Erneut Pauschgebühr in Staatsschutzverfahren, oder: Jetzt packt es aber an, 5. Strafsenat des OLG Stuttgart

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Heute dann am Gebührenfreitag zunächst mal wieder etwas zur Pauschgebühr nach § 51 RVG, und zwar den OLG Stuttgart, Beschl. v. 01.02.2024 – 5-2 StE 7/20. Dem ein oder anderen wird das Aktenzeichen vielleicht bekannt vorkommen. Ja, das ist richtig. Aus dem Verfahren habe ich schon einige Gebührenbeschlüsse zu § 51 RVG vorgestellt. Zuletzt war es der OLG Stuttgart, Beschl. v. 09.08.2022 – 5 StE 7/20 (vgl. dazu hier: (Hohe [?]) Pauschgebühr im Staatsschutzverfahren, oder: Alles ist relativ, vor allem in Corona-Zeiten).

Jetzt hat es in dem Verfahren den nächsten Beschluss gegeben, ich gehe davon aus, dass es weitere noch nicht gegeben hat. Dazu gleich mehr.

Zunächst noch einmal kurz ein paar Eckdaten zum Sachverhalt: Der Pflichtverteidiger kommt von auswärts.  Er hatte sich mit Schreiben vom 16.04.2020 als Verteidiger des Angeklagten gemeldet und ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 04.01.2021 zum Pflichtverteidiger bestellt worden.

In dem Verfahren liegen 253 Band Stehordner Ermittlungsakten und sieben Nachlieferungen mit 27 Band Akten, 38 Band Gerichtsakten sowie Beiakten vor. Seit dem 13.04.2021 bis zum Erlass des Urteils durch das OLG am 30.11.2023 hat man insgesamt an 173 Tagen (haupt)verhandelt. An gesetzlichen Gebühren sind bis zum 30.11.2023 122.911 EUR entstanden. Der Pflichtverteidiger hat mit Antrag vom 14.09. 2022 die Bewilligung eines Vorschusses auf die Pauschgebühr gemäß § 51 Abs. 1 S. 5 RVG beantragt. Die Bezirksrevisorin beim OLG Stuttgart hat am 30.3.2023 dazu Stellung genommen. Sie hat auf der Grundlage des Beschlusses des OLG Stuttgart vom 9.8.2022 (5-2 StR 7/20) die Gewährung eines Vorschusses befürwortet. Das OLG hat – durch den Einzelrichter – einen Vorschuss in Höhe von 226.703 EUR gewährt.

Ich zitiere jetzt nicht aus dem Beschluss vom 01.02.2024, denn der enthält nichts Neues, so dass ich auf den verlinkten Volltext verweisen kann.. Das OLG wendet vieleehr die Grundsätze und Vorgaben an, die es sich selbst mit dem Beschluss vom 09.08.2022 gegeben hat. Das ist ja auch richtig, denn die Pflichtverteidiger müssen ja wissen, womit sie rechnen können. Im Übrigen gilt. Gleiches Recht für alle – wenn die Voraussetzungen gleich sind.

Also:

  • Es handelt sich um ein besonders umfangreiches (Staatsschutz)Verfahren.
  • Das OLG stellt bei der Berechnung vornehmlich auf den Aktenumfang ab und erhöht Grund- und Verfahrensgebühr, wie das OLG – stolz – anmerkt, auch über die „Schwelle des § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG“ hinaus. Erhöht wird die Grundgebühr pauschal um das 30-fache, die Vorverfahrensgebühr pauschal um das 30-fache und die Verfahrensgebühr (quantifizierbar) jeweils pro drei Band Akten, damit derzeit um das 106-fache.
  • Die Terminsgebühren werden entsprechend den Vorgaben des RVG berechnet. Allerdings gebieten nach Ansicht des OLG auch insoweit Umfang, Dauer und durchaus auch Schwierigkeit – bezogen auf das durchschnittliche Verfahren im ersten Rechtszug vor dem OLG – eine Erhöhung pro Woche, in der Hauptverhandlungen stattgefunden haben. Unbeschadet der Anzahl der in der Woche stattgefundenen Hauptverhandlungstage wird damit daher eine weitere Verfahrensgebühr immer dann fällig, wenn und soweit die/der Antragsteller in der in Frage stehenden Woche an sämtlichen Hauptverhandlungstagen anwesend war, um so einen Ausgleich für die Mühewaltung zu schaffen.
  • Schließlich hat das OLG aich wieder einen Ausgleich für die Risiken der COVID-19 Infektion wie folgt vorgenommen: Es wurden abermals grds. pro infolge COVID-19 ausgefallenem Sitzungstag zwei Verfahrensgebühren fällig.

Das alles mündet dann in eine ganz einfach kombinierte Mal-/Plusaufgabe, an deren Ende dann der als Vorschuss gewährte Betrag steht.

Also insoweit nichts Neues aus Stuttgart, so dass ich mich wegen der Einschätzung ebenfalls auf das beziehen kann, was ich bereits zu dem Beschluss vom 09.8.2022 geschrieben habe. Das gilt auch für die Höhe der bewilligten Pauschgebühr.

Besonders anzumerken ist aber noch einmal, dass § 51 RVG für die Gewährung einer Pauschgebühr nicht, wovon aber das OLG erneut ausgehet, kein „exorbitantes Verfahren“ voraussetzt. Dieser falsche – aus der Rechtsprechung des BGH – stammende Ansatz wird leider immer wiederholt, was ihn aber nicht richtig(er) macht. Dasselbe gilt für die vom OLG erneut erwähnte „Schwelle des § 42 Abs. 1 S. 4 RVG„. Gemeint ist damit das „Doppelte der Wahlanwaltshöchstgebühr“ auf die die Pauschgebühr für den Wahlanwalt nach § 42 RVG beschränkt ist. Diese gilt aber nicht für den Pflichtverteidiger.

Und darüberhinaus ist anzumerken:

  • Auch dieser Beschluss hebt sich wohltuend ab von anderen Beschlüssen, die zu Pauschgebühren in Umfangsverfahren in der letzten Zeit erlassen worden sind (vgl. z.B. nur OLG Dresden, Beschl. v. 15.12.2023 – 1 (S) AR 53/22,  und dazu: Was interessieren uns unsere eigenen Grundsätze?, oder: Pauschgebühren).
  • Im Beschluss vom 9.8.2022 hatte das OLG im Übrigen noch ausdrücklich ausgeführt, dass es nicht auszuschließen sei, dass der Senat bei der endgültigen Festsetzung einer Pauschgebühr weitere, vom Antragsteller dann vorgetragene individuelle Gesichtspunkte, aber auch neu zutage getretene generell-abstrakte Erwägungen werde miteinfließen lassen müssen. Dieser Änderungs-/Reduzierungsvorbehalt ist im vorliegenden Beschluss nicht mehr enthalten. Man wird also davon ausgehen können, dass das OLG nun doch wohl nicht nachtäglich Reduzierungen bei seiner Berechnungsweise vornehmen wird.
  • Zu beanstanden – und für mich unverständlich – ist m.E. aber die lange Dauer des Vorschussverfahrens. Der Antrag des Pflichtverteidigers datiert vom 14.09.2022, also zeitnah nach der Entscheidung vom 09.08.2022. Entschieden hat das OLG dann (endlich) am 01.02.2024, also mehr als 15 Monate nach Antragstellung. Bei allem Respekt und Verständnis vor der Arbeitsbelastung des Senats/eines OLG-Senats fragt man sich dann aber doch, warum die Entscheidung so lange gebraucht hat. Die Berechnungskriterien waren durch den Beschluss vom 09.8.02022 vorgegeben und mussten nur auf den vorliegenden Fall angewendet werden (s. oben einfache Mal-/Plusaufgabe). Das ist/war weder rechtlich noch tatsächlich schwierig. Die lange Dauer der Bearbeitung mindert den Wert des gewährten Vorschusses erheblich und widerspricht seinem Sinn und Zweck. Man kann Verteidigern bei zu langer/so langer Dauer des Verfahrens beim OLG im Hinblick auf die Verzinsung und/oder Schadensersatzansprüche nur raten, vorsorglich (rechtzeitig) die Verzögerungsrüge nach den §§ 198, 199 GVG zu erheben (zum Entschädigungsanspruch wegen verzögerter Bearbeitung eines Antrags auf Pflichtverteidigervergütung OLG Hamm AGS 2021, 570; OLG Karlsruhe AGS 2019, 556 = RVGreport 2019, 279 = StRR 4/2019, 24).
  • Und: Wenn man die Verfahrensdauer mal herunterbricht auf die im Verfahren tätigen 24 Verteidiger und davon ausgeht, dass jeder einen Pauschgebührenantrag stellen wird, dann kann man bei einer Bearbeitungsdauer von 15 Monaten/Antrag bei verbleibenden 22 Verteidigern davon ausgehen, dass die gebührenrechtliche Abarbeitung des Verfahrens noch Jahre dauert. Denn. Pro Antrag 15 Monate macht in der Spitze mehr als 27 Jahre. Das heißt, der (letzte) Richter am OLG, der über den entscheidet, hat wahrscheinlich noch gar nicht mir dem Studium begonnen. Also 5. Strafsenat des OLG Stuttgart. Auf geht es. Packen wir es an.

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