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KCanG I: Handel mit „nicht geringer Menge“ strafbar?, oder: Einmal hopp, einmal topp zum neuen KCanG

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In die neue Woche starte ich heute mit Entscheidungen zu Betäubungsmittelfragen.

Es kommt hier zunächst der KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 – zur Strafbarkeit des Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge nach Inkrafttreten des CanG. Es handelt sich um die erste obergerichtliche Entscheidung zu der Frage

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem dem Angeschuldigten zur Last gelegt wird, in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Im Fall 1 soll sollen der Angeschuldigte und sein Mittäter unter Nutzung kryptierter Mobiltelefone des Anbieters „EncroChat“ an einen anderen User dieses Dienstes 30 Kilogramm Marihuana aus der Ernte einer von ihnen in der Umgebung von G. (Brandenburg) betriebenen Cannabisplantage verkauft haben. Durch den Verkauf sollen die beiden Angeschuldigten mindestens 70.000 EUR erlangt haben.

Im Fall 2 der Anklage sollen sich drei der fünf Angeschuldigten sowie einer gesondert Verfolgte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zusammengeschlossen haben, um in arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrere Cannabisplantagen an mehreren Standorten zu betreiben und deren Ertrag gewinnbringend – entsprechend der zuvor gefassten Bandenabrede – an unbekannte Abnehmer zu verkaufen.

Das LG Berlin hat den Haftbefehl gegen den Angeschuldigetn außer Vollzug gesetzt. Dagegen die Haftbeschwerde der Staatsanwaltschaft. Die hatte Erfolg. Das KG hat den Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt, allerdingsnur „teilweise“. Einen Vorwurf, nämlich den der Tat 1 hat man entfallen lassen.

In dem Zusammenhang führt das KG aus zur Verwertung der EncroChat-Daten aus::

„Daraus folgt: Die erlangten Informationen dürfen auf der Grundlage des § 261 StPO (im Ermittlungsverfahren nach § 161 Abs. 1 StPO) nur zur Verfolgung von auch im Einzelfall besonders schwerwiegenden Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO verwendet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtlos und der Kernbereich privater Lebensführung nicht berührt ist (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 69 ff.; Senat, Beschluss vom 31. Mai 2022 – 5 Ws 52/22 –).

Für die Prüfung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf den Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 70). In der Verwendung der aus einem anderen Strafverfahren stammenden personenbezogenen Daten in einem anhängigen Verfahren und in deren Verwertung in einer in diesem Verfahren zu treffenden gerichtlichen Entscheidung liegt ein eigenständiger Grundrechtseingriff. Ob für diesen eine gesetzliche Grundlage besteht, kann lediglich nach der für den Verwendungs- bzw. Verwertungszeitpunkt geltenden Rechtslage beurteilt werden. Bei sich im Verlaufe eines anhängigen Strafverfahrens ändernden strafprozessualen Vorschriften ist die neue Rechtslage maßgebend (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 1 StR 310/12 –, juris Rn. 45, m. w. Nachw. = BGHSt 58, 32 ff.). Eine zulässige Verwertung muss danach dann ausscheiden, wenn der Charakter als Katalogtat durch die Gesetzesänderung entfällt und es an entsprechenden Übergangsbestimmungen mangelt (vgl. Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 479 Rn. 7).

(2) Das ist vorliegend der Fall. Zu den Katalogtaten des § 100b Abs. 2 StPO gehört zwar das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (§ 100b Abs. 2 Nr. 5.b) StPO), der auf den Fall 1 des Haftbefehls betreffenden Vorwurf bislang zur Anwendung kam. Dieser Straftatbestand erfasst nach der am 1. April 2024 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG, BGBl. I 2024, Nr. 109) jedoch nicht mehr den dort beschriebenen Umgang mit Cannabis. Dieses wird durch das Gesetz nicht weiter als Betäubungsmittel behandelt und unterliegt damit jetzt nicht mehr den Vorschriften des BtMG (vgl. Art. 3 CanG; BT-Drs. 20/8704, S. 56, 151). Die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat ist nunmehr stattdessen (als besonders schwerer Fall) nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 KCanG mit Strafe bedroht. Dadurch hat das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nicht nur seinen Verbrechenscharakter, sondern auch seine Eigenschaft als Katalogtat nach § 100b Abs. 2 StPO verloren. Auch diese Vorschrift hat durch das Cannabisgesetz eine Neuregelung erfahren (Art. 13a Nr. 2 CanG) und umfasst aus dem Konsumcannabisgesetz (lediglich) – im Fall 1 nicht vorliegende – Straftaten nach § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 oder 4 KCanG (§ 100b Abs. 2 Nr. 5a. StPO).

Wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Zuschrift vom 3. April 2024 zutreffend ausführt, dürfen die im Wege der „EncroChat“-Überwachung gewonnenen Beweisergebnisse im vorliegenden Strafverfahren nach der derzeit gültigen Rechtslage daher nicht (weiter) verwertet werden und haben bei der Beurteilung des dringenden Tatverdachts im Rahmen der hier zu treffenden gerichtlichen Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft außer Betracht zu bleiben. Weitere (verwertbare) Beweismittel, die im Fall 1 des Haftbefehls des Landgerichts Berlin I vom 13. März 2024 einen dringenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten – der sich bislang nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen eingelassen hat – stützen könnten, liegen nicht vor. Der Haftbefehl war daher durch den Senat im Wege eigener Sachentscheidung nach § 309 Abs. 2 StPO entsprechend anzupassen.“

Und zum Fall 2 – nicht geringe Menge:

bb) Der Angeschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 13. März 2024 zur Last gelegten Tat zu 2. nach dem in der Anklageschrift dargestellten Ermittlungsergebnis aufgrund der dort aufgeführten Beweismittel unverändert dringend verdächtig. Er ist dem Vorwurf im Verfahren vor dem Senat auch nicht entgegengetreten. Diese Beweismittel, die durch weitere Ermittlungen auf der Grundlage der im „EncroChat“-Komplex gewonnenen und jetzt nicht mehr verwertbaren Erkenntnisse bekannt geworden sind, unterliegen keinem eigenständigen Verwertungsverbot. Das Beweisverwertungsverbot beschränkt sich auf die Tat zu 1.; ihm kommt insoweit keine Fernwirkung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 1 StR 316/05 –, juris Rn. 21 ff., m. w. Nachw.). Die Strafbarkeit in Fall 2 beurteilt sich gemäß § 2 Abs. 3 StGB nach der neuen (milderen) Gesetzeslage und insoweit – da er das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, betrifft – nach §§ 1 Nr. 8, 2 Abs. 1 Nr. 4, 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 3 KCanG.

Der Senat sieht keine Veranlassung, in Ansehung der geänderten Rechtslage von dem von der obergerichtlichen Rechtsprechung festgelegten Grenzwert der nicht geringen Menge Cannabis von 7,5 g Tetrahydrocannabinol (THC) abzuweichen.

(1) In seiner diesbezüglichen Grundsatzentscheidung hat der Bundesgerichtshof herausgestellt, dass für die Bestimmung der nicht geringen Menge insbesondere der Wirkungsweise und Gefährlichkeit des jeweiligen Rauschmittels sowie den Konsumgewohnheiten entscheidende Bedeutung zukommt. Dabei hat er sich an einer durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Rauschzustand orientiert und erläutert, dass die Wirkung von Cannabisprodukten vom dem Anteil des reinen Wirkstoffes THC abhängt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84 –, juris Rn. 5 ff. = BGHSt 33, 8 ff.). Für die Hauptkonsumform, das Rauchen, hat er nach Auswertung verschiedener wissenschaftlicher Studien, die sich insbesondere mit den klinischen und psychologischen Auswirkungen von Cannabis bei Menschen beschäftigt hatten, die für die Erzielung eines Rauschzustandes erforderliche Einzeldosis mit 15 mg THC bestimmt (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 15 ff.). Hauptsächlich wegen der im Vergleich zu anderen Drogen (insbesondere Heroin) geringeren Gefährlichkeit von Cannabis hat der Bundesgerichtshof – der dabei auch berücksichtigt hat, dass dessen Konsum gleichwohl unter anderem zu Denk- und Wahrnehmungsstörungen, Depressionen, bisweilen bis hin zu Psychosen, führen kann und diesem eine erhöhte Gefahr des Umsteigens auf harte Drogen innewohnt – für den Grenzwert der nicht geringen Menge ein Vielfaches der zum Erreichen eines Rauschzustands notwendigen Wirkstoffmenge als maßgeblich und den Wert von 500 durchschnittlichen Konsumeinheiten und damit 7,5 g THC als dafür erforderlich, aber auch ausreichend erachtet (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 23 ff.). Dabei hat er zudem den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des THC-Gehalts einer durchschnittlichen Konsumeinheit von Cannabisprodukten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Qualität der in der Drogenszene tatsächlich auftauchenden Stoffe ausdrücklich Rechnung getragen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 26).

(2) Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die maßgeblichen Grundlagen dieser Bewertung seither eine Änderung erfahren hätten. Dementsprechend hat die Rechtsprechung an dem so ermittelten Grenzwert bis heute durchgängig festgehalten (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 1995 – 1 StR 223/95 –, juris Rn. 2, 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95 –, juris Rn. 13 ff., 6. August 2013 – 3 StR 212/13 –, juris Rn. 2, und 14. November 2023 – 6 StR 505/23 –, juris Rn. 3).

Es ist daher nicht nachzuvollziehen, wenn der Gesetzgeber des Cannabisgesetzes fordert, der Wert der nicht geringen Menge sei von der Rechtsprechung aufgrund einer geänderten Risikobewertung neu zu entwickeln und deutlich höher zu bemessen (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 132). Weder teilt er mit, worauf diese geänderte Bewertung beruhen soll, noch lassen sich der Gesetzesbegründung Vorgaben oder Maßstäbe für die von ihm für erforderlich gehaltene Neubestimmung entnehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 –, juris Rn. 21, und Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24 –, juris Rn. 30). Die Aufforderung erscheint umso unverständlicher, als im Gesetzgebungsverfahren an anderer Stelle die gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums – insbesondere für junge Menschen – ausdrücklich betont werden und der Gesundheitsschutz neben anderen Beweggründen der Legitimation der Gesetzesnovellierung dienen soll (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 1, 68 ff.). Es trifft zwar zu, dass Cannabis vom Schwarzmarkt das Risiko für Schäden an der Gesundheit zusätzlich verstärkt, da sein THC-Gehalt in der Regel unbekannt ist – was die Gefahr von Überdosierungen erhöht – und es giftige Beimengungen und Verunreinigungen sowie synthetische Cannabinoide mit nicht abschätzbarer Wirkungsweise enthalten kann (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 1, 68, 72, 113). Die unterschiedliche Qualität der in der Drogenszene im Verkehr befindlichen Stoffe hatte der Bundesgerichtshof bei der Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge aber bereits berücksichtigt. Ungeachtet der von möglichen Zusatzstoffen ausgehenden zusätzlichen Gesundheitsgefahren enthält auch das vom Gesetzgeber nunmehr privilegierte „Konsumcannabis“ den reinen Wirkstoff THC, dem allein schon unverändert die gesundheitsgefährdende Wirkung innewohnt, welcher der Bundesgerichtshof bei der von ihm vorgenommenen Grenzziehung maßgebliche Bedeutung beigemessen hat. Soweit die gesellschaftliche Akzeptanz des Rauschmittels Cannabis – worauf ein stetig wachsendes Konsumverhalten der Bevölkerung Hinweis bieten könnte (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 71 ff.) – mittlerweile eine Änderung erfahren haben sollte, hat diese in dem nach der neuen Rechtslage teilweise legalisierten Umgang sowie den milderen Strafrahmen für die vom Gesetzgeber weiterhin als strafwürdig bewerteten Handlungsweisen bereits Niederschlag gefunden. Vor dem Hintergrund der ungeachtet dessen unveränderten Wirkungsweise und Gefährlichkeit von Cannabisprodukten besteht aus Sicht des Senats jedoch kein Grund zu einer zusätzlichen Privilegierung in der Weise, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge anzuheben wäre (so auch BGH, a. a. O.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 28 ff.).

(3) Auch gesetzliche Wertungswidersprüche, die es insbesondere vor dem Hintergrund des gemäß §§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3, 3 und 9 KCanG nunmehr großzügig für straflos erklärten Besitzes und privaten Eigenanbaus unvertretbar erscheinen ließen, an dem für die nicht geringe Menge Cannabis entwickelten Grenzwert festzuhalten (so aber BT-Drs., a. a. O.), sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 14 ff.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 32 f.).

Das Merkmal der nicht geringen Menge erlangt für drei Strafvorschriften des Konsumcannabisgesetzes Bedeutung.Soweit § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG sich auf sämtliche Tathandlungen nach § 34 Abs. 1 KCanG erstreckt, sofern sich diese auf eine nicht geringe Menge beziehen, ist damit zwar auch der Besitz Volljähriger von mehr als 30 Gramm Cannabis außerhalb des eigenen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts zum Zwecke des Eigenkonsums bzw. der Besitz von mehr als 60 Gramm Cannabis auch an diesen Orten erfasst und überschreiten diese verbotenen Mengen die nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG erlaubten – die nach den am Markt vorkommenden Wirkstoffgehalten unterschiedlicher und immer weiter steigender Qualität insbesondere bei Haschisch und Cannabisblüten vereinzelt auch eine Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC oder mehr erwarten lassen können (vgl. Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146 ff.) – nicht wesentlich. Jedoch hat diese Norm den Charakter eines benannten besonders schweren Falles, der es erlaubt, auch in Fällen des Vorliegens des Regelbeispiels im Einzelfall von der Anwendung des erhöhten Strafrahmens abzusehen (vgl. Fischer, StGB 71. Aufl., § 46 Rn. 91) und damit insbesondere der vom Gesetzgeber angenommenen geringeren Strafwürdigkeit des unerlaubten Besitzes in Grenzfällen Rechnung zu tragen. Das KCanG bezweckt zudem lediglich, den Konsumenten zu privilegieren. Die Strafwürdigkeit der übrigen in § 34 Abs. 1 KCanG enthaltenen und nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG in Bezug genommenen Handlungsweisen (etwa das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge) bleibt davon unberührt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 33).

Bei dem – vorliegend einschlägigen – Verbrechenstatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG handelt es sich um eine Qualifikation, die Handlungsweisen erfasst, die jedenfalls im Zusammenhang mit dem weiteren unrechtserhöhenden Merkmal der bandenmäßigen Begehungsweise typischerweise gegen den (ausschließlichen) Umgang mit Cannabis zum Zwecke des Eigenverbrauchs sprechen.

Vergleichbares gilt für die in § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG aufgeführten Begehungsformen, die mit dem weiteren, das Unrecht der Tat ebenfalls besonders erhöhenden Umstand des Mitsichführens einer Schusswaffe oder eines sonstigen seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeigneten und bestimmten Gegenstandes verknüpft sind, weshalb der im Vergleich zum Grundtatbestand des § 34 Abs. 1 KCanG erhöhte Strafrahmen selbst im Falle eines Sichverschaffens nicht geringer Mengen Cannabis ausschließlich zum Eigenverbrauch gerechtfertigt erscheint.

StPO III: Nochmals Encro-Chat in der Revision, oder: Keine Vorlage an den EuGH

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 27.04.2023 – 5 StR 421/22. Er hat noch einmal das „Lieblingsthema“ einiger Kollegen in BtM-Verfahren zum Gegenstand, nämlich Encro-Chat und die Verwertbarkeit der gewonnenen Daten.

Das LG hat hat die Angeklagten u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Einer der Angeklagten hat die Verfahrensrüge erhoben – ohne Erfolg:

„1. Den von dem Angeklagten M. A. C.  erhobenen Verfahrensrügen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen der Erfolg versagt. Ergänzend dazu bemerkt der Senat:

a) Die Rüge einer Verletzung des § 261 StPO wegen der vermeintlichen Unverwertbarkeit der Erkenntnisse aus den von französischen Behörden im Wege der Rechtshilfe übermittelten Chatprotokolle des Krypto-Messengerdienstes EncroChat ist mit der Stoßrichtung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (EEA-RL) jedenfalls unbegründet. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, ergeben sich weder aus dem bekannten Verfahrenssachverhalt noch dem weiteren von Spekulationen und Mutmaßungen getragenen Revisionsvorbringen Hinweise darauf, dass „deutsche Stellen […] weit im Vorfeld der erstmaligen Erlangung von Daten durch französische Strafverfolgungsbehörden […] an der Ermittlungstätigkeit beteiligt waren.“

b) Soweit die Rüge mit der Stoßrichtung erhoben ist, ein Verwertungsverbot ergebe sich aus einem Verstoß gegen das „unionsrechtlich überformte Datenschutzrecht“, insbesondere hätten die zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (Datenschutzrichtlinie für Polizei und Justiz) erlassenen Vorschriften der §§ 45 ff. BDSG angewendet werden müssen, trifft dies nicht zu. Die §§ 45 ff. BDSG finden auf den hier gegebenen Sachverhalt keine Anwendung, weil den Vorschriften der Strafprozessordnung als bereichsspezifischen Sonderregelungen – wie sich aus § 1 Abs. 2 Satz 1 BDSG und § 500 Abs. 2 StPO erschließt – der Vorrang gebührt (vgl. etwa BeckOK-Datenschutzrecht/Wolff, 43. Edition [Stand: 1. November 2021], § 45 BDSG Rn. 39; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 65. Aufl., 2022, § 500 Rn. 2; BeckOK-StPO/von Häfen, 46. Edition [Stand: 1. Januar 2023], § 500 Rn. 6b; vgl. auch KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl., § 161 Rn. 1b; KK-StPO/Henrichs/Weingast, aaO; § 105 Rn. 1; Mosbacher, JuS 2022, 726, 729 f.; aA offenbar KK-StPO/Graf, aaO, § 500 Rn. 5; Singelnstein NStZ 2020, 639; wohl auch LG Kiel, StraFo 2022, 30; diesem für die Frage der Wirksamkeit einer Einwilligung in strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die eine Datenerhebung beinhalten, folgend Gola/Heckmann/Braun, Datenschutz-Grundverordnung, Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl., § 45 BDSG Rn. 4).

c) Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens kommt nach Art. 267 Abs. 2 AEUV nur in Betracht, wenn das Gericht eines Mitgliedstaats eine Entscheidung des EuGH über eine klärungsbedürftige europarechtliche Frage „zum Erlass seines Urteils für erforderlich“ hält, mithin nur dann, wenn die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist. Dies ist hier nicht der Fall, weil die Rügen losgelöst von europarechtlichen Fragen erfolglos bleiben. Dies gilt entgegen der Revision erst recht, wenn ein vermeintlich aus europarechtlichen Vorschriften herrührendes Beweisverwertungsverbot schon nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht worden ist.“

Verfahrensrüge I: Verwertung von EncroChat-Daten, oder: (Hohe) Anforderungen an die Begründung

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Heute dann ein Tag der Verfahrensrügen . Es ist/wird keine schöner Tag, weil ich nur Entscheidungen vorstellen kann, in denen die Angeklagten/Betroffenen mit ihren Verfahrensrügen keinen Erfolg hatten.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 16.02.2023 – 4 StR 93/22 – zu Verfahrensrügen in Zusammenhang mit „Encro-Chat“. Wie gesagt: Ohne Erfolg:

1. Die Rüge des Angeklagten A., mit der er die Verwertung von Daten des Kommunikationsdienstes EncroChat beanstandet, ist unzulässig.

a) Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Dies gilt auch, wenn ein Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot gerügt wird (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2018 – 4 StR 135/18 Rn. 15 f.; Urteil vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18 Rn. 8 f.). Geht es um Beweismittel, die durch einen ausländischen Staat erhoben und im Wege der Rechtshilfe übermittelt worden sind, muss die Revisionsbegründung die Verfahrenstatsachen zur ausländischen Beweismittelgewinnung und zur Beweisübermittlung im Einzelnen vortragen, soweit sie – wie hier – rügt, dabei seien Verfahrensvorschriften verletzt worden. Denn ob sich daraus ausnahmsweise ein Verwertungsverbot ergibt, vermag das Revisionsgericht erst aufgrund einer Abwägung aller Umstände, die Art und Gewicht etwaiger Verfahrensverstöße einbezieht, zu entscheiden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 43 mwN).

b) Diesen Anforderungen genügt das Revisionsvorbringen des Angeklagten A. nicht. Die Angaben zum Verfahrensgang in Frankreich, der zur Erlangung der verwerteten Beweismittel geführt hat, bleiben rudimentär und sind in ihrer Kürze nicht nachzuvollziehen. Auch die Behörden, die an dem Ermittlungskomplex EncroChat beteiligt waren, werden teilweise nicht bestimmt benannt (vgl. zu diesem Erfordernis allgemein Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 344 Rn. 24 mwN). Zudem teilt die Revision die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 2. Juni 2020, auf die sie sich bezieht, in wesentlichen Teilen nur in französischer Sprache mit (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2022 – 4 StR 380/22; Beschluss vom 19. August 2021 – 4 StR 410/20 Rn. 14; Beschluss vom 30. November 2017 – 5 StR 455/17 Rn. 3 ff.).

2. Die Verfahrensrügen der Angeklagten S. und D., mit denen sie beanstanden, dass sich ihre Verurteilung auf Daten des Kommunikationsdienstes EncroChat stützt, bleiben ebenfalls erfolglos.

a) Diese Verfahrensrügen sind bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), soweit sie mit der Stoßrichtung erhoben sind, dass die durch französische Behörden durchgeführte Beweismittelgewinnung gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen und internationalen ordre public verstoße und dass die Mitteilungspflicht nach Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL EEA) verletzt worden sei. Beide Aspekte zielen auf eine unzulässige Beweisverwertung (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 32, 34 ff.). Um die oben dargelegten Anforderungen an eine entsprechende Rüge zu erfüllen, sind die nach ihrer Angriffsrichtung wesentlichen Schriftstücke oder Aktenstellen im Einzelnen zu bezeichnen und – in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen – zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18 Rn. 8 mwN; Urteil vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14 Rn. 13).

Dem genügt das Revisionsvorbringen nicht. Die Beschwerdeführer machen mit Blick auf fehlende Angaben zum Geltungszeitraum der Ermittlungsmaßnahme auch die „Nichtigkeit“ eines Beschlusses des Strafgerichts Lille vom 31. März 2020 geltend, die Folgebeschlüsse ebenso erfasse. Die Revisionen legen jedoch weder diesen Beschluss (übersetzt) vor noch teilen sie – wie es gerade bei einer richterlichen Entscheidung erforderlich gewesen wäre – zumindest den wesentlichen Wortlaut durch Zitate mit. Unklar und lückenhaft ist zudem das Revisionsvorbringen zu einer Mitteilung Frankreichs über die gewonnenen Erkenntnisse nach Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006, die dem Erlass der EEA vom 2. Juni 2020 durch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vorangegangen sei. Insoweit werden Absender und Adressat der Mitteilung nicht konkret benannt und Zeitpunkt sowie Inhalt dieser Mitteilung „über die Erkenntnisse“ (nicht: der Erkenntnisse) bleiben offen. Diese Umstände wären jedoch für die Prüfung, welches Gewicht die behaupteten Rechtsverstöße haben und ob sie zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnten, relevant gewesen.

b) Soweit die Revisionen mit anderer Stoßrichtung die unzulässige zweckändernde Verwendung der EncroChat-Daten beanstanden, sind die Verfahrensrügen jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführer sehen in § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO die einzig in Betracht kommende Befugnisnorm, auf die sich eine Verwendung der Daten stützen könnte, deren Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt seien. Der Senat hält demgegenüber daran fest, dass die Wertungen des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO i.V.m. § 100b StPO eine im Rahmen der Anwendung von § 261 StPO zu beachtende Verwendungsbeschränkung bilden (vgl. Böse, JZ 2022, 1048, 1049), die bei der Beweisrechtshilfe dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022 – 4 StR 63/22; Beschluss vom 5. Juli 2022 – 4 StR 61/22 Rn. 16; Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 68). Im vorliegenden Fall steht diese Beschränkung der Verwendung der Daten nicht entgegen. Insbesondere lag der Verdacht einer Katalogtat gemäß § 100b Abs. 2 Nr. 5b StPO vor. Dabei kommt es – entgegen der Auffassung der Revisionen – nicht auf die Rekonstruktion der Verdachtslage bei Anordnung der französischen Ermittlungsmaßnahmen an, sondern auf die Informationslage im Verwendungszeitpunkt unter Einschluss der Erkenntnisse aus den von den französischen Behörden übermittelten Daten (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022 – 4 StR 63/22; Beschluss vom 5. Juli 2022 – 4 StR 61/22 Rn. 17; Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 70).“

StPO III: Und nochmals/wieder das Encro-Chat-Problem, oder: Das LG Frankfurt/Oder „neigt zu“..

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Und zum Schluss des Tages dann noch einmal etwas zu Encro-Chat, dem verfahrensrechtlichen Dauerbrenner, der ja . wenn die Akten schon da sind – wegen der Vorlage durch das LG Berlin (vgl. LG Berlin, Beschl. v. 19.10.2022 – (525 KLs) 279 Js 30/22 (8/22) inzwischen auch den EuGH beschäftigt. Man kann nur hoffen, dass der bald entscheidet, damit endlich – so oder so – Klarheit herrscht.

Inzwischen habe ich von der Kollegin Dr. Matthies, aus Frankfurt (Oder) den LG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 27.10.2022 – 24 Qs 80/22 – zugeschickt bekommen. Er ist in einem Encro-Chat-Verfahren – Vorwurf Verstoß gegen § 29a BtMG – im Rahmen einer Haftbeschwerde ergangen. Das LG hat einen vom AG ergangenen Haftbefehl aufgehoben, weil kein dringender Tatverdacht vorliege. Das begründet das LG anhand der Erkenntnisse aus den Encro-Chats.

In einem „obiter dictum“ nimmt das LG dann allgemein zur Verwertbarkeit von Encro-Chat-Erkenntnissen Stellung:

„Kam es somit, wie gezeigt, auf die Verwertbarkeit der sogenannten Encro-Chat-Daten nicht an, dürfte sich nach Auffassung der Kammer im Rahmen der weiteren Ermittlungen kein hinreichender oder gar dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten erbringen lassen, soweit dieser-lediglich-aus Erkenntnissen aus den sogenannten Encro-Chats bestehen sollte.

Die Kammer neigt dazu, sich im Falle der Entscheidungserheblichkeit der Auffassung des Landgerichts Berlin [( 525 Kls) 254 Js 592/20 [10/21] und der wohl herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. Derin/Singelnstein, NStZ 2021, 449; dies., StV 2022, 130; Erhard/Lödden, StraFo 2021, 366; Gebhard/Michalke, NJW 2022, 655; Nadeborn/Albrecht, NZWiSt 2021, 420; Sommer, StV Spezial 2021, 67) anzuschließen und von einer Unverwertbarkeit der Encro-Chats auszugehen.

Einer Darstellung der Vielzahl der gegen die Verwertung der Daten sprechenden Gründe bedarf es im Rahmen eines obiter dictum nicht.

Allerdings dürfte dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, Art. 82 Abs. 1 AEUV, der auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass ihre jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte zu bieten, der Boden entzogen sein, wenn französische Gerichte nun zu dem Ergebnis kommen, dass die Beweiserhebung illegal war.

Eine solche Entwicklung scheint sich abzuzeichnen: In seiner Entscheidung vom 11.10.2022 hat der französische Kassationsgerichtshof in der Sache Nr. 21-85.148 festgestellt, dass die Vorlage einer sogenannten Aufrichtigkeitsbescheinigung der gesammelten Encro-Chat-Daten eine zwingende Bedingung für die Gültigkeit der Maßnahme ist und-da offenkundig eine solche Bescheinigung nicht vorliegt-das Urteil aufgehoben und an eine andere Kammer in Metz zurückverwiesen. Der Kassationsgerichtshof hat dabei festgestellt, dass die Encrochat-Daten ohne eine solche Aufrichtigkeitsbescheinigung illegal und unzulässig sind.

Sollten im Ergebnis die französischen Gerichte die eigenen Entscheidungen bezüglich der Erhebung der Daten aufheben, liegt es auf der Hand, dass diese Daten auch im deutschen Strafverfahren nicht verwertet werden können.“

Also ein sog. Neigungsbeschluss 🙂 .

Kleiner Hinweis für die Leser des Volltextes: Das ist leider etwas mühsam wegen der vielen Anonymisierungen. Ich hoffe zudem, ich habe beim Übertragen keinen Fehler gemacht. Aber letztlich kommt es darauf hier ja auch nicht an.