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OWI I: Akteneinsicht, Tilgungsreife, Fahrverbot, oder: Wenn das KG nur „erläuternd bemerkt“

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Und dann heute gleich noch einmal ein OWI-Tag, und zwar mit drei Entscheidungen vom KG.

Zunächst hier der KG, Beschl. v. 31.03.2023 – 3 ORbs 55/23 – 122 Ss 22/23. Ergangen in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nach einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung.

Das KG nimmt zu den „Einwänden“ der Rechtsbeschwerde nur“erläuternd“ Stellung:

„Erläuternd bemerkt der Senat:

1. Es versteht sich von selbst, dass das Urteil nicht darauf beruhen kann, dass ein nach Urteilserlass gestelltes Akteneinsichtsgesuch der Verteidigerin (zunächst) unbeantwortet geblieben ist. Darüber hinaus trägt die Rechtsbeschwerde aber auch nicht vor, welcher Rügevortrag angebracht worden wäre, wenn die Verteidigerin rechtzeitig Akteneinsicht gehabt hätte.

2. Die als Sachrüge bezeichnete Beanstandung, ein Messbeamter sei nicht ausreichend (aktuell) geschult gewesen, bleibt schon deshalb unbeachtlich, weil dieser Umstand urteilsfremd ist.

3. Gleichfalls versteht es sich von selbst, dass ein Urteil nicht, wie die Verteidigerin meint, „zwischenzeitlich … rechtsfehlerhaft“ geworden sein kann. Das Amtsgericht hat die Voreintragung im Fahreignungsregister im allein maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilsfällung zutreffend berücksichtigt und rechtsfehlerfrei als unrechtserhöhend bewertet. Dass zwischenzeitlich Tilgungsreife eingetreten wäre, bleibt selbstverständlich für die hier veranlasste Rechtsprüfung ohne Belang.

4. Einen Anlass, sich mit einem möglichen „Augenblicksversagen“ zu befassen, zeigen die allein maßgeblichen Urteilsgründe nicht auf. Ohnedies muss als zumindest zweifelhaft gelten, dass sich ein Kraftfahrer auf Augenblicksversagen (Übersehen des Zeichens 274) berufen kann, der nicht einmal die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) einhält, sondern, wie hier, um 11 km/h überschreitet (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. September 2017 – 3 Ws (B) 204/17 – [unveröffentlicht] und vom 27. Februar 2023 – 3 ORbs 22/23 – [zur Veröffentlichung vorgesehen]).“

Die Formulierungen – vor alemm das „versteht sich von selbst“ – zeigen deutlich, was das KG von dem Rechtsbeschwerdevortrag gehalten hat…..

OWi III: Innerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Berufung auf übersehenes Verkehrszeichen 274

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Und als letzte Entscheidung dann heute noch der KG, Beschl. v. 27.02.2023 – 3 Orbs 22/23 – zum Augenblicksversagen bei angeblich übersehenem Zeichen 274.

Auch nichts Besonders. Das KG nimmt nur in einem Zusatz Stellung zu dem Beschluss, dem es folgende Leitsätze gegeben hat:

    1. Ein „Augenblicksversagen“ kann nur in besonders gearteten Ausnahmefällen in Rechnung gestellt werden.
    2. Ohne solche Umstände müssen sich die Urteilsgründe nicht damit befassen.
    3. Es ist anzuzweifeln, dass sich ein Kraftfahrer im Hinblick auf ein angeblich übersehenes Zeichen 274 auf „Augenblicksversagen“ berufen kann, wenn er sogar die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) überschreitet.

Und dann heißt es im Zusatz:

Erläuternd bemerkt der Senat:

1. Die dem Wortlaut der Rechtsbeschwerde ausschließlich erhobene Sachrüge hat keinen Erfolg. Die insoweit allein maßgeblichen Urteilsgründe geben keinen Anlass, ein so genanntes Augenblicksversagen, von dem ohnehin nur in besonders gearteten Ausnahmefällen ausgegangen werden kann, in Rechnung zu stellen. Der Hinweis, die Messstelle befinde sich im Bereich einer Schule, spricht jedenfalls eher gegen als für ein solches Augenblicksversagen.

2. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, eine vom Verteidiger vorprozessual abgegebene „Einlassung“ hätte dem Tatgericht Anlass geben müssen, sich vertieft mit der Möglichkeit eines Augenblicksversagens auseinanderzusetzen, geht fehl. Der Senat geht bei dem unterbreiteten Sachstand davon aus, dass die Erklärung gar nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Nach den Urteilsfeststellungen hat sich der Betroffene (über das Geständnis der Fahrereigenschaft hinaus) nicht eingelassen. Dass der Verteidiger die zuvor schriftsätzlich eingereichte Erklärung in der Hauptverhandlung als eigene wiederholt hätte, was bei einer „Einlassung“ ohnedies an die Grenzen des Logischen stieße, ergibt sich nicht aus dem Urteil und wird durch die Rechtsbeschwerde nicht behauptet. Weder aus dem Urteil noch aus der Rechtsbeschwerde ergibt sich im Übrigen, dass der Betroffene abwesend und der Verteidiger zur Vertretung bevollmächtigt war, so dass letzterer überhaupt eine Einlassung wirksam abgeben konnte. All dies wäre in einer den Voraussetzungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge darzulegen gewesen.

3. Ohnedies muss als zumindest zweifelhaft gelten, dass sich ein Kraftfahrer auf Augenblicksversagen berufen kann, der nicht einmal die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) einhält, sondern, wie hier, um 12 km/h überschreitet (vgl. Senat, Beschluss vom 6. September 2017 – 3 Ws (B) 204/17 – [unveröffentlicht]).

Rotlichtverstoß III: Fahrverbot beim Rotlichtverstoß, oder: Mietzieheffekt und Augenblicksversagen

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas zum Fahrverbot beim Rotlichverstoß, und zwar der OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 31.01.2022 – 3 Ss-OW i 41/22. Es geht um Augenblicksversagen und/oder den sog. Mietzieheffekt. Das AG hat ein Fahrverbot verhängt, das OLG hat keine Bedenken:

„1. Für die festgestellte Ordnungswidrigkeit ist eine Regelgeldbuße von 200 Euro sowie ein Regelfahrverbot von einem Monat nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV, Nr. 132.3 BKat vorgesehen. Die Erfüllung dieses Tatbestandes indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel-und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf. Dadurch ist die zur Verhängung des Fahrverbots führende grobe Pflichtverletzung in objektiver und subjektiver Hinsicht indiziert.

Entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers muss daher nicht gesondert geprüft werde, ob ein grober Verstoß im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG vorliegt, sondern allein, ob aufgrund der Umstände des Einzelfalles ein Ausnahmefall gegeben ist, der atypischerweise ein Absehen von der Regelwirkung rechtfertigt (vgl. BGHSt 38, 125, 130 ff. = NZV 1992, 117, 119; OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.3.2020 – 1 Ss-OWi 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 7).

2. Zutreffend ist das Amtsgericht nicht von einem solchen Ausnahmefall ausgegangen.

Die Indizwirkung für einen groben Verstoß im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG ist durch die im Urteil geschilderten Umstände nicht widerlegt. Das Amtsgericht hat dafür eine auf Tatsachen gestützte Begründung gegeben und die dem Urteil zu Grunde gelegten Ausführungen sind nachvollziehbar und schlüssig (vgl. BGHSt 38, 125, 130 ff. = NZV 1992, 117, 120; OLG Frankfurt aaO, Tz. 8).

a) Bei Vorliegen eines Regelfalles kann nach der Rechtsprechung nur in solchen Fällen von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden, in denen der Sachverhalt erhebliche Besonderheiten zugunsten des Betroffenen gegenüber dem Normalfall aufweist (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.08.2010 – 2 Ss-OWi 592/10, BeckRS 2010, 26343). Dafür ist entweder erforderlich, dass schon keinerlei Gefährdung weitere Verkehrsteilnehmer besteht, weil auch eine nur abstrakte Gefährdung völlig ausgeschlossen ist, sodass der Erfolgsunwert erheblich vermindert ist. Somit lässt eine auch nur abstrakte Gefährdung den indizierten Erfolgsunwert eines Rotlichtverstoßes noch nicht entfallen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 27.7.2004 – 1 Ob-OWi 310/04, NZV 2005, 433; KG, Beschl. v. 14.4.2020 – 3 Ws (B) 46/20122 Ss 18/20, BeckRS 2020, 6531 Tz 21 f.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.3.2020 – 1 Ss-OWi 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 11 f.). Oder es liegt ein Verstoß von denkbar geringer Bedeutung und minimalem Handlungsunwert vor. Der Handlungsunwert kann insbesondere durch ein sog. Augenblicksversagen sowie durch den sog. Mitzieheffekt gemindert sein (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 8.12.2004 – 2 Ss-OWi 411/04, BeckRS 2004, 151752 Tz. 9; Beschl. v. 11.3.2020 – 1 Ss-OW i 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 9 ff.).

b) Weder Erfolgs- noch Handlungsunwert sind hier jedoch derart gemindert, dass das Amtsgericht von einem Ausnahmefall ausgehen musste.

aa) Der Erfolgsunwert ist nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender konkreter Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer erheblich gemindert.

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts kann nicht davon ausgegangen werden, dass keinerlei Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer bestand. Unmittelbar vor der sachgegenständlichen Lichtzeichenanlage und auf der anderen Seite der Kreuzung befindet sich ein Fußgängerüberweg, weshalb die Lichtzeichenanlage auch für den Schutz von Fußgängern gedacht ist. Daneben kreuzt an dieser Stelle die Straße1 die Straße2. Die Lichtzeichenanlage dient hier demnach dem Schutz eines Querverkehrs und hat nicht ausschließlich eine den Verkehrsfluss regelnde Funktion. Demnach ist es allein schon aufgrund dieser Straßenlage nicht auszuschließen, dass durch das Überqueren der Kreuzungsanlage Rechtsgüter weiterer Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Dies ergibt sich insbesondere vor dem Hintergrund der Uhrzeit. Der Sachverhalt trug sich zur Mittagszeit um 13:28 Uhr zu. Um diese Tageszeit ist erfahrungsgemäß Verkehr nicht nur rudimentär vorhanden. Plötzlich noch die Fahrbahn betretende, vielleicht sogar rennenden Fußgänger, unter Umstände unachtsame Fahrradfahrer oder ebenso Kraftfahrzeuge können jederzeit auftreten. Selbst bei langsamer Einfahrtsgeschwindigkeit hätten andere Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen können; das gilt erst Recht bei jemandem, der so unaufmerksam ist, dass er schon das Haltegebot der Lichtzeichenanlage nicht beachtet.

bb) Auch der Handlungsunwert ist nicht derart gering, dass ein Ausnahmefall anzunehmen ist.

Das Amtsgericht ist überzeugend nicht von einem reinen kurzfristigen Versagen ausgegangen, dass den Handlungsunwert des Verstoßes als weniger gravierend erscheinen ließe. Nach den Feststellungen des Amtsgerichtes fuhr der Betroffene drei Sekunden auf die gelb zeigende und 1,1 Sekunde auf die rot zeigende Lichtzeichenanlage zu. Ein Augenblicksversagen setzt hingegen eine nur kurze Unaufmerksamkeit voraus, weshalb der Verstoß dann nicht auf grober Nachlässigkeit, Rücksichtslosigkeit oder Verantwortungslosigkeit beruht. Bei einer Zeitspanne von 4,1 Sekunden scheidet dies aus, da aufgrund der erheblichen Zeitspanne nicht mehr nur von einer kurzen Unaufmerksamkeit ausgegangen werden kann. Besondere Gründe, warum auch bei dieser erheblichen Zeitspanne von einem Augenblicksversagen auszugehen wäre, sind nach den Feststellungen nicht ersichtlich.

Das Amtsgericht ist zutreffend nicht von einer Verringerung des Handlungsunwerts aufgrund eines Mitzieheffektes ausgegangen. Ein kann dann vorliegen, wenn der Betroffene zuerst ordnungsgemäß an der Lichtzeichenanlage anhält und erst anschließend infolge einer auf einem Wahrnehmungsfehler über die Lichtzeichenanlage und einer Unachtsamkeit, indem er sich durch die vor ihm fahrenden Fahrzeuge in die Kreuzung hineinziehen lässt, trotz fortdauernden Rotlichts in die Kreuzung einfährt.

Einen solchen Ausnahmefall hat das Amtsgericht jedoch mit nachvollziehbarer Begründung abgelehnt. Richtig ist, dass der Betroffene zunächst vor der Lichtzeichenanlage ordnungsgemäß anhielt. Der Betroffene konnte jedoch nicht darlegen, warum er anschließend 4,1 Sekunden mit verringertem Handlungsunwert nicht in der Lage gewesen sein soll, den von ihm gesteuerten Omnibus noch vor der Kreuzungseinfahrt zum Halten zu bringen. Ein dahingehender Wahrnehmungsfehler über die Lichtzeichenanlage z.B. aufgrund besonderer Wetter- oder Witterungsverhältnisse o.ä., ist nicht festgestellt; die Tatsache, dass es zur Tatzeit nass gewesen ist, begründet für sich genommen keinen Wahrnehmungsfehler. Eine nasse Fahrbahn hat zwar Auswirkungen auf die Fahreigenschaften eines Kraftfahrzeuges, jedoch nicht unbedingt auf die Möglichkeit der Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens. Weiter erschließt sich auf Grundlage der Feststellungen nicht, inwieweit gerade die vorausfahrenden Fahrzeuge den Betroffenen in die Kreuzung hineingezogen haben sollen.

3. Die berufliche Situation des Betroffenen rechtfertigt auf der Rechtsfolgenseite für sich allein nicht das Absehen von einem Fahrverbot.“

Passt wohl, aber warum man dazu so viel schreiben muss……

OWi II: Wenn der „KHK“ während einer Dienstfahrt zu schnell fährt, oder: Gleiches Recht für alle

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt vom AG Landstuhl. Das hat sich im AG Landstuhl, Urt. v. 11.05.2021 – 2 OWi 4211 Js 4647/21 – mit der Geschwindigkeitsüberschreitung eines KHK, also eine Polizeibeamten befasst. Dre war auf einer BAB statt der durch Verkehrszeichen angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h mit einer Geschwindigkeit von 119 km/h gefahren. Eingelassen hatte sich der KHK wie folgt:

„Er habe sich mit einem zivilen Dienst-Kfz auf dem Weg zu einem Dienstgeschäft befunden und sei wegen eines Rückstaus in Zeitverzug gewesen. „Um das Dienstgeschäft, welches terminiert war, zeitgerecht erledigen zu können, fuhr ich 119 km/h auf der BAB6“ (Bl. 27 d.A.) Die Sicht auf die Verkehrszeichen sei durch neben ihm fahrende Kraftfahrzeuge (LKW) verwehrt gewesen und er habe die Beschilderung übersehen. Das Dienstgeschäft hat er als jährlichen Pflichtleistungsnachweis (Prüfung) mit der Dienstpistole konkretisiert und die Befürchtung mitgeteilt, zum Termin zu spät zu kommen (Bl. 40 d.A.). Ihm sei die Beschilderung nicht bekannt gewesen, er fahre die Strecke nach Enkenbach nicht regelmäßig. Die Beschilderung sei nicht wiederholt worden, sondern es handle sich um einen Verkehrstrichter. Zudem sei er durch ein „wichtiges dienstliches Telefonat“ (mit dem LKA Hamburg) ab 12:44 Uhr abgelenkt gewesen (Bl. 83 d.A.).“

Die Einlassung hat ihm nichts genutzt. Das AG hat ihn wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt, ein Fahrverbot verhängt und die Geldbuße erhöht:

„…..

Ein Augenblicksversagen kann hier nicht angenommen werden. Der Betroffene hat telefoniert während des Verstoßes. Schon dieses Verhalten lässt sich mit den Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung an die Annahme eines Augenblicksversagens nicht in Übereinstimmung bringen.

V.

Der Betroffene hat sich deshalb wegen der vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu verantworten, §§ 24 StVG, 41, 49 StVO.

Gegen den Betroffenen spricht die Vermutung der hohen Überschreitung der Geschwindigkeit, hier in Form einer Überschreitung von 39 km/h bzw. mehr als 40%, die einen Rückschluss auf das Wollenselement des wenigstens bedingten Vorsatzes erlaubt, sowie die beidseitig sichtbar aufgestellten Verkehrszeichen, die von einem Verkehrsteilnehmer gesehen werden müssen und so einen Rückschluss auf das Wissenselement des wenigstens bedingten Vorsatzes ermöglichen (Vgl. BeckOK/Krenberger, § 3 StVO, Rn. 221 m.w.N.).

Eine dies widerlegende Einlassung erfolgte nicht. Im Gegenteil hat der Betroffene anhand seiner eigenen Einlassungen gerade dargelegt, dass er hier mit wenigstens bedingtem Vorsatz die Geschwindigkeit überschritten hat. Er hat mitgeteilt, dass er unter Zeitdruck mit konkreter Geschwindigkeit gefahren sei und trotz des Zeitdrucks und der für ihn wenig bekannten Gegend während der Fahrt ein Telefonat angenommen und geführt habe. Dass er also in einer Situation, die von ihm gerade höhere Aufmerksamkeit erfordern würde (Eile, fremde Gegend) auch noch sein Aufmerksamkeitsniveau vorsätzlich absenkt – denn ein Telefonat kann man nicht fahrlässig führen -, zeigt, dass es ihm nicht nur gleichgültig war, ob er dadurch Verkehrsregeln verletzen würde, sondern dass er billigend in Kauf genommen hat die Verkehrszeichen zu übersehen, ohne seine Geschwindigkeit vorher aktiv anzupassen. Dies gilt erst recht, da er sich auf einer Dienstfahrt befindet und seine grundgesetzlich verankerten Pflichten insbesondere die penible Achtung der Verkehrsregeln erfordern.

Die Beschilderung vor Ort (Geschwindigkeitstrichter, sonstige Hinweise) ist auch gerade darauf angelegt, die Aufmerksamkeit des Fahrers auf sich zu ziehen. Ein Übersehen der Schilder wegen LKW-Verkehr auf der rechten Spur ist schon denklogisch bei beidseitig aufgestellten Schildern nicht möglich.

Dass der Betroffene sein Fehlverhalten im Nachhinein auch noch mit dem mehrfachen Verweis auf die Dienstlichkeit seines Handelns zu relativieren versucht, zeigt eine bedenkliche Einstellung des Betroffenen zu Verkehrsregeln und Rechtsanwendung auf.

VI.

Durch den genannten Verstoß hat der Betroffene zunächst eine Geldbuße zu tragen. Diese ergibt sich zunächst als Regelsatz in Höhe von 120 EUR gemäß Ziffer 11.3.6 des Anhangs zur BKatV, die für das Gericht in Regelfällen einen Orientierungsrahmen bildet (BeckOK StVR/Krenberger, § 1 BKatV, Rn. 1). Von diesem kann das Gericht bei Vorliegen von Besonderheiten nach oben oder unten abweichen. Vorliegend bestehen keine Umstände, die ein Abweichen vom Regelsatz nach unten bedingen würden. Insbesondere sind die dienstliche Veranlassung der Fahrt außerhalb des Anwendungsbereichs von § 35 StVO oder auch die Nutzung eines zivilen Dienstfahrzeugs keine Aspekte, die geeignet wären, eine Abweichung vom Regelfall zu begründen.

Angesichts der vorsätzlichen Begehensweise ist die Regelgeldbuße zu verdoppeln, § 3 Abs. 4a BKatV…..“

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das AG über die Einlassung und das Agieren des KHK „not amused“ war. Es ist zutreffend nach dem Grundsatz: „Gleiches Recht für alle“ verfahren. Dann auch bei einem „zivilen Betroffenen“ hätte man mit der Einlassung kein Augeblicksversagen begründen können.

OWi I: Wenn beim Rotlichtverstoß Angaben des Polizeibeamten nicht reichen, oder: Augenblicksversagen

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Heute und morgen dann noch „normale Berichterstattung“, bevor dann Weihnachtsruhe eintritt. Ein sicherlich anderes Weihnachten als in den vergangenen Jahren, aber: Ruhe dann eben doch.

Ich stelle dann heute hier noch einmal OWi-Entscheidungen vor, und zwar zunächst den BayObLG, Beschl. v. 04.08.2020 – 201 ObOWi 927/20, der sich mit einem Rotlichtverstoß befasst. Das BayObLG hat die Verurteilung des Betroffenen, bei dem das AG von einem Fahrverbot abgesehen hatte, auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin, aufgehoben. Begründung:

Zunächst: Die Urteilsgründe waren anch Auffassung des BayObLG lückenhaft:

„2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht hinreichend gerecht. Der Beweis-würdigung fehlt hinsichtlich der festgestellten Rotlichtdauer von „über“ 1 Sekunde eine tragfä-hige Grundlage. Das Amtsgericht trifft im Rahmen der Beweiswürdigung u.a. folgende Fest-stellungen:

„Auf Grund der Aussage von POMin L., die der Betroffenen folgte und sie unmittelbar danach anhielt – steht zum ein fest, dass der Pkw zum Tatzeitpunkt von der Betroffenen geführt wurde und zum anderen, dass die von ihr überfahrene Rotphase länger als 1 Sekunde andauerte. Insoweit gab die Zeugin glaubwürdig an, sicher zu sein, dass die von der Betroffenen passierte Ampel schon deutlich länger als 1 Sekunde rot zeigt. Die Betroffene, die den Rotlichtverstoß nicht in Abrede stellen wollte […]“

Das Amtsgericht hat sich zur Feststellung des qualifizierten Rotlichtverstoßes somit allein auf die Bekundungen der Polizeibeamtin und die Angabe der Betroffenen, sie wolle den Verstoß nicht in Abrede stellen, gestützt. Zwar können für den Beweis eines – auch eines qualifizierten – Rotlichtverstoßes grundsätzlich auch Schätzungen von Zeugen, insbesondere von Polizei-beamten, herangezogen werden. Hier ist aber nicht erkennbar, ob die Aussage der Beamtin das Ergebnis richtig ermittelter objektiver Anknüpfungstatsachen und deren richtiger Verknüp-fung aufgrund verkehrsanalytischer Erfahrungssätze ist, oder ob es sich lediglich um eine freie Schätzung handelt. Zur Feststellung von Zeitintervallen im Sekundenbereich sind freie Schät-zungen aufgrund gefühlsmäßiger Erfassung generell ungeeignet, da erfahrungsgemäß hierbei ein erhebliches Fehlerrisiko besteht (BayObLGSt 2002, 100, 101). Tatsächliche Anhaltspunkte, die die Richtigkeit der Schätzung überprüfen ließen, etwa die Geschwindigkeit der Betroffenen und ihr Abstand von der Haltelinie beim Umschalten auf Rotlicht, werden im Urteil nicht mitge-teilt. Es wird auch nicht mitgeteilt, ob es sich um eine gezielte Rotlichtüberwachung, bei der die Wahrnehmung der hierbei tätigen Polizeibeamten entsprechend geschärft ist (vgl. OLG Hamm NZV 2010, 44f.), oder aber lediglich um eine zufällige Rotlichtüberwachung, bei der die wahr-nehmenden Polizeibeamten in der Regel weniger aufmerksam sind, gehandelt hat. Feststel-lungen, mit welcher Methode die Zeugin den Rotlichtverstoß gemessen hat, fehlen im Urteil.

Die Feststellung, die Betroffene habe den Rotlichtverstoß nicht in Abrede stellen wollen, belegt den qualifizierten Rotlichtverstoß ebenfalls nicht tragfähig, denn daraus ergibt sich zum einen nicht, dass die Dauer des Rotlichts eingeräumt wurde, und zum anderen führt das Amtsgericht auch nichts dazu aus, ob die Betroffene überhaupt Angaben zur konkreten Dauer machen konnte.“

Und:

„2. Die Feststellungen im angefochtenen Urteil sind auch hinsichtlich des Rechtsfolgenaus-spruchs lückenhaft. Die Feststellungen des Amtsgerichts hinsichtlich eines sog. Augenblicks-versagens zeigen durchgreifende Rechtsfehler auf.

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 07.07.2020 wie folgt aus: „Das angegriffene Urteil enthält keine konkreten Feststellungen zur genauen Dauer der Rotlichtphase beim Überfahren der Haltelinie bzw. Einfahrt in den Kreuzungsbereich durch die Betroffene, dem Fahrverhalten der Betroffenen bei Annäherung und Erreichen der Lichtzei-chenanlage, der Beobachtungsposition der den Rotlichtverstoß feststellenden Polizeibeamten, der Methode zur Feststellung des qualifizierten Rotlichtverstoßes und sonstigen Umständen zur Tatsituation, beispielsweise Verkehrsdichte, vorausfahrenden sowie nachfolgenden Fahr-zeugen oder Haltemöglichkeiten für den Fall einer Fahrzeugpanne, die Rückschlüsse darauf ermöglichen, ob das von der Betroffenen geltend gemachte Ereignis des plötzlichen Aufleuch-tens einer Warnleuchte geeignet war, […] ein Augenblicksversagen anzunehmen, das ein Ab-sehen vom Regelfall des Fahrverbots zu begründen vermag. Das Ereignis des plötzlichen Auf-leuchtens von Warnleuchten müsste einem unübersichtlichen, besonders schwierigen, überra-schenden oder verwirrenden Verkehrsgeschehen gleichstehen. Dies erfordert zumindest Fest-stellungen dazu, welche konkreten Warnleuchten aufleuchteten, ob und ggf. welche sonstigen Auffälligkeiten am Fahrzeug der Betroffenen plötzlich auftraten, in welcher zeitlichen Phase der Annäherung an die Ampelanlage dies erfolgte und wie sich das sonstige Verkehrsgeschehen darstellte. Zudem erscheinen die Urteilsgründe insofern widersprüchlich, als das Tatgericht einerseits zwar von einer Verunsicherung der Betroffenen ausgeht, andererseits aber zugleich annimmt, dass bei einer blinkenden Kontrollleuchte nicht sofort ein schwerwiegender Defekt zu erwarten sei, sondern die Weiterfahrt problemlos möglich sei. Dadurch ist aber die angenom-mene Verunsicherung der Betroffenen nicht nachvollziehbar begründet, zumal Fehlfunktionen des Fahrzeugs nicht festgestellt sind. Bei vorliegenden Defekten erscheint demgegenüber ein Anhalten aus Sorge um Schäden am Fahrzeug die naheliegende Reaktion im Gegensatz zu einer Weiterfahrt. Damit setzen sich die Urteilsgründe nicht auseinander.“

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Tatge-richt keine eigenen, die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigenden Feststellungen getrof-fen, sondern im Wesentlichen die Ausführungen der Betroffenen übernommen hat.“