Gebrauchwagenkauf, oder: Wer hat denn nun wann am Tacho geschraubt?

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, hat auch etwas mit Manipulation zu tun. Es geht nämlich im OLG Jena, Beschl. v. 29.08.2019 – 1 U 239/19 – um eine Tachomanipulation beim Gebrauchtwagenkauf.

In dem Verfahren nimmt der Kläger den Beklagten auf Rückzahlung des Kaufpreises in Anspruch, den er aufgrund eines im Januar 2018 geschlossenen Kaufvertrags über einen Pkw der Marke Audi gezahlt hat. Der Vertrag nannte als Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs die Strecke von „ca. 195.000 km“ und verwies darauf, dass es mit einem Austauschgetriebe ausgestattet ist, das seinerseits eine Laufleistung von 125.000 km hinter sich hat. Das war auch der Tachostand bei Vertragsschluss. Er war das Ergebnis einer Manipulation, die der Beklagte im Jahre 2017 selbst in Auftrag gab, um den Wegstreckenzähler an die Laufleistung des Austauschgetriebes anzupassen. Dieses wurde aber schon früher eingebaut, namentlich als das Fahrzeug eine Laufleistung von 70.000 km oder 77.000 km aufwies.

Noch im Januar 2018 verlangte der Kläger im Wege einer WhatsApp-Nachricht vom Beklagten eine Herabsetzung des Kaufpreises mit der Begründung, die Laufleistung des Fahrzeugs liege in Wahrheit über 200.000 km. Er behauptet, der Beklagte habe ihm vor Abschluss des Kaufvertrags berichtet, die Veränderung des Tachostandes sei schon beim Einbau des Austauschgetriebes durch die Herstellerfirma erfolgt. Dass er die Manipulation selbst veranlasst habe, lasse gemeinsam mit dem Umstand, dass der Wagen, der eigentlich ein Vielfahrerfahrzeug sei, in 2017 dann nur eine sehr geringe Laufleistung erbracht hätte, den Schluss zu, dass die Gesamtlaufleistung in Wirklichkeit sehr viel höher liege.

Nach Erhebung der Klage zum LG hat der Kläger durch Schriftsatz vom 11.02.2019 die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Anfechtung sei nach Ablauf der hierfür geltenden Frist erfolgt und ein Sachmangel deshalb nicht gegeben, weil der Beklagte
die Tachomanipulation bei Eingehung des Kaufvertrags offenbart habe.

Die Berufung des Klägers hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 24.07.2019 Bezug genommen, in dem ausgeführt ist:

„Der zulässigen Berufung muss nach derzeitigem Stand der Erfolg in der Sache versagt bleiben. Die Entscheidung des Landgerichts lässt weder entscheidungserhebliche Rechtsfehler erkennen, noch bestehen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen (§§ 513, 529 ZPO). Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger kann die Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags weder nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB wegen Anfechtung seiner Willenserklärung gemäß § 123 Abs. 1 BGB noch infolge eines wirksamen Rücktritts wegen eines Sachmangels gemäß §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 BGB verlangen oder im Rahmen einer Haftung für vorvertragliches Fehlverhalten nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB.

1. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung

Was die Anfechtungsfrist anbelangt, die sich nach § 124 Abs. 1 BGB auf ein Jahr beläuft und die das Landgericht für versäumt hält, will die Berufung zwischen der Behauptung einer über 200.000 km liegenden Laufleistung und der Frage der Urheberschaft der Manipulation des Messgeräts unterschieden wissen. Dies gelingt ihr nicht. Denn die eine Fehlvorstellung ist untrennbar mit der anderen verknüpft. Die in der WhatsApp-Nachricht des Klägers vom 27. Januar 2018 zum Ausdruck gebrachte Annahme einer Laufleistung über 200.000 km ergibt sich ja gerade daraus, dass die Veränderung der Anzeige auf den Beklagten zurückgehen soll. Wäre der Kläger zu diesem Zeitpunkt nach wie vor davon ausgegangen, dass der Eingriff durch den Hersteller erfolgt war, hätte für ihn überhaupt kein Anlass zu Zweifeln daran bestanden, dass die im Vertrag angegebene Laufleistung der Wirklichkeit entspricht. Die Anfechtung des Kaufvertrags ist daher in jedem Fall verfristet.

2. Rücktritt wegen Sachmangels

a) Beschaffenheitsvereinbarung

Der Senat vermag sich der von der Berufung angestrebten Differenzierung zwischen Laufleistung und Urheberschaft der Tachomanipulation auch nicht im Hinblick auf die kaufrechtliche Gewährleistung anzuschließen. Da ein Eingriff in die Messung des Wegstreckenzählers eine Straftat nach § 22b Abs. 1 StVG bedeutet, kann die Frage ihrer Urheberschaft von vornherein nicht Gegenstand einer Verkehrserwartung an die Beschaffenheit einer Kaufsache gemäß § 434 Abs. 2 S. 2 BGB sein. Aus demselben Grund taugt sie aber auch nicht als Objekt einer wirksamen Beschaffenheitsvereinbarung gemäß Satz 1 der Vorschrift. Selbst wenn der vom Kläger angebotene Zeugenbeweis ergeben sollte, dass der Beklagte vor Vertragsschluss eine Veränderung der Anzeige durch den Hersteller behauptet haben sollte, folgte hieraus noch nicht, dass dies entgegen der Urkunde über den streitgegenständlichen Vertrag auch als Beschaffenheit des Fahrzeugs vereinbart worden wäre. Zum einen wäre eine Einigung über die Modalitäten einer Straftat als Merkmal der Kaufsache ohnehin wirkungslos gewesen (es gibt entgegen der Ansicht der Berufung keine „fachgerechte“ Manipulation). Zum anderen war, wie das Landgericht ebenfalls hervorgehoben hat, den vom Beklagten übergebenen Unterlagen eindeutig zu entnehmen, dass die Veränderung des Tachometers nicht anlässlich des Einbaus des Austauschmotors erfolgt sein konnte. Folglich kann dem Beklagten auch nicht unterstellt werden, sich auf eine Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Inhalt eingelassen zu haben, wie ihn der Kläger behauptet. Worüber sich die Parteien geeinigt haben und was aus der Urkunde auch klar hervortritt, ist allein die Divergenz zwischen der Anzeige des Tachometers und der wahren Laufleistung…………“

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