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Gebrauchtwagenkauf, oder: negative Beschaffenheitsvereinbarung „möglicherweise mangelhaft“

Heute im „Kessel-Buntes“ dann mal wieder zwei zivilrechtliche Entscheidungen. Zunächst stelle ich das OLG Rostock, Urt. v. 28.08.2020 – 4 U 1/19. Es behandelt Gewährleistungsfragen beim Gebrauchtwagenkauf. Da das Urteil etwas umfangreicher ist, bringe ich hier nur den Sachverhalt und die (amtlichen) Leitsätze. Den Rest dann bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

Als folgender Sachverhalt:

„1. Die Parteien streiten über Gewährleistungsansprüche aus einem Kaufvertrag über ein gebrauchtes Kraftfahrzeug.

Bei dem Beklagten handelt es sich um einen gewerblichen Autohändler. Am 12.08.2017 erwarb der Kläger in diesem Zusammenhang von dem Beklagten einen gebrauchten PKW Mercedes Benz Viano mit einer Erstzulassung am 15.12.2010 sowie einer angegebenen Fahrleistung von 154.000 km zum Preis von 23.500,00 €. Der schriftliche Kaufvertrag enthielt unter anderem die folgenden hier relevanten Formulierungen:

„(…)Zahl, Art und Umfang von Unfallschäden lt. Vorbesitzer: keine

Dem Verkäufer sind auf andere Weise Unfallschäden bekannt:( ) ja(x) nein

Wenn ja, folgende:Nachlackierung möglich (…)“

Zum Zustand des Fahrzeuges übergab der Beklagte dem Kläger ein Gebrauchtwagenzertifikat des TÜV Süd, das auf skizzierten Ansichten des Wagens von vorn, hinten sowie den beiden Seiten an verschiedenen Stellen Kennzeichnungen mit den Buchstaben „D“ für Delle, „K“ für Kratzer und „S“ für Steinschlag enthielt; in den dazugehörigen Anmerkungen heißt es dazu für ein „D“ und „X1“ im Dachbereich:

„D – Delle – Dach hintenX1 – Heckklappe oben – Dach hinten“

Aufgrund seiner Größe von 1,73 m war es dem Kläger vor der Übernahme des Autos nicht möglich, das Dach des 1,94 m hohen PKWs zu besichtigen. An dem Fahrzeug befinden sich zudem im Bereich des vorderen rechten Kotflügels und der linken Schiebetür erhöhte Lackschichtdicken, was sich aus dem Gebrauchtwagenzertifikat des TÜV Süd nicht ergab.

Zur Finanzierung des Wagens schloss der Kläger ebenfalls am 12.08.2017 einen von dem Beklagten angebotenen Darlehensvertrag mit der S Consumer Bank AG ab, in welchem als Finanzierungsgegenstand das erworbene Auto und der Beklagte als vermittelnder Händler angegeben sind; einschließlich einer Ratenschutzversicherung belief sich der Bruttodarlehensbetrag auf 32.195,90 €.

Am 18.08.2017 ließ der Kläger einen Dekra Siegel-Bericht zu dem PKW erstellen. Dieser enthält neben dem Vermerk der erhöhten Lackschichtdicken an den beiden zuvor genannten Stellen unter anderem mit der Überschrift „Karosserie-Check“ bezifferte Eintragungen wie folgt:

„01 Tür vorne links Dellen(…)

07 Tür vorne rechts Dellen(…)

09 Tür hinten rechts Dellen (…)

12 Dach/Dachrahmen Delle“

Mit Datum vom 05.09.2017 erhielt der Kläger einen Kostenvoranschlag einer Autowerkstatt über 2.660,73 € brutto für die Reparatur auf dem Fahrzeugdach vorhandener massiver Dellen mit einem Durchmesser von 20 bis 30 cm und einer Tiefe von 1 bis 2 cm sowie massiver Kratzer und Lackbeschädigungen im Bereich der Antenne.

Mit Schriftsatz seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 09.10.2017 focht der Kläger den Kaufvertrag unter Verweis auf die Nachlackierung der linken Schiebetür und die auf dem Fahrzeugdach vorhandenen Schäden wegen arglistiger Täuschung an und forderte den Beklagten zur Rücknahme des Wagens Zug um Zug gegen Freistellung des Klägers von den Forderungen aus dem Darlehensvertrag auf. Der Beklagte lehnte eine Rückabwicklung des Kaufvertrages ab und bot dem Kläger ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Nachbesserung des Autos an.“

Der Kläger hat Ansprüche gegen den Beklagten daraufhin gerichtlich geltend gemacht. Er hat Rückabwicklung des Kaufvertrages verlangt. Er hatte mit seiner Klage weitgehend keinen Erfolg.

Hier die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

1. Jede Vereinbarung, die unmittelbar oder mittelbar bewirkt, dass der Käufer das Risiko des Vorhandenseins eines verborgenen Mangels trägt, ist unabhängig von ihrer Transparenz nach § 475 Abs. 1 BGB unwirksam; dies gilt insbesondere für eine (negative) Beschaffenheitsvereinbarung des Inhalts, dass die verkaufte Sache „möglicherweise mangelhaft“ ist.

2. Die Schwelle der notwendigen Überschreitung eines Betrages von fünf Prozent des Kaufpreises durch die Kosten der Beseitigung eines behebbaren Mangels für die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB lässt sich auf die entsprechende Bewertung eines merkantilen Minderwertes im Falle eines unbehebbaren Mangels übertragen; eine Diskrepanz ergibt sich nicht deshalb, weil der merkantile Minderwert grundsätzlich prozentual geringer ist als die parallelen Reparaturkosten.

Gebrauchwagenkauf, oder: Wer hat denn nun wann am Tacho geschraubt?

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By Tokino – Tokino’s file, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1675060

Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, hat auch etwas mit Manipulation zu tun. Es geht nämlich im OLG Jena, Beschl. v. 29.08.2019 – 1 U 239/19 – um eine Tachomanipulation beim Gebrauchtwagenkauf.

In dem Verfahren nimmt der Kläger den Beklagten auf Rückzahlung des Kaufpreises in Anspruch, den er aufgrund eines im Januar 2018 geschlossenen Kaufvertrags über einen Pkw der Marke Audi gezahlt hat. Der Vertrag nannte als Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs die Strecke von „ca. 195.000 km“ und verwies darauf, dass es mit einem Austauschgetriebe ausgestattet ist, das seinerseits eine Laufleistung von 125.000 km hinter sich hat. Das war auch der Tachostand bei Vertragsschluss. Er war das Ergebnis einer Manipulation, die der Beklagte im Jahre 2017 selbst in Auftrag gab, um den Wegstreckenzähler an die Laufleistung des Austauschgetriebes anzupassen. Dieses wurde aber schon früher eingebaut, namentlich als das Fahrzeug eine Laufleistung von 70.000 km oder 77.000 km aufwies.

Noch im Januar 2018 verlangte der Kläger im Wege einer WhatsApp-Nachricht vom Beklagten eine Herabsetzung des Kaufpreises mit der Begründung, die Laufleistung des Fahrzeugs liege in Wahrheit über 200.000 km. Er behauptet, der Beklagte habe ihm vor Abschluss des Kaufvertrags berichtet, die Veränderung des Tachostandes sei schon beim Einbau des Austauschgetriebes durch die Herstellerfirma erfolgt. Dass er die Manipulation selbst veranlasst habe, lasse gemeinsam mit dem Umstand, dass der Wagen, der eigentlich ein Vielfahrerfahrzeug sei, in 2017 dann nur eine sehr geringe Laufleistung erbracht hätte, den Schluss zu, dass die Gesamtlaufleistung in Wirklichkeit sehr viel höher liege.

Nach Erhebung der Klage zum LG hat der Kläger durch Schriftsatz vom 11.02.2019 die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Anfechtung sei nach Ablauf der hierfür geltenden Frist erfolgt und ein Sachmangel deshalb nicht gegeben, weil der Beklagte
die Tachomanipulation bei Eingehung des Kaufvertrags offenbart habe.

Die Berufung des Klägers hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 24.07.2019 Bezug genommen, in dem ausgeführt ist:

„Der zulässigen Berufung muss nach derzeitigem Stand der Erfolg in der Sache versagt bleiben. Die Entscheidung des Landgerichts lässt weder entscheidungserhebliche Rechtsfehler erkennen, noch bestehen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen (§§ 513, 529 ZPO). Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger kann die Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags weder nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB wegen Anfechtung seiner Willenserklärung gemäß § 123 Abs. 1 BGB noch infolge eines wirksamen Rücktritts wegen eines Sachmangels gemäß §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 BGB verlangen oder im Rahmen einer Haftung für vorvertragliches Fehlverhalten nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB.

1. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung

Was die Anfechtungsfrist anbelangt, die sich nach § 124 Abs. 1 BGB auf ein Jahr beläuft und die das Landgericht für versäumt hält, will die Berufung zwischen der Behauptung einer über 200.000 km liegenden Laufleistung und der Frage der Urheberschaft der Manipulation des Messgeräts unterschieden wissen. Dies gelingt ihr nicht. Denn die eine Fehlvorstellung ist untrennbar mit der anderen verknüpft. Die in der WhatsApp-Nachricht des Klägers vom 27. Januar 2018 zum Ausdruck gebrachte Annahme einer Laufleistung über 200.000 km ergibt sich ja gerade daraus, dass die Veränderung der Anzeige auf den Beklagten zurückgehen soll. Wäre der Kläger zu diesem Zeitpunkt nach wie vor davon ausgegangen, dass der Eingriff durch den Hersteller erfolgt war, hätte für ihn überhaupt kein Anlass zu Zweifeln daran bestanden, dass die im Vertrag angegebene Laufleistung der Wirklichkeit entspricht. Die Anfechtung des Kaufvertrags ist daher in jedem Fall verfristet.

2. Rücktritt wegen Sachmangels

a) Beschaffenheitsvereinbarung

Der Senat vermag sich der von der Berufung angestrebten Differenzierung zwischen Laufleistung und Urheberschaft der Tachomanipulation auch nicht im Hinblick auf die kaufrechtliche Gewährleistung anzuschließen. Da ein Eingriff in die Messung des Wegstreckenzählers eine Straftat nach § 22b Abs. 1 StVG bedeutet, kann die Frage ihrer Urheberschaft von vornherein nicht Gegenstand einer Verkehrserwartung an die Beschaffenheit einer Kaufsache gemäß § 434 Abs. 2 S. 2 BGB sein. Aus demselben Grund taugt sie aber auch nicht als Objekt einer wirksamen Beschaffenheitsvereinbarung gemäß Satz 1 der Vorschrift. Selbst wenn der vom Kläger angebotene Zeugenbeweis ergeben sollte, dass der Beklagte vor Vertragsschluss eine Veränderung der Anzeige durch den Hersteller behauptet haben sollte, folgte hieraus noch nicht, dass dies entgegen der Urkunde über den streitgegenständlichen Vertrag auch als Beschaffenheit des Fahrzeugs vereinbart worden wäre. Zum einen wäre eine Einigung über die Modalitäten einer Straftat als Merkmal der Kaufsache ohnehin wirkungslos gewesen (es gibt entgegen der Ansicht der Berufung keine „fachgerechte“ Manipulation). Zum anderen war, wie das Landgericht ebenfalls hervorgehoben hat, den vom Beklagten übergebenen Unterlagen eindeutig zu entnehmen, dass die Veränderung des Tachometers nicht anlässlich des Einbaus des Austauschmotors erfolgt sein konnte. Folglich kann dem Beklagten auch nicht unterstellt werden, sich auf eine Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Inhalt eingelassen zu haben, wie ihn der Kläger behauptet. Worüber sich die Parteien geeinigt haben und was aus der Urkunde auch klar hervortritt, ist allein die Divergenz zwischen der Anzeige des Tachometers und der wahren Laufleistung…………“

Ferrari La Ferrari, oder: Ein Auto, das fast 2 Mio EUR kosten soll, und die „Tageszulassung“

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By Axion23 – LaFerrari in Beverly Hills, CC BY 2.0,

Wird in der Auftragsbestätigung zu einem Pkw-Kauf als Erstzulassung „Neu/Tageszulassung“ und als Kilometerstand „Werkskilometer“ festgehalten, so darf der Käufer davon ausgehen, dass der Wagen bis dahin nur auf einen Handelsbetrieb zugelassen war und die Zulassungsdauer bei maximal 30 Tagen lag. Ist das nicht der Fall, kann vom Kaufvertrag zurück getreten werden. Das ist das Fazit aus dem OLG Hamm. Urt. v. 18.05.2017 – 28 U 134/16. Und da ich heute nicht viel Zeit habe – es ist „Kronprinzessinnentag“ 🙂 , zitiere ich dazu – was ich sonst nur selten tue – aus der PM des OLG Hamm:

„Eine Dortmunder Firma, die mit hochwertigen Fahrzeugen handelt, muss einer Prager Handelsfirma eine Anzahlung von 40.000 Euro für einen Ferrari LaFerrari erstatten, weil sie den Ferrari zu den vereinbarten Konditionen nicht liefern konnte und die Prager Firma deswegen wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist. Das hat der 28. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18.05.2017 entschieden und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Dortmund bestätigt.

Die beklagte Dortmunder Autohändlerin bot im Frühjahr 2015 über das Internet einen Ferrari LaFerrari zum Verkauf an. Dieses Ferrari-Modell war im März 2013 auf dem Genfer Autosalon vorgestellt worden. Die in einer kleinen Serie produzierten 499 Exemplare des Modells waren seinerzeit sofort ausverkauft. Die Klägerin, eine Handelsfirma aus Prag, war am Kauf des Ferrari interessiert und nahm mit der Beklagten Kontakt auf. Im März 2015 vereinbarten die Parteien den Verkauf des Ferrari LaFerrari für 1.950.000 Euro und hielten in der Auftragsbestätigung als Erstzulassung „Neu/Tageszulassung“ und als Kilometerstand „Werkskilometer“ fest. Vereinbarungsgemäß leistete die Klägerin sodann eine Anzahlung in Höhe von 40.000 Euro an die Beklagte. Mitte April 2015 trafen sich die Parteien zur Fahrzeugübergabe, die auf Betreiben der Beklagten in Nürnberg stattfinden sollte. Dort führte die Beklagte der Klägerin einen Ferrari LaFerrari vor, der im April 2014 erstmals zum Straßenverkehr zugelassen worden war und seitdem als Leasingfahrzeug genutzt wurde. Er hatte eine Laufleistung von 1.412 km. Da die Klägerin beanstandete, dass das Fahrzeug nicht den vereinbarten Bedingungen entspreche, verhandelten die Parteien über einen Preisnachlass. Nach Darstellung der Beklagten einigte man sich vor Ort auf einen Nachlass von 25.000 Euro. Einen kurz darauf von der Klägerin verlangten Nachlass von 100.000 Euro lehnte die Beklagte ab. Nachdem sich die Parteien in der Folgezeit nicht einigen konnten, erklärte die Klägerin u.a. den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte die Erstattung der geleisteten Anzahlung. Mit diesem Begehren nimmt sie die Beklagte gerichtlich in Anspruch.

Das Rückzahlungsbegehren der Klägerin war erfolgreich. Nach der Entscheidung des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm ist die Klägerin zu Recht vom abgeschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten, so dass die Beklagte die Anzahlung zurückzuzahlen hat.

Nach dem abgeschlossenen Kaufvertrag habe die Klägerin davon ausgehen dürfen, dass ihr die Beklagte einen Ferrari mit den in der Auftragsbestätigung vereinbarten Beschaffenheitsmerkmalen zum Erwerb vermitteln würde, so der Senat. Dabei habe es sich zwar nicht um ein Fahrzeug handeln können, welches Ferrari kurz zuvor neu produziert habe. Denn solche Fahrzeuge des verkauften Typs seien am Markt nicht mehr erhältlich gewesen und hätten von der Beklagten ohnehin nicht vertrieben werden können, weil sie keine offizielle Ferrari-Händlerin sei. Dennoch habe die Klägerin davon ausgehen können, dass der zu liefernde Ferrari aufgrund der Angabe „Tageszulassung“ bis dahin nur auf einen Handelsbetrieb zugelassen gewesen sei und die Zulassungsdauer bei maximal 30 Tagen gelegen habe. Fahrzeuge mit Tageszulassungen würden nur formal auf einen Händler zugelassen, aber nicht im Straßenverkehr bewegt, so dass sie weiter als Neuwagen angesehen werden könnten. Dafür, dass die Beklagten einen derartigen Ferrari habe anbieten wollen, spreche auch die im Kaufvertrag enthaltene Angabe „Werkskilometer“. Werkskilometer bezeichneten eine Fahrstrecke, die nach der Produktion eines Fahrzeugs üblicherweise auf dem Werksgelände zurückgelegt werde, um an dem Fahrzeug noch letzte Tests und Abstimmungen vorzunehmen. Allerdings könne diese Fahrstrecke auch einige 100 km betragen, ohne dass die Neuwageneigenschaft infrage gestellt werde.

Der von der Beklagten angebotene Ferrari sei mangelhaft gewesen, weil er die genannten, vereinbarten Beschaffenheitsmerkmale nicht aufgewiesen habe. Er sei bereits seit einem Jahr zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen gewesen und habe auch eine über die üblichen Werkskilometer hinausgehende Fahrstrecke im öffentlichen Straßenverkehr zurückgelegt. Deswegen habe der Kilometerzähler im April 2016 eine Laufleistung von 1.412 km ausgewiesen. Diese Abweichungen seien erheblich und berechtigten die Klägerin zum Vertragsrücktritt.

Eine Einigung der Parteien auf einen – den Rücktritt der Klägerin ausschließenden – Preisnachlass von 25.000 Euro habe die Beklagte nicht nachgewiesen. Sie sei daher verpflichtet, der Klägerin die geleistete Anzahlung zu erstatten.2

„Einen BMW X1 sDrive ohne Freisprecheinrichtung will ich nicht“, also: Rücktritt

entnommen wikimedia.org Author The Car Spy

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Author The Car Spy

Während des Studiums wird Kaufrecht „gepaukt“, die einschlägigen Paragrafen rauf und runter. In der Praxis gibt es dann – finde ich jedenfalls – gar nicht so viel Entscheidungen zu dem Themenbereich. Aber vielleicht liegt diese Einschätzung auch an meiner „Strafrechtsbrille“. Heute habe ich dann aber mal wieder eine Entscheidung zum Kaufrecht, und zwar das OLG Hamm, Urt. v. 21.07.2016 – 28 U 2/16. Da geht es um einen BMW, dem das in der – auf www.mobile.de veröffentlichten – Fahrzeugbeschreibung genannte Ausstattungsmerkmal „Freisprecheinrichtung mit USB-Schnittstelle“ fehlte. Der Kläger hatte bei dem beklagten Autohaus den BMW X1 sDrive 18d (EZ 09/2012) zum Kaufpreis von ca. 21.200 € erworben. Er war über die Internetplattform www.mobile.de auf den Pkw aufmerksam geworden. Dort hatte die Beklagte ihn zum Verkauf u.a. unter Hinweis auf Ausstattungsmerkmal „Freisprecheinrichtung mit USB-Schnittstelle“ angeboten. Im später vom Kläger unterzeichneten schriftlichen Bestellformular war das Ausstattungsmerkmal nicht erwähnt. Tatsächlich hatte der BMW auch keine Freisprecheinrichtung. Nachdem der Kläger das Fehlen der Freisprecheinrichtung beanstandet und die Beklagte die Beanstandung unter Hinweis auf die von ihr nicht zugesagte Freisprecheinrichtung zurückgewiesen hatte, hat der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und seine Rückabwicklung begehrt. Und: Er hatte beim OLG Hamm Erfolg. Aus der Urteilsbegründung:

„a) Dem Kläger stand ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, weil das gekaufte Fahrzeug mangelhaft ist. Die Mangelhaftigkeit beruht darauf, dass der BMW keine Freisprecheinrichtung mit USB-Schnittstelle aufweist, obwohl dies i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB als Sollbeschaffenheit positiv vereinbart wurde.

aa) Die Beschaffenheitsvereinbarung beruht auf der Fahrzeugbeschreibung, die die Beklagte im Internet unter *Internetadresse* freigeschaltet hatte. Dieser Internetannonce fehlte zwar als bloßer invitatio ad offerendum der Rechtscharakter einer Willenserklärung. Entgegen der Einschätzung der Beklagten kommt aber entsprechenden Angaben im Internet zumindest im Bereich des Kfz-Handels in dem Sinne eine Verbindlichkeit zu, als dass durch sie die Sollbeschaffenheit des Fahrzeugs festgelegt wird. Aus Sicht eines Kaufinteressen werden solche Vorfeldangaben deshalb Grundlage einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung gem. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB (BGH NJW 2007, 1346; BGH NJW-RR 2011, 462; BGH NJW 2012, 2723; BGH NJW 2013, 1074; Reinking/Eggert Der Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rnr. 2429; Palandt-Weidenkaff BGB, 75. Aufl. 2016, § 434 Rnr. 15).

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme hat der Kläger auch zur Überzeugung des Senats bewiesen, dass die von der Beklagten bei *Internetadresse* veröffentlichte Fahrzeugbeschreibung den Inhalt hatte, wie dem als Anlage A1 seiner Klageschrift beigefügten Ausdruck zu entnehmen ist. Danach wurde bereits in der Überschrift des Inserats darauf hingewiesen, dass der BMW X1 auch „USB“ haben. Zudem war auch in der tabellarischen Auflistung der Ausstattungsdetails das hier umstrittene Merkmal  „Freisprecheinrichtung mit USB-Schnittstelle“ ebenfalls ausdrücklich erwähnt…………….

bb) Die durch das *Internetadresse*-Inserat erzeugte Erwartungshaltung, dass der BMW mit einer Freisprecheinrichtung ausgestattet sein würde, wurde im Übrigen auch nicht dadurch außer Kraft gesetzt, dass es in dieser Anzeige am Ende hieß „Irrtümer vorbehalten“.

Ein Kaufinteressent erwartet bei einer solchen Klausel nicht, dass er die Fehlerhaftigkeit sämtlicher vorstehender Detailangaben zu dem Fahrzeug hinnehmen muss. Sondern er geht davon aus, dass bis zum Abschluss des Vertrages eine Richtigstellung etwaiger Irrtümer erfolgen wird. Das ist aber im Streitfall nicht geschehen. Die Beklagte hat vielmehr selbst auf die Beanstandung des Klägers hin nicht in Erwägung gezogen, dass eine irrtümliche Angabe zu einem Ausstattungsdetail vorliegen könnte, die ihr bis dahin mangels Kontrolle nicht aufgefallen war.

cc) Entgegen der Einschätzung der Beklagten ist die Beschaffenheitsvereinbarung „Freisprecheinrichtung mit USB-Schnittstelle“ auch nicht so zu verstehen, dass mit dieser Angabe ein Bauteil aus dem Zubehörhandel gemeint war.

Vielmehr geht die – berechtigte – Erwartungshaltung eines verständigen Kaufinteressenten dahin, dass es sich um das offiziell von BMW angebotene Sonderausstattungsmerkmal „Freisprecheinrichtung mit USB-Schnittstelle“ handelte, das seinerzeit für den BMW X1 durch Angabe der entsprechenden SA-Nr. vor Erstauslieferung gegen Aufpreis bestellt werden konnte. Auch der Umstand, dass die Freisprecheinrichtung in der Auflistung bei *Internetadresse* unterschiedslos zwischen den ebenfalls werkseitig verbauten Bauteilen „Bordcomputer“ und „Radio BMW Professional“ aufgeführt wurde, musste so verstanden werden, dass es sich um eine werksseitige Freisprecheinrichtung handelte, zumal dadurch eine Ansteuerung über das Multifunktionslenkrad gewährleistet wurde.

dd) Die positive Beschaffenheitsvereinbarung „Freisprecheinrichtung mit USB-Schnittstelle“ wurde nicht dadurch widerrufen, dass dieses Ausstattungsmerkmal nicht mehr im Bestell-Formular vom 24.02.2015 erwähnt wurde, das die Beklagte dem Kläger zur Unterschrift übersandt hat.

Wenn ein gewerblicher Kfz-Verkäufer im Vorfeld des Vertragsschlusses konkrete Angaben zur Beschaffenheit des angebotenen Fahrzeugs gemacht hat, kann er sich davon nur distanzieren, wenn er gegenüber dem Kaufinteressenten vor dem Vertragsschluss eine eindeutige Klarstellung vornimmt, dass ein entsprechendes Beschaffenheitsmerkmal eben doch nicht oder nur in anderer Form vorhanden ist.

So ist in der Rechtsprechung zum Autokauf anerkannt, dass eine im Internet veröffentlichte Vorfeldangabe zur Scheckheftpflege oder zum Bestehen einer Herstellergarantie nicht dadurch hinfällig wird, dass  diese Beschaffenheit in einem späteren schriftlichen Vertrag nicht mehr erwähnt wird (KG NJW-RR 2012, 290; OLG Schleswig DAR 2012, 581; zur abweichenden Bewertung bei Grundstücksverträgen, die der notariellen Beurkundung unterliegen: BGH MDR 2016, 323).

Zwar könnte man im Streitfall auch davon ausgehen, dass die Ausstattungsauflistung im Internet-Inserat durch die im Bestellformular enthaltene Ausstattungsauflistung komplett ersetzt werden sollte. Das hätte zur Folge, dass die Beschaffenheitsangabe „Freisprecheinrichtung mit USB-Schnittstelle“ nicht mehr gelten sollte, weil sie in der Auflistung des Bestellformulars nicht mehr vorhanden war.

Dieses Auslegungsergebnis entspricht aber nicht dem Eindruck, den ein durchschnittlich informierter Autokäufer haben musste. Für einen solchen Kaufinteressenten war nur ersichtlich, dass von den vielen in der Internetannonce aufgelisteten Ausstattungsmerkmalen in dem Bestellformular nur wenige übrig geblieben waren. Aus welchen Gründen diese Begrenzung vorgenommen wurde, war für ihn nicht erkennbar. Möglicherweise kam es der Beklagte darauf an, nur besonders populäre Ausstattungsdetails wie die 17“ Leichtmetallräder und das BMW Professional Radio zu wiederholen, während die Freisprecheinrichtung kostenmäßig nur eine untergeordnete Bedeutung hatte und deshalb nicht eigens wiederholt werden sollte.

Wegen dieser bestehenden Unsicherheit kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorfeldangabe über die Freisprecheinrichtung auf die erforderliche eindeutige Weise widerrufen wurde, als die Beklagte dem Kläger das Bestellformular ohne Erwähnung dieser Freisprecheinrichtung übersandte.“

Und damit ging der BMW X1 sDrive zurück.

Herstellerangaben zum Spritverbrauch eines Neufahrzeugs – darf ich denen glauben?

entnommen wikimedia.org Urheber joho345

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Urheber joho345

Jeder, der einen Neuwagen kauft, hat sich heute angesichts hoher Spritpreise mit den Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch befasst. Man will ja schließlich nicht ständig an der Tankstelle stehen. Und man ist dann über niedrige Kraftstoffangaben erfreut, später dann aber häufig überrascht, wenn die nicht erreicht werden, sondern der Kraftstoffverbrauch über diesen liegt, z.T. sogar erheblich. Da stellt sich dann schnell die Frage, ob bei dem Pkw nicht ein Sachmangel i.S. des § 434 BGB vorliegt. Und das und die damit zusammenhängende Frage, ob man den Neuwagen wieder zurückgeben kann, hängt davon ab, ob eine Beschaffenheitsvereinbarung zu den tatsächlichen Verbrauchswerten des verkaufen Fahrzeugs getroffen worden ist. Das hat das OLG Brandenburg vor kurzem im OLG Brandenburg, Urt. v. 27.03.2014 – 5 U 70/12 – in einem vergleichbaren Fall verneint. Denn: Die Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch eines Neufahrzeugs beziehen sich lediglich auf den Verbrauch in bestimmten Messverfahren und werden nur mit diesem Inhalt Vertragsgegenstand. Der Käufer eines Fahrzeugs kann daher nur erwarten, dass die im Prospekt angegebenen Werte unter Testbedingungen reproduzierbar sind. Dazu:

„Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung kann bei einem Pkw auch der Kraftstoffverbrauch sein. Bei einem Neuwagen begründet ein Kraftstoffmehrverbrauch von mehr als 10% gegenüber den Herstellerangaben eine nicht unerhebliche Tauglichkeitsminderung (§ 323 Abs. 2 S. 2 BGB), die zum Rücktritt berechtigt (vgl. BGH NJW 2007, 2111).

a) Durch Bezugnahme auf Prospekte oder andere Unterlagen ist keine Beschaffenheitsvereinbarung des Inhalts getroffen worden, dass der verkaufte Pkw außerorts einen tatsächlichen Verbrauch von 4,9 l/100 km aufweist. Die EG-Übereinstimmungsbescheinigung (K 5) kann für eine entsprechende Vereinbarung schon deshalb nicht herangezogen werden, weil sie unstreitig erst mit Auslieferung des Fahrzeugs übergeben wurde und nicht vorgetragen worden ist, dass in diesem Zeitpunkt noch eine nachträgliche Vereinbarung (§ 311 Abs. 1 BGB) getroffen wurde. Es ist aber unstreitig, dass die Klägerin sich bereits vor dem Verkaufsgespräch kundig gemacht hatte und die Herstellerangaben zum Verbrauch entsprechend der Übersicht K 6 („technische Daten“) und des Dacia-Prospektes Gegenstand der Erörterungen waren. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich die Soll-Beschaffenheit nach den – durch Bezugnahme und Erörterung mindestens konkludent einbezogenen – publizierten Herstellerangaben richten sollte. Es handelt sich insoweit jedenfalls um „öffentliche Äußerungen“ i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl. 2012, Rn 599). Diese Angaben bezogen sich lediglich auf den Verbrauch in bestimmten Messverfahren und können deshalb auch dann, wenn die Klägerin dies anders verstanden haben sollte, nur mit diesem Inhalt Vertragsgegenstand geworden sein. Der Klägerin als Erklärungsempfängerin war damit jedenfalls erkennbar, dass die Herstellerangaben auf einer verobjektivierenden Grundlage beruhten und dass sich der bei individueller Fahrweise erzielte Kraftstoffverbrauch mit den angegebenen Werten nicht decken musste (vgl. BGHZ 136, 94, juris Rn. 9). Die Klägerin konnte aufgrund dieser Beschaffenheitsvereinbarung demnach nur erwarten, dass die im Prospekt angegebenen Werte unter Testbedingungen reproduzierbar sind (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 07.03.2013, Az. 28 U 94/12, juris Rz. 37)…..“