrte der Angeklagte A. allein zu dem Geschädigten zurück. Der Angeklagte W. hatte zuvor vergeblich versucht, ihn davon abzuhalten. Dort angelangt schlug und trat A. vielfach auf den Kopf des Nebenklägers ein, der hierdurch stark blutende Verletzungen erlitt; dabei nahm er den Tod des Geschädigten in Kauf. Die Angeklagten L. und W. nahmen jedenfalls billigend in Kauf, dass der Nebenkläger lebensgefährdende Verletzungen erlitt.
Der Nebenkläger befand sich über sieben Monate in stationärer Behandlung. Er erlitt eine lebensbedrohliche Lungenkontusion sowie eine Hirnblutung, die zu schweren neurologischen Ausfällen führte. Zunächst konnte er nicht mehr sprechen, dauerhaft ist er halbseitig gelähmt. Zudem ist seine Atmung durch Verwachsungen im Nasenbereich sehr eingeschränkt. Der Nebenkläger ist zeitlebens auf Hilfe angewiesen. Wegstrecken von mehr als einem Kilometer kann er nur im Rollstuhl zurücklegen.
Die Strafkammer hat die Tat zu Lasten aller Angeklagten als schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB gewertet, für den Angeklagten A. daneben tateinheitlich als versuchten Totschlag (§ 212 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB).
2. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Jedoch hält der Schuldspruch wegen schwerer Körperverletzung revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen ergeben nicht zweifelsfrei, dass dem Angeklagten L. die schwere Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB zuzurechnen ist.
a) Bei einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung setzt die Strafbarkeit eines Mittäters wegen schwerer Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB nicht voraus, dass er selbst die unmittelbar zur schweren Folge führende Verletzungshandlung ausführt. Es reicht vielmehr aus, dass er aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft einen Beitrag zum Verletzungsgeschehen geleistet hat. Dabei ist im Grundsatz weiter erforderlich, dass die Handlung des anderen im Rahmen des gegenseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses liegt und dem Täter hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit zur Last fällt (st. Rspr. zu § 227 StGB; vgl. BGH, Urteil vom 7. August 2024 ‒ 1 StR 430/23, Rn. 10; Beschluss vom 7. Juli 2021 – 4 StR 141/21, Rn. 6; vom 14. Mai 2020 – 1 StR 109/20, Rn. 4; vom 5. September 2012 – 2 StR 242/12, NStZ 2013, 280, 281).
Ist die schwere Folge durch einen über das gemeinsame Wollen hinausgehenden und deshalb als Exzesshandlung zu qualifizierenden Gewaltakt verursacht worden, kommt eine Zurechnung des qualifizierenden Erfolges nur in Betracht, wenn den gemeinschaftlich verübten Gewalthandlungen, die der ursächlichen Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr einer schweren Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB anhaftet. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Tatopfer schon dadurch in eine Lage gerät, in der es weiteren Angriffen keine wirksame Gegenwehr mehr entgegenzubringen vermag und nachfolgenden Einwirkungen der übrigen Beteiligten, die für den Täter vorhersehbar die schwere Folge verursacht haben, schutzlos ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 1 StR 109/20, Rn. 5).
b) Eine diesen Anforderungen entsprechende Zurechnung der schweren Folge ist den bisherigen Feststellungen nicht zweifelsfrei zu entnehmen.
Das Landgericht vermochte nicht festzustellen, welche Verletzungshandlungen die schweren Verletzungsfolgen verursacht haben. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass die schweren Folgen erst durch die vielfachen Schläge und Tritte des Angeklagten A. verursacht worden sind, die dieser dem Tatopfer nach seiner Rückkehr an den Tatort versetzt hatte. Eine Zurechnung dieser Tathandlungen nach § 25 Abs. 2 StGB liegt im Hinblick auf einen naheliegenden Exzess des Mittäters nicht auf der Hand. Das Urteil verhält sich – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift hingewiesen hat – auch nicht zweifelsfrei dazu, dass bereits den gemeinsam verübten Gewalthandlungen die spezifische Gefahr einer schweren Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB anhaftete.
3. Dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils. Sie ist auf den Mitangeklagten W. zu erstrecken, weil auch dessen Schuldspruch auf dem aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangel beruht (§ 357 StPO). Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können daher bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
4. Sollte das neue Tatgericht wiederum eine Verurteilung nach § 226 Abs. 1 StGB erwägen, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass eine tateinheitliche Verurteilung mit einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 StGB in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Mai 2023 – 3 StR 65/23; vom 9. Februar 2021 – 3 StR 382/20; vom 26. November 2013 – 3 StR 301/13; vom 21. Oktober 2008 – 3 StR 408/08, BGHSt 53, 23, 24).“