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Verkehrsrecht II: Schon wieder „verbotenes Rennen“, oder: Gefährdungsvorsatz? und „nur kurze Strecke“

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Im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen zum Dauerbrenner „verbotenes Rennen“, also § 315d StGB, und zwar einmal BGH und einmal KG. Von beiden gibt es nur die Leitsätze.

Bei der BGH-Entscheidung handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – 4 StR 132/23 – noch einmal zum Gefährdungsvorsatz – Lebensgefährdungs- oder Tötungsvorsatz? – beim Kraftfahrzeugrennen/Alleinrennen, und zwar:

Die Voraussetzungen des (bedingten) Gefährdungsvorsatz i.S. des von § 315d Abs. 2 StGB sind gegeben, wenn der Täter über die allgemeine Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugrennens hinaus auch die Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage zumindest abfindet.

Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den auch nicht mehr taufrischen KG, Beschl. v. 12.06.2023 – 3 ORs 30/23 – 161 Ss 74/23 – zur Frage des Vorliegens eines „Einzelrennens“ nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB bei nur kurzer tatsächlich gefahrener Strecke. Dazu das KG:

Vor dem Hintergrund einer tatsächlich sehr kurzen gefahrenen Strecke ist allein die Absicht des Angeklagten maßgeblich, die nach seinen Vorstellungen unter den konkreten situativen Gegebenheiten (Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse) maximal mögliche Geschwindigkeit auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke zu erreichen.

Verkehrsrecht I: Geschwindigkeitsfeststellung, oder: Absichtsmerkmal beim Alleinrennen

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Ich habe länger keinen „Verkehrsrechtstag“ 🙂 mehr gemacht. Den bringe ich dann heute.

Zunächst hier der KG, Beschl. v. 08.05.2023 – 3 ORs 22/23 – 161 Ss 60/23 – zur Geschwindigkeitsfeststellung beim sog. „Alleinrennens“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Das KG hat die Revision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Es hat zur einer Stellungnahme des Verteidigers nur „ergänzend“ Stellung genommen: nur ergänzende

„Als unproblematisch erweisen sich die äußeren Tatbestandsmerkmale des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB und der vom Landgericht festgestellte allgemeine Tatbestandsvorsatz. Die Feststellungen rechtfertigen auch die Bewertung der Tat als rücksichtslos. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

1. Im Grundsatz zutreffend problematisiert die Revision, dass die vom Landgericht festgestellten Geschwindigkeiten von zunächst 120 km/h, dann 149 km/h, hiernach wieder 120 km/h und schließlich 177 km/h (bei erlaubten 80 km/h) unorthodox festgestellt worden sind. Denn das Urteil teilt zwar mit, das „geeichte Messgerät ProViDa“ sei im verfolgenden Polizeifahrzeug eingeschaltet gewesen, „um die gefahrene Geschwindigkeit zu messen und hierüber die Geschwindigkeit des Angeklagten zu bestimmen“ (UA S. 5). Die Urteilsgründe verhalten sich aber nicht zum mit dem geeichten Gerät verwendeten Messverfahren (ProViDa), ein elektronisches Messverfahren zur Bestimmung der Durchschnittsgeschwindigkeit von Fahrzeugen. Die Gründe enthalten auch nichts zu der, wie senatsbekannt, hiermit üblicherweise verbundenen Auswertung durch eine so genannte Videodistanzanalysesoftware (ViDistA) und namentlich nichts dazu, welche (Durchschnitts-) Geschwindigkeit über dieses standardisierte Messverfahren gegebenenfalls beweissicher ermittelt worden ist. Vielmehr weisen die Urteilsfeststellungen nur aus, welche Werte der polizeiliche Zeuge auf dem Gerätedisplay situativ abgelesen hat. Diese belegen aber für sich betrachtet und ohne Weg-Zeit-Berechnung nur die vom Polizeifahrzeug gefahrene Geschwindigkeit, hingegen nicht diejenige des vorausfahrenden Angeklagten.

Diese Darstellung erweist sich aber im Ergebnis als nicht rechtsfehlerhaft. Es gibt nämlich keinen Numerus Clausus der Verfahren zur Geschwindigkeitsermittlung. Es besteht auch keine Regel, der zufolge ein Messverfahren ausschließlich seiner (komplexen) Bestimmung nach verwendet werden darf. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO), welche für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen ist (§ 267 Abs. 1 StPO).

Die sich hieraus ergebenden Anforderungen erfüllt das Urteil. Es teilt nämlich mit, dass sich der zunächst „etwa gleichbleibende Abstand“ des verfolgenden Polizeifahrzeugs zum vom Angeklagten geführten PKW Porsche 911 im Zeitpunkt des Ablesens des höchsten Geschwindigkeitswertes (177 km/h) noch vergrößerte (UA S. 4 und 6 oben). Da das Urteil auch angibt, dass das Messgerät geeicht war (UA S. 5), kann der Senat die Bewertung des Landgerichts nachvollziehen, der Angeklagte habe gegen Ende der etwa 3.500 Meter langen Strecke tatsächlich die Geschwindigkeit von 177 km/h erreicht. Der Einwand der Revision, „dass Tachometer immer vorgestellt sind“ (RB S. 2), geht angesichts der festgestellten Eichung hier fehl.

2. Die Feststellungen weisen auch aus, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, „eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) (UA S. 3). Dass die Strafkammer hierbei eine Formulierung verwendet, die fast dem Gesetzeswortlaut entspricht, ist hinzunehmen. Zum einen wird die gesetzliche Phrase um tatsächliche Merkmale ergänzt („mit seinem hochmotorisierten PKW über eine längere Wegstrecke bei der konkret vorliegenden Verkehrslage“ [UA S. 3]). Zum anderen enthält auch die Beweiswürdigung weitere tatsächliche Eigenschaften des gesetzlichen Absichtsmerkmals (hierzu nachfolgend).

3. Die Absicht, „eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“, wird auch durch die Beweiswürdigung getragen.

a) Zur Erfüllung des tatbestandlichen Absichtsmerkmals muss der Täter nicht das Ziel verfolgen, die Möglichkeiten seines Fahrzeugs „voll auszureizen“. Ein solches Erfordernis würde den Täter, der ein hochmotorisiertes Fahrzeug führt und sehr hohe Geschwindigkeiten erreichen kann, ohne an das Limit der technischen Leistungsfähigkeit zu gehen, unangemessen und sinnwidrig begünstigen (vgl. Senat NZV 2019 314 [m. zust. Anm. Quarch]). Das Gesetz stellt hier auf die „relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit“ ab (vgl. Senat a.a.O.; BeckOK StGB/Kulhanek, 56. Ed., § 315d Rn. 35; MüKo/Pegel, StGB 4. Aufl., § 315d Rn. 26; vgl. auch BT-Drs. 18/12964, 5). Dies fasst insbesondere die fahrzeugspezifische Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit (wobei diese nicht erreicht sein muss), das subjektive Geschwindigkeitsempfinden, die Verkehrslage und die Witterungsbedingungen zusammen (BT-Drs. 18/12964, 5, vgl. auch Senat a.a.O.). Auf diese Weise sollen der nachgestellte Renncharakter manifestiert, bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen hingegen nicht von der Strafbarkeit umfasst werden, auch wenn sie erheblich sind (BT-Drs. 18/12964, 6). Gerade nicht erforderlich ist demnach, dass der Täter tatsächlich mit der fahrzeugspezifisch höchstmöglichen Geschwindigkeit gefahren ist (vgl. Schönke/Schröder/Hecker, StGB 30. Aufl., § 315d Rn. 9).

b) Nachvollziehbar hat die Strafkammer aus der nach außen erkennbar gewordenen Fahrweise des Angeklagten auf die nach diesen Maßgaben bestimmte Absicht geschlossen, „eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Als tatsächlich zweifelhaft mag dabei erscheinen, ob die frappierend hohe und die zulässige Höchstgeschwindigkeit um fast 100 km/h und mehr als 120% überschreitende Geschwindigkeit allein eine tragfähige Grundlage gewesen wäre, auf das gesetzliche Absichtsmerkmal zu schließen. Das Landgericht hat seine Schlussfolgerung auf die innere Tatseite aber auf weitere äußere Umstände gestützt. Zum einen hat es eine äußerst bedrängende Fahrweise festgestellt: Der Angeklagte fuhr nämlich über einen Großteil der Strecke mit einem Abstand von nur 20 bis 25 Meter hinter einem PKW, wobei letzterer nach dem ersten „Auffahren“ des Angeklagten von 120 auf 149 km/h beschleunigt wurde (UA S. 3). Zum anderen beschleunigte der Angeklagte sein Fahrzeug „sofort stark“ (UA S. 4) von 120 auf 177 km/h, nachdem das vorausfahrende Fahrzeug die linke Fahrspur verlassen hatte. Eine noch höhere Geschwindigkeit, so teilt das Urteil als glaubhafte Bekundung des polizeilichen Zeugen mit, sei „in Anbetracht der Verkehrslage“ unmöglich gewesen (UA S. 6). Der Zusammenhang der Feststellungen legt zudem nahe, dass dem Angeklagten eine noch höhere Geschwindigkeit auch deshalb nicht möglich gewesen wäre, weil er nach Erreichen der 177 km/h die Autobahn an der Anschlussstelle Späthstraße verließ. Dies räumt auch, ohne dass es darauf ankäme, die Verteidigung in ihrer Stellungnahme vom 3. Mai 2023 ein. Die Einwendung der Revision, „ein Porsche“ sei technisch in der Lage, „höchste Geschwindigkeiten (bis über 300 km/h) zu halten“ (RB S. 2), mag sachlich allgemein zutreffen, geht aber an den hier getroffenen tatsächlichen Feststellungen, nach denen eine höhere Geschwindigkeit als 177 km/h situationsbedingt nicht möglich war, vorbei. Unverständlich bleibt in diesem Zusammenhang auch die Erklärung der Revision, die vom Angeklagten erreichte Geschwindigkeit sei „erforderlich“ gewesen, um „die nächste Ausfahrt zu erreichen“ (Gegenerklärung vom 3. Mai 2023).

c) Die durch das Landgericht vom äußeren Tatgeschehen auf die „Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ gezogene Schlussfolgerung erweist sich damit als möglich und vertretbar. Sie entzieht sich mithin revisionsrechtlicher Intervention.“

 

 

 

Verkehrsrecht I: Polizeiflucht als Alleinrennen?, oder: Absicht, maximale Geschwindigkeit zu fahren

Heute mache ich dann mal wieder einen „Verkehrsrechtstag“, also drei Entscheidungen zu verkehrsrechtlichen Fragen.

Ich beginne mit dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14.10.2022 – 1 OLG 2 Ss 27/22, der eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zum Gegenstand hat. Der Angeklagte wurde am 03.06.2021 gegen 1.48 Uhr von einer Polizeistreife auf einem Parkplatz angetroffen, wo er mit seinem Pkw Mercedes-Benz mit durchdrehenden Reifen fahrend und um Parkplatzbegrenzungen driftend angekommen war. Als der Polizeibeamte an sein Fahrzeug herantrat, um ihn einer Personenkontrolle zu unterziehen, setzte der Angeklagte sein Fahrzeug abrupt aus der Parklücke zurück und beschleunigte den Pkw massiv, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und sich so der polizeilichen Kontrolle zu entziehen. Mit weit überhöhter Geschwindigkeit missachtete er eine rot zeigende Wechsellichtzeichenanlage, befuhr die sich anschließende Straße mit einer deutlich über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h liegenden Geschwindigkeit, ignorierte eine einmündende Vorfahrtsstraße und überfuhr mit mindestens 70 km/h eine weitere rot anzeigende Wechsellichtzeichenanlage. Nach einer Gesamtfahrtstrecke von 250 m bog der Angeklagte links ab. Dadurch verlor ihn der Polizeibeamte, der mit seinem Fahrzeug die Verfolgung aufgenommen hatte, aus dem Blick. Bei der anschließenden Nahbereichsfahndung wurde der Pkw von einer hinzugerufenen Streifenwagenbesatzung aufgefunden. Das Landgericht hat diesen Sachverhalt rechtlich als verbotenes Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gewertet.

Das LG hat den Sachverhalt rechtlich als verbotenes Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gewertet. Dem Angeklagten sei es darum gegangen, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern, um sich der polizeilichen Kontrolle zu entziehen. Dies resultiere aus der durch den ihn verfolgenden Polizeibeamten festgestellten Geschwindigkeit von mindestens 70 km/h und dem Umstand, dass er ungebremst eine Vorfahrtsstraße sowie zwei rot zeigende Lichtzeichenanlagen bei Nacht überfahren habe. Das Geschehen habe sich auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke von etwa 250 m ereignet. Die dagegen gerichtete Revision hatte Erfolg:

„Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft.

1. Bei einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB muss die Tathandlung im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht des Täters getragen sein, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht unerheblichen Wegstrecke die unter den konkret situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diese Absicht braucht nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns zu sein. Es reicht vielmehr aus, dass der Täter das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen. Dies hat zur Folge, dass beim Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen auch sogenannte Polizeifluchtfälle von der Strafvorschrift erfasst werden, sofern festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei ist zu beachten, dass aus einer Fluchtmotivation nicht ohne Weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Geschwindigkeit zu steigern (BGH, Beschlüsse vom 17.02.2021 – 4 StR 225/20, BGHSt 66, 27 Rn. 16 f.; vom 24.03.2021 – 4 StR 142/20, juris Rn. 18 f.; vom 29.04.2021 – 4 StR 165/20, NStZ 2021, 615 Rn. 8 f.).

2. Das Landgericht hat seine Überzeugung vom Vorliegen des Absichtselements ausschließlich auf die Bekundungen des den Angeklagten verfolgenden Polizeibeamten zu dessen Fahrverhalten gestützt. Es hat sich weder mit den auf der zurückgelegten Strecke unter den konkreten Gegebenheiten höchstmöglichen Geschwindigkeiten auseinandergesetzt, noch hat es dargelegt, inwieweit der Angeklagte versucht hat, diese zu erreichen. Allein der Umstand, dass der Angeklagte unter Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und von Vorfahrtsregelungen vor der Polizei flüchtete, genügt nicht, um auf die zur Verwirklichung des Tatbestandes erforderliche Absicht zu schließen. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers sollen bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht von der Strafbarkeit erfasst werden, selbst wenn sie erheblich sind (s. BT-Drucks. 18/12964 S. 6). Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte mindestens 70 km/h gefahren sein müsse, weil der Zeuge 60 km/h gefahren sei und sich der Abstand zu dem Angeklagten „rasant“ vergrößert habe, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, ob das Landgericht bei der Würdigung der Zeugenaussage und der darauf aufbauenden Schätzung der vom Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeit berücksichtigt hat, dass der Zeuge bei Beginn der Flucht nicht in seinem Fahrzeug gesessen hat, sondern ausgestiegen und an den Pkw des Angeklagten herangetreten war. Die Strafkammer hätte näher in den Blick nehmen müssen, ob und inwieweit die Bewertung der von dem Angeklagten gefahrenen und angestrebten Geschwindigkeiten dadurch erschwert gewesen sein könnte, dass der Zeuge die Verfolgung nicht unmittelbar nach Beginn der Fluchtfahrt hat aufnehmen können und der Angeklagte schon allein deshalb einen Vorsprung hatte.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Das objektive Tatbestandselement der unangepassten Geschwindigkeit meint jede der konkreten Verkehrssituation nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht mehr entsprechende Geschwindigkeit und erfasst sowohl Verstöße gegen die Gebote des § 3 Abs. 1 StVO als auch Überschreitungen der in § 3 Abs. 3 StVO geregelten allgemeinen Höchstgeschwindigkeit (BGH, Beschlüsse vom 17.02.2021 – 4 StR 225/20, BGHSt 66, 27 Rn. 13; vom 24.03.2021 – 4 StR 142/20, juris Rn. 16, jeweils mwN). Soweit der Senat in seiner früheren Entscheidung die Auffassung vertreten hat, dass nicht entscheidend auf die Überschreitung der am Tatort zugelassenen Geschwindigkeit abzustellen sei, sondern darauf, ob das Fahrzeug bei der gefahrenen Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann (Beschluss vom 19.05.2020 – 1 OLG 2 Ss 34/20, juris Rn. 8), hält er hieran nicht fest.

b) Soweit die neue Verhandlung ergibt, dass sich der Angeklagte nicht wegen § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar gemacht hat, wird zu prüfen sein, ob der Angeklagte wegen der Begehung verschiedener Verkehrsordnungswidrigkeiten, insbesondere wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 3, § 3 StVO) sowie Vorfahrts- und Wechsellichtzeichenverstößen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2, 8, §§ 8, 37 StVO) zu verurteilen ist. Diese sind wegen der verjährungsunterbrechenden Maßnahmen der ersten Vernehmung am 09.08.2021 (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) und des Erlasses des Strafbefehls am 21.09.2021 (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 15 OWiG) bis zur erstinstanzlichen Verurteilung am 14.12.2021 nicht verjährt. Seither ruht die Verjährung (§ 32 Abs. 2 OWiG).“

StGB I: Und nochmals Allein-/Kraftfahrzeugrennen, oder: Und nochmals „Polizeiflucht“

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Heute dann mal wieder ein Tag mit StGB-Entscheidungen, darunter zwei verkehrsrechtliche Entscheidungen.

Den Tag beginne ich mit dem BGH, Beschl. v. 29.04.2021 – 4 StR 165/20, der mal wieder/noch einmal zum verbotenen Kraftfahrzeugrennen in der Form des Alleinrennens – also § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB – Stellung nimmt. Gegenstand der Entscheidung ist eine „Polizeflucht“. Der Angeklagte sollte im Stadtgebiet von Kempen einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen werden. Der wollte sich der Angeklagte entziehen und er versucht, vor der Polizei zu fliehen. Dabie lieferte sich der Angeklagte mit den ihn verfolgenden Polizeibeamten  eine Verfolgungsfahrt, u.a. durch eine Fußgängerzone. Dort wäre es beinahe zu einer Kollision mit Fußgängern gekommen. Wegen der Einzelheiten der Fahrt und der Fahrweise verweise ich auf den Volltext. Das LG hat den Angeklagten jedenfalls wegen eines Verstoßes gegen § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt. Das Rechtsmittel des Angeklagten hatte – teilweise – Erfolg:

„1. Die Strafvorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt in objektiver Hinsicht ein Sich-Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit voraus, das sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls als grob verkehrswidrig und rücksichtslos darstellt. Die grobe Verkehrswidrigkeit des Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit kann sich allein aus der besonderen Massivität des Geschwindigkeitsverstoßes oder aus begleitenden anderweitigen Verkehrsverstößen ergeben, die in einem inneren Zusammenhang mit der nicht angepassten Geschwindigkeit stehen. Die Tathandlung muss ferner im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht des Täters getragen sein, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke die unter den konkreten situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diese Absicht braucht nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns zu sein. Es reicht vielmehr aus, dass der Täter das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 2021 ? 4 StR 225/20 Rn. 16, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; vom 13. April 2021 ? 4 StR 109/20 Rn. 5).

Dieses Verständnis des Absichtsmerkmals in § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB hat zur Folge, dass beim Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen auch sogenannte Polizeifluchtfälle von der Strafvorschrift erfasst werden, sofern festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass aus einer Fluchtmotivation nicht ohne Weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 ? 4 StR 225/20 Rn. 17).

2. Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe durch sein Fahrverhalten in der G. straße den Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB und die einen fahrlässig verursachten Gefahrenerfolg voraussetzende Qualifikationsnorm des § 315d Abs. 4 StGB verwirklicht, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn die Feststellung des Landgerichts, dass das Fahren des Angeklagten mit unangepasster Geschwindigkeit in der G. straße von der Absicht getragen war, die nach seiner Vorstellung höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, stützt sich auf eine Beweiswürdigung, die unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 ? 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f. mwN; Franke in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. mwN) einer rechtlichen Prüfung nicht standhält. Die Beweiswürdigung erweist sich insoweit als lückenhaft.

Die Strafkammer hat ihre Überzeugung vom Vorliegen des Absichtselements des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB neben den Bekundungen des Zeugen F. und eines weiteren Zeugen zu ihren subjektiven Eindrücken vom Fahrverhalten des Angeklagten maßgeblich auf die durchgängig vorhandene Fluchtmotivation des Angeklagten sowie den Umstand gestützt, dass der Angeklagte zu Beginn der Fluchtfahrt in der K. Straße mit maximaler Beschleunigung fuhr. Dagegen hat sie die im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des verkehrstechnischen Sachverständigen bei der Bewertung der subjektiven Tatseite nicht in den Blick genommen. Der Sachverständige hat dargelegt, dass die vom Angeklagten nach dem R. platz zunächst zu bewältigende Rechtskurve in der G. straße mit einer Geschwindigkeit von höchstens 51 km/h durchfahren werden konnte und anschließend bis zur Position der vor der Gaststätte stehenden Personen eine Beschleunigungsstrecke zur Verfügung stand, die das Erreichen einer maximalen Geschwindigkeit von 110 km/h ermöglicht hätte. Der Umstand, dass für den Angeklagten bis zu dem Passieren der Personen vor der Gaststätte nach den Erläuterungen des Sachverständigen bei maximaler Beschleunigung eine Geschwindigkeit von 110 km/h möglich gewesen wäre, er an den Personen tatsächlich aber mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h vorbeifuhr, hätte vom Landgericht bei der Prüfung des Absichtselements mit in seine beweiswürdigenden Überlegungen eingestellt werden müssen. Darüber hinaus wäre bei der indiziellen Bewertung der beim Angeklagten durchgängig vorhandenen Fluchtmotivation zu berücksichtigen gewesen, dass der Angeklagte in der G. straße nicht mehr unter unmittelbarem Verfolgungsdruck stand, weil er das ihm in der K. Straße nachfahrende Einsatzfahrzeug der Polizei zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschüttelt hatte.

3. Die insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils ergeben aber, dass der Angeklagte durch sein Fahrverhalten zu Beginn der Fluchtfahrt in der K. Straße den Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt und sich wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens strafbar gemacht hat. Indem er die K. Straße ungeachtet der dort geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 50 km/h und anschließend 20 km/h mit einer Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h entlangfuhr, bewegte er sich als Kraftfahrzeugführer mit unangepasster Geschwindigkeit fort. Sein Tun stellte sich schon angesichts der massiven Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten als grob verkehrswidrig dar. Nach den Urteilsausführungen handelte der Angeklagte auch gleichgültig gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern um seines schnelleren Fortkommens Willen, mithin rücksichtslos. Schließlich hat das Landgericht auf der Grundlage der als glaubhaft bewerteten geständigen Einlassung des Angeklagten rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die unter maximaler Beschleunigung unternommene Fahrt des Angeklagten in der K. Straße von der Absicht getragen war, nach seinen Vorstellungen über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die unter den konkreten situativen Gegebenheiten höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, um auf diese Weise der ihn verfolgenden Polizeistreife zu entkommen…..“

Verkehrsrecht III: Nochmals Alleinrennen, oder: Höchstmögliche Geschwindigkeit?

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Und den Schluss der Berichterstattung mache ich heute mit dem OLG Celle, Beschl. v. 28.04.2021 – 3 Ss 25/21. Der befasst sich noch einmal mit dem verbotenenen Kraftfahrzeugrennen in der Form des Alleinrennens:

„Das Urteil weist keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Soweit die einzig auf die Sachrüge gestützte Revision einwendet, es fehle vorliegend sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht am Merkmal des Erreichens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, zumal der Angeklagte nicht die Motorkraft seines Fahrzeugs habe ausreizen, sondern vielmehr nur vor der Polizei habe fliehen wollen, greift dies nicht durch. Zwar ist im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) eine zurückhaltende Anwendung der Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB angezeigt (vgl. KG VRS 135, 267). Das Tatbestandsmerkmal der „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ im Sinne dieser Vorschrift meint indessen nicht die technische Höchstgeschwindigkeit des geführten Fahrzeugs, sondern die in der konkreten Verkehrssituation erzielbare relative Höchstgeschwindigkeit (KG a.a.O.) Das hierbei vorausgesetzte Handeln, um eine höchst-mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, setzt demnach lediglich voraus, dass es dem Täter darauf ankommt, in der konkreten Verkehrssituation die durch sein Fahrzeug bedingte oder nach seinen Fähigkeiten und nach den Wetter-, Verkehrs-, Sicht- oder Straßenverhältnissen maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wobei auch der Wille, vor einem verfolgenden Polizeifahrzeug zu fliehen, diese Absicht gerade nicht ausschließt (OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787 mit Anm. Zopfs; LK-StGB/Laufhütte, 13. Aufl., § 315d Rn. 29). Das von der Revision bemühte Abstellen auf eine absolute Höchstgeschwindigkeit steht daher nicht nur in Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 18/12964, S. 5 f.), sondern würde den Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB praktisch nahezu leerlaufen lassen, weil die absolute Höchstgeschwindigkeit, insbesondere bei hochmotorisierten Fahrzeugen, in vielen Verkehrssituationen nicht erreichbar ist und deren Fahrer unangemessen begünstigen würde (Weiland in: Freymann/Wellner, jurisPK- Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 315d StGB; Jansen, Im Rausch der Geschwindigkeit(-sbegriffe), Eine kritische Betrachtung des § 315 d I Nr. 3 StGB, NZV 2019, 285; Preuß, Ein Jahr Strafbarkeit verbotener Kraftfahrzeug-rennen nach § 315d StGB – Eine erste Bilanz, insbesondere zur Strafbarkeit des“ Einzelrasens“-, NZV 2018, 537). All dies hat das Amtsgericht zutreffend herausgearbeitet. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen daher – und zwar ohne unzulässige Analogie in malampartem – auch den Schuldspruch eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens.“