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Verkehrsrecht II: Alleinrennen, oder: Höchst mögliche Geschwindigkeit

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann auch vom BayObLG. Das hat sich dann im BayObLG, Beschl. v. 22.07.2020 – 207 StRR 245/20 -, in dem es vorrangig um eine Straßenverkehrsgefährdung ging, auch zum verbotenen Kraftfahrzeugrennen in der Form des Alleinrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) geäußert.

Angeklagt war ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge Das AG hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) verurteilt. Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung hat das LG  den Angeklagten der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig gesprochen. Dagegen dann die Revision des Angeklagten, die (vorläufig) Erfolg hatte.

Auszugehen war von folgenden Feststellungen:

„Am 09.06.2018 stand dem Angeklagten das Fahrzeug BMW M 850i, amtl. Kennzeichen pp. der BMW AG zur Verfügung. Das Fahrzeug war am 19.03.2018 erstmals zugelassen worden und hatte einen Kilometerstand von 6.160 km. Die Motorleistung betrug 390 KW, es hatte einen Vierradantrieb. An diesem Tag war er bereits mit dem Fahrzeug in Würzburg und hatte seinen Sohn besucht. Das Fahrzeug war mit diversen Sicherheitssystemen ausgestattet, u.a. einer aktiven Hinterradlenkung, die unterhalb einer Geschwindigkeit von ca. 82 – 88 km/h mit Lenkeinschlag entgegen der Vorderachse mitlenkt, um so die Fahrstabilität bei Kurvenfahrt zu gewährleisten. Weiterhin war das Fahrzeug mit einem Anti-Schleuder-Programm („DSC“) ausgestattet.

Dieses System hatte der Angeklagte händisch deaktiviert.

Mit diesem Fahrzeug fuhr der Angeklagte am 09.06.2018 gegen 22.40 Uhr auf der Kreisstraße LA 45 im Gemeindebereich 84155 Bodenkirchen in Richtung Michlbach. Die Fahrt wurde aufgrund eines Wunsches der Mutter seiner jetzigen Ehefrau und damaligen Verlobten, der Beifahrerin R. V. durchgeführt. Die Fahrstrecke war dem Angeklagten nicht bekannt. Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt weder alkoholisiert noch stand er unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln. Er und die Beifahrerin waren angeschnallt. Am Unfallort bestand keine Geschwindigkeitsbegrenzung.

Auf Höhe Abschnitt 100, Kilometer 0,9 durchfuhr der Angeklagte in einem Waldstück eine Kurvenkombination aus einer Links-, Rechts- und anschließenden Linkskurve. Die Sichtweite für den Angeklagten betrug ca. 100 m bei einem Lichtkegel von etwa 50 m. Unter grober Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt durchfuhr der Angeklagte die Kurvenkombination mit einer Mindestgeschwindigkeit von 116 km/h unter Ausnutzung der Gegenfahrbahn. Ein sportlicher Normalfahrer hätte diese Kurvenkombination mit einer Geschwindigkeit von maximal 70 km/h durchfahren; ein geschulter, professionell agierender Fahrzeugführer hätte die Kurvenkombination mit einer Maximalgeschwindigkeit von 95 km/h regulär durchfahren können.

Der Angeklagte wäre nicht mehr in der Lage gewesen, bei Gegenverkehr rechtzeitig auszuweichen. Aufgrund der überhöhten Geschwindigkeit geriet das Fahrzeug in der zweiten Linkskurve außer Kontrolle. Der Angeklagte hatte bewusst das AntiSchleuder-Programm ausgeschaltet. Das Fahrzeug brach mit dem Heck nach links aus, der Angeklagte konnte das Fahrzeug nicht mehr abfangen, so dass es nach rechts von der Fahrbahn abkam, dabei noch eine Geschwindigkeit von mindestens 91 km/h hatte und mit einem Baum kollidierte und anschließend auf das Fahrzeugdach fiel. Der Einschlag auf dem Fahrzeugdach hatte, für den Angeklagten vorhersehbar, zur Folge, dass die Beifahrerin R. V. massive Körperverletzungen, insbesondere verbunden mit einer Öffnung der Schädeldecke erlitt und am Unfallort noch verstarb. Der Angeklagte selbst erlitt leichte Schnittverletzungen über dem rechten Auge.
1. Eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. d StGB setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der konkreten Gefahr und den durch die Unübersichtlichkeit der Strecke begründeten Risiken voraus. Dieser Zusammenhang kann nur festgestellt werden, wenn auszuschließen ist, dass die konkrete Gefahr nur gelegentlich des zu schnellen Fahrens entstanden ist, also positiv festzustellen ist, dass die Gefahr ohne die Unübersichtlichkeit des Streckenverlaufs nicht eingetreten wäre.“

Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Nach Auffassung des BayObLG tragen die Feststellungen des LG tragen eine Verurteilung des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt des § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB nicht.

Dazu sagt das BayObLG in seinem Leitsatz 1:

Eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. d StGB setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der konkreten Gefahr und den durch die Unübersichtlichkeit der Strecke begründeten Risiken voraus. Dieser Zusammenhang kann nur festgestellt werden, wenn auszuschließen ist, dass die konkrete Gefahr nur gelegentlich des zu schnellen Fahrens entstanden ist, also positiv festzustellen ist, dass die Gefahr ohne die Unübersichtlichkeit des Streckenverlaufs nicht eingetreten wäre. „

Den Zusammenhang sieht das BayObLG nicht und hat aufgehoben.

Es führt dann zu § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB aus:

„c) Die in der Anklage ursprünglich angenommene Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 StGB, hinter der eine Strafbarkeit nach § 222 StGB zurücktreten würde (Fischer, a. a. O. § 222 Rn. 34), kommt nicht in Betracht. Die Feststellung, die Getötete habe sich „bewusst in das Fahrzeug gesetzt um zu sehen, was das Fahrzeug könne“, legt zwar nahe, dass der Angeklagte mit seiner Fahrweise das Fahrzeug an seine Grenze führen wollte. Eine höchstmögliche Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB will erreichen, wer möglichst schnell fahren will (Fischer, a. a. O., § 315d Rn. 17). Dabei geht es nicht um die höchste bauartbedingt erreichbare Geschwindigkeit auf freier Strecke, sondern um die nach den objektiven Umständen (Fischer a. a. O. § 315d StGB, Rn. 18), insbesondere nach dem Streckenverlauf höchst mögliche erreichbare Geschwindigkeit. Darauf, ob der Angeklagte in dieser Situation – wie in der Anklageschrift angenommen – ein „Driften“ des Fahrzeugs angestrebt hat oder nicht, kommt es für die Tatbestandsmäßigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zwingend an, auch wenn darin ein Indiz für die Bejahung des Tatbestands zu sehen sein kann.

Die Anwendung des § 315d Abs. 5 StGB setzt aber darüber hinaus voraus, dass dem Angeklagten nicht nur im Hinblick auf den Verkehrsverstoß, sondern auch hinsichtlich der Herbeiführung der konkreten Gefährdung Vorsatz anzulasten wäre. Das Bewusstsein irgendeiner möglichen Gefahr genügt nicht. Vielmehr setzt Vorsatz in diesem Sinne voraus, dass dem Angeklagten die Kenntnis der Umstände, die einen konkreten Gefahrenerfolg als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, anzulasten ist (so für die gleichgelagerte Fragestellung bei § 315c Abs. 1 StGB BGH, Beschl. v. 18. November 2017, 4 StR 542/97, NStZ-RR 1998, 150, juris Rn. 8 m. w. N.). Nach den Feststellungen des Landgerichts kannte der Angeklagte die Strecke nicht, so dass das Vorliegen des Verbrechenstatbestands nach § 315d Abs. 5 StGB auszuschließen ist, unabhängig davon, ob dem Angeklagten nachgewiesen werden kann, dass er im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB mit seiner Fahrweise eine höchstmögliche Geschwindigkeit erreichen wollte.“

Verkehrsrecht III: Alleinrennen?, oder: Wie geht man mit dem YouTube-Video um?

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Die dritte Entscheidung kommt vom LG Berlin. Den LG Berlin, Beschl. v. 14.08.2020 –  (538 KLs) 255 Js 745/19 (12/20) – hat mir der Kollege Reese aus Berlin geschickt. Thematik auch ein (neuerer) Dauerbrenner, nämlich: Alleinrennen i.S. von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB. Es ist insoweit Anklage zum LG erhoben. Die Strafkammer sagt aber schon mal, was sie (derzeit) von der Sache hält. Sie hat nämlich die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) aufgehoben:

„1. Die Regelung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt sich bei einschränkender, zurückhaltender Auslegung des Tatbestandes nicht als verfassungswidrig dar (vgl. KG NZV 2019, 210; KG NZV 2019, 314).

2. Nach § 315d Abs. 1 Ni“, 3 StGB wird bestraft, wer sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Nach summarischer Prüfung ist eine. Verurteilung wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht weit überwiegend wahrscheinlich. Es kann bei zurückhaltender, einschränkender Auslegung des Tatbestandes nach Aktenlage nicht festgestellt werden, dass der Angeschuldigte mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fuhr, um zielgerichtet die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

a) Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der, Angeschuldigte phasenweise mit nicht angepasster Geschwindigkeit fuhr. Nicht angepasste Geschwindigkeit meint nämlich eine den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen nicht entsprechende Geschwindigkeit, wobei die Überschreitung der vorgegebenen Höchstgeschwindigkeit eine maßgebliche Indizwirkung hat (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -). Den im dargelegten Sachverhalt angegebenen Geschwindigkeiten liegt keine Geschwindigkeitsmessung zu Grunde. Die Geschwindigkeiten wurden aufgrund eines auf der Plattform www.Youtube.de eingestellten Videos durch den Sachverständigen ermittelt. Neben dem Verstoß gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung ist auf dem Video unter anderem zu sehen, dass der Angeschuldigte mehrere Fahrzeuge überholt. Bei einem Überholvorgang kommt ihm ein Radfahrer entgegen. Der Angeschuldigte ist danach dringend verdächtig, mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren zu sein.

b) Es fehlt indes an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Angeschuldigte grob verkehrswidrig und rücksichtslos gefahren sei, um die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Bei der Auslegung der Norm ist zu berücksichtigen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Fälle erfasst werden, in denen nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen darstellt (vgl. BT-Drs. 18/12964, 5). Tatbestandsmäßig sind nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB somit Verkehrsverstöße, von denen eine ähnliche Gefahr ausgeht, wie von einem Kraftfahrzeugrennen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 — (3) 161 Ss 134/19 (75/19) —). Typische Gefahren eines Kraftfahrzeugrennens sind regelmäßig vorkommende waghalsige Fahrweisen mit der damit verbundenen Gefahr des Kontrollverlustes, was erhebliche Risiken für andere Verkehrsteilnehmer mit Sich bringt (vgl. Hecker, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 315d Rn. 1). Die einem solchen Rennen innewohnende Dynamik verleitet in besonderer Weise zu riskanten Verhaltensweisen, denn Rennteilnehmer werden durch den“ Wettbewerb bestärkt, Fahr- und Verkehrssicherheit außer Acht zu lassen und für einen Zuwachs an Geschwindigkeit den Verlust der Kontrolle über ihre Fahrzeuge in Kauf zu nehmen (vgl.BT-Drs. 18/12964, 5). Das bedeutet, dass bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen gerade nicht von der Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst sein sollen (vgl. BT-Drs. 1.8/12964, 6). Tatbestandsrelevant sind vielmehr nur solche Handlungen, die objektiv und subjektiv aus der Menge der bußgeldbelegten Geschwindigkeitsverstöße herausragen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -; Hecker, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 315d Rn. 8) und qualitativ einem Rennen entsprechen.

Um dem Tatbestand die Qualität des Renncharakters zu verleihen, fordert die Regelung, dass der Täter mit der Absicht – dolus directus ersten Grades – handeln muss, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -). Hierbei wird auf die relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit abgestellt, die sich aus der Zusammenschau der fahrzeugspezifischen Beschleunigung bzw. Höchstgeschwindigkeit, des subjektiven Geschwindigkeitsempfindens, der Verkehrslage und der Witterungsbedingungen ergibt; nicht maßgeblich ist dagegen, ob der Täter die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeuges vollständig ausschöpft (vgl. KG, Beschl. v. 15. April 2019 – (3) 161 Ss 36/19 (25/19) 7), wobei die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund sein muss (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. Juli 2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19 -). Zu berücksichtigen ist aber, dass allein der Wille, eine Strecke möglichst schnell zurückzulegen, nicht gleichbedeutend ist mit der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (vgl. Jansen, NZV 2019, 285; KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -).

Der Angeschuldigte überschritt zwar die zulässige Höchstgeschwindigkeit phasenweise erheblich. Diese Überschreitung dauerte indes nach dem Gutachten. des Sachverständigen nur wenige Sekunden. Durch den Sachverständigen wurde errechnet, dass der Angeschuldigte dabei u. a. eine Wegstrecke von 55 m bzw. 180 m zurückgelegt habe, wobei es sich hierbei um Überholvorgänge gehandelt habe. Dies legt nach Aktenlage – ohne durchgeführte Beweisaufnahme – zunächst den Rückschluss nahe, dass es dem Angeschuldigten darum bestellt war, seine Wegstrecke‘ möglichst schnell zurückzulegen. Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit im Tatzeitpunkt der jeweiligen Verkehrssituation zu erreichen, ist danach insgesamt nicht überwiegend wahrscheinlich. Auch, ist weder ersichtlich, dass in den vom Sachverständigen errechneten Geschwindigkeitsüberschreitungen ein Kontrollverlust des Angeschuldigten über das Fahrzeug zu befürchten war noch, dass der Angeschuldigte dies in seinen Vorsatz einbezogen hatte…..“

Im Wesentlichen nichts Neues, sondern nur Fortschreibung der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung des KG und des OLG Stuttgart. Interessant aber, wie die Ermittlungsbehörden an die bisherigen Feststellungen gekommen sind. Offenbar nur über ein auf YouTube eingestelltes Video. Leider setzt sich das LG nicht mit der Frage auseinander, wer das eingestellt hat und ob das (nachträgliche) Einstellen des Videos nicht ein Indiz für ein „Alleinrennen“ sein könnte/kann. Denn offenbar will man mit der Fahrt ja „prahlen“.

Verkehrsrecht II: Kraftfahrzeugrennen, oder: „Alleinrennen“ reicht

Die zweite Entscheidung kommt heute vom OLG Köln. Das hat sich im OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – III-1 RVs 45/20 – noch einmal mit einem Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB) befasst.

Ausgangspunkt waren folgende Feststellungen des LG zu einem „Alleinrennen“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 stGB):

„Am Abend des 17.02.2018 besuchte der Angeklagte seinen Halbbruder in Aachen. Dort konsumierte er Alkohol in Form von Bier in nicht mehr feststellbarer Menge und begab sich gegen 21 Uhr mit dem Taxi zu seiner Wohnanschrift in Aachen-Brand. Im Verlaufe des weiteren Abends nahm er mit dem Zeugen S, den er von seiner früheren Ausbildungsstelle kannte, Kontakt per Whats-Aapp auf. Dieser besuchte zu dem Zeitpunkt gemeinsam mit den Zeugen B und S eine Feier in Aachen-Haaren, wobei alle drei – nach dem Genuss u.a. von Whiskey – bereits erheblich alkoholisiert waren. Man verabredete sich, gemeinsam den „Club Cabaret“ in Stolberg aufzusuchen, wobei der Angeklagte anbot, die Zeugen S, B und S mit seinem PKW, einem Renault Megane mit dem amtlichen Kennzeichen xxx, der eine Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h erreicht und mit einer Foliierung im Muster „flipflop“ versehen war, abzuholen. Der Angeklagte fuhr sodann am 18.02.2018, vor 3 Uhr von seiner Wohnanschrift in Aachen Brand in das circa 8 Kilometer entfernte Aachen-Haaren und hiernach in Richtung des ebenfalls von Haaren circa 8 Kilometer entfernten Clubs in Stolberg, wobei er davon ausging, fahrtüchtig zu sein. Tatsächlich wies er bei Fahrtantritt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,375 Promille auf. Eine ihm am Tattag um 4:15 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,25 Promille auf. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeklagte erkennen können, dass er alkoholbedingt nicht in der Lage war, ein Fahrzeug sicher im Straßenverkehr zu führen.

Der Angeklagte befuhr dabei die Debyestraße sowie die Freunder Straße in Fahrtrichtung Von-Coels-Straße. Auf der Von-Coels-Straße bog er rechts ein und wurde von den in einer Zivilstreife fahrenden Polizeibeamten C und G wahrgenommen, die gerade eine Fahndungsmitteilung erhalten hatten. Der Angeklagte erkannte nicht, dass es sich bei dem ihm folgenden Fahrzeug um eine Zivilstreife handelte, sondern wähnte sich bedroht und steigerte seine Geschwindigkeit, um zu entkommen. Dabei erreichte er zwischenzeitlich eine Geschwindigkeit von jedenfalls 140 km/h, wobei erlaubte Höchstgeschwindigkeit 70 km/h war. Als der Angeklagte, der in eine Seitenstraße abgebogen war, um zu entkommen, angehalten werden konnte, wurde im Fußraum seines Fahrzeugs eine geladene Schreckschusspistole, Walther/P 99,9 mm P.A.K., für deren Umgang er nicht die erforderliche behördliche Erlaubnis hat, sowie ein nicht erlaubnispflichtiges Einhandmesser an seiner Hose aufgefunden.“

Das LG hat nur wegen u.a. fahrlässiger Trunkenheitsfahrt verurteilt. Das OLG hebt auf. Hier die Leitsätze der Entscheidung, die der h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung entspricht:

1. Der Senat teilt nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken, die in der Rechtsprechung gegen die Bestimmtheit der Regelung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB geäußert werden (vgl. so im Vorlagebeschluss des AG Villingen-Schwenningen, Beschluss v. 16.01.2020 – Az. 6 Ds 66 Js 980/19), sondern folgt der Entscheidung und Argumentation des Kammergerichts in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2019 (Az. 161 Ss 134/19, insbesondere Rn. 5 ff).

2. Während Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB einen „Wettbewerb“ erfordern, der zwischen zwei oder mehr Rennbeteiligten ausgetragen wird und bei dem es um Schnelligkeit geht, bedarf es bei der Nr. 3 keines solchen Gegners oder Wettbewerbers. Um dem Erfordernis des Renncharakters auf Tatbestandsebene Ausdruck zu verleihen, erfordert die Regelung in der gebotenen einschränkenden Auslegung indes, dass der Täter mit der Absicht handeln muss, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei wird im Rahmen dieser Absicht auf die relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit abgestellt, die sich aus der Zusammenschau der fahrzeugspezifischen Beschleunigung bzw. Höchstgeschwindigkeit, des subjektiven Geschwindigkeitsempfindens, der Verkehrslage und der Witterungsbedingungen oder der Ziele und Beweggründe der Geschwindigkeitsübertretung ergibt; nicht maßgeblich ist dagegen, ob der Täter die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeuges vollständig ausreizt (Anschluss an KG, a.a.O.; OLG Stuttgart, Beschluss v. 04.07.2019 – Az. 4 RV 28 Ss 103/19).

3. Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss auch nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein, vielmehr kann das Bestreben, möglichst schnell voranzukommen, auch von weitergehenden Zielen begleitet sein, ohne dass dadurch der Renncharakter verloren geht. Erforderlich ist jedoch, dass der Fahrer gerade die Erzielung der möglichst hohen Geschwindigkeit als Mittel einsetzen will, um einer bereits bestehenden, die typischen Renngefahren auslösenden Verfolgungssituation zu entkommen (Anschluss an OLG Stuttgart, a.a.O., für den Fall einer „Polizeiflucht“).

Verkehrsrecht I: Alleinrennen, oder: Ist die Regelung wegen Unbestimmtheit verfassungswidrig?

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Heute dann mal wieder ein Tag mit verkehrsrechtlichen Entscheidungen.

Und da weise ich zunächst hin auf den AG Villingen-Schwenningen, Beschluss vom 16.01.2020 – 6 Ds 66 Js 980/19. Bei diesem Beschluss handelt es sich um einen Vorlagebeschluss des AG an das BVerfG. Das AG möchte eine Entscheidung des BVerfG darüber, ob § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar und deshalb gültig ist.

In dem beim AG anhängigen Verfahren legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten u.a. einen Verstoß gegen § 315d Abs. 1 Nr. 3 stGB zur Last, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Am 31.5.2019 um 23:42 Uhr sollte der Angeschuldigte durch eine Funkstreife des Polizeireviers Villingen im Bereich der Konstanzer Straße in 78048 Villingen-Schwenningen einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen werden. Nachdem der Angeschuldigte bemerkt hatte, dass ihm eine polizeiliche Kontrolle drohte, beschleunigte er das von ihm genutzte Fahrzeug Marke BMW x1, amtliches Kennzeichen X, um sich der Kontrolle zu entziehen. Infolgedessen nahm der Funkstreifenwagen des Polizeireviers Villingen die Verfolgung des Angeschuldigten auf. Dem Angeschuldigten kam es während der anschließenden Verfolgungsfahrt durchgehend darauf an, unter Berücksichtigung der Verkehrslage und der Motorisierung eines Fahrzeugs möglichst schnell zu fahren, um auf diese Weise die ihn verfolgenden Polizeibeamten abzuhängen. So erreichte der Angeschuldigte im Rahmen der Verfolgungsfahrt in Richtung 78089 Unterkirnach – teils innerhalb geschlossener Ortschaften – Geschwindigkeiten zwischen 80 und 100 km/h. An Kreuzungen und Einmündungen auf seiner Fahrtstrecke verringerte der Angeschuldigte seine Geschwindigkeit nicht. Nur mit Mühe gelang es dem verfolgenden Streifenwagen, den Angeschuldigten aufgrund dessen Geschwindigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Auf seiner Fahrtstrecke überfuhr der Angeschuldigte – jeweils im Bereich Berliner Straße/Am Krebsgarten – im Rahmen der Verfolgungsfahrt ferner nacheinander insgesamt vier Lichtzeichenanlagen, die jeweils bereits seit über einer Sekunde Rotlicht anzeigten.

Im Bereich der Kreuzung Am Krebsgarten/Lahrer Straße kollidierte der Angeschuldigte im Rahmen seiner Fluchtfahrt aufgrund überhöhter Geschwindigkeit mit einem dort befindlichen Verkehrsteiler. Hierdurch entstand an diesem ein Sachschaden i.H.v. 272,33 €. Obwohl der Angeschuldigte dies bemerkt hatte, setzte er seine Fahrt auf der Lahrer Straße fort. Er hatte auch nicht vor, zu einem späteren Zeitpunkt Feststellungen zu seiner Person zu ermöglichen.

Der Angeschuldigte besitzt – wie er weiß – keine gültige Fahrerlaubnis. Daneben stand er – was er jedenfalls hätte erkennen können und zumindest billigend in Kauf nahm – zum Zeitpunkt vorbezeichneter Verfolgungsfahrt unter dem Einfluss von Rauschgift. Eine am 1.6.2019 um 1:05 Uhr entnommene Blutprobe ergab folgende Werte: 79,1 ng/ml Kokain und 494 ng/ml Benzoylecgonin.

Der Angeschuldigte konnte am 31.5.2019 gegen 23:45 Uhr festgenommen werden. Die Verfolgungsfahrt zog sich damit über einen Zeitraum von 3-4 Minuten hin.

Durch die Tat hat sich der Angeschuldigte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.“

Das AG geht davon aus, dass § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu unbestimmt ist und damit gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. Man darf gespannt sein, wie das BVerfG – wann? – entscheiden wird. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung hat ja auch schon einige Male die OLG beschäftigt (vgl. z.B. KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19).

Für den Verteidiger heißt es m.E.: In den „Alleinrennenfällen“ wird man nun bis zur Entscheidung des BVerfG Aussetzung beantragen müssen.

P.S.: Da der Beschluss des AG sehr umfangreich ist, habe ich ihn hier nicht – auch nicht auszugsweise eingestellt. Er steht aber im Volltext auf der Homepage.

Mit einem 605 PS-Boliden mit 150 km/h nachts durch Berlin, oder: Alleinrennen

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt aus Berlin. Es handelt sich um einen sog. „Raser-Fall“, zu dem das KG im KG, Beschl. v. 15.04.2019 – (3) 161 Ss 36/19 (25/19) – Stellung genommen hat.

Die Problematik der Entscheidung liegt erneut bei der Frage des so. Alleinrennens i.S. von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, das Hauptproblem bei der Anwendung dieser Neuregelung. Man merkt an der Stelle deutlich, dass das Eingreifen des Rechtsausschusses im Gesetzgebungsverfahren besser unterblieben wäre.

Das LG hatte den Angeklagten wegen eines Alleinrennens verurteilt. Dagegen die Revision, die das KG nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen hat. Nun ja, so „offensichtlich“ kann es nicht gewesen sein, denn dann müsste man nicht noch einiges „anmerken“. Und zwar:

„Die Stellungnahme des Verteidigers vom 9. April 2019 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass. Insbesondere folgt der Senat nicht der darin vertretenen Auffassung, der Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB und namentlich das subjektive Merkmal der „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ erfordere ein „volles Ausreizen“ eines Kraftfahrzeugs. Ein solches Erfordernis würde den Täter, der ein hochmotorisiertes Fahrzeug führt und sehr hohe Geschwindigkeiten erreicht, ohne an das Limit der technischen Leistungsfähigkeit zu gehen, unangemessen und sinnwidrig begünstigen. Das Gesetz stellt hier auf die „relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit“ ab (vgl. BeckOK/Kulhanek, 41. Ed. 1.2.2019, StGB § 315d Rn. 42; MüKo/Pegel, StGB 3. Aufl., § 315d Rn. 26; vgl. auch BT-Drs. 18/12964, 5). Dies fasst insbes. die fahrzeugspezifische Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit (wobei diese nicht erreicht sein muss), das subjektive Geschwindigkeitsempfinden, die Verkehrslage und die Witterungsbedingungen zusammen (BT-Drs. 18/12964, 5). Auf diese Weise sollen der nachgestellte Renncharakter manifestiert, bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen hingegen nicht von der Strafbarkeit umfasst werden, auch wenn sie erheblich sind (BT-Drs. 18/12964, 6). Gerade nicht erforderlich ist demnach, dass der Täter tatsächlich mit der fahrzeugspezifisch höchstmöglichen Geschwindigkeit gefahren ist (vgl. Schönke/Schröder/ Hecker, StGB 30. Aufl., § 315d Rn. 9).

Ergänzend merkt der Senat noch an:

Im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) ist eine zurückhaltende Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB angezeigt. Angesichts des außergewöhnlichen Tatgeschehens ist die Verwirklichung des objektiven („nicht angepasste Geschwindigkeit“) und subjektiven („um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“) Tatbestands der Vorschrift hier jedoch manifest. Denn nach den durch eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung getragenen Feststellungen – insoweit wird ausdrücklich auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen – wollte der Angeklagte, „um sich zu profilieren“ und seinen Beifahrern „zu imponieren“ (UA S. 8), einen mit 605 PS motorisierten Mietwagen „einmal austesten“ (UA S. 8) und raste hierzu über eine Strecke von zumindest 3,8 km durch das innerstädtische Berlin, wobei er eine Geschwindigkeit von „mindestens 150 km/h“ (UA S. 7) erreichte. Es galt durchgehend die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Durch aggressivruckartiges Lückenspringen zwang der Angeklagte andere Verkehrsteilnehmer immer wieder dazu abzubremsen. Diese und weitere im Urteil anschaulich geschilderte Feststellungen zeigen, dass die Tat über eine bloße Geschwindigkeitsüberschreitung hinausgeht (vgl. BT-Drs. 18/12964, 6). Sie tragen auch bei zurückhaltender Auslegung die Anwendung der neuen Strafvorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.“