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Pflichti II: Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers, oder: Der BGH faßt noch einmal schön zusammen

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Und dann im zweiten Posting hier der BGH, Beschl. v. 19.02.2025 – StB 4/25, StB 5/25, StB 6/25 -, der sich noch einmal eingehend mit der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers (§ 144 Abs. 1 StPO) befasst.

Ergangen ist der Beschluss in einem beim KG anhängigen Verfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Auslan. Der Vorsitzende des KG-Senats hatte die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers abgelehnt. Die sofortigen Beschwerden hatten beim BGH keinen Erfolg.Der BGH führt – noch einmal – umfangreich zu den anstehenden Fragen aus:

„1. Zum Prüfungsmaßstab und zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers gilt:

a) Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch das erkennende Gericht keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt kein eigenes Ermessen auf der Rechtsfolgenseite aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung dahin, ob der Vorsitzende seinen Beurteilungsspielraum und die Grenzen seines Entscheidungsermessens überschritten hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. August 2024 – StB 47/24 , NStZ-RR 2024, 354, 355; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 10; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22 , juris Rn. 8, 13; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 18; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 17 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 144 Rn. 12).

b) Nach der Vorschrift des § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahl- oder (ersten) Pflichtverteidiger „bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich“ bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist“. Die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat, also grundsätzlich zur Verfahrenssicherung geeignet ist. Vielmehr muss die Bestellung eines weiteren Verteidigers zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein ( BGH, Beschlüsse vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 11; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22 , juris Rn. 10; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 13; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 13 ).

Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist daher lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten ( BGH, Beschlüsse vom 21. August 2024 – StB 47/24 , NStZ-RR 2024, 354, 355; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 12).

Von einer solchen Notwendigkeit ist auszugehen, wenn sich die Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstreckt und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. August 2024 – StB 47/24 , NStZ-RR 2024, 354, 355; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 13; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22 , juris Rn. 12; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 16; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 14 mwN; s. auch BT-Drucks. 19/13829 S. 49 f.).

2. Hieran gemessen ist die Annahme der Vorsitzenden des mit der Sache befassten 1. Strafsenats des Kammergerichts, die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO lägen nicht vor, vertretbar. Mit dieser Beurteilung hat sie die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums noch nicht überschritten.

a) Die Vorsitzende des Strafsenats hat annehmen dürfen, die Bestellung eines jeweils zweiten Pflichtverteidigers sei nicht wegen besonderen Umfangs des Verfahrens erforderlich. Zwar ist der Aktenumfang mit über 100 Aktenordnern beträchtlich und steht, wie schon die gegenwärtige Terminierung bis Ende 2025 deutlich macht, eine umfangreiche Beweisaufnahme an vielen Hauptverhandlungstagen zu erwarten. Indes sind die mit der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht überschaubar und haben die bestellten Pflichtverteidiger, die den Angeklagten jeweils kurz nach deren Verhaftung beigeordnet worden sind, bereits etliche Monate Zeit gehabt, sich mit dem Verfahrensgegenstand und den im Ermittlungsverfahren erlangten Erkenntnissen vertraut zu machen.

b) Ein jeweils zweiter Pflichtverteidiger für die Beschwerdeführer ist auch nicht wegen besonderer rechtlicher Komplexität des Verfahrens geboten. Die Einschätzung der Senatsvorsitzenden, die inmitten stehenden Rechtsfragen seien nicht von solcher Schwierigkeit, dass ihre alleinige Durchdringung den bestellten Pflichtverteidigern nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, erweist sich als rechtlich tragfähig, zumal es sich bei den bereits bestellten Verteidigern um erfahrene und mit Staatsschutzverfahren vertraute Fachanwälte für Strafrecht handelt.

Der Tatvorwurf bezieht sich jeweils auf die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und damit insbesondere nicht auf komplexe Rechtsvorschriften des Nebenstrafrechts oder internationalen Rechts. Zwar ist zur Einordnung der HAMAS als ausländische terroristische Vereinigung bislang keine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs ergangen (siehe aber zur vorläufigen Beurteilung im Rahmen von Haftfortdauerentscheidungen BGH, Beschlüsse vom 4. September 2024 – AK 71/24, juris Rn. 8 ff., 34 ff.; vom 26. Juni 2024 – AK 53-55/24, juris Rn. 8 ff., 36 ff.; vom 30. April 2024 – StB 25/24, Rn. 8 ff., 31 ff.; vom 10. April 2024 – StB 20/24, Rn. 8 ff., 27 ff.). Jedoch liegt zum rechtlichen Maßstab gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vor (vgl. die diesbezüglichen Nachweise in den vorgenannten Entscheidungen) und sind die tatsächlichen Beurteilungsgrundlagen in weitem Umfang allgemeinkundig. Angesichts des wesentlich gegen Zivilpersonen gerichteten Vorgehens der HAMAS kommt es zudem entgegen dem Beschwerdevorbringen des Angeklagten A. nicht darauf an, ob sich einzelne Akteure der HAMAS im bewaffneten Konflikt in der Levante auf ein völkerrechtliches „Kombattantenprivileg“ (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 265/13 , BGHR StGB § 129b Rechtswidrigkeit 1 ) berufen könnten.

c) Weiter ist angesichts des beschränkten Kontrollmaßstabs des Beschwerdegerichts nicht zu beanstanden, dass die Vorsitzende des 1. Strafsenats des Kammergerichts die Bestellung weiterer Pflichtverteidiger nicht als zur Verfahrenssicherung erforderlich erachtet hat.

Zwar kann im Fall voraussichtlich besonders lang dauernder Hauptverhandlungen die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers angezeigt sein, weil mit der Verfahrensdauer das Risiko eines längerfristigen Ausfalls des Verteidigers und damit der Notwendigkeit einer Aussetzung der Hauptverhandlung steigt. In Fällen einer absehbar außergewöhnlich langen Hauptverhandlung rechtfertigt sich die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung aus der Erfahrung, dass sich bei einer derartigen Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein Verteidiger könnte durch Erkrankung für einen längeren Zeitraum als durch Unterbrechungen nach § 229 StPO überbrückbar ausfallen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 23; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 23 ). Indes hat die Senatsvorsitzende dieses Risiko für überschaubar erachtet. Das begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Denn die bloß abstrakt-theoretische Möglichkeit eines späteren Ausfalls des Pflichtverteidigers gibt – außer in Fällen voraussichtlich ganz besonders langer Hauptverhandlungen – regelmäßig keinen Anlass zur Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers ( BGH, Beschlüsse vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 15; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 24; vom 21. April 2021 – StB 17/21 , NJW 2021, 1894 Rn. 9). Der Verfahrensstoff ist nicht derart umfangreich und komplex, dass er eine außergewöhnlich lange Hauptverhandlungsdauer zur notwendigen Folge hat. Sollte es – wider Erwarten – doch zu einem längerfristigen Ausfall eines Pflichtverteidigers kommen, bestünde – jedenfalls grundsätzlich – die Möglichkeit, diesen gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO zu entpflichten und statt seiner einen anderen Verteidiger – namentlich einen als Wahlverteidiger tätigen weiteren Verteidiger des betreffenden Angeklagten – zum Pflichtverteidiger zu bestellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2024 – StB 63/24 , NStZ-RR 2025, 54 Rn. 8 f.; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 15; vom 24. Oktober 2022 – StB 44/22 , NStZ-RR 2022, 380, 381; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 3 Rn. 4).

d) Im Übrigen ist vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens Folgendes zu bemerken:

aa) Einzelne bereits absehbare terminliche Verhinderungen der bestellten Pflichtverteidiger gebieten keine Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers. Denn die Regelung des § 144 Abs. 1 StPO dient nicht dazu, eine Vertretung des Angeklagten durch jedenfalls einen Verteidiger an jedem Hauptverhandlungstag zu gewährleisten und mehreren Verteidigern zu ermöglichen, die Teilnahme an der Hauptverhandlung untereinander aufzuteilen. Grundsätzlich ist jeder Pflichtverteidiger von Rechts wegen gehalten, an allen Hauptverhandlungsterminen teilzunehmen; die Bestellung eines zweiten Verteidigers soll, sofern sie zur Verfahrenssicherung angeordnet wird, Vorsorge für einen unerwarteten längerfristigen Ausfall des ersten Pflichtverteidigers treffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2024 – StB 63/24 , NStZ-RR 2025, 54 Rn. 10; vom 24. Oktober 2022 – StB 44/22 , NStZ-RR 2022, 380, 381; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , BGHR StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Aufhebung 3 Rn. 9). Sofern absehbar ist, dass der bestellte Pflichtverteidiger in größerem Umfang gehindert ist, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, ist dem grundsätzlich nicht mit der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers zu begegnen, sondern ist der bisherige Verteidiger zu entpflichten und durch einen anderen, terminlich nicht verhinderten Pflichtverteidiger zu ersetzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2024 – StB 63/24 , NStZ-RR 2025, 54 Rn. 10; vom 24. Oktober 2022 – StB 44/22 , NStZ-RR 2022, 380, 381; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , BGHR StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Aufhebung 3 Rn. 9). Bei einer Verhinderung des Pflichtverteidigers an einzelnen wenigen Sitzungstagen kommt entgegen dem Beschwerdevorbringen des Angeklagten A. , zuletzt mit Schriftsatz vom 17. Februar 2025, zudem die – rechtlich statthafte (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2025 – 5 StR 338/24 , juris Rn. 11; OLG Celle, Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 Ws 365/08 , juris Rn. 12 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Februar 2011 – 4 Ws 195/10 , juris Rn. 13; BeckOK StPO/Krawczyk, 54. Ed., § 144 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 144 Rn. 4) – gerichtliche Bestellung eines sogenannten Terminvertreters für einzelne Hauptverhandlungstage in Betracht, gegebenenfalls zur Wahrung der Verfahrensfairness unter Änderung des vorgesehenen Beweisprogramms (zur rechtlichen Stellung des als „Terminvertreter“ für einen Hauptverhandlungstag beigeordneten Verteidigers zutreffend OLG Brandenburg, Beschluss vom 26. Februar 2024 – 1 Ws 13/24, juris Rn. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023 – 2 Ws 13/22, NStZ-RR 2023,159, 160 [OLG Karlsruhe 09.02.2023 – 2 Ws 13/23] ). Zu Recht weisen die Beschwerdeführer, insbesondere der Pflichtverteidiger des Angeklagten A. in seinem Schriftsatz vom 17. Februar 2025, allerdings darauf hin, dass in einem umfangreichen Verfahren wie dem hiesigen an einem Sitzungstag, an dem ausnahmsweise ein für diesen bestellter Terminvertreter an Stelle des verhinderten regulären Pflichtverteidigers als Verteidiger tätig wird, Beweis nur insoweit erhoben werden darf, als dadurch das Recht des Angeklagten auf effektive Verteidigung nicht verletzt wird. Bei dem Beweisprogramm an einem solchen Sitzungstag ist in besonderem Maße Rücksicht darauf zu nehmen, dass ein bloßer Terminvertreter nur eingeschränkt mit dem Verfahrensstoff vertraut ist und an der vorangegangenen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nicht mitgewirkt hat.

bb) Der Umstand, dass der 1. Strafsenat des Kammergerichts gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG eine Besetzung in der Hauptverhandlung mit fünf Richtern beschlossen hat, ist vorliegend ohne Belang (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. März 2024 – StB 19/24 , NStZ-RR 2024, 178, 179; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 17; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , NStZ-RR 2022, 353, 354). Denn wegen der unterschiedlichen Aufgaben von Gericht und Verteidigung in der Hauptverhandlung kann nicht schon aus dieser Besetzung des Spruchkörpers der Schluss gezogen werden, dass die Verteidigung in der Hauptverhandlung von einem Pflichtverteidiger allein nicht leistbar wäre. Hinzu kommt, dass das Verfahren gegen vier Angeklagte geführt wird, woraus ein erhöhter Aufwand für das Gericht, nicht aber in gleichem Umfang auch für die Verteidigung eines jeden Angeklagten resultiert.

cc) Entsprechendes gilt für den von den Pflichtverteidigern der Angeklagten R. und A. vorgebrachten Umstand, dass ein Ergänzungsrichter an der Hauptverhandlung teilnehmen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2021 – StB 12/21 , NStZ-RR 2021, 179). Insofern ist darauf hinzuweisen, dass ein unvorhergesehen an der weiteren Hauptverhandlungsteilnahme gehinderter Richter nicht unter Fortsetzung der Verhandlung durch einen anderen ersetzt werden kann, der an der bisherigen Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, während dies bei einem Verteidiger statthaft ist. Ohne Relevanz für eine Entscheidung nach § 144 Abs. 1 StPO ist zudem, mit welcher Personenzahl die Staatsanwaltschaft den Sitzungsdienst bestreitet. Denn für diese Entscheidung können andere als die in § 144 Abs. 1 StPO genannten Kriterien maßgeblich sein. Zudem haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung in der Hauptverhandlung unterschiedliche Funktionen. Deshalb verlangt das Gebot der Verfahrensfairness nicht, dass die Zahl der Verteidiger eines jeden Angeklagten der Anzahl der an der Hauptverhandlung mitwirkenden Staatsanwälte entspricht (vgl. näher hierzu BGH, Beschluss vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 22 mwN).

dd) Der Pflichtverteidiger des Angeklagten B. , der mit Schriftsätzen vom 5., 11., 14. und 17. Februar 2025 ergänzend vorgetragen hat, macht zudem geltend, es sei bei der Beurteilung des Arbeitsaufwandes für die Verteidigung nicht bedacht worden, dass er neben seiner Tätigkeit im hiesigen Verfahren noch weitere Verteidigungen übernehmen müsse, um ein hinreichendes Auskommen zu erzielen. Dieses Vorbringen verfängt nicht. Denn als Kompensation einer besonders umfänglichen Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers sieht das Gesetz – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 RVG vor.“

Ist alles nicht neu, aber schön in einer Entscheidung zusammengefasst. Daher habe ich es hier auch noch einmal ganz eingestellt.

Pflichti II: Diverse Pflichtverteidigungsfragen, oder: Dauer der Bestellung, Bestellung wegen EncroChat?

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Und dann im Mittagsposting drei Entscheidungen zu diversen Pflichtverteidigungsfragen, und zwar:

Zunächst der KG, Beschl. v. 25.02.2022 – (2) 161 Ss 25/22 (7/22) – zur Dauer der Pflichtverteidigung:

„Aus Gründen der Klarstellung war dem Angeklagten auf seinen Antrag Rechtsanwalt pp. gemäß § 140 Abs. 2 StPO zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Zwar endet eine Beiordnung gemäß § 143 Abs. 1 StPO erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens und gilt somit auch für das Revisionsverfahren einschließlich einer etwaigen Revisionshauptverhandlung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 143 Rdn. 1, § 350 Rdn. 9, 11). Da die Beiordnung durch das Landgericht am 15. De­zember 2021 jedoch ausdrücklich mit dem (einschränkenden) Zusatz „für das Beru­fungsverfahren“ erfolgt ist, war die Beiordnung klarstellend noch einmal aus­zusprechen.“

Als zweite Entscheidung der KG, Beschl. v. 28.03.2022 – 2 Ws 57/22 -zur Aufhebung der Bestellung mit folgendem Leitsatz:

Nach rechtskräftigem Abschluss eines Strafverfahrens ist die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung nicht mehr möglich.

Und als dritte Entscheidung dann der angekündigte weitere Beschluss zum zweiten Verteidiger (§ 144 StPO), und zwar zur Frage: Erfordert die Encro-Chat-Problematik einen weiteren Verteidiger? Das LG Frankfurt (Oder) sagt im LG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 07.04.2022 – 22 Qs 18/22: Nein:

„…. a) Entgegen dem Vorbingen des Beschuldigten hat der Verfahrensstoff keinen derart außergewöhnlichen Umfang. Wie in anderen Verfahren, in denen die Auswertung von Telekommunikationsdaten eine Rolle spielt, ist ein nicht unerheblicher Datenbestand vorhanden, wobei nicht jedes Gespräch bzw. Nachricht eine wesentliche Rolle spielt. Das Ausmaß der Daten in diesem Verfahren ist nicht umfangreicher als in vergleichbaren Verfahren einer Großen Strafkammer, ohne dass grundsätzlich beim Vorhandensein von Telekommunikationsdaten größeren Umfangs die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vorliegen. Ein unabweisbares Bedürfnis für die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist aus dem konkreten Aktenbestand nicht abzuleiten (OLG Bremen, Beschl. v. 30.04.2021 – 1 Ws 24/21 –, Rn. 19 – juris). Dass der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich wäre, dass er überhaupt nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden könnte, und anderenfalls eine konkrete Gefahr für die zügige Durchführung des ordnungsgemäß betriebenen Verfahrens bestünde, ist nicht ersichtlich.

Dies ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem Umstand, dass die Ermittlungen teilweise auf Encrochat-Daten beruhen. Eine besondere Komplexität geht damit nicht zwingend einher. Dies folgt auch daraus, dass die rechtlichen Fragen in Rechtsprechung und Wissenschaft bereits in breitem Umfang diskutiert sind, sich eine obergerichtliche Rechtsprechung herausgebildet und nunmehr auch der Bundesgerichtshof eindeutig und ausführlich Position bezogen hat (BGH, Beschl. v. 02.03.2022 – 5 StR 457/21).“

Pflichti I: Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers, oder: Besonderer Umfang/besondere Schwierigkeit?

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Heute mache ich dann mal wieder einen „Pflichti-Tag“  mit einigen Entscheidungen zur Pflichtverteidigung (§§ 140 ff. StPO).

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 24.03.2022 – StB 5/22 –, mit dem der BGH  seine bisherige Rechtsprechung zum neuen § 144 StPO bekräftigt/fortsetzt. Heute Mittag gibt es dann noch einen weiteren Beschluss zu § 144 StPO.

Ergangen ist der Beschluss in einem beim OLG Stuttgart anhängigen Staatsschutzverfahren. In dem hat der Vorsitzende des Strafsenats den Antrag, dem Angeklagten Rechtsanwalt S. als zweiten Pflichtverteidiger zusätzlich beizuordnen, abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO für die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers lägen nicht vor. Das Verfahren sei weder besonders umfangreich noch besonders schwierig. Zudem sei keine Verfahrensdauer absehbar, die eine Mitwirkung eines zweiten Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung erforderlich erscheinen lasse. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt K mit der sofortigen Beschwerde. Diese war zulässig, hatte in der Sache aber keinen Erfolg.

Zur Zulässigkeit der vom Verteidiger eingelegten sofortigen Beschwerde nur kurz (mein) Leitsatz:

Ein Verteidiger kann gemäß § 297 StPO Rechtsmittel für einen Beschuldigten im eigenen Namen einlegen; für ein solches Verständnis eines vom Verteidiger eingelegten Rechtsmittels streitet eine Regelvermutung.

Zur Sache dann (etwas) mehr aus der BGH-Entscheidung:

„Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. a) Nach der Vorschrift des § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahl- oder (ersten) Pflichtverteidiger „bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich“ bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist“.

Nach ihrem Wortlaut hat die Vorschrift zur zentralen Voraussetzung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert. Eine solche – „vom Willen des Beschuldigten unabhängige“ (BT-Drucks. 19/13829 S. 49) – Bestellung ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat, also grundsätzlich zur Verfahrenssicherung geeignet ist. Vielmehr muss die Bestellung eines Sicherungsverteidigers zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein (BGH, Beschluss vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 13).

Soweit der Gesetzeswortlaut „Umfang oder Schwierigkeit“ des Verfahrens anführt, benennt er lediglich exemplarisch („insbesondere“) Hauptanwendungsfälle für diese zentrale Normvoraussetzung. Hierauf ist bei der Auslegung Bedacht zu nehmen. Auf den Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens kann es mithin nur ankommen, soweit diese Eigenschaften dazu führen, dass dessen zügige Durchführung ohne einen weiteren (bzw. zwei weitere) Verteidiger gefährdet wäre (BGH, Beschluss vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 13).

Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers als Sicherungsverteidiger ist daher lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein „unabweisbares Bedürfnis“ besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten.

Von einer solchen Notwendigkeit ist auszugehen, wenn sich die Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstreckt und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 14 mwN zur grundsätzlich weiterhin relevanten Rechtsprechung aus der Zeit vor der Schaffung des § 144 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 [BGBl. 2019 I S. 2128]; KG, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 Ws 4/22-161 AR 265/21, juris Rn. 13; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 21. Oktober 2021 – 2 Ws 166/21, juris Rn. 6; s. auch BT-Drucks. 19/13829 S. 49 f.).

b) Zwar gilt für das Rechtsmittel der (sofortigen) Beschwerde im Grundsatz, dass das Beschwerdegericht an die Stelle des Erstgerichts tritt und eine eigene Sachentscheidung trifft. Soweit seine Prüfungsbefugnis nicht auf die Gesetzwidrigkeit einer Anordnung beschränkt ist (§ 305a Abs. 1 Satz 2, § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 59 Abs. 2 Satz 2 JGG), nimmt das Beschwerdegericht – anders als das Revisionsgericht – eine eigene sachliche Beurteilung der gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen vor und übt selbst Ermessen aus (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 – 1 StR 781/96, BGHSt 43, 153, 155; Beschluss vom 26. März 2009 – StB 20/08, BGHSt 53, 238, 243 f.). Für die Prüfung der (Ablehnung der) Bestellung eines weiteren Verteidigers gilt jedoch Abweichendes.

Bei der Entscheidung über die Bestellung eines Sicherungsverteidigers kommt dem hierzu gemäß § 142 Abs. 3 StPO berufenen Richter ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. ….

2. Hieran gemessen ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden. Der gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO zur Entscheidung berufene Vorsitzende des mit der Sache befassten 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart hat die Ablehnung des Antrags des Angeklagten auf Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers damit begründet, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO lägen nicht vor. Mit dieser Beurteilung hat er die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums nicht überschritten.

a) Der Aktenbestand beläuft sich auf 44 Ordner aus dem Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten; hinzu kommen zwölf weitere Aktenordner des hinzuverbundenen Verfahrens gegen die Mitangeklagte. Der Vorsitzende hat vor diesem Hintergrund in seiner Entscheidung ausgeführt, der Verfahrensstoff sei nicht besonders umfangreich. Diese Wertung ist nicht zu beanstanden. Ein „unabweisbares Bedürfnis“ für die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers hat der Vorsitzende aus dem Aktenbestand nicht ableiten müssen. Ein solches läge nur vor, wenn der Verfahrensstoff als so außergewöhnlich umfangreich zu beurteilen wäre, dass er überhaupt nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit beherrscht werden könnte, und anderenfalls eine konkrete Gefahr für die zügige Durchführung eines ordnungsgemäß betriebenen Verfahrens bestünde. Dass der Vorsitzende solches – abweichend von der Wertung in der Beschwerdeschrift – nicht angenommen hat, ist jedenfalls vertretbar. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des vom Pflichtverteidiger des Angeklagten in seiner Stellungnahme vom 18. März 2022 vorgebrachten Umstandes, der Generalbundesanwalt habe während der bereits laufenden Hauptverhandlung weiteres – überwiegend elektronisches – Beweismaterial vorgelegt. Soweit dessen Sichtung besonderen Zeitaufwand erfordert, kann dem erforderlichenfalls durch eine Unterbrechung der Hauptverhandlung Rechnung getragen werden. Dies ist nach dem Vortrag des Beschwerdeführers bereits geschehen. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Umfang des Verfahrensstoffs während der Hauptverhandlung voraussichtlich so stark erhöhen wird, dass der Aufwand für deren Durchdringung einen Verteidiger überfordern könnte.

b) Gleichfalls als jedenfalls vertretbar erweist sich die Annahme des angefochtenen Beschlusses, die aufgeworfenen Rechtsfragen seien nicht besonders schwierig. Es geht bei der Beweisaufnahme im Wesentlichen um die Einordnung des „IS“ als terroristische Vereinigung im Ausland, den Nachweis der dem Angeklagten zur Last gelegten Aktivitäten zu Gunsten des „IS“, wobei als Beweismittel insofern maßgeblich sichergestellte und ausgewertete Messenger-Kommunikation des Angeklagten in Betracht kommt, sowie um die Rechtsfrage der Einordnung der mutmaßlichen Aktivitäten des Angeklagten als mitgliedschaftliche Beteiligung an der Vereinigung „IS“ und Zuwiderhandlung gegen ein EU-Bereitstellungsverbot. Zu den damit inmitten stehenden Rechtsfragen liegt umfangreiche und gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Dass der Pflichtverteidiger die zu beantwortenden Rechtsfragen subjektiv für schwierig hält, ist demnach im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgebend. Dafür, dass sich im Laufe der weiteren Hauptverhandlung komplexe oder ungeklärte Rechtsfragen stellen könnten, zu deren Bewältigung ein Verteidiger allein nicht in der Lage wäre, besteht kein Anhalt.

c) Der Einwand des Verteidigers des Angeklagten, der Generalbundesanwalt sei in der Hauptverhandlung mit zwei Staatsanwälten vertreten, verfängt nicht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Mai 2007 – 3 Ws 470/07; NStZ-RR 2007, 244; ebenso HansOLG Bremen, Beschluss vom 30. April 2021 – 1 Ws 24/21, juris Rn. 20 a.E.; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 141 Rn. 5; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 141 Rn. 9). Zum einen ist die autonome Entscheidung der Staatsanwaltschaft, mit welchen personellen Ressourcen der Sitzungsdienst wahrgenommen wird, für die hier relevante Beurteilung des Umfangs und der Schwierigkeit des Verfahrens durch den Vorsitzenden ohne Belang, zumal für die staatsanwaltschaftliche Entscheidung auch andere Kriterien als der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens maßgeblich sein können. Zum anderen üben der Verteidiger und die Staatsanwaltschaft unterschiedliche Funktionen in der Hauptverhandlung aus; die Staatsanwaltschaft, die auch auf die Aufklärung und Berücksichtigung den Angeklagten entlastender Umstände Bedacht zu nehmen hat, ist dort nicht „Gegner“ des Angeklagten. Somit verlangt auch das Gebot der Verfahrensfairness und der „Waffengleichheit“ nicht, dass die Zahl der Verteidiger des Angeklagten der Anzahl der an der Hauptverhandlung mitwirkenden Staatsanwälte entspricht.

d) Als ohne Weiteres vertretbar erweist sich zudem die Einschätzung des Vorsitzenden, die voraussichtliche weitere Dauer der Hauptverhandlung zwinge ebenfalls nicht zu der Bestellung eines zweiten Verteidigers. In Fällen einer absehbar außergewöhnlich langen Hauptverhandlung rechtfertigt sich die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers als Sicherungsverteidiger aus der Erfahrung, dass sich bei einer derartigen Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein Verteidiger könnte durch Erkrankung für einen längeren Zeitraum als durch Unterbrechungen nach § 229 StPO überbrückbar ausfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 23; OLG Celle, Beschluss vom 11. Mai 2020 – 5 StS 1/20, juris Rn. 18 mwN; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 13. Januar 2020 – 2 Ws 3/20, StV 2021, 154, 155). Vom Vorsitzenden ist geplant, dass sich die im Januar 2022 begonnene Hauptverhandlung bis Ende Juni 2022 erstreckt. Eine außergewöhnlich lange Hauptverhandlung steht mithin nicht zu erwarten.

Dass – etwa wegen Vorerkrankungen des dem Angeklagten bestellten Verteidigers – eine tatsächlich erhöhte Gefahr besteht, dieser könnte für längere Zeit ausfallen, so dass ausnahmsweise ungeachtet der hier zu erwartenden nicht besonders langen Hauptverhandlungsdauer die Bestellung eines Sicherungsverteidigers gerechtfertigt sein könnte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Eine bloß abstrakt-theoretische Möglichkeit eines späteren Ausfalls des Pflichtverteidigers gibt – außer in Fällen voraussichtlich ganz besonders langer Hauptverhandlungen – regelmäßig keinen Anlass zur Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers (BGH, Beschluss vom 21. April 2021 – StB 17/21, NJW 2021, 1894 Rn. 9; OLG Celle, Beschluss vom 11. Mai 2020 – 5 StS 1/20, NStZ 2021, 123 Rn. 12; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 13. Januar 2020 – 2 Ws 3/20, StV 2021, 154, 157; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 144 Rn. 4).

e) Das vom Verteidiger des Angeklagten geltend gemachte allgemeine Risiko seiner Erkrankung am Corona-Virus begründet nicht die Notwendigkeit der Bestellung eines weiteren Verteidigers (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2021 – StB 17/21, NJW 2021, 1894 Rn. 9; OLG Celle, Beschluss vom 11. Mai 2020 – 5 StS 1/20, NStZ 2021, 123 Rn. 17; OLG Hamm, Beschluss vom 5. Mai 2020 – III-4 Ws 94/20, juris Rn. 2). Insofern ist zu berücksichtigen, dass Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus gegenwärtig zumeist nicht schwerwiegend oder langwierig verlaufen. In der Regel wird daher im Falle einer solchen Erkrankung eines Verfahrensbeteiligten eine Unterbrechung der Hauptverhandlung innerhalb der Fristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO bis zur Genesung des Betroffenen ausreichen, auch wenn eine Hemmung des Laufes der Unterbrechungsfristen nach § 10 Abs. 1 EGStPO wegen der – gegenwärtig bis zum 30. Juni 2022 – befristeten Geltung dieser Vorschrift zukünftig ausscheiden sollte…..“

Zu § 144 StPO scheint sich eine Kasuistik zu entwickeln, die auf der zur früheren Rechtslage ergangenen Rechtsprechung beruht.

Und kleine Anmerkung mit leichtem Stirnrunzeln im Hinblick auf die Feststellung des BGH, wonach die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung nicht „Gegner“ des Angeklagten sei. In der Praxis dürfte doch wohl eher das Gegenteil der Fall sein.

Pflichti III: Bestellung eines Sicherungsverteidigers, oder: Beschwerde im eigenen Namen eingelegt?

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Und zum Schluss dann noch etwas zum Sicherungsverteidiger (§ 144 StPO). Dazu hat das KG im KG, Beschl. v. 14.01.2022 – 4 Ws 4/22 – Stellung genommen. Ich stelle hier nur mal die Ausführungen dews KG zur Statthaftigkeit der Beschwerde ein:

1. Die form- und fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie im Namen des beschwerdeberechtigten Angeklagten eingelegt.·

Dafür spricht zunächst die in § 297 StPO enthaltene gesetzliche Vermutung, wonach Rechtsmittel eines Verteidigers im Auftrag und mit Willen des Beschuldigten eingelegt werden. Unbeschadet der Tatsache, dass der Verteidiger dabei aus eigenem Recht, und. im eigenen Namen tätig wird, handelt es sich bei dem eingelegten Rechtsmittel. um ein solches des Beschuldigten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2019 – 2 StR 181/19; Rn. 10, juris. m. w. N.).

Es spricht nichts dafür, dass die sofortige Beschwerde hier abweichend davon im eigenen (Gebühren-) Interesse des Rechtsanwalts erhoben worden ist. Im Gegenteil verfolgt das Rechtsmittel in der Sache einen Beiordnungsantrag weiter, den der Angeklagte auch selbst gestellt hatte. Die Beschwerdebegründung bezieht sich sogar ausdrücklich auf diesen Antrag des Angeklagten. Inhaltlich argumentiert der Verteidiger ebenfalls mit Interessen seines Mandanten, nämlich insbesondere mit dessen Recht auf ein faires und zügiges Verfahren.

2. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, denn die Entscheidung des Strafkammervorsitzenden ist nicht zu beanstanden….“

Wegen der Einzelheiten der Begründetheit begnüge ich mich mit dem Leitsatz, das die Entscheidung auf der Linie der obergerichtlichen Rechtsprechung liegt:

Zentrale Voraussetzung für die Bestellung eines Sicherungspflichtverteidigers nach § 144 Abs. 1 StPO ist, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert. Eine solche Bestellung ist nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat; vielmehr muss sie zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein.

Mit den Ausführungen des KG zur Statthaftigkeit kann man sicherlich gut in anderen Sachen argumentieren. Denn es ist ja nicht selten ein beliebtes „Spiel“ der StA einzuwenden, dass ein Rechtsmittel im eigenen Namen des Verteidigers eingelegt sei.