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StPO II: Nachholung des rechtlichen Gehörs, oder: Rechtsmittel und Verletzung des rechtlichen Gehörs

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Als zweite Entscheidung hier dann der schon etwas ältere KG, Beschl. v. 26.08.2021 – 5 Ws 169/21 -, der mir aber jetzt erst vor kurzem zugesandt worden ist.

Das KG nimmt Stellung zur Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde im sog Nachverfahren nach § 33a StPO und führt dazu aus:

„1. Die Beschwerde ist zulässig.

Das Nachverfahren nach § 33a StPO unterteilt sich in zwei Abschnitte: die Nachholung des rechtlichen Gehörs oder die Ablehnung eines darauf gerichteten Antrages (Nachholungsverfahren) und die Überprüfung des Beschlusses, sofern das rechtliche Gehör nachträglich zu gewähren war (Überprüfungsverfahren). Der Beschwerde unterliegen (nur) im Nachholungsverfahren ergangene Entscheidungen, mit denen die Nachholung des rechtlichen Gehörs abgelehnt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 7. September 2016 – 5 Ws 75/16 –, juris Rn. 14; KG, Beschluss vom 12. März 2007 – 4 Ws 23/07 –, juris Rn. 4), unabhängig davon, ob die Anhörungsrüge als unzulässig (etwa weil der Antrag unsubstantiiert, das Antragsrecht verwirkt oder die Beschwerde eröffnet sei) oder unbegründet (weil die Entscheidung nicht auf dem Fehler beruhe oder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vorliege) zurückgewiesen worden ist (vgl. Senat, a. a. O.; KG, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 4 Ws 78/15 –, juris Rn. 5; Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg, StPO 27. Aufl., § 33a Rn. 27; a. A. OLG Celle, Beschluss vom 1. August 2012 – 1 Ws 290/12 –, juris Rn. 4 f. [Statthaftigkeit der Beschwerde nur bei Ablehnung des Antrags aus formellen Gründen]; OLG Frankfurt, Beschluss vom 5. August 2011 – 3 Ws 530/11 –, juris Rn. 11 ff.; Maul in Karlsruher Kommentar, StPO 8. Aufl., § 33a Rn. 13 [vollständiger Ausschluss der Beschwerde]); denn diese Entscheidungen betreffen allein die verfahrensrechtliche Frage, ob das rechtliche Gehör nachzuholen ist (vgl. Senat, a. a. O.; Graalmann-Scheerer a. a. O.). Das Beschwerdeverfahren beschränkt sich folgerichtig auf die Prüfung, ob die Ablehnung der Durchführung des Nachverfahrens zu Recht ergangen ist (vgl. Senat, a. a. O.; KG, a. a. O.). Der Kontrolle durch das Beschwerdegericht entzogen sind dagegen die im Überprüfungsverfahren ergehenden Beschlüsse, das heißt die aufgrund des (im Nachholungsverfahren) nachträglich gewährten rechtlichen Gehörs getroffenen sachlichen Überprüfungsentscheidungen; denn § 33a StPO eröffnet keinen neuen Rechtszug zur Nachprüfung einer unanfechtbaren Sachentscheidung (vgl. Senat, a. a. O.; KG, a. a. O.; OLG Celle, a. a. O.; Graalmann-Scheerer, a. a. O., § 33a Rn. 26 m. w. N.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 33a Rn.10).

Danach ist die Beschwerde im vorliegenden Fall statthaft. Das Landgericht hat den Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs mit dem angefochtenen Beschluss vom 7. Juni 2021 als unzulässig verworfen; eine erneute Sachprüfung hat nicht stattgefunden.

2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat die Nachholung des rechtlichen Gehörs zu Unrecht abgelehnt; denn der Erlass des Verwerfungsbeschlusses vom 22. März 2021 hat den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt.

a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie nicht nach den Prozessvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben müssen oder können. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen. Deshalb müssen, damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 1983 – 2 BvR 399/81 –, juris Rn. 11 m. w. N.). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (zum Ganzen vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juni 2015 – 2 BvR 433/15 –, juris Rn. 9; 17. Dezember 1998 – 2 BvR 1556/98 –, juris Rn. 10; 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 –, juris Rn. 39). Die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt sich dabei nicht darauf, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern, sondern verbürgt dem Verfahrensbeteiligten auch das Recht, sich zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Februar 2009 – 1 BvR 182/09 –, juris Rn. 21).

Das Maß der aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgenden Erörterungspflicht wird nicht nur durch die Bedeutung des Vortrags der Beteiligten für das Verfahren, sondern auch durch die Schwere eines zur Überprüfung gestellten Grundrechtseingriffs bestimmt (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 8. März 2004 – 2 BvR 27/04 –, juris Rn. 18; Senat, a. a. O., Rn. 18; Schmitt, a. a. O., § 34 Rn. 4). Danach wären hier Ausführungen geboten gewesen.

Der mit dem angegriffenen Beschluss des Landgerichts vom 22. März 2021 für rechtmäßig befundene Bestätigungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 18. Januar 2021 trifft allenfalls für die sichergestellte externe Festplatte Samsung eine endgültige Beschlagnahmeanordnung im Sinne von § 98 Abs. 1 StPO, hinsichtlich der übrigen Speichermedien und des Mini-PCs handelt es sich um eine Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, da im Wege der Durchsicht nach § 110 StPO erst ermittelt werden soll, ob auf den sichergestellten Geräten und Datenträgern Daten gespeichert sind, die als Beweismittel von Bedeutung sein können (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. September 2018 – 2 BvR 708/18 –, juris Rn. 22). Das Sichtungsverfahren gemäß § 110 StPO wird zwar noch der Durchsuchung zugerechnet, ist jedoch angesichts der fortdauernden Besitzentziehung in seiner Wirkung für den Betroffenen der Beschlagnahme angenähert. Die Beschlagnahme oder Maßnahmen nach § 110 StPO, die nur mittelbar aus der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume folgen, unterfallen dabei nicht mehr dem Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, sondern sind, sofern – wie hier – Daten betroffen sind, am Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 23; Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02 –, juris Rn. 80; Beschluss vom 16. Juni 2009 – 2 BvR 902/06 –, juris Rn. 51) zu messen, weil dieses Recht die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 –, juris Rn. 37).

Die gesetzliche Grundlage der Beschränkungen des Art. 2 Abs. 1 GG stellen die §§ 94 ff. StPO dar, die die Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten als Beweisgegenstände im Strafverfahren erlauben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005, a. a. O., Rn. 98).

Insbesondere im Strafprozessrecht setzt jedoch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem staatlichen Handeln Grenzen. Dabei muss der besonderen Eingriffsintensität der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den darauf vorhandenen Daten Rechnung getragen werden. (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 106).

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist vorliegend eine Verletzung des rechtlichen Gehörs anzunehmen.

Die Beschlagnahme bzw. die Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht der bei dem Beschwerdeführer aufgefundenen Datenträger und der darauf befindlichen Daten greift in das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung ein.

Zwar hat das Landgericht in seinem Beschluss vom 22. März 2021 sich mit dem Beschwerdevortrag betreffend die Eingrenzungsfunktion des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Hamburg und einer durch die Durchsuchungsbeamten am Ort der Durchsuchung einzuräumenden Möglichkeit der freiwilligen Herausgabe der Beweismittel auseinandergesetzt. Darüber hinaus hatte der Beschwerdeführer jedoch beanstandet, dass die bei dem im Ausgangsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung – von der Durchsuchung betroffenen – Nichtverdächtigen sichergestellten Datenträger im Rahmen einer physikalischen Sicherung einer – jedenfalls teilweisen – Sichtung der Daten zu einem Zeitpunkt unterzogen wurden, zu dem der Beschwerdeführer die in dem Durchsuchungsbeschluss aufgeführten Buchführungsunterlagen bereits freiwillig herausgegeben hatte. Die begonnene Durchsicht als Teil der Durchsuchung könnte zu diesem Zeitpunkt aufgrund der zuvor erfolgten freiwilligen Herausgabe der Buchführungsunterlagen als möglicherweise unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zulässig gewesen sein und ein Verwertungsverbot nach sich gezogen haben.

Der Beschluss des Landgerichts vom 22. März 2021 setzt sich damit nicht auseinander, obwohl sich dies im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz der Maßnahme geradezu aufdrängte.

Das Schweigen des Beschlusses vom 22. März 2021 zu einem der Kernpunkte der Beschwerdebegründung lässt – gerade auch in Anbetracht der Grundrechtsrelevanz der Sicherstellung von Datenträgern im Rahmen einer Durchsuchung bei einem Nichtverdächtigen – auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen. Soweit das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers nach dem Rechtsstandpunkt der Strafkammer unbeachtlich gewesen sein sollte, hätte es im konkreten Fall jedenfalls einer kurzen, für den Beschwerdeführer nachvollziehbaren Darlegung der Rechtsauffassung der Kammer bedurft, um die Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen zu dokumentieren. Der bloße – formelhafte – Satz, es liege kein Verwertungsverbot hinsichtlich der Zufallsfunde vor, genügt hierfür nicht.“

OWi II: Messunterlagen/Speicherung Rohmessdaten, oder: Begründung der Rechtsbeschwerde

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Die zweite Entscheidung stammt vom OLG Brandenburg. Es handelt sich um den OLG Brandenburg, Beschl. v. 05.05.2022 – 2 OLG 53 Ss-OWi 167/22 – zur (wieder mal) (verneinten) Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Versagung des rechtlichen Gehörs.

„Die Beanstandung der Versagung des rechtlichen Gehörs dringt nicht durch. Das Tatgericht hat sich ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 4-6) mit den Einwänden der Verteidigung zur Geschwindigkeitsmessung auseinandergesetzt, so dass in der beanstandeten Ablehnung einer Erweiterung der Beweiserhebung keine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Dies wäre nur der Fall, wenn die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes im Prozessrecht keine Stütze hat (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 9. Januar 2018 – VI ZR 106/17, zitiert nach Juris) oder die Ablehnung gegen das Willkürverbot verstößt (vgl. Cierniak/Niehaus DAR 2018, 181, 185). Dafür ist Durchgreifendes nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Verteidigung sind konkrete Anhaltspunkte für die vielmehr lediglich allgemein und „ins Blaue hinein“ behaupteten Messfehler bezüglich einer etwaigen Nichtübereinstimmung der öffentlichen Schlüssel zwischen Falldatensatz und Messgerät aufgrund eines Programmierungsfehlers nicht dargelegt, so dass sich das Amtsgericht zu einer Erweiterung der Beweisaufnahme durch Hinzuziehung eines Sachverständigen nicht gedrängt sehen musste. Soweit der Betroffene geltend macht, er habe der Verwertung des Messergebnisses „auch mit der Begründung“ widersprochen, dass das Fahrzeug „die Fotolinie deutlich überfahren“ habe, genügt das Rügevorbringen bereits nicht den Begründungsanforderungen, weil schon nicht dargetan ist, welche Relevanz sich für die Beurteilung der Messung daraus konkret ergeben soll (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Sofern die Verteidigung der Sache nach auch eine Verletzung des fairen Verfahrens beanstanden will – was im Hinblick auf die Höhe der verhängten Geldbuße ohnehin nur unter dem Gesichtspunkt einer hier nicht ersichtlichen Verletzung rechtlichen Gehörs zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde führen könnte –, weil zur Prüfung des Messverfahrens weitere nicht bei der Akte befindlichen amtlichen Messunterlagen nicht zur Verfügung gestellt worden seien (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 338 Nr. 8 StPO; vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 8. September 2016 – [2 Z] 53 Ss-OWi 343/16 [163/16], BeckRS 2016, 20683; BVerfG DAR 2021, 385; Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 13. Dezember 2021 – VGH B 46/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Juli 2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19, DAR 2019, 582; Niehaus DAR 2021, 377ff.), wäre mit der Antragsbegründung konkret darzulegen gewesen, dass die Verteidigung die Beiziehung konkreter Messunterlagen gegenüber der Verwaltungsbehörde geltend gemacht und dieses Begehren gegebenenfalls im Verfahren nach § 62 OWiG weiterverfolgt hat (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. v. 17. März 2021 – 1 OLG 332 SsBs 23/20; BVerfG, Beschl. v. 12. November 2020 – 2 BvR 1616/18, zit. nach Juris mwN). Hierzu jedoch ist hinreichend Konkretes nicht vorgetragen.

Die vom Betroffenen thematisierte Frage, inwieweit Rohmessdaten gespeichert werden müssen, berührt bereits nicht den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 23. März 2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 82/22). Im Übrigen ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass der Messvorgang nicht rekonstruierbar sein muss und die Verwertbarkeit des Messergebnisses nicht von der nachträglichen Überprüfbarkeit anhand gespeicherter Messdaten abhängt (vgl. zuletzt OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. März 2022 – 2 RBs 31/22, zit. nach Juris mit Rechtsprechungsnachweisen). Letztlich kommt es auch darauf nicht an, weil weder dargetan, noch sonst ersichtlich ist, dass der Betroffene sich um die Zurverfügungstellung vorhandener (Roh-)Messdaten bemüht hat.“

Wenn der Zulassungsantrag überhaupt eine Chance haben soll, dann muss man als Verteidiger schon die Begründungsanforderungen beachten und vor allem. Erfüllen 🙂 .

OWi I: Kleine Rechtsprechungsübersicht zu Messungen, oder: Verwertung, Überprüfbarkeit, Rechtsbeschwerde

So, ich knüpfe dann an den gestrigen „Verkehrsrechtstag“ an und stelle heute OWi-Entscheidungen vor.

Im ersten Posting stelle ich einige Entscheidungen vor, die mit Messungen zu tun haben. Ich beschränke mich insoweit auf die jeweiligen Leitsätze, und zwar:

Widerspricht der Verteidiger des Betroffenen der Verwertung eines Messergebnisses wegen nicht ausreichend erfolgter Speicherung von Messdaten, muss dieser Widerspruch beschieden werden. Anderenfalls liegt eine Versagung rechtlichen Gehörs vor.

Die Rüge der Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) durch Nichtüberlassung von Messunterlagen ist nur dann ausreichend begründet, wenn nicht nur vorgetragen wird, dass die Unterlagen bereits vorgerichtlich angefordert wurden sowie die Aussetzung der Hauptverhandlung beantragt wurde, sondern auch, was sich aus den angeforderten Unterlagen, wenn sie übersandt worden wären, ergeben hätte oder, wenn dieser Vortrag mangels Kenntnis nicht möglich ist, was der Betroffene noch nach Erlass des Urteils versucht hat, um an die Unterlagen zu gelangen und somit diesen Vortrag zu vervollständigen.

Der Senat hält daran fest, dass die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit anhand von aufzuzeichnenden, zu speichernden und an den Betroffenen auf Verlangen herauszugebenden (Roh-)Messdaten abhängig ist, und durch die fehlende Reproduzierbarkeit der zum einzelnen Messwert führenden Berechnung weder der Anspruch auf ein faires Verfahren noch der auf eine effektive Verteidigung berührt wird.

Ablehnung eines Beweisantrages, oder: Was gehört in die Rechtsbeschwerdebegründung?

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Und den Abschluss des Tages macht dann der KG, Beschl. v. 20.11.2018 – 3 Ws (B) 294/18 , der noch einmal zu den Anfordeurngen an die Rechtsbeschwerde Stellung nimmt, wenn die Verletzung rechtlichen Gehörs bei Ablehnung eines Beweisantrags geltend gemacht wird. Dazu reichen die Leitsätze der Entscheidung 🙂 :

1. Soll die Verletzung des rechtlichen Gehörs in der Ablehnung eines Beweisantrags bestehen, bedarf es Vortrags dazu, was die behauptete Rechtsfehlerhaftigkeit über einen Verstoß gegen das einfache Prozessrecht hinaushebt und ihr das besondere Gewicht der Versagung rechtlichen Gehörs verleiht.

2. Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör setzt voraus, dass der Beweisantrag ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung abgelehnt worden ist und sich dies unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken als nicht mehr verständlich und daher willkürlich darstellt.

Nichts Neues, aber immer wieder schön = wichtig!

Akteneinsicht I: Einsicht in Messunterlagen, oder: „materiell-rechtliche Aufladung“ des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör

entnommen wikimedia.org
Urheber Jepessen

Heute dann mal wieder ein Tag der Akteneinsicht. Den eröffne ich mit einer (Akten)Einsichtsentscheidung aus dem Bußgeldverfahren, und zwar mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 05.11.2018 – 1 Ss (OWi) 108/18. Es handelt sich um eine dieser „unsäglichen“ Entscheidungen in Zusammenhang mit einem Antrag auf Herausgabe von Messunterlagen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war auf die Ablehnung des Antrags gestützt worden. Es wird niemanden wundern, wenn er dann jetzt liest, dass das OLG die Rechtsbeschwerde natürlich nicht zugelassen hat. Alles andere wäre ein – zumindest kleines – Wunder gewesen:

„1. Es liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.

Durch die Nichtbeiziehung der nicht bei der Akte befindlichen Statistikdatei sowie des Messschlüsselpaares ist das rechtliche Gehör der Betroffenen nicht verletzt worden.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wäre nur dann gegeben, wenn die erlassene Entscheidung des Amtsgerichts auf einem Verfahrensmangel beruhen würde, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei – der Betroffenen — gehabt hätte (BVerfG NJW 1992/2811).

Das Prozessgrundrecht des rechtlichen Gehörs soll gewährleisten, dass ein Betroffener bzw. eine Betroffene die Gelegenheit hat, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Das Gericht muss diese zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Januar 2018, 2Rb 8 Ss 839/17).

Das hat das Amtsgericht getan: Es hat sich mit dem Vorbringen der Betroffenen auseinandergesetzt und darüber befunden. Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, aus den entsprechenden Ausführungen die seitens der Betroffenen gewünschten Schlussfolgerungen zu ziehen und den gestellten Anträgen zu entsprechen (KG, Beschluss vom 07.April 1999, 2 Ss 15/09).

Durch die Nichtbeiziehung der nicht bei der Akte befindlichen Statistikdatei sowie des Messschlüsselpaares, die im Übrigen auch nicht Gegenstand der Urteilsfindung gewesen sind, ist das rechtliche Gehör der Betroffenen nicht verletzt worden.

Denn wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 27. Juni 2016 (1 Ss (OVVI) 59/16 nicht veröffentlicht) ausgeführt hat und auch weitere Oberlandesgerichte entsprechend entschieden haben, verletzt ein in der Hauptverhandlung durch Beschluss abschlägig beschiedener Antrag auf Herausgabe einer Messdatei sowie der Messschlüssel den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör nicht (OLG Bamberg, Beschluss vom 24.August 2017, 3 Ss (0W1) 1162/17, OLG Hamm, Beschluss vom 19.Juni 2018, 4 RBs 163/18).

Auch der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 27. April 2018 (Lv 1/18) gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.

Denn eine solche stünde im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 12.Januar 1983- 2 BvR 864/81). Danach wird der Schutzbereich des Artikels 103 GG nicht mehr berührt, wenn es um die Frage geht, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, erst zu verschaffen hat. Denn es ist nicht Sinn und Zweck der grundgesetzlichen Gewährleistung rechtlichen Gehörs vor Gericht, dem bzw. der Betroffenen Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen.

Soweit darüber hinaus ein Anspruch auf Erweiterung des gerichtlichen Aktenbestandes geltend gemacht wird, lässt sich dieser nicht aus dem Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG herleiten (BVerfG a.a.0).“

Alles andere ist allgemeines Bla, bla. Der Verteidiger fragt(e) sich/mich mit Recht, wie man solche Entscheidungen den Mandanten eigentlich erklären soll/kann.

Im Übrigen: Etwas Neues hat die Entscheidung doch, nämlich die Formulierung: „materiell-rechtliche Aufladung“ des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör „.