Und dann als zweite Entscheidung (noch einmal) den BayObLG, Beschl. v. 12.11.2024 – 203 StRR 250/24, den ich bereits einmal vorgestellt habe (vgl. Klimaaktivisten: Straßenblockade als Nötigung, oder: Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH).
Heute geht es um eine verfahrensrechtliche Frage, die das BayObLG auch entschieden hat. Mit den Verfahrensrügen war nämlich auch die falsche Behandlung von Wahrunterstellungen gerügt worden. Ohne Erfolg:
„1. Die formellen Rügen greifen nicht durch. Das Berufungsgericht hat sich nicht in Widerspruch zu den erfolgten Wahrunterstellungen gesetzt.
a) Das Gericht muss bei der Urteilsfindung die Zusage, eine bestimmte Behauptung zugunsten des Angeklagten als wahr zu behandeln, einlösen. Es darf sich mit einer – bis zum Schluss der Verhandlung unwiderrufen gebliebenen – Wahrunterstellung nicht in Widerspruch setzen, gleichgültig, worauf sie beruht. Der Angeklagte kann grundsätzlich auf die Einhaltung einer solchen Zusage vertrauen und danach seine Verteidigung einrichten. In diesem berechtigten Vertrauen wird er enttäuscht, wenn das Urteil die Wahrunterstellung außer Acht lässt (BGH, Urteil vom 06.07.1983 – 2 StR 222/83, juris, Rn. 22).
Gegenstand der Wahrunterstellung sind zur Entlastung des Angeklagten behauptete Tatsachen. Das Gericht muss aber aus den als wahr unterstellten Angaben nicht die vom Angeklagten angestrebten Schlussfolgerungen ziehen (BGH, Urteil vom 28.02.2013 – 4 StR 357/12, juris, Rn. 12 m.N.). Der Tatrichter braucht den Angeklagten auch in der Regel nicht vom Wechsel der Bewertung einer Beweisbehauptung zu unterrichten, wenn eine als wahr unterstellte Indiztatsache sich nach dem Ergebnis der Urteilsberatung als bedeutungslos erweist (BGH, a.a.O.).
b) Im vorliegenden Fall referiert das Landgericht die Zielsetzungen der Angeklagten in der Wiedergabe ihrer Einlassungen. Sie stimmen mit den Feststellungen überein, dass für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der bis 21.02.2022 reichenden Frist zum Erlass eines „Essen-Retten-Gesetzes“ Störungen unter anderem durch Blockaden von Hauptverkehrsadern angekündigt waren und bei der Aktion Transparente mit den Aufschriften „Essen retten – Leben retten“ und „Aufstand der letzten Generation“ gezeigt wurden. Diese Ziele erwähnt es auch wieder im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung, lehnt dort aber eine Berücksichtigung der Fernziele in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung ab und stellt sie bei der Strafzumessung als zugunsten der Angeklagten wirkende Umstände ein.
c) Das Landgericht hält sich damit im Rahmen der Wahrunterstellung zum Beweisantrag Nr. 1. Dass es die Richtigkeit des Vortrags der Angeklagten zur Realität und Dringlichkeit des Klimawandels als wahr unterstellt hat, führt nicht dazu, dass es die Tatsachen auch im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung als rechtlich bedeutsam zugrunde legen musste. Dies kam für die Angeklagten im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht überraschend. Dieses hat in seiner Entscheidung vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 ausgeführt, dass dem Strafgericht keine Bewertung zustehe, ob es das kommunikative Anliegen der Demonstranten als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt (juris, Rn. 39). Es liegt ferner kein Fall vor, in dem die als wahr unterstellten Tatsachen nachträglich als bedeutungslos behandelt worden wären, weil sie bei der Strafzumessung berücksichtigt wurden. Eine Hinweispflicht des Gerichts unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens war damit ebenfalls nicht gegeben.
d) Hinsichtlich des Beweisantrags Nr. 2 liegt in der Wahrunterstellung ebenfalls nicht die Zusage einer bestimmten rechtlichen Bewertung. Das Landgericht setzt sich mit seinen rechtlichen Ausführungen nicht in Widerspruch zu den als wahr unterstellten Tatsachen, insbesondere nicht zu der Behauptung, ziviler Ungehorsam wirke bei der Herbeiführung gesellschaftlicher Veränderungen effektiver als andere Formen von Einwirkungsmöglichkeiten wie unter anderem Versammlungen oder Demonstrationen.
In Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht hat das Landgericht eine Rechtfertigung durch einen Rechtfertigungsgrund des zivilen Ungehorsams verneint. Danach reicht auch die Anerkennung des Konzepts, das ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung zu begegnen, für gerechtfertigt hält, nicht aus, um gezielte und bezweckte Verkehrsbehinderungen durch Sitzblockaden als rechtmäßig zu legitimieren und es den staatlichen Organen zu verwehren, sie als ordnungswidrig oder strafbar zu behandeln. Das kann zumindest dann nicht in Betracht kommen, wenn Aktionen des zivilen Ungehorsams wie bei Verkehrsbehinderungen in die Rechte Dritter eingreifen, die ihrerseits unter Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts als Instrument zur Erzwingung öffentlicher Aufmerksamkeit benutzt werden (BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 – 1 BvR 713/83, juris, Rn. 91, 93; BayObLG, Beschluss vom 21.04.2023 – 205 StRR 63/23). Dies steht nicht im Widerspruch zu den als wahr unterstellten Behauptungen des Beweisantrags Nr. 2, sondern besagt, dass das – unterstellt effektivere Mittel – aus rechtlichen Gründen nicht eingesetzt werden darf.
Gleiches gilt für die Ausführungen des Landgerichts zu § 34 StGB. Dass ziviler Ungehorsam ein effektiveres Mittel zur Herbeiführung erstrebter gesellschaftlicher Veränderungen ist, schließt nicht aus, dass unter rechtlichen Gesichtspunkten – in diesem Fall der Erforderlichkeit und der Angemessenheit (vgl. BayObLG, Beschluss vom 21.04.2023 – 205 StRR 63/23) – andere, mit geringeren Eingriffen verbundene Maßnahmen Vorrang vor diesem Mittel haben.“