Heute stelle ich am RVG-Tag zwei LG Entscheidungen vor. Beide befassen sich u.a. mit der (richtigen) Bemessung von Rahmengebühren, beide Entscheidungen sind unschön. Aber da muss man dann heute eben durch.
Ich beginne mit dem besonders unschönen LG Münster, Beschl. v. 14.06.2024 – 12 Qs 16/24 -, der schon länger in meinem Blogordner hängt. Heute muss es dann sein.
Dem Betroffenen ist im Bußgeldverfahren Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zur Last gelegt worden. Gegen ihn wurde eine Geldbuße von 115 EUR festgesetzt. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene Einspruch ein. Die Bußgeldbehörde übersandte den Vorgang sodann an die Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Weiterleitung an das AG zur Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch und zugleich gemäß § 69 OWiG. Der Vorgang ging am 03.08.2023 bei der Staatsanwaltschaft ein. Mit Verfügung vom 11.10.2023 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren unter Hinweis auf die zwischenzeitlich eingetretene Verfolgungsverjährung ein. Nach einem Kostenantrag des Verteidigers legte die Staatsanwaltschaft den Vorgang dem AG unter Hinweis darauf vor, dass die Einstellung nicht möglich gewesen sei. Durch Beschluss vom 15.12.2023 stellte das AG dann das Verfahren gemäß § 206a StPO unter Hinweis auf die eingetretene Verfolgungsverjährung auf Kosten der Staatskasse ein und erlegte die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auf.
Der Verteidiger hat Kostenfestsetzung in Höhe von 2.370,92 EUR beantragt. Er hat u.a. auch die Festsetzung einer Verfahrensgebühr gem. Nr. 5109 VV RVG und einer zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115, 5109 VV RVG, jeweils in Höhe der Mittelgebühr in Höhe von 176 EUR beantragt. Zudem hat er u.a. Erstattung sonstiger Auslagen gem. Nr. 7006 VV RVG, und zwar Sachverständigenkosten für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens betreffend das Messverfahren geltend gemacht. Die Rechtspflegerin hat nur zum Teil festgesetzt, und zwar nur 474,09 EUR, nämlich nur die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG nur in Höhe von 33,00 EUR (sic!!), die Nr. 5115 VV RVG und die Festsetzung von Sachverständigenkosten hat sie abgelehnt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen hatte überwiegend keinen Erfolg.
Ich erspare mir und den Lesern jetzt das Einstellen der falschen Begründungsausführungen des LG und verweise insoweit auf den verlinkten Volltext und das „Selbstleseverfahren“.
Hier reichen die Leitsätze:
1. Bei durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten können im Regelfall nur unter den Mittelgebühren liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden.
2. Für das Entstehen der Gebühr Nr. 5115 VV RVG ist es nicht ausreichend, wenn das Verfahren ausschließlich von Amts wegen eingestellt wird.
3. Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens sind– ausnahmsweise – als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex-ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre. Es müssen aber von Seiten des Betroffenen entweder zum Zeitpunkt der Gutachtenbeauftragung oder später Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit der Messung vorgetragen werden, die ihn ex ante dazu veranlasst haben könnten, ein solches Gutachten einzuholen. Das gilt auch bei einem standardisierten Messverfahren.
Und dann ist anzumerken:
Nachdem ich die Entscheidung gelesen hatte, musste ich, bevor dann dazu Stellung genommen habe, erst Zeit verstreichen lassen, um mich zu beruhigen. Denn dem LG ist in allen angesprochenen Punkten zu widersprechen. Die Nonchalance, mit der sich das LG über anders lautende Rechtsprechung hinwegsetzt, ist schon bemerkenswert und auch „bewundernswert“. Teilweise wird sie noch nicht einmal erwähnt. Aus Platzgründen will ich nur kurz auf Einzelheiten eingehen, zumal zu den entscheidungserheblichen Fragen in früheren Entscheidungsanmerkungen schon einiges gesagt ist. Zudem macht es auch keinen Spaß mehr, immer wieder gegen die gerichtliche Ignoranz in Gebührenfragen anzurennen und zu schreiben.
Der Ansatz der LG hinsichtlich der Bemessung der Rahmengebühr, es sei nicht grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1795 ff. mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung), und zwar auch im Bußgeldverfahren (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 Rn 54 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Mag man das noch hinnehmen, weil der konkrete Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren nur pauschal dargestellt wird, ist dann der Ansatz nur der Mindestgebühr (sic!) ein Schlag ins Gesicht. Will das LG wirklich behaupten, dass es ich bei der Tätigkeit des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren um die geringst mögliche Tätigkeit gehandelt hat? Denn nur dann wäre der Ansatz der Mindestgebühr gerechtfertigt (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1802). Das hätte man dann aber auch begründen können, zumal die Übrigen Umstände: Höhe der Geldbuße, ein Punkt im FAER usw. nicht nur für die Mindestgebühr sprechen. Ob die Mittelgebühr, wie vom Verteidiger beantragt, angemessen gewesen wäre, mag in dem Zusammenhang dahinstehen. Jedenfalls ist aber der Ansatz der Mindestgebühr in keiner Weise nachvollziehbar, um nicht zu sagen: Willkürlich.
Auch bei den Ausführungen zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG vermisst man gebührenrechtliche Kenntnisse des LG. Die werden durch schlichte Behauptungen ersetzt. Denn: Entgegen der Ansicht des LG muss die Tätigkeit des Verteidigers nicht ursächlich für die Einstellung gewesen sein, sie muss nur die Beendigung des Verfahrens gefördert haben. Und das lässt sich ja nun wohl nicht bestreiten. Denn die Tätigkeit des Verteidigers hat zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft geführt, wo dann das Verfahren offensichtlich so außer Kontrolle geraten ist, dass wegen Verjährung eingestellt worden ist. Warum soll das nicht zur Nr. 5115 VV RVG führen? Der Verteidiger kann und darf alles Erlaubte tun, um eine Verurteilung des Betroffenen/Angeklagten aufgrund einer Hauptverhandlung zu vermeiden. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte das dann hinterher zu bewerten und gebührenrechtlich (sic!) zu sanktionieren. Warum das LG das anders sieht oder meint anders sehen zu können, bleibt im Dunklen.
Wegen der Erstattung der Sachverständigenkosten verweise ich zunächst auf meinen Beitrag in AGS 2023, 193 mit einer Zusammenstellung der Rechtsprechung und Darstellung der maßgeblichen Fragen; den findet man auf meiner HP im Volltext. Auch hier ist zu beanstanden, dass das LG nicht darlegt, warum denn nun die andere, von seiner Auffassung abweichende Rechtsprechung mehrerer LG nicht zutreffend ist und warum man sich dem nicht anschließt. Zudem habe ich erhebliche Zweifel, ob das Wirken des Verteidigers und das nicht Tätigwerden des AG nicht ausreichend war, um darauf gegründet, doch ein privates Sachverständigengutachten einzuholen. Dass dann das Verfahren wegen Verjährung eingestellt worden ist, kann man dem Verteidiger/Betroffenen wegen des bei der Staatsanwaltschaft liegenden Verfahrensmangels nicht anlasten.
Insgesamt: Gewogen und ganz erheblich zu leicht befunden, um nicht zu sagen: Erschreckend.