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StPO II: Wenn die Beschuldigtenvernehmung „platzt“, oder: Endgerätedurchsicht vor Ort vor Beschlagnahme

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Und dann als zweite Entscheidung – ebenfalls aus Bayern – der LG München I, Beschl. v. 18.1.2024 – 19 Qs 24/24.

Ergangen ist der Beschluss in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Erpressung. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, bezugnehmend auf ein Schreiben in einer Zwangsvollstreckungssache, mit welchem er wegen eines nicht beglichenen Rundfunkbeitrags in Höhe von 376,06 EUR zur Abgabe einer Vermögensauskunft geladen wurde, in einem Schreiben vom 17.04.2023 gegenüber pp. ARD ZDF Deutschlandradio, erklärt zu haben, dass er die Ladung als Angebot sehe, welche er u.a. unter die Bedingung stelle, dass sie ihm binnen einer Frist von 21 Tagen „eine amtliche Legitimation“ in notarieller Form und die „Gründungsurkunde des Staates“ vorlegen. Sofern dies nicht geschehe, habe dies die „unwiderrufliche“ und „absolute Zustimmung“ zu einem „privaten kommerziellen Pfandrecht in Höhe von 700.000 EUR“ zu seinen Gunsten zur Folge. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 17.04.2023.

Die Staatsanwaltschaft hat auf der Grundlage dieses Schreibens die Polizei beauftragt, den Beschuldigten im Strafverfahren zu vernehmen. Die Polizei teilt dann mit, dass der Beschuldigte bereits am 01.07.2023 von seiner ursprünglichen Wohnadresse in Unterhaching nach 04519 Rackwitz verzogen sei, wo er auch einwohnermelderechtlich gemeldet sei. Daraufhin teilte die Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei mit, dass unter diesen Umständen keine weiteren Maßnahmen – wie beispielsweise die Einvernahme im Rahmen eines Ermittlungsersuchens an die für seinen Wohnsitz zuständige Kriminalpolizei – veranlasst seien.

Stattdessen beantragte die Staatsanwaltschaft München I einen Durchsuchungsbeschluss gegen den Beschwerdeführer an dessen Wohnsitz in Rackwitz. Der wird erlassen und vollzogen. Beschlagnahmt werden1 Dell PC Tower mit Kabel, 1 USB-Stick EMTEC, 1 Mobiltelefon Microsoft, 1 Mobiltelefon Nokia und 1 Klapp-Handy Nokia. Dagegen die Beschwerde des Beschuldigten,die Erfolg hatte:

„Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung und die Beschwerde gegen die Beschlagnahmebestätigung der konkret beschlagnahmten Gegenstände erweisen sich in der Sache als erfolgreich, da zwar ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer bestand, jedoch aufgrund des Zeitablaufs von mehreren Monaten nur noch eine geringe Auffindevermutung bestand und sowohl die Durchsuchung als auch die Beschlagnahme mangels Verhältnismäßigkeit rechtswidrig waren.

a) Bei jeder Anordnung einer Durchsuchung gem. §§ 102, 105 Abs. 1 S. 1 StPO ist aufgrund der Erheblichkeit des Eingriffs der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Teilurteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64). Die Durchsuchung muss den Erfolg versprechen, geeignete Beweismittel zu erbringen. Auch muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen.

Ferner muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und
der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02).

Mit diesen Voraussetzungen setzt sich der amtsgerichtliche Beschluss nicht weiter auseinander. Er enthält neben der Vermutung, die Durchsuchung werde zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere Speichermedien und EDV führen, keine weiteren Ausführungen. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe hätte sich dem Amtsgericht bei seiner Entscheidung jedoch aufdrängen müssen, dass bereits Zweifel an der Auffindevermutung und Erforderlichkeit der Maßnahme bestehen – welchen durch Aufnehmen einer Abwendungsbefugnis hätte begegnet werden können – sie aber jedenfalls unangemessen ist und somit im vorliegenden Fall das Schutzinteresse aus Art. 13 GG gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates überwiegt (vgl. LG Hamburg Beschl. v. 26.7.2022 – 631 Qs 17/22, BeckRS 2022, 35057).

Denn dafür, dass der Beschuldigte tatsächlich noch im Besitz einer digitalen Form des Schreibens vom 17.04.2023 stehen könnte, bestanden bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses am 07.02.2024 angesichts des Zeitablaufs von 10 Monaten zumindest Zweifel. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Durchsuchung tatsächlich erst am 29.05.2024 – mithin erst über ein Jahr nach der Verfassung des gegenständlichen Schreibens vollzogen wurde – erachtet die Kammer die Durchführung der Durchsuchung zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr als erfolgsversprechend.

Zudem bestehen Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme. Denn auch die Staatsanwaltschaft München I hielt ursprünglich keine weiteren Ermittlungsmaßnahmen für erforderlich, um den Tatnachweis zu führen. Ausweislich des Akteninhalts sollte vor Abschluss des Verfahrens ursprünglich lediglich eine Beschuldigtenvernehmung durchgeführt werden, sodass die Akte zu diesem Zweck der Polizei zugeleitet wurde.

Erst als die Polizei nach weiteren 5 Monaten mitteilte, dass der Beschwerdeführer nicht mehr im Zuständigkeitsbereich wohnhaft sei und bislang nicht vernommen worden sei, beantragte die Staatsanwaltschaft München I einen Durchsuchungsbeschluss, obwohl seither keine weiteren Ermittlungsergebnisse dazugekommen waren, welche nunmehr weitere Maßnahmen zur Verfolgung der im Raum stehenden Straftat nachvollziehbar erscheinen lassen. Dass ein Termin zur Beschuldigtenvernehmung nicht zustande kam, für den der Beschwerdeführer offiziell auch nicht geladen wurde, kann jedenfalls nicht zulasten des Beschwerdeführers gehen und nicht den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses begründen.

b) Hinsichtlich der Beschlagnahmebestätigung ist anzuführen, dass die Beschlagnahme sämtlicher beim Beschwerdeführer vorgefundener EDV in Form von einem Dell PC Tower mit Kabel, einem USB-Stick EMTEC, seinem Mobiltelefon Microsoft, einem Mobiltelefon Nokia und einem Klapp-Handy Nokia (Bl. 86) außer Verhältnis zu dem Eingriff auf das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung steht.

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist von dem Grundrecht aus Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG verbürgt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 [43] = NJW 1984, 419). Das Grundrecht dient dabei auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Aus-übung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Die Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, kann dadurch wesentlich gehemmt werden. Auch das Gemeinwohl wird hierdurch beeinträchtigt, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (vgl. BVerfGE 65, 1 [43] = NJW 1984, 419).

Demnach sind bei dem Vollzug der Beschlagnahme – insbesondere beim Zugriff auf umfangreiche elektronisch gespeicherte Datenbestände – die verfassungsrechtlichen Grundsätze zu gewährleisten, die der Senat in seinem Beschluss vom 12.4.2005 (NJW 2005, 1917 [1921f.]) entwickelt hat. Hierbei ist vor allem darauf zu achten, dass die Gewinnung überschießender, für das Verfahren bedeutungsloser Daten nach Möglichkeit vermieden wird.

Die Beschlagnahme sämtlicher gespeicherter Daten zum Zweck der Erfassung von Kommunikationsdaten, etwa des E-Mail-Verkehrs, ist dabei regelmäßig nicht erforderlich. Vielmehr muss im Regelfall wegen des von vornherein beschränkten Durchsuchungsziels die Durchsicht der Endgeräte vor Ort genügen.

Das Amtsgericht München hat in dem angegriffenen Bestätigungsbeschluss nicht berücksichtigt, dass insoweit erhöhte Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu stellen waren und hat hierzu keine Ausführungen gemacht.

Auch ist vorliegend nicht ersichtlich, warum die Beschlagnahme eines nicht internetfähigen Klapp-Handys ohne Datei-Verarbeitungsprogramm bestätigt wurde, welches offensichtlich gera-de nicht zum Verfassen, Verarbeiten oder Speichern des Schreibens genutzt werden konnte.

Auch lagen aus Sicht der Beschwerdekammer die Voraussetzungen der Einziehung nicht vor, sodass die Gegenstände nicht zur Sicherung der Vollstreckung beschlagnahmt werden konnten, § 111b Abs. 1 S. 1 StPO. Denn vorliegend sind weder der Computer des Beschwerdeführers noch sonstige Speichermedien als eigentliches Mittel der im Raum stehenden Straftat eingesetzt worden. Die dem Beschwerdeführer angelastete versuchte Erpressung war insbesondere nicht von der Verwendung der zur Einziehung angeordneten EDV und Speichermedien abhängig. Ent-sprechend unterliegt ein Computer, den der Täter zum Schreiben eines – später abgesandten – Briefes mit strafrechtlich relevanten Inhalt benutzt hat, nicht der Einziehung nach § 74 StGB (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23-12-1992 – 5 Ss 378/92, 5 Ss 120/92 I).

c) Wegen des hohen Eingriffs in das Rechtsgut der Unverletzlichkeit der Wohnung erachtet
die Kammer angesichts des im Raum stehenden Delikts des Versuchs einer Erpressung, der Tatsache, dass der Beschwerdeführer strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist und des dargestellten Zeitablaufs die Anordnung der Durchsuchung und die Bestätigung der Beschlagnahme als nicht mehr angemessen und insgesamt unverhältnismäßig.“

StPO II: Zulässige Beschlagnahme eines Briefes?, oder: Potenzielle Beweisbedeutung

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Und dann vom BGH der BGH, Beschl. v. 29.05.2024 – StB 24/24 -zur Beweisbedeutung in Zusammenhang mit der Beschlagnahme.

Gegen den Beschuldigten ist Anklage u.a. wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB erhoben worden. Das OLG hat einen Brief an den Angeklagten gemäß §§ 94, 96 StPO beschlagnahmt, weil das Schreiben als Beweismittel von Bedeutung sein könnte. Der Staatsschutzsenat hat angeordnet, dass eine beglaubigte Ablichtung zu den Akten genommen und das Original in den Postweg gegeben wird. Gegen den Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde. Die hatte keinen Erfolg:

„Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde (§ 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 Variante 6, § 306 Abs. 1 und 2 StPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine richterliche Beschlagnahme gemäß §§ 94, 98 StPO liegen vor. Dem Inhalt des Briefes kommt insgesamt eine potenzielle Beweisbedeutung zu.

1. Ein Gegenstand hat dann potenzielle Bedeutung als Beweismittel, wenn die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, ihn im Verfahren zu Untersuchungszwecken in irgendeiner Weise zu verwenden (BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2018 – StB 13/18, StV 2021, 558 Rn. 6; vom 11. Januar 2024 – StB 75/23, NStZ-RR 2024, 82). Diese Voraussetzungen liegen aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung vor, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. In dem beschlagnahmten Brief identifizierte die Verfasserin den Angeklagten auf einem in einem Presseartikel veröffentlichten Bild als Teilnehmer eines Treffens mit weiteren mutmaßlichen Mitgliedern der Vereinigung am 9. September 2022 in der Nähe von K. Das Schreiben könnte somit als Indiz zu der Überzeugung beitragen, dass der Angeklagte bei dieser Zusammenkunft anwesend war. Der Brief hat auch im Übrigen Beweisbedeutung. Denn aus seinem Inhalt wird ersichtlich, dass die Verfasserin dem Angeklagten besonders nahesteht und es deshalb gerade ihr möglich ist, ihn zu identifizieren. Das aus dem Schreiben ersichtliche Näheverhältnis zwischen beiden ist daher ebenfalls relevant (zu den Unterschieden zwischen einem wissenschaftlichen Einzelvergleich anthropologisch-morphologischer Merkmale und einem laienhaften Wiedererkennen vgl. BGH, Urteile vom 15. Februar 2005 – 1 StR 91/04, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 19 mwN; vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20 u.a., juris Rn. 89; Beschluss vom 19. Dezember 2023 – 3 StR 160/22, NStZ 2024, 312 Rn. 85).

2. Die Beschlagnahmeanordnung entspricht zudem unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange des Angeklagten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Maßnahme ist mit Blick auf die weiteren in der Anklageschrift genannten Beweismittel zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich. Insbesondere stellt die Fertigung einer Ablichtung des Schreibens ein milderes Mittel als die Beschlagnahme des Originaldokuments dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281, 282; BGH, Beschluss vom 9. Januar 1989 – StB 49/88 u.a., BGHR StPO § 94 Verhältnismäßigkeit 1). Zudem steht der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. September 1991 – 2 BvR 279/90, NJW 1992, 551, 552). Entgegen dem Beschwerdevorbringen begründet ferner die unterbliebene Schwärzung der weiteren Passagen nicht die Unverhältnismäßigkeit der Anordnung. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche teilweise Unkenntlichmachung aus Verhältnismäßigkeitsgründen geboten sein kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 5. Dezember 1977 – 1 Ws 1309/77, NJW 1978, 601), kann hier dahinstehen. Denn das aus dem gesamten Inhalt des Briefes erkennbare Näheverhältnis zwischen der Verfasserin und dem Angeklagten hat, wie oben dargelegt, Beweisbedeutung.

Die Beschlagnahmeanordnung verletzt den Angeklagten überdies nicht in seinem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundrecht auf Wahrung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. April 1973 – 2 BvR 701/72, BVerfGE 35, 35, 39 f.). Denn der Inhalt des Briefes geht nicht über allgemeine Zuneigungsbekundungen hinaus und berührt weder die Intimsphäre des Angeklagten noch der Verfasserin.“

StPO II: „Gefahr im Verzug“ im Ermittlungsverfahren, oder: „Berührt, geführt“.

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Die zweite Entscheidung, der LG Kiel, Beschl. v. 12.10.2023 – 10 Qs 48/23 – behandelt eine Problematik aus dem Ermittlungsverfahren. In dem waren nach einer Durchsuchung ein Mobiltelefon und ein Tablet(computer) sicher gestellt worden. Dagegen das Rechtsmittel des Beschuldigten, das beim LG Erfolg hatte:

„Auch in der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg.

Bei der verfahrensgegenständlichen Ermittlungsmaßnahme handelt es sich entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Kiel nicht um eine vorläufige Sicherstellung nach § 110 StPO, sondern um eine Beschlagnahme im Sinne des § 94 Abs. 2 StPO (vgl. dazu unten Abschnitt II 1), welche unter Verstoß gegen den in § 98 Abs. 1 S. 1 StPO statuierten Richtervorbehalt durch die Staatsanwaltschaft angeordnet worden ist (vgl. dazu unten Abschnitt II 2).

1. Das Amtsgericht Kiel hat die verfahrensgegenständliche Maßnahme als vorläufige Sicherstellung im Sinne des § 110 StPO qualifiziert. Für diese Sichtweise spricht, dass die Strafverfolgungsbehörden sich nicht für die beiden technischen Geräte als solche interessieren, sondern lediglich für die darauf gespeicherten Daten, welche zudem im nächsten Schritt auf ihre potentielle Beweisbedeutung gesichtet werden sollen. Allerdings kann ein Sichtungsverfahren nach § 110 StPO, wie bereits dessen Regelungsstandort, aber auch der Wortlaut von § 110 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 StPO zeigen, immer nur im Zusammenhang mit einer Durchsuchung stattfinden. Und eine Durchsuchungsmaßnahme hat es vorliegend zu keinem Zeitpunkt gegeben, so dass zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit alleine und unmittelbar die §§ 94ff. StPO heranzuziehen sind.

2. Dass die Beschlagnahme der beiden technischen Geräte durch die Staatsanwaltschaft angeordnet worden ist und nicht durch das Gericht, verstieß gegen § 98 Abs. 1 S. 1 StPO. Nach dieser Vorschrift dürfen Beschlagnahmen nämlich nur durch das Gericht, allenfalls bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen, angeordnet werden.

Gefahr im Verzug war vorliegend nicht gegeben. Die Beschlagnahme erfolgte an einem Freitag-mittag, also zu einem Zeitpunkt, an welchem sich ein Ermittlungsrichter im Dienst befindet. Dem-entsprechend ist von den beiden eingesetzten Polizeibeamten auf Anordnung der diensthabenden Staatsanwältin denn auch fernmündlich Kontakt zur zuständigen Ermittlungsrichterin aufgenommen worden. Nachdem diese erklärt hatte, eine Entscheidung erst nach Vorlage der Ermittlungsakte treffen zu können bzw. zu wollen, erging sodann eine mündliche Eilbeschlagnahmeanordnung durch die diensthabende Staatsanwältin. Hierzu war letztere jedoch nicht (mehr) befugt. Denn wenn die Strafverfolgungsbehörden den zuständigen Ermittlungsrichter mit einer Sache befasst haben, ist für ihre Eilkompetenz kein Raum mehr (vgl. dazu und zum folgenden BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016, Az. 2 StR 46/15, RN. 20f. (zitiert nach juris)). Mit der Befassung des Ermittlungsrichters endet grundsätzlich die Eilzuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden; es ist nunmehr Sache des Ermittlungsrichters, über den beantragten Eingriff zu entscheiden. Auch soweit während des durch den Ermittlungsrichter in Anspruch genommenen Entscheidungszeit-raums nach dessen Befassung die Gefahr eines Beweismittelverlusts eintritt, etwa weil dieser auf ein mündlich gestelltes Durchsuchungsbegehren hin die Vorlage schriftlicher Antragsunterlagen oder einer Ermittlungsakte fordert, Nachermittlungen anordnet oder schlicht bis zum Eintritt der Gefahr eines Beweismittelverlusts noch nicht entschieden hat, lebt die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nicht wieder auf. Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die richterliche Entscheidung über den Durchsuchungsantrag unterbleibt.“

Warum das allerdings eine „sofortige Beschwerde“ gewesen sein soll, leuchtet mir nicht ein.

StPO II: Durchsuchung und Beschlagnahme, oder: Durchsuchung im Zimmer des erwachsenen Kindes

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Im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen des LG Nürnberg-Fürth zu Fragen in Zusammenhang mit der Durchsuchung. Von beiden stelle ich nur die Leitsätze vor, den Rest überlasse ich dem Selbststudium. Hier sind dann:

Ist die Durchsuchungsanordnung mangels ausreichender Begründung rechtwidrig, hindert das die spätere Beschlagnahme der bei der Durchsuchung sichergestellten Unterlagen nicht, wenn die Ermittlungsakte bei Erlass der Durchsuchungsanordnung einen hinreichenden Tatverdacht belegte. Insoweit besteht kein Beweisverwertungsverbot.

Der auf § 102 StPO gestützte Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Beschuldigten rechtfertigt regelmäßig auch die Durchsuchung eines vom erwachsenen Kind des Beschuldigten bewohnten Zimmers, das Teil der Wohnung ist.

 

Haft III: Post zur „Einflussnahme zur Verdunkelung“? oder: Das Recht auf freien Briefverkehr

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Und zum Tagesschluss stelle ich dann noch den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.07.2023 – 12 Qs 53/23 – vor. Mal etwas zur Brifekontrolle.

Der Inhaftierte wendet sich gegen das Anhalten und die Beschlagnahme eines Briefs, den er aus der Untersuchungshaft heraus an seine frühere Partnerin aufgegeben hat. U-Haft wird aufgrund eines Haftbefehls vollzogen, in dem dem Inhaftierten vorgeworfen wird gegen seine frühere Partnerin, die Zeugin W, eine gefährliche Körperverletzung, eine sexuelle Nötigung und einen Diebstahl begangen zu haben

Am 24.06.2023 gab der Inhaftierte einen Brief an die Zeugin W zur postalischen Beförderung. Der Brief eröffnet mit „Mein Herz“ und endet „in ewiger Liebe, Dein A“. Zwischen beiden Floskeln bringt der Bf. auf einer Briefseite zum Ausdruck, dass er W vermisse und sie liebe. Er bittet sie, ihn nicht hängen zu lassen, auf ihn zu warten und ihm zu schreiben. Dazwischen berichtet er aus seinem Vollzugsalltag und bittet die Zeugin, „unsere kleine Prinzessin“ (die gemeinsame Tochter) ganz fest von ihm zu drücken.

Der Ermittlungsrichter hat das Schreiben auf Antrag der Staatsanwaltschaft, auf die die Ausführung der Beschränkungsanordnungen übertragen war, angehalten und beschlagnahmte es im Original. Zur Begründung führte er aus, das Schreiben befasse sich „in unzulässiger Weise mit dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens, indem zumindest unterschwellig versucht wird, auf das Aussageverhalten von Zeugen Einfluss zu nehmen. Die Weitergabe des Schreibens könnte das Strafverfahren beeinträchtigen.“

Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte:

„Die zulässige Beschwerde ist begründet. Für die Beschlagnahme des Briefs fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

1. Das Anhalten und die Beschlagnahme des Briefs kann nicht auf § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Satz 7 StPO gestützt werden, weil die Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind.

Hier liegt ein richterlicher Beschränkungsbeschluss nach § 119 StPO vom 24. Mai 2023 vor, in dem die Überwachung des Schriftverkehrs angeordnet wird. In dessen Gründen führt der Ermittlungsrichter aus, es bestehe die Gefahr, dass der Bf. Verdunkelungshandlungen durch die Einwirkung auf Zeugen vornehme. Die Abwehr dieser Gefahr mache es erforderlich, die angeordnete Beschränkung zu treffen. Das steht im Ausgangspunkt im Einklang mit dem begrenzten Regelungsregime des § 119 StPO, das nur solche Maßnahmen abdeckt, die den Zweck der Untersuchungshaft betreffen (Herrmann in SSW-StPO, 5. Aufl., § 119 Rn. 53; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 119 Rn. 1, 19). Zweck der Untersuchungshaft ist die Sicherung des Verfahrens. Auch die Briefkontrolle dient diesem Ziel, insbesondere der Verhinderung von Verdunkelungsmaßnahmen; der Briefverkehr darf zur Sicherung dieses Ziels eingeschränkt werden (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 2 BvR 2118/01, juris Rn. 29). Danach ist es möglich, den Brief eines Untersuchungsgefangenen anzuhalten, der explizit oder in seiner Gesamtschau dem Zweck dient, eine Zeugin psychisch derart unter Druck zu setzen, dass sie ihr zukünftiges Aussageverhalten ändert (OLG Jena, Beschluss vom 9. März 2011 – 1 Ws 122/11, juris Rn. 11 f.). Die Kammer vermag, anders als der Ermittlungsrichter, hier allerdings nicht zu erkennen, dass von dem beschlagnahmten Brief ein derart starker Druck oder – hier eher – eine derart starke sentimental-einschmeichelnde Einflussnahme ausgeht, dass die Zeugin ihre Aussage ändern könnte, zumal sie selbst das Bestehen eines Verlöbnisses, und damit das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO, gegenüber der Polizei ausdrücklich verneint hat und sie es selbst in der Hand hat, ob sie seinen Inhalt überhaupt zur Kenntnis nimmt.

Ein Verständnis der Einflussnahme zu Verdunkelungszwecken in derart weitem Sinn, dass bereits eine für sich genommen zivilisierte und unverfängliche Kontaktaufnahme hierunter gefasst wird – die der angegriffene Beschluss selbst hinsichtlich der Einflussintensität lediglich als „zumindest unterschwellig“ bezeichnet –, führte letztlich zu einem weitgehenden Kommunikationsverbot, das in § 119 StPO so nicht angelegt ist und das Recht des Bf. auf freien Briefverkehr (Art. 2 Abs. 1, Art. 10 GG) über Gebühr beeinträchtigt.

2. Das Anhalten des Briefs kann nach Lage der Dinge auch nicht auf Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayUVollzG gestützt werden.

Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayUVollzG bestimmt, dass Schreiben durch die Untersuchungshaftanstalt (vgl. Bratke/Krä in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed. 01.04.2023, BayUVollzG Art. 20 Rn. 2) angehalten werden können, wenn die Weitergabe in Kenntnis ihres Inhalts einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklichen würde. Diese Voraussetzungen hätten hier möglicherweise vorgelegen. Denn die Zeugin W hat am 21. April 2023 beim Amtsgericht Nürnberg gegen den Bf. eine sofort vollziehbare einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt, die bis zum 21. Oktober 2023 befristet ist und die dem Bf. zugestellt wurde. Darin wird dem Bf. in Ziff. 1.4 gem. § 1 GewSchG untersagt, mit der Antragstellerin in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen. Zugleich wird der Bf. in dem Beschluss darauf hingewiesen, dass Verstöße gegen die Schutzanordnungen gem. § 4 GewSchG geahndet werden können. Geht der beschlagnahmte Brief der Zeugin also zu, macht sich der Bf. – bei gegebenem Vorsatz (§ 15 StGB, § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG) – entsprechend strafbar.

Ob die Gewaltschutzanordnung bei der JVA bekannt war (vgl. Nr. 47 Abs. 2 RiStBV), kann die Kammer nach Aktenlage nicht feststellen. Es kann aber auch dahinstehen, denn hier hat der Brief den Machtbereich der JVA bereits verlassen, sodass ein Anhalten des Schreibens auf der genannten Rechtsgrundlage nicht mehr in Betracht kommt. Der Anwendungsbereich des BayUVollzG ist nämlich auf den Vollzug der Untersuchungshaft beschränkt, der – und soweit er – in den Justizvollzugsanstalten vollzogen wird (vgl. Art. 1 Abs. 2 BayUVollzG), was bedingt, dass die Anhaltekompetenz der Anstalt ein Ende findet, sobald der Brief ihren Bereich verlassen hat.

3. Eine sonstige Rechtsgrundlage für das Anhalten und die Beschlagnahme des Briefs ist nicht erkennbar.

III.

Die Kammer bemerkt ergänzend:

1. Die Beschlagnahme einer Kopie des Briefs zu Beweiszwecken kann nicht erfolgen, weil der Bf. ausweislich seiner Beschwerde ausdrücklich einverstanden ist, dass sein Schreiben kopiert und die Kopie zur Akte genommen wird. Eine Beschlagnahme als hoheitlicher Eingriff ist somit nicht erforderlich und wäre daher unverhältnismäßig. Es kann schlicht eine Kopie zur Akte genommen werden.

2. Die Weiterbeförderung des Briefs durch die Staatsanwaltschaft stellt für sich genommen keine Straftat dar. Tauglicher Täter einer Straftat nach § 4 GewSchG ist nur der in der Gewaltschutzanordnung benannte Antragsgegner, an den die Anordnung zugestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2019 – 5 StR 208/19, juris Rn. 11; Beschluss vom 10. Mai 2012 – 4 StR 122/11, juris Rn. 3).

Es liegt aber auch keine Beihilfe zu einer möglichen künftigen Straftat des Bf. nach § 4 GewSchG vor, die mit Zugang des Briefs bei der Zeugin W vollendet würde. Der Bf. hat als Untersuchungsgefangener grundsätzlich einen grundrechtlich unterlegten Anspruch auf Briefverkehr (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 2 BvR 2118/01, juris Rn. 25; vgl. auch Art. 18 Abs. 1 BayUVollzG). Das Recht auf Schriftwechsel stellt die wichtigste Möglichkeit eines Untersuchungsgefangenen dar, seine Kontakte außerhalb der Anstalt auch während der Untersuchungshaft zu pflegen (BayLT-Drs. 16/9082, 24). Die Weiterbeförderung des Briefs durch die Staatsanwaltschaft stellt sich, auch vor diesem grundrechtlichen Hintergrund, ihrem sozialen Sinngehalt nach nicht als aktives Tun, sondern als das Unterlassen des Aufhaltens des Briefs dar. Denn der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit (dazu BayObLG, Urteil vom 25. Februar 2022 – 201 StRR 95/21, juris Rn. 24 m.w.N.; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 13 Rn. 5) läge darin, dass der Staatsanwalt es unterlässt, den Brief, der sich bereits auf dem Weg befindet und dabei auch über seinen Schreibtisch geht, an der Weiterbeförderung zu hindern. Seine Beihilfe wäre demnach eine Beihilfe durch Unterlassen. Diese ist aber nicht strafbar, weil es insoweit an einer Garantenpflicht fehlt. Eine allgemeine Verpflichtung von Amtsträgern, Rechtsgutverletzungen oder Straftaten durch Dritte zu unterbinden, gibt es nicht (Fischer, StGB, 70. Aufl., § 13 Rn. 29; Zaczyk in FS Rudolphi, 2004, S. 361, 368 f.; Rudolphi, JR 1987, 336 ff. und JR 1995, 167, 168). Anders als bei Polizeibeamten, denen im Rahmen der ihnen gesetzlich zugewiesenen Gefahrenabwehr auch die Verhütung von Straftaten obliegt (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 358/92, juris Rn. 12 ff.; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 13 Rn. 52), trifft die im Rahmen der Strafverfolgung tätigen Amtsträger eine solche Garantenpflicht im Grundsatz nicht (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20, juris Rn. 118 f.; Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 159/17, juris Rn. 138). Erforderlich wäre insoweit eine besondere Pflichtenzuweisung im Rahmen ihres Aufgabenbereichs. Daran fehlt es hier. Selbst die ausdifferenzierte Regelung des Art. 20 Abs. 1 BayUVollzG begründet keine gebundene Entscheidung für das Anhalten eines die Strafbarkeit auslösenden Briefs durch die JVA, sondern gewährt dem Anstaltsleiter insoweit ein Ermessen (Bratke/Krä in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed. 01.04.2023, BayUVollzG Art. 20 Rn. 3). Von einer Garantenstellung würde man hier erst bei einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehen können (Gaede in NK-StGB, 6. Aufl., § 13 Rn. 64).“