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Schadensersatz nach VW-Skandal, oder: Beim Kauf eines Gebrauchwagens kein Ersatz

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zunächst zwei Entscheidungen zum VW-Dieselskandal, sicherlich einer, wenn nicht der, zivilrechtliche Dauerbrenner der letzten Jahre.

Offen war aus dem entstandenen Fragenkomplex noch die Frage, wie es um Schadensersatzansprüche steht nach dem Kauf eines Gebrauchtwagens von VW nach Bekanntwerden des Dieselskandals. Dazu nimmt dann jetzt der BGH, Beschl. v. 09.03.2021 – VI ZR 889/20 – Stellung.

Nach dem Sachverhalt hatte der Kläger im September 2016 von VW einen gebrauchten VW Tiguan 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet war, erworben. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten.

Vor dem Erwerb des Fahrzeugs hatte die beklagte VW-AG in einer Ad-hoc-Mitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Kontakt stehe. Das KBA wertete die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte, die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge durch geeignete Maßnahmen wiederherzustellen. In der Folge stellte die VW-AG bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereit, das im Dezember 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde.

Der Kläger hat dann behauptet, dass mit dem Software-Update eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines „Thermofensters“ implementiert worden sei. Außerdem habe das Update negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß des Fahrzeugs. Mit seiner Klage verlangt er Kläger von VW im Wesentlichen die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde will der Kläger die Zulassung der Revision erreichen. Er hatte keinen Erfolg.

Dazu folgende Leitsätze des BGH – wobei der erste mit einem verfahrensrechtlichen Problem zu tun hat:

  1. War im Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ein Zulassungsgrund gegeben und ist dieser zwischenzeitlich durch eine Entscheidung des BGH in anderer Sache entfallen, ist die Revision zuzulassen, wenn dem Rechtsmittel Erfolgsaussichten beizumessen sind.

  2. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen.

  3. Zur Frage, ob das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handeln-den Personen in der gebotenen Gesamtbetrachtung als sittenwidrig zu qualifizieren ist, wenn mit dem zur Beseitigung einer unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware entwickelten Software-Update eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems(Thermofenster) implementiert wird.

Und als zweite Entscheidung aus dem Kompex weise ich hin auf das LG Münster, Urt. v. 26.02.2021 – 8 O 208/20. Das LG hat über die Schadensersatzklage nach einem Gebrauchwagenkauf gegen einen Dritten, also nicht die VW-AG. Dazu das LG mit folgenden Leitsätzens:

1. Ein Anspruch aus § 852 BGB kommt in Fällen des sogenannten Abgasskandals (Dieselskandals) jedenfalls dann nicht gegen die Herstellerin eines Motors der Baureihe EA 189 in Betracht, wenn die klagende Partei das Fahrzeug nicht von der Herstellerin selbst, sondern von einem Dritten erworben hat und dieser Dritte nicht infolge des Verkaufs des Fahrzeugs an die klagende Partei seinerseits eine Leistung an die Herstellerin erbracht hat.

2. Im Falle einer Zahlungsklage gerichtet auf eine Zug-um-Zug-Verurteilung, bei der die Zug-um-Zug-Leistung ihrerseits in einer Geldzahlung besteht, reduziert sich der Streitwert der Zahlungsklage um eben diese Geldzahlung.

Pflichti II: Anklage beim JugSchöffG, oder: Die gesetzliche Regelung ist klar/eindeutig

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Die zweite Entscheidung des Tages stammt aus Westfalen 🙂 , nämlich vom LG Münster. Das hat im LG Münster, Beschl. v. 07.09.2020 – 21 Qs 12/20 – noch einmal zur Frage der Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs.1 Nr. 1 StPO in den Fällen der Anklageerhebung beim Jugendschöffengericht Stellung genommen.

Das AG Coesfeld hatte den Antrag des Kollegen Urbanzyk auf Beiordnung als Pflichtverteidiger mit der Begründung, es liege kein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 und Abs. 2 StPO vor, insbesondere sei ungeachtet der Anklage beim Jugendschöffengericht nicht mit der Verhängung einer Jugendstrafe zu rechnen (§ 68 Nr.5 JGG) und die Sach- und Rechtslage sei nicht schwierig, zurückgewiesen.

Das sieht das LG – zutreffend – anders:

„Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor.

Gemäß § 140 Abs.1 Nr. 1 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn zu erwarten ist, dass die Verhandlung vor dem Schöffengericht stattfindet. Diese Erwartung ist im Zwischenverfahren zu bejahen, wenn Anklage zum Schöffengericht erhoben wird (BeckOK StPO § 140 Rn.5, Meyer-Goßner/Schmidt 63.Auflagen, StPO § 140 Rn.11 b). Sie entfällt, wenn nicht vor einem der in § 140 Abs.1 Nr.1 StPO genannten Gerichte eröffnet wird.

Diese Vorschrift findet nach der klaren Regelung des § 68 Abs.1 Nr. 1 JGG auch im Verfahren gegen Jugendliche uneingeschränkt Anwendung, so dass auch vor dem Jugendschöffengericht eine Verteidigung stets erforderlich ist. Eine Reduktion der Vorschrift des § 68 Abs.1 Nr.1 JGG bei Anklageerhebung vor dem Jugendschöffengericht auf Fälle des § 68 Abs.1 Nr.5 JGG lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen (Eisenberg/Körbel, 21.Auflage JGG § 68 Rn.21a).

Ausgehend davon ist dem Angeklagten im vorliegenden Verfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Staatsanwaltschaft Münster hat in beiden Verfahren Anklage zum Jugendschöffengericht erhoben. Jedenfalls solange das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Coesfeld das Verfahren nicht vor dem Jugendrichter eröffnet hat, liegen damit die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung vor. Dem Angeklagten pp. ist daher Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen.“

Ebenso hat ja bereits das LG Saarbrücken im LG Saarbrücken, Beschl. v. 11.02.2020 – 3 Qs 11/20 – entschieden (dazu Kessel Buntes I: Jugendschöffengericht ist “Schöffengericht”, oder: Pflichtverteidiger (auch) im JGG-Verfahren).

Pflichti II: „Sozialnazi“ – Schmähkritik?, oder- Jedenfalls rechtlich schwierig.

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, kommt mit dem LG Münster, Beschl. v. 06.08.2020 – 11 Qs-82 Js 6977/18-42/20 – auch aus dem OLG Hamm-Bezirk. Im Verfahren wird dem Angeklagten eine Beleidigung vorgeworfen. Der Kollege Urbanzyk, der mir den Beschluss geschickt hat, teilt zum Sachverhalt, der sich aus dem LG-Beschluss ergibt, mit:

„Streit in einer Obdachlosenunterkunft. Mitarbeiter der Stadt fordert Person auf, Zimmer dort zu beziehen. Später will Freund der Person mit Beamtem den Vorfall diskutieren. Der Beamte verweigert Gespräch. Der Freund ist verärgert, nennt den Beamten im Weggehen einen “Sozialnazi“.

Das LG sagt: In diesem Fall braucht der Angeklagte einen Pflichtverteidiger:

„DerBeschluss beruht auf § 140 Abs. 2 StPO. Danach liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung u.a. dann vor, wenn wegen der Schwierigkeit der Rechtslage ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Eine schwierige Rechtslage besteht u.a. dann, wenn solche Rechtsfragen zu entscheiden sind, deren Beantwortung selbst unter Strafverfolgungsbehörden umstritten ist (vgl. Julius/Schiemann in GerckefJulius/Temming/Zöller, StPO, 6. Auflage 2019, Rn. 18 zu § 140). Eine solche Rechtslage ist hier gegeben.

Zur Beantwortung der Frage, ob es sich im Falle unsachlicher und ehrverletzender Äußerungen gegenüber staatlichen Bediensteten noch um zulässige Formen der Meinungsfreiheit oder um herabsetzende Formalbeleidigungen bzw. Schmähkritik handelt, bedarf es einer sorgfältigen Prüfung von Anlass und Kontext einer Äußerung und der anschließenden Wertung, inwieweit ein sachliches Anliegen bzw. die persönliche Kränkung im Vordergrund steht (vgl. BVerfG, BeckRS 2020, 12825). Dass auch Juristen die zutreffende Einordnung und Wertung erhebliche Schwierigkeiten bereitet, ergibt sich bereits aus den zahlreichen auch in letzter Zeit zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen des BVerfG (vgl. u.a. BVerfG a.a.O.; BeckRS 2020, 12819; BeckRs 2020, 12823; BeckRs 2020, 12825; NJW 2019, 2600): Vor diesem Hintergrund ist die Beiordnung eines Verteidigers zur Ermöglichung einer sachgerechten Verteidigung unter dem Gesichtspunkt des „fairen Verfahrens“ geboten. „

„unter dem Gesichtspunkt des „fairen Verfahrens“ geboten“? – ich würd eher sagen: Rechtlich schwierig.

Durchsuchung II: „Der Durchsuchungsbeschluss, was muss man beachten?“, oder: Grundkurs beim LG

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Die zweite „Durchsuchungsnetscheidung“ ist eine instanzgerichtliche des LG Münster. Die hat mir der Kollege Urbanzyk aus Coesfeld geschickt mit der Anmerkung: Die Entscheidung stammt von seinen Mandanten, die sie selbst „erstritten“ habe und mit einer Veröffentlichung einverstanden sind.

Die Mandanten hatte gegen einen Durchsuchungsbeschluss des AG Bocholt, der in einem Verfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz ergangen ist, Beschwerde eingelegt. Und sie hatten damit auf ganzer Linie Erfolg. Das LG macht dem anordnenden AG einen kleinen Grundkurs unter dem Thema: „Der Durchsuchungsbeschluss, was muss man beachten?“. Zudem macht das LG in dem LG Münster, Beschl. v. 28.04.2020 – 10 Qs 10/20 – Ausführungen zur Zuständigkeit des LG als Beschwerdegericht, die ich hier aber mal außen vor lasse. Hier nur der „Grundkurs“:

„3. Die Beschwerden haben auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Borken vom 05.02.2020 ist – sowohl im Hinblick auf die angeordnete Durchsuchung als auch im Hinblick auf die angeordnete Beschlagnahme – schon deshalb rechtswidrig, weil er den formellen Anforderungen nicht genügt. Insbesondere fehlt es an einer zureichenden und einzelfallbezogenen Begründung i.S.d. § 34 StPO, wobei dieser Mangel im Beschwerdeverfahren nicht mehr geheilt werden kann.

a) Art. 13 Abs.1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Hierdurch erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in den mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird. Entsprechend dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre behält Art. 13 Abs.2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vor. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.07.2016, Az. 2 BvR 1710/15 — beck online).

Der Richter hat die Durchsuchungsvoraussetzungen, insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, nach Aktenlage eigenverantwortlich zu prüfen. Dieses muss der Beschluss zur Erfüllung der Rechtsschutzfunktion des Richtervorbehalts nach Art. 13 Abs.2 GG auch erkennen lassen. Erforderlich ist eine konkret formulierte, formelhafte Wendungen vermeidende Anordnung, die zugleich den Rahmen der Durchsuchung abstecken und eine Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht ermöglichen kann. Der Tatvorwurf muss im Durchsuchungsbeschluss, soweit ohne Gefährdung des Ermittlungszwecks möglich, mittels Angaben über den tatsächlichen Lebenssachverhalt so genau wie möglich beschrieben werden, damit der äußere Rahmen, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist, abgesteckt wird. Darüber hinaus ist die Benennung von den Tatvorwurf stützenden Verdachtsgründen erforderlich, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Art und vorgestellter Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, sowie deren potenzielle Beweisbedeutung sind darzustellen. Schließlich muss der Beschluss erkennen lassen, dass sich der Richter von der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im engeren Sinne überzeugt hat. Sie muss im konkreten Fall zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Die Maßnahme muss zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. MüKo/Hauschild, 1. Auflage 2014, § 105 Rn 16 ff).

b) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Borken vom 05.02.2020 in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.

aa) Es lässt sich schon nicht sicher feststellen, auf welcher rechtlichen Grundlage die Durchsuchung angeordnet wurde, da die Begründung des angefochtenen Beschlusses widersprüchlich ist. Wie bereits dargelegt, führt das Amtsgericht Borken einerseits aus, dass die Entscheidung auf §§ 102, 105 StPO beruhe, wobei insoweit bereits der Verweis auf § 46 OWiG fehlt, der die Vorschriften der Strafprozessordnung im Ordnungswidrigkeitenverfahren für anwendbar erklärt. Andererseits heißt es in dem angefochtenen Beschluss, dass Ermächtigungsgrundlage für das unangekündigte Betreten und Durchsuchen „§§ 16, 16 a, 24 Abs.3 Tiergesundheitsgesetz in Verbindung mit der VVVO“ seien. Vor diesem Hintergrund wird — insbesondere auch für die Beschuldigten — die Rechtsgrundlage für die angeordnete Durchsuchung schon nicht hinreichend deutlich.

bb) Überdies erfolgt keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der §§ 102, 105 StPO. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses besteht zu weiten Teilen aus der bloßen Widergabe des Akteninhalts und der Nennung von Rechtsnormen. Durch welches konkrete Verhalten die Beschuldigten zu welchem Zeitpunkt welche konkrete Ordnungswidrigkeit begangen haben sollen, lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht hinreichend deutlich entnehmen.

cc) Der angefochtene Beschluss lässt außerdem nicht erkennen, aus welchen Gründen die aufzufindenden Pferde und Equidenpässe als Beweismittel im Ordnungswidrigkeitenverfahren von Bedeutung sind. Gerade vor dem Hintergrund, dass aufgrund einer unangekündigten Kontrolle auf dem Hof der Beschuldigten vom 31.01.2020 bereits zweifelsfrei feststand, dass dort weiter Pferde gehalten werden, erschließt sich nicht ohne weiteres, warum diesbezüglich noch eine Durchsuchung erforderlich sein sollte, um die Pferde als Beweismittel zu beschlagnahmen. Die Beweisrelevanz der Equidenpässe für ein mögliches Ordnungswidrigkeitenverfahren liegt ebenfalls nicht auf der Hand und wird in dem angefochtenen Beschluss auch nicht näher begründet. Vielmehr deuten die Formulierungen des Amtsgerichts Borken, dass die Sicherstellung anzuordnen sei, weil ein Pferd nach § 44 VVVO nur dann in den Besitz übernommen werden dürfe, wenn ein entsprechender Pass vorgelegt werde, darauf hin, dass die Equidenpässe gerade nicht als Beweismittel, sondern vielmehr zur Durchsetzung der durch bestandskräftige Ordnungsverfügung vom 19.09.2018 angeordneten Bestandsauflösung im Wege unmittelbaren Zwangs sichergestellt werden sollten, damit die Pferde einer neuen Unterbringungsmöglichkeit zugeführt werden können. Dies ist indes kein zulässiger Durchsuchungszweck im Rahmen der §§ 102, 105 StPO.

dd) Schließlich lässt der angefochtene Beschluss auch nicht erkennen, dass eine konkrete und einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen wurde. Eine solche ist aber gerade im Ordnungswidrigkeitenverfahren von ganz erheblicher Bedeutung. Insbesondere ist bei der Abwägung zwischen den durch eine Ermittlungsmaßnahme beeinträchtigten Grundrechten und dem Verfolgungsinteresse des Staates zu berücksichtigen, dass der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit stets weniger schwer wiegt als der einer Straftat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.07.2016, Az. 2 BvR 2748/14 — beck online). Gerade vor diesem Hintergrund reichte der pauschale Hinweis in dem angefochtenen Beschluss, dass mildere Mittel als die Durchsuchung nicht ersichtlich seien, um den Erfolg des Zieles gleichfalls sicherzustellen, nicht aus. Vielmehr hätte es einer vertieften und einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung bedurft, wobei insbesondere die Intensität des Grundrechtseingriffs und die Schwere des Tatvorwurfs gegeneinander abzuwägen waren.

ee) In Bezug auf die Beschlagnahmeanordnung enthält der angefochtene Beschluss aus den vorgenannten Gründen ebenfalls keine zureichende und einzelfallbezogene Begründung i.S.d. § 34 StPO. Bereits die Rechtsgrundlage für die angeordnete Beschlagnahme (§ 94 StPO) wird nicht genannt. Ausführungen zu den inhaltlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Beschlagnahme fehlen vollständig, ebenso Ausführungen zur potenziellen Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände. Eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung wird auch in Bezug auf die Anordnung der Beschlagnahme nicht vorgenommen.

c) Die vorgenannten Begründungsmängel konnten im Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Borken vom 04.03.2020 und im Beschwerdeverfahren nicht mehr geheilt werden. Die Funktion des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten, würde anderenfalls unterlaufen. Auch kann die Begrenzung der Maßnahme, die durch die Begründungsanforderungen im Durchsuchungsbeschluss erreicht werden soll, durch eine erst nach der Durchführung ergehende Entscheidung nicht mehr erreicht werden. Daher können Mängel bei der richterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.07.2016, Az. 2 BvR 1710/15 — beck online).“

Zum zweiten Mal: Geht doch 🙂 .

Pflichti III: Beschuldigter unter Betreuung, oder: Nicht generell ein Pflichtverteidiger

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann noch der LG Münster, Beschl. v. 12.03.2020 – 9 Qs-82 Js 6888/19-14/20, mal wieder eine Entscheidung zur Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn der/die Beschuldigte unter Betreuung steht. Das LG hat die Bestellung abgelehnt:

„Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Weder die Schwere der Tat noch die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen lassen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen. Es geht lediglich um den Kauf von drei Kleidungsstücken im Internet für insgesamt 12,00 € zuzüglich 4,80 € Versand. Dies zeigt sich auch daran, dass das Verfahren gemäß § 153 StPO von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde.

Die Sach- oder Rechtslage ist auch nicht schwierig. Es geht letztlich nur um die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit der Beschwerdeführerin.

Es ist schließlich nicht ersichtlich, dass sich die Beschwerdeführerin nicht selbst verteidigen konnte. Dies ergibt sich nicht schon allein aus der Tatsache, dass sie unter gesetzlicher Betreuung stand. Vielmehr muss konkret anhand des jeweiligen Falles geprüft werden, ob die Fähigkeit zur Selbstverteidigung besteht oder nicht. Nach diesen Maßstäben kommt eine Beiordnung hier nicht in Betracht. Die Beschwerdeführerin stand seit dem 19.03.2018 unter gesetzlicher Betreuung für die Aufgabenkreise postalische Angelegenheiten, Vermögenssorge, Vertretung bei Behörden und Ämtern sowie Wohnungsangelegenheiten. Außerdem wurde zur Wirksamkeit von Willenserklärungen im Bereich der Vermögenssorge ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Aus dieser Art und diesem Umfang der gesetzlichen Betreuung lässt sich nichts herleiten. Aus dem Auszug der Betreuungsakte ergibt sich zwar, dass der Beschwerdeführerin bereits im Jahre 2011 eine gesetzliche Betreuung für den Bereich der Vermögenssorge nahegelegt worden war, sie aber den Kontakt zum sozialpsychiatrischen Dienst 2012 abgebrochen hatte. Zu einer erneuten Kontaktaufnahme kam es erst wieder im November 2017, weil sie psychische Probleme Katte und ihr aufgrund von Zahlungsrückständen* die Wohnung gekündigt• worden war. Außerdem war „ihr größtes Problem“ ein Haftbefehl, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte und nunmehr eine Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Tagen antreten musste, die sie dann auch verbüßt hat.

Aus diesen Umständen ergibt sich nicht, dass sie sich im vorliegenden Verfahren nicht selbst verteidigen kann. Soweit die Verteidigung unter Berufung auf das OLG Hamm eine andere Auffassung vertritt, greift dies nicht durch. Diese Entscheidung (Beschluss vom 14. August 2003 -2 Ss 439/03 -, Rn. 11, juris) betrifft einen ganz anderen Sachverhalt. Dort ging es um den Vorwurf einer Verkehrsunfallflucht und die Frage der subjektiven Wahrnehmbarkeit des Unfalls. Bei dem Angeklagten handelte es sich um einen 80-jährigen Mann, der seit sieben Jahren unter Betreuung stand und dessen Hörfähigkeit und damit die subjektive Wahrnehmbarkeit des Unfallgeschehens zweifelhaft-war. Das Oberlandesgericht hat nicht allein aufgrund der Tatsache der Betreuung, sondern aufgrund deren Dauer in Verbindung mit dem Alter bei dieser Verfahrens- und Beweissituation die Notwendigkeit einer Beiordnung bejaht. Dies ist mit den Umständen des vorliegenden Falles nicht vergleichbar.“

Nun ja. Kann man auch anders sehen und wird ja auch zum Glück teilweise anders gesehen.