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OWi II: Rechtliches Gehör wegen Abwesenheit verletzt?, oder: Begründung der Verfahrensrüge

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Und als zweite OWi-Verfahrens-Entscheidung dann der OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.04.2024 – 1 ORbs 324/23 – zur Begründung der Verfahrensrüge in einem „Quasi-Entbindungsfall2.

Wegen der etwas verwickelten Sachverhalts verweise ich auf den verlinkten Volltext. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen und zurückgewiesen. Zur Begründung führt es (umfangreich) aus:

„a) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht in der für eine Verfahrensrüge erhobenen Form gerügt worden und – dessen ungeachtet – auch nicht gegeben.

aa) Soweit der Betroffene die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) erhoben hat, handelt es sich um eine Verfahrensrüge, die jedoch nicht den an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 zu stellenden Anforderungen genügt. Da das Rechtsbeschwerdegericht nicht von sich aus die Ordnungsgemäßheit des gesamten Verfahrens prüfen kann, muss der Beschwerdeführer die den konkrete geltend gemachten Verfahrensmangel begründenden Tatsachen angeben; hierzu gehören auch die Tatsachen, die dem behaupteten Verfahrensfehler die Grundlage entziehen (sog. Negativtatsachen; vgl. statt vieler: BGH StV 2004, 30; BGH NJW 2016, 419; BGH NStZ-RR 2008, 85).

Im vorliegenden Fall hat der Betroffene geltend gemacht, zum anberaumten Hauptverhandlungstermin nicht erschienen zu sein; zugleich behauptet der Betroffene in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 25. Juli 2023, vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden zu sein.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 31. August 2023 die Aufhebung des angefochtenen Urteils mit der Begründung beantragt, dass der Betroffene nicht (erneut) von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung durch das Gericht entbunden worden war, kann dies der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, da es insoweit an einem entsprechenden Sachvortrag durch den Beschwerdeführer fehlt. Es fehlt an Angaben dazu, ob und ggf. in welchem Umfang der Betroffene von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung am 17. Mai 2023 gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbunden worden war. Hierzu hätte es eines konkreten Vortrags insbesondere deswegen bedurft, weil der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf den Vorlagebeschluss des Kammergerichts vom 28. Februar 2022 (3 Ws (B) 31/22, abgedruckt in: DAR 2023, 94) am 10. Oktober 2023 grundlegend entschieden hat, dass die antragsgemäß nicht auf einen konkreten Termin bezogene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG bei Verlegung des Hauptverhandlungstermins fortwirkt, so dass ein Entbindungsbeschluss des Gerichts für den neuen Termin nicht erneut beantragt und erlassen werden muss (4 StR 94/22, abgedruckt in: NJW 2024, 776 f. = DAR 2024, 165 ff. = NZV 2024, 180 ff.). Um entscheiden zu können, ob das Bußgeldgericht die Hauptverhandlung zu Recht in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt hatte, hätte es eines entsprechenden Vortrags gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG insbesondere dahingehend bedurft, ob eine Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung durch das Gericht für einen konkreten Hauptverhandlungstermin ausgesprochen worden war oder sich generell auf die Hauptverhandlung in der vorliegenden Bußgeldsache bezogen hat. Hierzu verhält sich weder die Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 27. Juli 2023 noch die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 31. August 2023.

bb) Die Abwesenheit der Verteidigerin von der Hauptverhandlung kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht begründen, so dass es nicht darauf ankommt, ob ein entsprechender Sachvortrag den an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 zu stellenden Anforderungen genügt.

Eine Verletzung des Anspruches des Betroffenen auf rechtliches Gehör kann selbst bei Ablehnung eines auf die Verhinderung des Verteidigers gestützten Terminaufhebungs- oder Terminverlegungsantrages nicht liegen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. November 2012, 2 RBs 253/12; BayObLG, Beschluss vom 31. Mai 1994, 2 ObOWi 194/94, jew. zitiert nach juris, jew. m.w.N.). Die Verhinderung seines Verteidigers nimmt dem Betroffenen nicht die Möglichkeit, sich selbst vor Gericht rechtliches Gehör zu verschaffen. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet nur das rechtliche Gehör als solches, nicht rechtliches Gehör gerade durch Vermittlung eines Rechtsanwalts (vgl. bereits BVerfG NJW 1984, 862; OLG Hamm a.a.O.; BayObLG a.a.O.; OLG Köln VRS 83, 367; OLG Düsseldorf VRS 95, 104). Mithin hätte der Betroffene mit seinen Einwendungen gehört werden können, was erst Recht gilt, wenn diese – wie hier – bereits schriftsätzlich vorgetragen worden sind (vgl. auch BGHSt 28, 44, 46; BayObLG NZV 1992, 43; OLG Düsseldorf VRS 82, 209; OLG Köln VRS 83, 367; OLG Dresden DAR 2004, 102; siehe auch BVerfGE 85, 386,404).

cc) Soweit die Verteidigung die Verletzung rechtlichen Gehörs damit zu begründen sucht, dass das Bußgeldgericht „den in der Hauptverhandlung am 23. November 2023 aufgekommenen Zweifeln an einer konkreten Geschwindigkeitsmessung nicht nachgekommen“ sei, genügen die Ausführungen ebenfalls nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG. Dies betrifft sowohl die inhaltlichen Darlegungen zu den konkreten Zweifeln wie auch die Negativtatsache, dass ausweislich der Bußgeldakte eine Abschrift des Schreibens des Staatsbetriebs für das Mess- und Eichwesen des Freistaates Sachsen vom 5. Dezember 2022 sowohl dem Betroffenen als auch dessen Verteidigerin am 18. Dezember 2022 zugeleitet worden war.

b) Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. ….

StPO II: Terminsverlegung (hier wegen Corona), oder: Sitzen die richtigen Schöffen auf der Richterbank?

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.05.2020 – 1 Ws 190/20 – vom OLG Oldenburg. Der Beschluss ist schon etwas älter. Es hat aber leider gedauert, bis ich den im Volltext vorliegen hatte.

Das OLG hat im Rahmen der Bescheidung eines Besetzungseinwandes (§§ 222a, 222b stPO) zur Frage der „richtigen“ Besetzung einer Strafkammer Stellung genommen. Die Angeklagte hatte geltend gemacht, die Strafkammer, bei der die Hauptverhandlung stattfinden sollte, sei nicht richtig besetzt, und zwar seien die Richterbank mit den falschen Schöffen besetzt. Hintergrund der Rüge ist, dass die Hauptverhandlung wegen der Corona-Krise nicht an dem zunächst geplanten Terminstag beginnen konnte, sondern der Beginn knapp vier Wochen verschoben worden war und die Hauptverhandlung erst an dem Tag begonnen worden ist, der regulär schon der 4. Verhandlungstag gewesen wäre. Die Angeklagte war der Auffassung, es seien die für den zunächst geplanten Terminstag ausgelosten Schöffen zuständig (gewesen) und nicht die für den Terminstag, an dem das Verfahren tatsächlich begonnen wordne ist.

Das haben das LG und das OLG Oldenbrug – m.E. zutreffemd – anderes gesehen:

„Auch durch die Heranziehung der für den 28. April 2020 ausgelosten Schöffen ergibt sich keine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts. Die Frage, ob die für einen ordentlichen Sitzungstag, hier etwa den 1. April 2020, ausgelosten Schöffen zu einer an einem anderen Sitzungstag beginnenden Hauptverhandlung heranzuziehen sind, stellt sich nur, wenn es sich hierbei um einen anderen als einen ordentlichen Sitzungstag handelt (vgl. BGH, Urteil v. 14.07.1995, 5 StR 532/94, BGHSt 41, 175, Rz. 13). Vorliegend hat die Hauptverhandlung in-dessen am 28. April 2020 und damit an einem ordentlichen Sitzungstag begonnen, für den die Schöffinnen BB und CC am 14. November 2019 der 2. großen Strafkammer zugelost worden sind. Damit waren sie und nicht die – was die Rüge allerdings mitzuteilen unterlässt (s.o.) – mit ihnen nicht identischen, für den 1. April 2020 ausgelosten Schöffen für die am 28. April 2020 begonnene Hauptverhandlung heranzuziehen.

Auch der Senat vermag daher die begehrte Feststellung, dass das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt ist (§ 222b Abs. 3 Satz 4 StPO), nicht zu treffen.“