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StPO III: Nochmals Encro-Chat in der Revision, oder: Keine Vorlage an den EuGH

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 27.04.2023 – 5 StR 421/22. Er hat noch einmal das „Lieblingsthema“ einiger Kollegen in BtM-Verfahren zum Gegenstand, nämlich Encro-Chat und die Verwertbarkeit der gewonnenen Daten.

Das LG hat hat die Angeklagten u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Einer der Angeklagten hat die Verfahrensrüge erhoben – ohne Erfolg:

„1. Den von dem Angeklagten M. A. C.  erhobenen Verfahrensrügen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen der Erfolg versagt. Ergänzend dazu bemerkt der Senat:

a) Die Rüge einer Verletzung des § 261 StPO wegen der vermeintlichen Unverwertbarkeit der Erkenntnisse aus den von französischen Behörden im Wege der Rechtshilfe übermittelten Chatprotokolle des Krypto-Messengerdienstes EncroChat ist mit der Stoßrichtung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (EEA-RL) jedenfalls unbegründet. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, ergeben sich weder aus dem bekannten Verfahrenssachverhalt noch dem weiteren von Spekulationen und Mutmaßungen getragenen Revisionsvorbringen Hinweise darauf, dass „deutsche Stellen […] weit im Vorfeld der erstmaligen Erlangung von Daten durch französische Strafverfolgungsbehörden […] an der Ermittlungstätigkeit beteiligt waren.“

b) Soweit die Rüge mit der Stoßrichtung erhoben ist, ein Verwertungsverbot ergebe sich aus einem Verstoß gegen das „unionsrechtlich überformte Datenschutzrecht“, insbesondere hätten die zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (Datenschutzrichtlinie für Polizei und Justiz) erlassenen Vorschriften der §§ 45 ff. BDSG angewendet werden müssen, trifft dies nicht zu. Die §§ 45 ff. BDSG finden auf den hier gegebenen Sachverhalt keine Anwendung, weil den Vorschriften der Strafprozessordnung als bereichsspezifischen Sonderregelungen – wie sich aus § 1 Abs. 2 Satz 1 BDSG und § 500 Abs. 2 StPO erschließt – der Vorrang gebührt (vgl. etwa BeckOK-Datenschutzrecht/Wolff, 43. Edition [Stand: 1. November 2021], § 45 BDSG Rn. 39; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 65. Aufl., 2022, § 500 Rn. 2; BeckOK-StPO/von Häfen, 46. Edition [Stand: 1. Januar 2023], § 500 Rn. 6b; vgl. auch KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl., § 161 Rn. 1b; KK-StPO/Henrichs/Weingast, aaO; § 105 Rn. 1; Mosbacher, JuS 2022, 726, 729 f.; aA offenbar KK-StPO/Graf, aaO, § 500 Rn. 5; Singelnstein NStZ 2020, 639; wohl auch LG Kiel, StraFo 2022, 30; diesem für die Frage der Wirksamkeit einer Einwilligung in strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die eine Datenerhebung beinhalten, folgend Gola/Heckmann/Braun, Datenschutz-Grundverordnung, Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl., § 45 BDSG Rn. 4).

c) Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens kommt nach Art. 267 Abs. 2 AEUV nur in Betracht, wenn das Gericht eines Mitgliedstaats eine Entscheidung des EuGH über eine klärungsbedürftige europarechtliche Frage „zum Erlass seines Urteils für erforderlich“ hält, mithin nur dann, wenn die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist. Dies ist hier nicht der Fall, weil die Rügen losgelöst von europarechtlichen Fragen erfolglos bleiben. Dies gilt entgegen der Revision erst recht, wenn ein vermeintlich aus europarechtlichen Vorschriften herrührendes Beweisverwertungsverbot schon nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht worden ist.“

Verfahrensrüge I: Verwertung von EncroChat-Daten, oder: (Hohe) Anforderungen an die Begründung

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Heute dann ein Tag der Verfahrensrügen . Es ist/wird keine schöner Tag, weil ich nur Entscheidungen vorstellen kann, in denen die Angeklagten/Betroffenen mit ihren Verfahrensrügen keinen Erfolg hatten.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 16.02.2023 – 4 StR 93/22 – zu Verfahrensrügen in Zusammenhang mit „Encro-Chat“. Wie gesagt: Ohne Erfolg:

1. Die Rüge des Angeklagten A., mit der er die Verwertung von Daten des Kommunikationsdienstes EncroChat beanstandet, ist unzulässig.

a) Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Dies gilt auch, wenn ein Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot gerügt wird (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2018 – 4 StR 135/18 Rn. 15 f.; Urteil vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18 Rn. 8 f.). Geht es um Beweismittel, die durch einen ausländischen Staat erhoben und im Wege der Rechtshilfe übermittelt worden sind, muss die Revisionsbegründung die Verfahrenstatsachen zur ausländischen Beweismittelgewinnung und zur Beweisübermittlung im Einzelnen vortragen, soweit sie – wie hier – rügt, dabei seien Verfahrensvorschriften verletzt worden. Denn ob sich daraus ausnahmsweise ein Verwertungsverbot ergibt, vermag das Revisionsgericht erst aufgrund einer Abwägung aller Umstände, die Art und Gewicht etwaiger Verfahrensverstöße einbezieht, zu entscheiden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 43 mwN).

b) Diesen Anforderungen genügt das Revisionsvorbringen des Angeklagten A. nicht. Die Angaben zum Verfahrensgang in Frankreich, der zur Erlangung der verwerteten Beweismittel geführt hat, bleiben rudimentär und sind in ihrer Kürze nicht nachzuvollziehen. Auch die Behörden, die an dem Ermittlungskomplex EncroChat beteiligt waren, werden teilweise nicht bestimmt benannt (vgl. zu diesem Erfordernis allgemein Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 344 Rn. 24 mwN). Zudem teilt die Revision die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 2. Juni 2020, auf die sie sich bezieht, in wesentlichen Teilen nur in französischer Sprache mit (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2022 – 4 StR 380/22; Beschluss vom 19. August 2021 – 4 StR 410/20 Rn. 14; Beschluss vom 30. November 2017 – 5 StR 455/17 Rn. 3 ff.).

2. Die Verfahrensrügen der Angeklagten S. und D., mit denen sie beanstanden, dass sich ihre Verurteilung auf Daten des Kommunikationsdienstes EncroChat stützt, bleiben ebenfalls erfolglos.

a) Diese Verfahrensrügen sind bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), soweit sie mit der Stoßrichtung erhoben sind, dass die durch französische Behörden durchgeführte Beweismittelgewinnung gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen und internationalen ordre public verstoße und dass die Mitteilungspflicht nach Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL EEA) verletzt worden sei. Beide Aspekte zielen auf eine unzulässige Beweisverwertung (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 32, 34 ff.). Um die oben dargelegten Anforderungen an eine entsprechende Rüge zu erfüllen, sind die nach ihrer Angriffsrichtung wesentlichen Schriftstücke oder Aktenstellen im Einzelnen zu bezeichnen und – in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen – zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18 Rn. 8 mwN; Urteil vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14 Rn. 13).

Dem genügt das Revisionsvorbringen nicht. Die Beschwerdeführer machen mit Blick auf fehlende Angaben zum Geltungszeitraum der Ermittlungsmaßnahme auch die „Nichtigkeit“ eines Beschlusses des Strafgerichts Lille vom 31. März 2020 geltend, die Folgebeschlüsse ebenso erfasse. Die Revisionen legen jedoch weder diesen Beschluss (übersetzt) vor noch teilen sie – wie es gerade bei einer richterlichen Entscheidung erforderlich gewesen wäre – zumindest den wesentlichen Wortlaut durch Zitate mit. Unklar und lückenhaft ist zudem das Revisionsvorbringen zu einer Mitteilung Frankreichs über die gewonnenen Erkenntnisse nach Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006, die dem Erlass der EEA vom 2. Juni 2020 durch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vorangegangen sei. Insoweit werden Absender und Adressat der Mitteilung nicht konkret benannt und Zeitpunkt sowie Inhalt dieser Mitteilung „über die Erkenntnisse“ (nicht: der Erkenntnisse) bleiben offen. Diese Umstände wären jedoch für die Prüfung, welches Gewicht die behaupteten Rechtsverstöße haben und ob sie zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnten, relevant gewesen.

b) Soweit die Revisionen mit anderer Stoßrichtung die unzulässige zweckändernde Verwendung der EncroChat-Daten beanstanden, sind die Verfahrensrügen jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführer sehen in § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO die einzig in Betracht kommende Befugnisnorm, auf die sich eine Verwendung der Daten stützen könnte, deren Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt seien. Der Senat hält demgegenüber daran fest, dass die Wertungen des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO i.V.m. § 100b StPO eine im Rahmen der Anwendung von § 261 StPO zu beachtende Verwendungsbeschränkung bilden (vgl. Böse, JZ 2022, 1048, 1049), die bei der Beweisrechtshilfe dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022 – 4 StR 63/22; Beschluss vom 5. Juli 2022 – 4 StR 61/22 Rn. 16; Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 68). Im vorliegenden Fall steht diese Beschränkung der Verwendung der Daten nicht entgegen. Insbesondere lag der Verdacht einer Katalogtat gemäß § 100b Abs. 2 Nr. 5b StPO vor. Dabei kommt es – entgegen der Auffassung der Revisionen – nicht auf die Rekonstruktion der Verdachtslage bei Anordnung der französischen Ermittlungsmaßnahmen an, sondern auf die Informationslage im Verwendungszeitpunkt unter Einschluss der Erkenntnisse aus den von den französischen Behörden übermittelten Daten (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022 – 4 StR 63/22; Beschluss vom 5. Juli 2022 – 4 StR 61/22 Rn. 17; Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 70).“

StPO III: Und nochmals/wieder das Encro-Chat-Problem, oder: Das LG Frankfurt/Oder „neigt zu“..

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Und zum Schluss des Tages dann noch einmal etwas zu Encro-Chat, dem verfahrensrechtlichen Dauerbrenner, der ja . wenn die Akten schon da sind – wegen der Vorlage durch das LG Berlin (vgl. LG Berlin, Beschl. v. 19.10.2022 – (525 KLs) 279 Js 30/22 (8/22) inzwischen auch den EuGH beschäftigt. Man kann nur hoffen, dass der bald entscheidet, damit endlich – so oder so – Klarheit herrscht.

Inzwischen habe ich von der Kollegin Dr. Matthies, aus Frankfurt (Oder) den LG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 27.10.2022 – 24 Qs 80/22 – zugeschickt bekommen. Er ist in einem Encro-Chat-Verfahren – Vorwurf Verstoß gegen § 29a BtMG – im Rahmen einer Haftbeschwerde ergangen. Das LG hat einen vom AG ergangenen Haftbefehl aufgehoben, weil kein dringender Tatverdacht vorliege. Das begründet das LG anhand der Erkenntnisse aus den Encro-Chats.

In einem „obiter dictum“ nimmt das LG dann allgemein zur Verwertbarkeit von Encro-Chat-Erkenntnissen Stellung:

„Kam es somit, wie gezeigt, auf die Verwertbarkeit der sogenannten Encro-Chat-Daten nicht an, dürfte sich nach Auffassung der Kammer im Rahmen der weiteren Ermittlungen kein hinreichender oder gar dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten erbringen lassen, soweit dieser-lediglich-aus Erkenntnissen aus den sogenannten Encro-Chats bestehen sollte.

Die Kammer neigt dazu, sich im Falle der Entscheidungserheblichkeit der Auffassung des Landgerichts Berlin [( 525 Kls) 254 Js 592/20 [10/21] und der wohl herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. Derin/Singelnstein, NStZ 2021, 449; dies., StV 2022, 130; Erhard/Lödden, StraFo 2021, 366; Gebhard/Michalke, NJW 2022, 655; Nadeborn/Albrecht, NZWiSt 2021, 420; Sommer, StV Spezial 2021, 67) anzuschließen und von einer Unverwertbarkeit der Encro-Chats auszugehen.

Einer Darstellung der Vielzahl der gegen die Verwertung der Daten sprechenden Gründe bedarf es im Rahmen eines obiter dictum nicht.

Allerdings dürfte dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, Art. 82 Abs. 1 AEUV, der auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass ihre jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte zu bieten, der Boden entzogen sein, wenn französische Gerichte nun zu dem Ergebnis kommen, dass die Beweiserhebung illegal war.

Eine solche Entwicklung scheint sich abzuzeichnen: In seiner Entscheidung vom 11.10.2022 hat der französische Kassationsgerichtshof in der Sache Nr. 21-85.148 festgestellt, dass die Vorlage einer sogenannten Aufrichtigkeitsbescheinigung der gesammelten Encro-Chat-Daten eine zwingende Bedingung für die Gültigkeit der Maßnahme ist und-da offenkundig eine solche Bescheinigung nicht vorliegt-das Urteil aufgehoben und an eine andere Kammer in Metz zurückverwiesen. Der Kassationsgerichtshof hat dabei festgestellt, dass die Encrochat-Daten ohne eine solche Aufrichtigkeitsbescheinigung illegal und unzulässig sind.

Sollten im Ergebnis die französischen Gerichte die eigenen Entscheidungen bezüglich der Erhebung der Daten aufheben, liegt es auf der Hand, dass diese Daten auch im deutschen Strafverfahren nicht verwertet werden können.“

Also ein sog. Neigungsbeschluss 🙂 .

Kleiner Hinweis für die Leser des Volltextes: Das ist leider etwas mühsam wegen der vielen Anonymisierungen. Ich hoffe zudem, ich habe beim Übertragen keinen Fehler gemacht. Aber letztlich kommt es darauf hier ja auch nicht an.