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StGB I: Beteiligung und Bestrafung als Bandenmitglied?, oder: Mittäterschaft oder Beihilfe?

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Die Überschrift zeigt es: Hier gibt es heute StGB-Entscheidungen, und zwar dreimal vom BGH und einmal vom BayObLG.

Den Starter machen zwei BGH-Entscheidungen zum Bandenbegriff, eine Entscheidung kommt aus dem BtM-Bereich, in der anderen geht es um Bandenbetrug

Zunächst die Ausführungen des BGH im BGH, Beschl. v. 01.04.2025 – 1 StR 436/24:

„1. Die Annahme (mit-)täterschaftlichen Handelns hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die Frage, ob die Beteiligung an einer Bandentat als Mittäterschaft oder als Beihilfe einzuordnen ist, ist auch beim bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach den Grundsätzen des allgemeinen Strafrechts zu beantworten. Wesentliche Anhaltspunkte sind dabei der Grad des Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille zur Tatherrschaft, sodass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Tatbeteiligten abhängen. Beschränkt sich die Beteiligung auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, kommt es entscheidend darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Diese Umstände sind in die erforderliche wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2020 – 2 StR 349/19 Rn. 6 und vom 13. Februar 2019 – 4 StR 22/19 Rn. 3; jeweils mwN). Die Täterschaft muss sich auf den Handel und nicht bloß auf den Besitz an den Betäubungsmitteln erstrecken (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2021 – 1 StR 72/21, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Rn. 5).

b) Gemessen daran wird die Annahme täterschaftlichen Handelns nicht von den Feststellungen getragen. Der Angeklagte hatte strikt auf Weisung des Bandenchefs, des Mitangeklagten K., als „Straßenläufer“ ohne eigenen Entscheidungsspielraum rund ein Gramm Kokain in Plomben abzupacken und zu den Käufern zu bringen. Dass überwiegend nur er die beiden Bunkerwohnungen betrat, weil K. und dessen rechte Hand, der Mitangeklagte P., dies zur Verdeckung ihrer Beteiligung zu vermeiden suchten, ändert an seiner untergeordneten Rolle in der Bandenhierarchie nichts. Er handelte mit den Abnehmern weder Menge noch Preis aus; bezüglich der überbrachten Kleinmengen gehörte das vielmehr zu P.s  Aufgabenbereich. So hatte sich der Angeklagte am 26. Juli 2022 telefonisch bei K.       rückzuversichern, ob er dem Abnehmer E. vier Gramm Kokain zum Grammpreis von 16 € überlassen durfte. Gleiches folgt aus dem Verkaufsgeschehen vom 12. Oktober 2022 (UA S. 26, 39).“

Und dann das BGH, Urt. v. 08.04.2025 – 1 StR 372/24 – da führt der BGH, nachdem er sich allgemein zur „Bande“ geäußert hat, zum konkreten Fall aus:

a) …..

b) Dies zugrunde gelegt hat der Angeklagte in allen Fällen als Täter gehandelt. Er verwirklichte den gesetzlichen Tatbestand des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs (§ 263 Abs. 1 und 5 StGB) in eigener Person, so dass es zur Annahme von Täterschaft weder der Zurechnung der Tatbeiträge Dritter gemäß § 25 Abs. 2 StGB noch einer wertenden Betrachtung seines Tuns bedarf. In den Fällen 4 und 6 bis 10 der Urteilsgründe täuschte er die Geschädigten ausdrücklich, indem er sich diesen mit einem falschen, vorher von den sogenannten Keilern mitgeteilten Namen vorstellte. In den Fällen 1 bis 3 und 5 der Urteilsgründe täuschte er durch schlüssiges Verhalten, nämlich durch sein Auftreten (vgl. zur konkludenten Täuschung zuletzt BGH, Urteil vom 4. Dezember 2024 – 5 StR 498/23 Rn. 35 mit weiteren Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung). Einer weiteren Kommunikation bedurfte es nicht; denn die Geschädigten konnten das Erscheinen des Angeklagten nur so verstehen, dass es sich bei ihm um die in den Telefonaten angekündigte, zur Abholung befugte Amtsperson handelte. Hierauf gründeten die von den Geschädigten im direkten Anschluss an das Vorstellen als Amtsperson getroffenen Vermögensverfügungen und der jeweils eingetretene Vermögensschaden. Auf ein eigenes Tatinteresse des Angeklagten, der in Bezug auf die Tatbeute mit Drittbereicherungsabsicht handelte, kommt es mithin nicht an.“

StPO III: Wirksame Berufungsbeschränkung?, oder: Landfriedensbruch, sexueller Missbrauch, BtM-Delikt

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Und dann zum Schluss des Tages hier noch einige Entscheidungen zur Frage der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung. Dazu hatte sich in der letzten Zeit einiges angesammelt, das ich hier heute mit den Leitsätzen vorstelle. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

    1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn sich im Falle einer Verurteilung wegen Betrugs aus dem amtsgerichtlichen Urteil nicht ergibt, ob dem Getäuschten ein Schaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB entstanden ist.
    2. Im Falle der wirksamen Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch besteht keine Bindung des Berufungsgerichts gemäß § 327 StPO an die amtsgerichtlichen Feststellungen zum gewerbsmäßigen Handeln im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. StGB. Vielmehr hat das die Berufungskammer insoweit eigene Feststellungen zu treffen.
    1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn im Falle einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern aufgrund unzulänglicher Feststellungen des Erstgerichts nicht beurteilt werden kann, ob die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB überschritten ist.
    2. Die strafschärfende Berücksichtigung von Umständen (hier: Ausnutzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses) ist nur dann rechtsfehlerfrei, wenn diese von den getroffenen Feststellungen getragen werden.

Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unter anderem dann unwirksam, wenn aufgrund der unzulänglichen Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht.

Fehlende Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel stehen bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nach § 29a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auch dann nicht entgegen, wenn die Bruttomenge der Betäubungsmittel die Grenze zur nicht geringen Menge i.S.d. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG übersteigt.

Haft II: Zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: 8,21 gr. Kokain reichen auch dem OLG nicht

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Ich hatte im September über den LG Kiel, Beschl. v. 08.09.2023 – 7 KLs 593 Js 43392/23 – berichtet (vgl. hier Haft II: Zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: 8,21 gr. Kokain reichen auch mit Waffen nicht). Dazu liegt jetzt die Beschwerdeentscheidung vor. Das OLG Schleswig hat im OLG Schleswig, Beschl. v. 12.10.2023 – 1 Ws 233/23 – die Beschwerde der StA gegen die Aufhebung des haftbefehls verworfen:

„Gemäß § 112 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO darf gegen den Angeschuldigten Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn er dringend verdächtig ist, wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechts-ordnung schwerwiegend beeinträchtigende dem Katalog zu entnehmende Straftat begangen zu haben und bestimmte Tatsachen, die Gefahr begründen, dass er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde. Gleichzeitig muss die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten sein.

Die Kammer hat in ihrer Begründung ausgeführt, dass es bereits an einer Katalogtat im Sinne des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO fehlen dürfte, da § 30 a Abs. 2 BtMG in der abschließenden Aufzählung des Katalogs nicht aufgeführt sei und sich eine Analogie verbiete. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft unter Benennung der Bundestagsdrucksachen 459/03 vom 2. Juli 2023 und 24/11 vom 18. Januar 2011 eingewandt, dass die Berichtigung der Zitierweise bzw. die Berichtigung eines redaktionellen Versehens bezüglich § 30 a Abs. 2 BtMG bereits angestrebt wurde und vor dem Hintergrund der nachträglichen Einführung und des Wortlautes „ebenso bestraft“ eine Gleichstellung mit § 30 a Abs. 1 BtMG anzunehmen sei.

Ob eine entsprechende Anwendung des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO überhaupt in Betracht käme und der Straftatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG bei entsprechender Anwendung eine Katalogtat im Sinne des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO darstelle, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, da jedenfalls, was die Kammer auch erkannt hat, das Grunddelikt des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG im dringenden Tatverdacht impliziert ist.

Der Haftbefehl war allerdings aufzuheben, weil die hier wiederholt begangenen Anlasstaten entgegen der Ausführungen der Staatsanwaltschaft zu keiner schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung geführt haben. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung liegt dann vor, wenn die Anlasstat einen überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt auf-weist (OLG Hamm, Beschluss vom 1. April 2010 Az.: 3 Ws 161/10) und dadurch geeignet ist, in weiten Kreisen der Bevölkerung das Vertrauen in Sicherheit und Rechtsfrieden zu beeinträchtigen (OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2010 – III-2 Ws 18/10). Es muss sich daher um eine Straftat handeln, die schon nach ihrem gesetzlichen Tatbestand einen erheblichen, in der Höhe der Strafandrohung zum Ausdruck kommenden Unrechtsgehalt aufweist und in ihrer konkreten Gestalt, insbesondere nach Art und Ausmaß des angerichteten Schadens, die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt hat (BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 1973 Az.: 2 BvL 4/73). Daher kann nicht ausschließlich auf die Straferwartung, welche bei den Katalogtaten des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO bereits die generelle schwerwiegende Natur begründet, abgestellt werden. Vielmehr sind auch die Umstände der Tat im Einzelfall heranzuziehen. Der Haftgrund der Wiederholungs-gefahr dient nicht Sicherung des Strafverfahrens, sondern dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten, weswegen das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit dem Freiheitsanspruch des bislang nur Angeschuldigten überwiegen muss.

Dem Angeschuldigten wird mit der vorliegenden Anklage zum einen vorgeworfen, im Schlafzimmer seiner Wohnung in Kiel am 13. Juli 2023 insgesamt 8,21 g Kokain verwahrt zu haben und dabei griffbereit in unmittelbarer Nähe zu den Betäubungsmitteln ein Klappmesser -im Fernseher-regal-, eine Machete -auf dem Kleiderschrank- und ein Baseballschläger -zwischen Kleiderschrank und Regal, in dem ein Großteil des Kokains festgestellt werden konnte -vorgehalten zu haben. Des Weiteren wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, am 2. Juli 2023 einem Abnehmer 0,5 g Kokain verbindlich zum Kauf angeboten und am 5. Juli 2023 Verkaufsverhandlungen über den Erwerb von 100 g Marihuana zum Zweck des Weiterverkaufs geführt zu haben. Die Geschäftsanbahnungen sind jeweils über Chat erfolgt. Jede dieser Taten und insbesondere die Tat am 13. Juli 2023 hat nach außen hin keine Wirkung auf die Bevölkerung entfaltet. Es ist durch sie auch kein Schaden angerichtet worden, der nach Art und Umfang geeignet wäre, in weiten Kreisen der Bevölkerung das Vertrauen in die Sicherheit und den Rechtsfrieden zu beeinträchtigen. Auch, dass der Angeschuldigte bei Tatbegehung wegen einer gleichartigen Tat unter laufender Bewährung stand, vermag daran nichts zu ändern.

Andere Haftgründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.“

Strafzumessung III: Grenzwertüberschreitung bei BtM, oder: Judex non calculat

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Und zum Tagesschluss stelle ich dann noch den BGH, Beschl. v. 17.05.2022 – 6 StR 182/22 – vor. Das LG hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg.

„Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat dem Angeklagten im Rahmen ihrer Strafzumessungserwägungen bestimmend angelastet, dass der Wirkstoffgehalt des zum Handel bestimmten Kokains mit 112,29 g Kokainhydrochlorid den Grenzwert zur nicht geringen Menge „um mehr als das 120-Fache überschritten“ habe. Der Generalbundesanwalt weist hierzu jedoch zutreffend darauf hin, dass der Wirkstoffgehalt der Handelsmenge bei richtiger Berechnung lediglich etwas mehr als das 22-Fache des für Kokain geltenden Grenzwerts betrug. Angesichts dieses signifikant überhöhten Ansatzes kann der Senat nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei korrekter Bewertung eine geringere Strafe verhängt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2014 – 5 StR 239/14)….“

tja, judex non calculat 🙂

Strafzumessung I: es bestand „die Gefahr, dass das Marihuana in den Verkehr gelangt, oder: Falsch

Heute dann ein „Strafzumessungstag“, den ich mit dem BGH, Beschl. v. 08.01.2019 – 4 StR 401/18 76 – eröffne. Nichts besonderes, aber die Entscheidung ist deshalb einen Hinweis wert, weil das, was der BGH beanstandet hat, immer wieder falsch gemacht wird.

Es geht um eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das BtMG. Da merkt der BGH an:

„Die allein bei der Strafrahmenwahl angestellte strafschärfende Erwägung, es habe „die Gefahr“ bestanden, „dass das Marihuana in den Verkehr gelangt“ ist, begegnet hingegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Gefahr, dass Betäubungsmittel in den Verkehr gelangen, kennzeichnet – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat – den Normalfall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und ist daher kein tauglicher Strafschärfungsgrund (vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. Mai 2018 – 4 StR 100/18).“

Gebracht hat es allerdings nichts, denn der BGH hat (mal wieder) ausgeschlossen, „dass die Strafrahmenwahl auf dieser rechtsfehlerhaften Erwägung beruht, da die Annahme eines minder schweren Falles angesichts der erheblichen Betäubungsmittelmenge und der teils einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten fern lag.“ Muss man „glauben, das der BGH nähere Einzelheiten nicht mitteilt.