Archiv der Kategorie: Strafrecht

StGB III: Nochmal etwas zur Corona-Pandemie, oder: Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse

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Und im dritten Posting dann Nachbereitung/ strafrechtliche Aufbereitung der Corona-Pandemie. An der Stelle ist es mit der Veröffentlichung von Entscheidungen recht ruhig geworden. Der Beschluss des OLG Celle stammt auch schon aus 2022, ist aber erst jetzt veröffentlich worden. Ich will den OLG Celle, Beschl. v. 16.11.2022 – 2 Ss 137/22 – aber der Vollständigkeit halber hier doch noch – zumindest mit seinem Leitsatz – vorstellen.

Behandelt wird das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse. Das AG hatte den Angeklagten im April 2022 wegen mehrerer Fälle verurteilt. Nach den Feststellungen stellte der  als Kinder- und Jugendarzt tätige Angeklagte in der Zeit vom 01.08.2020 bis zum 05.05.2021 insgesamt 29 Gesundheitszeugnisse aus, die die darin benannten Personen von der durch verschiedene Landes-Verordnungen angeordneten Verpflichtung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, befreien sollten und die jeweils mit einem Arzt-Stempel versehen und vom Angeklagten unterzeichnet waren. Der Erstellung der Gesundheitszeugnisse lag jeweils keine vorherige Begutachtung oder körperliche Untersuchung der Personen zugrunde, obwohl dem Angeklagten bewusst war, dass eine solche zuvor durchzuführen gewesen wäre. Nach den Feststellungen des AG hatten sich die in den 29 Gesundheitszeugnissen aufgeführten Personen zuvor an den Angeklagten mit dem Ziel gewandt, eine entsprechende Befreiung von der Verpflichtung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, zu erlangen; sie zeigten die ausgestellten Gesundheitszeugnisse nach deren Anfertigung durch den Angeklagten in Schulen sowie bei Kontrollen durch die Polizei an öffentlichen Orten vor.

Zur Beweiswürdigung hatte das AG ausgeführt, der Angeklagte habe die Erstellung der 29 Gesundheitszeugnisse eingeräumt, indes die Rechtsauffassung vertreten, es handele sich nicht um Gesundheitszeugnisse, weil er in allen 29 Fällen lediglich allgemein die nach seiner Auffassung stets mit dem Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung einhergehende Beschränkung der vitalen Atmungsfunktion dargelegt habe. Zum Inhalt der Gesundheitszeugnisse hat das AG im Rahmen der Beweiswürdigung ergänzend festgestellt, dass der Angeklagte die Gesundheitszeugnisse anfänglich mit „Befreiung“ und bei Kindern und Jugendlichen mit „Fachärztliches Attest“ überschrieben habe; seit einer ihm bekannten Entscheidung des OVG Münster vom 24.09.2020 habe der Angeklagte die im Folgenden ausgestellten Gesundheitszeugnisse mit „Attest“ überschrieben und diesem jeweils eine Anlage beigefügt, die u.a. folgenden Wortlaut hatte: „Die Beschwerden, die von (Name) nachvollziehbar geäußert werden, weisen ohne Zweifel auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Stoffwechsels durch das Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) hin (…).“

Rechtlich hat das Amtsgericht die festgestellten Tathandlungen als Ausstellen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses in 29 Fällen gem. § 278 StGB in der Fassung bis einschließlich zum 23.11.2021 gewertet.

Dagegen die Sprungrevision des Angeklagten, die mit der Sachrüge Erfolg gehabt hat. Das OLG Moniert, dass es auf der Grundlage der knappen Feststellungen des AG-Urteils zum Inhalt der erstellten Gesundheitszeugnisse nicht beurteilen kann, ob diese inhaltlich unrichtig sind.

Hier dann die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Ein ärztliches Attest über die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes enthält die konkludente Erklärung des Arztes, dass eine körperliche Untersuchung der genannten Person stattgefunden hat und ist daher i.d.R. unrichtig, wenn die für die Beurteilung erforderliche Untersuchung nicht durchgeführt wurde.

2. Ist eine körperliche Untersuchung im Einzelfall unterblieben, soll das Attest aber gleichwohl „richtig“ sein, muss sich das Unterbleiben der Vornahme einer körperlichen Untersuchung aus dem Attest selbst ergeben.

StGB II: Verkehrsunfall bei einer „Polizeiflucht“, oder: Körperverletzung im Amt beim Polizeibeamten?

Die zweite StGB-Entscheidung kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 23.10.2024 – 3 ORs 28/24 – 161 SRs 9/24 – zu den Voraussetzungen pflichtwidrigen Handelns eines Polizeibeamten bei der Verfolgung eines Beschuldigten auf der Autobahn Stellung genommen. Der Beschluss ist recht umfangreich begründet, ich stelle daher hier nur die Feststellungen des LG und den Leitsatz des KG ein. Den Rest dann bitte im „Selbststudium“ lesen.

Es geht in der Entscheidung um Folgendes: Das LG hat den angeklagten Polizeibeamten vom Tatvorwurf der angeklagten (vorsätzlichen) Körperverletzung im Amt aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, nachdem das AG ihn in erster Instanz zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt verurteilt hatte. Gegenstand des Verfahrens war ein Verkehrsunfall, der sich auf der Abfahrt F-straße der Autobahn 103 in Berlin nach einer etwa fünf Minuten andauernden Polizeiflucht des Nebenklägers ereignete, nachdem sich die Verfolgung bereits über Teile der Autobahnen 115 und 100 erstreckt hatte.

Das LG hat in seinem Urteil im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Der Angeklagte und der Zeuge PK T. befuhren am Tattag gemeinsam als erfahrene Zivilstreife im Straßenverkehrsbereich in einem PKW BMW die Autobahn 115 auf Höhe der „Avus-Tribüne“, als sie den Nebenkläger auf seinem Motorrad wahrnahmen, weil dieser sie mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit rechts überholte, eine Sperrfläche überfuhr und mit hoher Geschwindigkeit in die Kurve Richtung Autobahn 100 Süd einbog. Der Angeklagte – Fahrer des Polizeifahrzeugs – und sein Kollege nahmen deshalb die Verfolgung auf, wobei sie die Videoaufzeichnung des im Fahrzeug vorhandenen ProViDa-Verkehrsüberwachungssystems sowie zusätzlich die Tonaufzeichnung im Innenraum des PKWs aktivierten. Nach etwa drei Kilometern schaltete der Zeuge PK T. Blaulicht und Martinshorn ein, um den Nebenkläger zum Verlangsamen und Heranfahren zu veranlassen. Dieser Aufforderung, die der Nebenkläger eindeutig als ihm geltend erkannte, kam er jedoch nicht nach; vielmehr erhöhte er seine Geschwindigkeit noch und fuhr teilweise – bei um etwa 9 Uhr morgens dichtem Verkehrsaufkommen – von dem Zeugen PK T. gemessene Geschwindigkeiten von 158, 167, 194 und über 200 km/h, während er ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers die Spuren wechselte, zwischen nebeneinander fahrenden PKWs auf der Fahrbahnmarkierung hindurchfuhr, dicht auf andere Verkehrsteilnehmer auffuhr und Sperrflächen querte. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug auf den befahrenen Teilen der Autobahnen zumeist 80 km/h, teilweise auch 60 km/h.

Ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers bog der Nebenkläger schließlich mit einer Geschwindigkeit zwischen 150 und 160 km/h – die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt in diesem Abschnitt 60 km/h – in die zweispurige Abfahrt F-straße ein, um die Polizeistreife im Stadtverkehr abschütteln zu können. Am Ende der Abfahrt öffnet sich neben zwei Spuren – in denen jeweils zwei Fahrzeuge hintereinander hielten – eine weitere Fahrbahn für Rechtsabbieger, die zu diesem Zeitpunkt leer war. Die am Ende der Abfahrt befindliche Lichtzeichenanlage strahlte rot ab, weshalb der Nebenkläger, der nicht selbstgefährdend in den Querverkehr geraten wollte, zunächst plante anzuhalten. Der Angeklagte folgte dem Nebenkläger in die Abfahrt, auf der dieser in die rechte Spur wechselte und sein Tempo verlangsamte. Um den Nebenkläger zu stellen, seine Identität festzustellen und ihn aus Gründen der Gefahrenabwehr an einer Weiterfahrt im normalen Straßenverkehr zu hindern, fuhr der Angeklagte mit weiterhin eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn links (in der mittleren Spur) an ihm vorbei und wechselte unmittelbar vor den an der Ampel wartenden Fahrzeugen in die freie Rechtsabbiegerspur, wo er sechs Meter vor der Haltelinie am linken Fahrbahnrad der Spur zum Stehen kam. Zwischenzeitlich hatte die Lichtzeichenanlage auf grün gewechselt. Der Nebenkläger versuchte deshalb, obwohl ihm klar war, dass die Polizeistreife ihn stellen wollte und aus diesem Grund an ihm vorbeigezogen war und den Fahrstreifenwechsel vollzogen hatte, seine Flucht fortzusetzen. Da er zuvor sein Fahrzeug nicht weiter abgebremst hatte, gelang es ihm nun nicht mehr, ohne Berührung rechts an dem Polizeifahrzeug vorbeizufahren. Hierbei streifte er dieses, verlor die Kontrolle über das Motorrad und rutschte seitlich weg. Der Nebenkläger wurde von seinem Sitz geschleudert und stürzte zu Boden, wodurch er sich eine Fraktur des Brustbeins, eine Ellenbogenschleimbeutelentzündung sowie Wunden an den Knien und Füßen zuzog.

Zur Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens hat das Landgericht festgestellt, dass der Nebenkläger dieses noch sicher hätte vermeiden können, als das Polizeifahrzeug auf der Filandastraße links an ihm vorbeizog; es hätte zu diesem Zeitpunkt noch ausreichend Zeit bestanden, das Motorrad abzubremsen und anzuhalten. Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass der Nebenkläger mit einem Spurwechsel des Angeklagten rechnen musste, weil dieser sich bislang nicht habe abschütteln lassen und es ihm offenkundig darauf ankam, den Flüchtenden zu stoppen; es sei zudem erkennbar gewesen, dass ohne den Spurwechsel die Gefahr des Auffahrens auf die auf den zwei weiteren Spuren befindlichen Fahrzeuge bestanden hätte.

Hinsichtlich des Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, dass dieser den Unfall dann hätte vermeiden können, wenn er den Nebenkläger nicht auf der Abfahrt Filandastraße überholt und ihn somit über die Rechtsabbiegerspur hätte entkommen lassen.

Weiter führt die Kammer aus, dass der Angeklagte durch sein Verhalten eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung durch die Schaffung einer Gefahrenlage begangen habe, die für ihn jedoch subjektiv nicht vorhersehbar gewesen sei. Durch das Verhalten des Nebenklägers sei zudem der Kausalverlauf aufgrund einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unterbrochen worden, weshalb der Angeklagte freizusprechen gewesen sei.“

Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Nebenklägers, die beim KG keinen Erfolg hatte:

Hier der (amtliche) Leitsatz zu der Entscheidung:

Ein Polizeibeamter handelt nicht pflichtwidrig, wenn er in Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben einen Beschuldigten verfolgt und an der Weiterfahrt hindert und es hierbei aufgrund des herausfordernden Verhaltens des Beschuldigten zu einem Verkehrsunfall kommt, bei dem dieser geschädigt wird.

StGB I: Beimischung von Heizöl zur Diesellieferung, oder: Steuerhinterziehung des Tankwagenfahrers?

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Und ich setze heute die Berichterstattung fort mit StGB-Entscheidungen.

Den Reigen eröffne ich mit dem BGH, Beschl. v. 11.09.2024 – 1 StR 304/24 – zur Frage der Steuerhinterziehung eines Tankwagenfahrers.

Das LG hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 63 Fällen verurteilt. Dagegen die Revision, die beim BGH Erfolg hatte:

„1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die bisherigen Feststellungen tragen zwar den objektiven Tatbestand einer täterschaftlich verwirklichten Steuerhinterziehung, nicht jedoch die Annahme, der Angeklagte habe insoweit vorsätzlich gehandelt.

a) Der Angeklagte war im Tatzeitraum als angestellter Tankwagenfahrer in dem Betrieb des früheren, zwischenzeitlich verstorbenen Mitangeklagten tätig. Als das Unternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage geraten war, fasste der frühere Mitangeklagte spätestens Anfang 2015 den Entschluss, den Angeklagten und weitere angestellte Kraftfahrer anzuweisen, Diesellieferungen verdeckt Heizöl beizumischen. Die Kunden sollten so veranlasst werden, für die gesamte bezogene Menge den höheren Preis für Diesel inclusive der im Vergleich zum Heizöl deutlich höheren Energiesteuer zu entrichten. Die Preisdifferenz zwischen dem tatsächlich gelieferten Heizöl und dem Diesel sowie der Steuervorteil, der daraus resultierte, dass der frühere Mitangeklagte für den beigemischten Anteil an Heizöl auch nur die insoweit anfallende – gegenüber Diesel merklich niedrigere – Energiesteuer abführte, sollten den Fortbestand des Unternehmens und damit auch des Arbeitsplatzes des Angeklagten sowie der weiteren Angestellten sichern.

Der Angeklagte kam dieser Anweisung seines Vorgesetzten nach und mischte in der Zeit von 26. Januar 2016 bis 27. April 2017 bei 63 Lieferungen Diesel jeweils einen Anteil zwischen 3,044 und 8,3 Prozent Heizöl bei. Er war sich dabei bewusst, dass die Beimischung von Heizöl aus steuerrechtlichen Gründen verboten ist. Das hierdurch bedingte Entstehen einer besonderen Steuerlast, für die zumindest der frühere Mitangeklagte als Verantwortlicher des Unternehmens anmeldepflichtig war, hielt er für möglich und nahm billigend in Kauf, dass sein Chef durch die Verletzung seiner Anmeldepflicht Steuern in erheblichem Umfang verkürzte. Dass der Angeklagte auch mit der Möglichkeit rechnete, selbst anmeldepflichtig zu sein, hat die Strafkammer indes nicht festgestellt.

b) Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 63 in Mittäterschaft begangenen Taten der Steuerhinterziehung verurteilt ( § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO , § 25 Abs. 2 StGB , § 21 Abs. 1 Satz 1 , Abs. 2 Satz 1 und 4 EnergieStG , § 46 Abs. 1 , § 48 Abs. 1 Nr. 1a Verordnung zur Durchführung des Energiesteuergesetzes [EnergieStV]). Es ist dabei davon ausgegangen, der Angeklagte habe bezogen auf die Anmeldepflicht des Mitangeklagten nach § 21 Abs. 2 Satz 1 EnergieStG , § 46 Abs. 1 , § 48 Abs. 1 Nr. 1a EnergieStV mit dem früheren Mitangeklagten mittäterschaftlich eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begangen.

c) Die Urteilsfeststellungen tragen im Ergebnis den objektiven Tatbestand einer in Mittäterschaft begangenen Steuerhinterziehung durch Unterlassen ( § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO , § 25 Abs. 2 StGB ).

Zwar hat das Landgericht übersehen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nur derjenige sein kann, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2013 – 1 StR 586/12 , BGHSt 58, 218 Rn. 52 und 64 mwN), mithin täterschaftliches Handeln des Angeklagten in Bezug auf die Anmeldepflicht des früheren Mitangeklagten nicht in Betracht kommt.

Es ist jedoch im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die Anmeldepflicht nach § 21 Abs. 1 Satz 1 , Abs. 2 Satz 1 und 4 EnergieStG neben den Mitangeklagten auch den Angeklagten trifft. Denn Steuerschuldner nach § 21 Abs. 1 Satz 1 , Abs. 2 Satz 1 EnergieStG ist jeder, der die in § 21 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG genannten Handlungen (Bereithalten, Abgeben, Mitführen oder Verwenden) vornimmt. Verwirklichen mehrere Personen bezogen auf dasselbe Energieerzeugnis die genannten Handlungen, so entsteht die Steuer mehrfach; die Täter haften als Gesamtschuldner ( § 21 Abs. 2 Satz 2 EnergieStG ). Der Angeklagte gab das Diesel-Heizölgemisch ab und war daher Steuerschuldner nach § 21 Abs. 2 Satz 1 EnergieStG .

d) Da die Urteilsfeststellungen indes nicht belegen, dass der Angeklagte auch in Bezug auf seine eigene Anmeldepflicht vorsätzlich handelte, hält der Schuldspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Urteil unterliegt daher der Aufhebung. Hiervon nicht betroffen sind die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die bestehen bleiben ( § 353 Abs. 2 StPO ).“18 Rn. 52 und 64 und vom 22. September 2021 – 1 StR 345/19 Rn. 40 jeweils mwN).

StGB III: Tatbestandsmerkmal des „Verbreitens“, oder: Versand an eine Behörde ist nicht immer „Verbreiten“

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Und dann als letzte Entscheidung noch ein BGH-Urteil, und zwar das BGH, Urt. v. 25.09.2024 – 3 StR 32/24 -, in dem der BGH zum Verbreiten i.S. des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB Stellung genommen hat.

Das LG hat die Angeklagte vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zuungunsten der Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision, die vom GBA vertreten wird.

In seiner Entscheidung hatte das LG folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Die bereits zweifach wegen Volksverhetzungsdelikten zu Freiheitsstrafen verurteilte Angeklagte schickte im Oktober 2021 per Telefax ein 339-seitiges Schreiben an das Finanzamt M. zu sie betreffenden Steuernummern. Zu Beginn des Schreibens führte sie aus, dass drei im Vormonat ergangene Bescheide weder sachlich noch rechtlich berechtigt seien. Darüber hinaus befasste sie sich unter anderem mit Corona-Maßnahmen und über mehr als fünfzig Seiten mit der „Verfolgung sogenannter „Holocaustleugner‘“. Hierbei stellte sie den geschichtlich anerkannten Holocaust mehrere Male bewusst in Abrede. An anderer Stelle schrieb sie: „Der Hinweis auf Verbrechen von Immigranten bzw. Ausländern gegenüber Deutschen, wird als ‚Haßrede‘ bezeichnet und u.U. wegen „Volksverhetzung‘“bestraft. Tatsache ist, daß von Immigranten bzw. Ausländern viele schwerwiegende Verbrechen begangen werden.“ Ferner diskreditierte sie bewusst und gewollt Menschen aus anderen Ländern pauschal als Straftäter und stellte sie gezielt aufgrund ihrer Herkunft in einen vermeintlichen Gegensatz zu deutschen Staatsangehörigen. Das Schreiben endete mit einem den Leser ansprechenden Absatz: „Soweit die ausführliche Begründung. Vielleicht sind Sie der Meinung, um die Hintergründe Ihrer Tätigkeit bräuchten Sie sich keine Gedanken zu machen, da dies nicht in Ihren ‚Zuständigkeitsbereich‘ fällt. […] Was sind Sie bereit, für Wahrheit und Recht und ein Leben in Freiheit einzusetzen?“

Die Angeklagte ging bei Einreichen des Schreibens davon aus, dass es als Einspruch behandelt werde und sich daher nur die mit dem Steuervorgang befassten Personen, namentlich der jeweilige Sachbearbeiter, gegebenenfalls ein Vertreter und Vorgesetzte, damit inhaltlich befassen könnten. Sie zielte darauf ab, durch den Umfang ihrer Ausführungen die Sachbearbeitung zu erschweren, und rechnete damit, dass das Schreiben nicht im vollständigen Wortlaut zur Kenntnis genommen, sondern nur kursorisch geprüft werde. Mit der Weitergabe an einen größeren Mitarbeiterkreis innerhalb des Finanzamts oder an Personen außerhalb der Behörde, möglicherweise abgesehen von weiteren Prüfungen durch Finanz- oder Strafverfolgungsorgane, rechnete sie weder, noch zielte sie darauf ab.

2. Die Strafkammer hat dies rechtlich dahin gewertet, dass die Angeklagte zwar den unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord an den europäischen Juden als historische Tatsache geleugnet habe. Allerdings liege keine Tathandlung nach § 130 Abs. 3 oder Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung vor. Insbesondere fehle für ein Verbreiten die dazu erforderliche subjektive Komponente. Die Ausländer betreffende Äußerung unterfalle inhaltlich § 130 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c StGB, sei jedoch ebenfalls nicht verbreitet worden. Für eine Strafbarkeit fehle es im Übrigen auch an der Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören.“

Die Revision hatte beim BGH keinen Erfolg. Der folgt dem LG. Hier die Leitsätze zu der recht umfangreich begründeten Entscheidung:

1. Obschon bei der Übersendung eines Schreibens an eine Behörde einerseits nicht allgemein ausgeschlossen ist, dass der Absender eine breite Streuung – gegebenenfalls bloß innerhalb der Behörde – beabsichtigt und mithin ein Verbreiten i.S. des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB gegeben sein kann, führt dies andererseits nicht dazu, den Versand an eine Behörde regelmäßig als Verbreitung zu bewerten. Entscheidend sind vielmehr die im Einzelfall getroffenen Feststellungen.

2. Kommt es dem Verfasser eines Schreibens nicht auf die Weitergabe an andere Personen als den Empfänger an, muss es sich zur Erfüllung des Bestandsmerkmal des Verbreitens bei den von ihm für möglich gehaltenen Empfängern um eine nicht mehr zu kontrollierende Personenzahl handeln.

3. Die Möglichkeit, dass einer der Empfänger eines Schreibens den Inhalt zur Prüfung der Strafbarkeit an Strafverfolgungsbehörden weiterleitet, eröffnet – zumindest ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände – keinen unkontrollierbaren Empfängerkreis.

StGB II: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, oder: „Volksverhetzung“ auf dem Schützenfest?

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Und im zweiten Posting spielen dann das Lied/die Melodie „L’amour toujours“ eine Rolle und der dazu gewählte Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Das war auf einem Schützenfest „gesungen“ (?) worden. Die Staatsanwaltschaft hatte deswegen gegen die zur Tatzeit 16 bzw. 17 Jahre alten Angeschuldigten Anklage wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zum Jugendrichter burg erhoben. Der hatte die Eröffnung des Verfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das jedoch beim LG Oldenburg mit dem LG Oldenburg, Beschl. v. 12.12.2024 – 6 Qs 160 Js 40980/24 (55/24) jug . – keinen Erfolg hatte:

„Die Entscheidung des Amtsgerichts ist auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung nicht zu beanstanden. Sie hat mit umfangreicher und abgewogener Argumentation zutreffend dargetan, dass im vorliegenden Fall unter den konkreten Bedingungen aus rechtlichen Gründen kein hinreichender Tatverdacht im Hinblick auf eine Strafbarkeit gem. § 130 Abs. 1 StGB besteht.

Durch die Verwendung der streitgegenständlichen Äußerung im Rahmen der gegebenen Umstände liegt unter Berücksichtigung der grundgesetzlichen geschützten Meinungsfreiheit weder ein strafbares Aufstacheln zum Hass noch eine strafbare Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen vor.

Nach gesicherter Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.02.2010 – 1 BvR 369/04 m.w.N.), fallen Äußerungen wie die hier streitgegenständliche in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Meinung ist jedes Werturteil, gleichgültig, worauf es sich bezieht und welchen Inhalt es hat; es ist auch unerheblich, ob die Meinung vernünftig oder unvernünftig, wertvoll oder wertlos ist. Die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ ist ohne Weiteres als wertende Stellungnahme und damit als Meinung zu qualifizieren. Als solche genießt sie den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme. Sie verliert diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert wird. Geschützt sind damit durchaus auch rechtsextremistische Meinungen, das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet, denn es findet seine Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG), zu denen unzweifelhaft auch § 130 StGB zählt.

Aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsfreiheit sind die allgemeinen Gesetze in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung ihrerseits wiederum einschränkend auszulegen (sog. Wechselwirkungslehre) und im Falle der Mehrdeutigkeit einer Äußerung ist bei der Gesetzesanwendung die dem sich Äußernden günstigere Deutung zugrunde zu legen (vgl. BVerfG, a.a.O.; Beschl. v. 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08).

Der BGH (Urt. v. 03.04.2008 – 3 StR 394/07; Urt. v. 15.03.1994 – 1 StR 179/93; Urt. v. 19.01.1989 – 1 StR 641/88) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass allein die Verletzung der Ehre einer Person nicht als ein Angriff auf die Menschenwürde einzuordnen ist, weil dies nicht ohne Weiteres den Achtungsanspruch des anderen als Mensch abspricht. Es ist vielmehr erforderlich, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird. Der Angriff muss sich mithin gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit und nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte richten. Dies hat das BVerfG (Beschl. v. 04.02.2010 – 1 BvR 369/04 m.w.N.) für die Anwendung von § 130 StGB a.F. gebilligt und nicht beanstandet. Es hat vielmehr festgestellt, dass bei der Subsumtion der Parole „Ausländer raus“ unter den Volksverhetzungstatbestand grundsätzlich eine restriktive Auslegung vorzunehmen ist, indem nur unter Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde auszugehen ist.

Unter den konkreten Bedingungen ist danach die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden, denn weder rechtfertigt der konkrete Wortlaut der relevanten Äußerung ein Abweichen von den einschlägigen Entscheidungen noch erscheint es angezeigt, aktuell aufgrund des Zeitablaufs eine andere Beurteilung vorzunehmen. Vor allem rechtfertigt nicht die von der Beschwerdeführerin bemühte Herkunft der Formulierung eine neue Bewertung, selbst wenn sich die früher typischen Erscheinungsmerkmale rechtsradikaler Erscheinung (etwa Bomberjacke, Glatze, Springerstiefel, Fackelmärsche usw.) geändert haben mögen. Auch im Hinblick auf die hier relevante Äußerung ist davon auszugehen, dass der Tatbestand der Volksverhetzung durch Aufstachelung zum Hass regelmäßig allein beim Hinzutreten weiterer Umstände wie bedrohliches Auftreten, einer Bezugnahme auf den Nationalsozialismus oder sonstiges rassistisches Gedankengut oder Verächtlichmachen der betroffenen Bevölkerungsgruppe erfüllt ist (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.11.2001 – 1 Ss 52/01; LG Magdeburg, Urt. v. 09.08.20217 – 26 Ns 3/17; AG Rathenow, NStZ-RR 2007, 341; Fischer, a.a.O., Rn. 9, 10a m.w.N.). Daran fehlt es aber hier in jeglicher Hinsicht, was bekanntlich auch die Staatsanwaltschaft veranlasst hat, in ihrer Verfügung vom 24.06.2024 selbst darauf hinzuweisen, dass singende Menschen auf Partys, Feiern und Volksfesten, die regelmäßig mit einer gelöst-fröhlichen Stimmung in Verbindung gebracht werden, gerade keinen offensichtlich aggressiven, nationalistischen und ausländerfeindlichen Eindruck erwecken.

Unter den hier relevanten Bedingungen können die Äußerungen „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ auch bei ihrer gemeinsamen Verwendung nach ihrem objektiven, durch Auslegung unter Berücksichtigung aller hierfür bedeutsamen Umstände zu ermittelnden Erklärungswert nur als Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, verstanden werden. Dass durch die Äußerung der vorgenannten Parolen zugleich auch eine gewaltsame und willkürliche Vertreibung propagiert wird und die Äußerung auch deshalb als Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen verstanden werden muss, ist nicht zwingend. Wie bereits dargestellt, müssen Meinungen im Sinne und zum Schutz der Meinungsfreiheit gerade meinungsfreundlich ausgelegt werden. Es kann gerade ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht einfach unterstellt werden, dass eine Entfernung von Ausländern etwa mit unzulässigen Mitteln oder unter Gefährdung des öffentlichen Friedens angestrebt wird. Denn selbst bei feindseligen Parolen wie „Ausländer raus“ drängt sich dem objektiven Empfänger eine konkludente Aufforderung zu Willkürmaßnahmen als unabweisbare Schlussfolgerung nicht auf (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Dabei ist entgegen der Beschwerdebegründung in der Gesamtschau durchaus auch zu berücksichtigen, dass sich das fragliche Geschehen im Festzelt eines Schützenfestes zugetragen hat und die beiden jugendlichen Angeschuldigten zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht unerheblich alkoholisiert waren.

2. Ohnehin hat sich auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht aufgedrängt, dass es hier dem Wohl der Angeschuldigten dienen würde, bereits vor Vorliegen eines Jugendgerichtshilfeberichts Anklage zu erheben. Eine bloße Vereinbarkeit mit dem Wohl des Jugendlichen allein reicht nicht aus, vielmehr muss die Anklageerhebung ohne vorherigen Bericht das Kindeswohl gerade fördern, d.h. wenn hierdurch nicht nur ganz unerhebliche Belastungen vermieden werden (vgl. BeckOK JGG/Gertler, 34. Ed. 1.8.2024, § 46a Rn. 7). Abzuwägen sind demnach regelmäßig die jeweiligen Vor- und Nachteile, die sich aus der Vorlage des Berichts vor der Entscheidung über die Anklageerhebung ergeben können. Dies können namentlich auch die Anregung der Jugendgerichtshilfe sein, das Verfahren gem. § 45 einzustellen (BT-Drs. 19/13837, 53), oder sonstige Umstände, die für ein Absehen von der Anklageerhebung sprechen könnten (BeckOK JGG/Gertler, a.a.O. Rn. 9). Dies gilt hier umso mehr, als die Polizei mit beiden Angeschuldigten im Rahmen der verantwortlichen Beschuldigtenvernehmung bereits ein erzieherisches Gespräch durchgeführt hat, bei dem diese sich einsichtig gezeigt und glaubhaft versichert haben, sich von derartigen Äußerungen zu distanzieren und zukünftig unterlassen zu wollen.“