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Verkehrsrecht I: Imponiergehabe ist kein „Rennen“, oder: Demonstrationen individuellen Fahrkönnens

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Heute dann zum ersten Mal in 2023 verkehrsrechtliche Entscheidungen.

Ich beginne mit  AG Hamburg-Bergedorf, Beschl. v. 29.11.2022 – 419a S 17/22. Der nimmt (mal wieder) zum verbotenen Kraftfahrzeugrennen Stellung. Den beiden Angeklagten wird Teilnahme an nicht genehmigtem Straßenrennen vorgeworfen. Das AG hat das Hauptverfahren nicht eröffnet:

„Mit den vorhandenen Beweismitteln und aus Rechtsgründen wird sich die Tat voraussichtlich nicht nachweisen lassen.

1. Die Staatsanwaltschaft hat beide Angeschuldigte wegen eines Verstoßes gegen § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB angeklagt. Die Tatbestandsalternative des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist erst im Zuge der Gesetzesberatungen in die zur Pönalisierung verbotener Kraftfahrzeugrennen neu geschaffene Strafvorschrift des § 315 d StGB eingefügt worden. Der Gesetzgeber wollte neben den Rennen mit mehreren Kraftfahrzeugen auch Fälle des schnellen Fahrens mit nur einem einzigen Kraftfahrzeug strafrechtlich erfassen, die über den Kreis alltäglich vorkommender, wenn auch erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitungen hinausragen, weil der Täter mit einem Kraftfahrzeug in objektiver und subjektiver Hinsicht ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt (vgl. Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz [6. Ausschuss], BT-Drs. 18/12964, 5 f.), hierzu BGH, NJW 2021, 1173. Gegen die Verwirklichung dieser angeklagten Tatvariante – mit der diejenigen Fälle erfasst werden sollen, in denen nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt (Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315d Rn. 8) – spricht hier, dass zwei Angeschuldigte in zwei Fahrzeugen angeklagt sind, die nach dem konkreten Anklagevorwurf zusammengefahren sein sollen.

Im Übrigen werden sich nach der Aktenlage die erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB voraussichtlich nicht nachweisen lassen. Nach der als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Begehungsalternative des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Grob verkehrswidrig handelt der Täter, wenn er einen besonders schweren und gefährlichen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften begeht, der nicht nur die Sicherheit des Straßenverkehrs erheblich beeinträchtigt, sondern auch schwerwiegende Folgen zeitigen kann. Es muss sich mithin um einen besonders schweren Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften handeln. Bereits hieran bestehen Zweifel. Zwar haben die Angeschuldigten jeder für sich die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h nach dem schlüssigen Sachverständigengutachten um 38 km/h (der Angeschuldigte pp) und um 30 km/h (der Angeschuldigte pp) überschritten. Gegen die Annahme eines besonders schweren Verstoßes gegen die Verkehrsvorschriften spricht jedoch, dass nach der zur Tatzeit geltenden BKatV diese Zuwiderhandlung mit einer geringen Geldbuße von 120,00 € bzw. 80,00 €, jeweils ohne Regelfahrverbot, zu ahnden gewesen wäre. Zudem liegen nach Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine rücksichtslose Tatbegehung vor. Rücksichtslos handelt, wer sich im Bewusstsein seiner Verkehrspflichten aus eigensüchtigen Gründen über diese hinwegsetzt oder sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten als Fahrzeugführer besinnt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens drauflos fährt (vgl. KG Beschl. v. 29.4.2022 – (3) 161 Ss 51-22 (15-22), BeckRS 2022, 14327). Erforderlich ist ein Defizit, das – geprägt von Leichtsinn, Eigennutz oder Gleichgültigkeit – weit über das hinausgeht, was normalerweise jedem – häufig aus Gedankenlosigkeit oder Nachlässigkeit – begangenen Verkehrsverstoß innewohnt. Umstände, die auf ein solches Defizit schließen würden – wie z. B. Beschleunigungen mit durchdrehenden Rädern oder quietschenden Reifen, rasche, ruckartige Wechsel der Fahrstreifen ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers oder ähnliche Fahrweisen – sind aus der Akte nicht ersichtlich. Außer der Spurenlage am Unfallort liegen keine Erkenntnisse über das Fahrverhalten der Angeschuldigten vor (BI. 131).

2. Auch der Nachweis einer Strafbarkeit gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB, der Teilnahme als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen, wird sich voraussichtlich nicht erbringen lassen.

Rennen im Sinne dieser Norm sind Wettbewerbe oder Teile eines Wettbewerbs sowie Veranstaltungen zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten mit mindestens zwei teilnehmenden Kraftfahrzeugen. Zwar kommt es grundsätzlich weder auf eine besondere Länge der gefahrenen Strecke an, noch bedarf es einer vorherigen Absprache der Beteiligten. Jedoch sind Demonstrationen individuellen Fahrkönnens bereits begrifflich nicht als Rennen erfasst, es sei denn, es geht auch hier um die Erzielung von Bestzeiten, Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten (Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315d Rn. 3). Nach der Aktenlage ist der Nachweis, dass es den Angeschuldigten um die Erzielung von Bestzeiten, Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten ging, voraussichtlich nicht mit der erforderlichen Verurteilungswahrscheinlichkeit zu führen. Auch unter Berücksichtigung der sportlichen Fahrzeuge und des Umstandes, dass sie sich zuvor auf einem „Cruiser Treffen“ befunden haben, spricht gegen diese Absicht die von den Angeschuldigten gefahrenen Geschwindigkeiten, die „nur“ 30 bzw. 38 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h lagen. Bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen sollen nicht von der Strafbarkeit erfasst werden. Die Straßenführung am Tatort und die Wetterverhältnisse (siehe im Sachverständigengutachten Ziffer II. Bilder von der Unfallstelle) hätten höhere Geschwindigkeiten der Angeschuldigten vermuten lassen, wenn es ihnen um die Erzielung von Bestzeiten oder Höchstgeschwindigkeiten gegangen wäre.

Gegen diese Absicht sprechen zudem die Angaben der Angeschuldigten am Tatort, unabhängig davon, dass an ihrer Verwertbarkeit Zweifel bestehen könnten. Denn beide Angeschuldigte sind im Bericht zum Verkehrsunfall als Beschuldigte bezeichnet worden (BI. 11 f.), ihre Belehrung erfolgte gemäß Aktenlage aber erst nach ihren Sachverhaltsschilderungen als Beschuldigte (BI. 12). Der Angeschuldigte pp. schilderte, dass er im Bereich der Geraden wieder beschleunigen wollte, als das Heck seines Autos ausgebrochen sei urid er die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren habe (BI. 11). Der Angeschuldigte pp. gab an, leicht versetzt hinter dem Fahrzeug des Angeschuldigten pp. gefahren zu sein (BI. 12). Ein Rennen ist aus diesen Schilderungen nicht zwingend zu schließen; naheliegend kann der Unfall ebenso wegen eines Fahrfehlers des Angeschuldigten pp.  entstanden sein. Die Angaben der Angeschuldigten finden insbesondere Bestätigung in den schlüssigen Bekundungen des Zeugen  (BI. 113), dem Beifahrer des Angeschuldigten pp. Danach habe er eine Bewegung des Fahrzeughecks bemerkt, ohne zuvor eine Beschleunigung des Autos wahrgenommen zu haben. Der Angeschuldigte pp. sei zudem immer hinter ihnen und nicht neben ihnen gefahren.

Da, wie ausgeführt, keine weiteren Erkenntnisse zum Fahrverhalten und zur Fahrweise der Angeschuldigten bestehen, wird vor diesem Hintergrund der Nachweis eines Kraftfahrzeugrennens voraussichtlich nicht zu führen sein.

3. Nach der Aktenlage bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die Verwirklichung eines Verstoßes der enumerativ aufgeführten Verstöße liegt nicht vor. Die erforderliche rücksichtslose Tatbegehung würde zudem aus den obigen Erwägungen voraussichtlich nicht nachzuweisen sein.

4. Verkehrsordnungswidrigkeiten der Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften gemäß §§ 41 i. V. m. Anlage 2, 49 StVO, 24 StVG und betreffend den Angeschuldigten der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs, für das die Betriebserlaubnis erloschen war, gemäß §§ 19 Abs. 5, 69a StVZO, 24 StVG waren nach der Aktenlage zwar verwirklicht. Es ist jedoch Verfolgungsverjährung gemäß § 26 Abs. 3 StVG eingetreten, die nicht gemäß § 33 OWiG unterbrochen wurde.“

Verkehrsrecht I: Alleinrennen, oder: Ist die Regelung wegen Unbestimmtheit verfassungswidrig?

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Heute dann mal wieder ein Tag mit verkehrsrechtlichen Entscheidungen.

Und da weise ich zunächst hin auf den AG Villingen-Schwenningen, Beschluss vom 16.01.2020 – 6 Ds 66 Js 980/19. Bei diesem Beschluss handelt es sich um einen Vorlagebeschluss des AG an das BVerfG. Das AG möchte eine Entscheidung des BVerfG darüber, ob § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar und deshalb gültig ist.

In dem beim AG anhängigen Verfahren legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten u.a. einen Verstoß gegen § 315d Abs. 1 Nr. 3 stGB zur Last, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Am 31.5.2019 um 23:42 Uhr sollte der Angeschuldigte durch eine Funkstreife des Polizeireviers Villingen im Bereich der Konstanzer Straße in 78048 Villingen-Schwenningen einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen werden. Nachdem der Angeschuldigte bemerkt hatte, dass ihm eine polizeiliche Kontrolle drohte, beschleunigte er das von ihm genutzte Fahrzeug Marke BMW x1, amtliches Kennzeichen X, um sich der Kontrolle zu entziehen. Infolgedessen nahm der Funkstreifenwagen des Polizeireviers Villingen die Verfolgung des Angeschuldigten auf. Dem Angeschuldigten kam es während der anschließenden Verfolgungsfahrt durchgehend darauf an, unter Berücksichtigung der Verkehrslage und der Motorisierung eines Fahrzeugs möglichst schnell zu fahren, um auf diese Weise die ihn verfolgenden Polizeibeamten abzuhängen. So erreichte der Angeschuldigte im Rahmen der Verfolgungsfahrt in Richtung 78089 Unterkirnach – teils innerhalb geschlossener Ortschaften – Geschwindigkeiten zwischen 80 und 100 km/h. An Kreuzungen und Einmündungen auf seiner Fahrtstrecke verringerte der Angeschuldigte seine Geschwindigkeit nicht. Nur mit Mühe gelang es dem verfolgenden Streifenwagen, den Angeschuldigten aufgrund dessen Geschwindigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Auf seiner Fahrtstrecke überfuhr der Angeschuldigte – jeweils im Bereich Berliner Straße/Am Krebsgarten – im Rahmen der Verfolgungsfahrt ferner nacheinander insgesamt vier Lichtzeichenanlagen, die jeweils bereits seit über einer Sekunde Rotlicht anzeigten.

Im Bereich der Kreuzung Am Krebsgarten/Lahrer Straße kollidierte der Angeschuldigte im Rahmen seiner Fluchtfahrt aufgrund überhöhter Geschwindigkeit mit einem dort befindlichen Verkehrsteiler. Hierdurch entstand an diesem ein Sachschaden i.H.v. 272,33 €. Obwohl der Angeschuldigte dies bemerkt hatte, setzte er seine Fahrt auf der Lahrer Straße fort. Er hatte auch nicht vor, zu einem späteren Zeitpunkt Feststellungen zu seiner Person zu ermöglichen.

Der Angeschuldigte besitzt – wie er weiß – keine gültige Fahrerlaubnis. Daneben stand er – was er jedenfalls hätte erkennen können und zumindest billigend in Kauf nahm – zum Zeitpunkt vorbezeichneter Verfolgungsfahrt unter dem Einfluss von Rauschgift. Eine am 1.6.2019 um 1:05 Uhr entnommene Blutprobe ergab folgende Werte: 79,1 ng/ml Kokain und 494 ng/ml Benzoylecgonin.

Der Angeschuldigte konnte am 31.5.2019 gegen 23:45 Uhr festgenommen werden. Die Verfolgungsfahrt zog sich damit über einen Zeitraum von 3-4 Minuten hin.

Durch die Tat hat sich der Angeschuldigte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.“

Das AG geht davon aus, dass § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu unbestimmt ist und damit gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. Man darf gespannt sein, wie das BVerfG – wann? – entscheiden wird. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung hat ja auch schon einige Male die OLG beschäftigt (vgl. z.B. KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19).

Für den Verteidiger heißt es m.E.: In den „Alleinrennenfällen“ wird man nun bis zur Entscheidung des BVerfG Aussetzung beantragen müssen.

P.S.: Da der Beschluss des AG sehr umfangreich ist, habe ich ihn hier nicht – auch nicht auszugsweise eingestellt. Er steht aber im Volltext auf der Homepage.

Verbotenes Rennen: Verfassungmäßigkeit und Tatbestandsvoraussetzungen, oder: Das meint das KG

Ich mache heute dann mal einen Tag mit Enntscheidungen mit verkehrsrechtlichem Einschlag. Die erste, der KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19), hat mit der Kollege Kroll aus Berlin geschickt. Es geht man wieder um den (neuen) § 315d StGB (warum eigentlich so häufig Berlin [?]).

Das KG nimmt zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift und zu den Tatbestandsvoraussetzungen Stellung. Es bejaht die Verfassungmäßigkeit – bitte selbst nachlesen – und führt im Übrigen u.a. aus:

„a) Die amtsgerichtlichen Feststellungen sind bereits im Hinblick auf das Fahren des Angeklagten mit nicht angepasster Geschwindigkeit zum Teil widersprüchlich.

Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit auszugehen ist, ist entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt (vgl. Pegel, -a.a.O., Rn. 24; Jansen, NZV 2019, 285 m.w.N.). Die Regelung knüpft insoweit an § 3 Abs. 1 StVO an (vgl. Hecker, a.a.O., Rn. 8; ders. Jus 2019, 596).  Gemeint ist mithin ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist (vgl. Pegel, a.a.O., Rn. 24; Kulhanek in BeckOK StGB 43. Edition, § 315d Rn. 35). Darüber hinaus richtet ich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeuges (vgl. Pegel, a.a.O., Rn. 24).

Soweit es die Fahrt durch die Kurve Schönholzer Straße/Grabbeallee, in der das Fahrzeug „nach außen getragen“ wurde, und die Weiterfahrt des Angeklagten — nach zwischenzeitlicher Verminderung seiner Geschwindigkeit – auf der Grabbeallee mit mindestens 89 km/h betrifft, ist das Amtsgericht zwar in zutreffender Weise zu der Feststellung .gelangt, dass der Angeklagte mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren ist.. In Bezug auf die Geschwindigkeit im Bereich Breite Straße/Wollankstraße/Schönholzer Straße erweisen sich die Feststellungen. des Amtsgerichts unter Berücksichtigung der Maßstäbe aber als widersprüchlich.

Der Umstand, dass es sich hierbei um den Beginn der Nachfahrt durch die Zeugen PM T. und POM P. handelt, die aufgrund seiner überhöhten Geschwindigkeit die Verfolgung des Angeklagten aufgenommen haben, •fügt sich insoweit nicht schlüssig in die Schilderung des weiteren Geschehensablaufes ein, wonach der Angeklagte ohne eine zwischenzeitliche Reduzierung seiner Geschwindigkeit nach mehreren Überholmanövern auf der Schönholzer Straße beschleunigt und  sodann mit mindestens 55 km/h in die Kurve Schönholzer Straße/Grabbeallee gefahren sei. Denn die Angabe, dass eine für die Zeugen sichtbare Beschleunigung stattgefunden hat, die dazu führt, dass der Angeklagte in der Folge eine Geschwindigkeit von (mindestens) 55 km/h erreicht hat, legt nahe, dass er zuvor mit  einer geringeren, 50 km/h unterschreitenden Geschwindigkeit gefahren ist.

b) Darüber hinaus tragen die Feststellungen ein grob verkehrswidriges und rücksichtloses Verhalten des Angeklagten nicht.

(1) Da die bloße Geschwindigkeitsüberschreitung – auch wenn sie erheblich ist – nicht von der Strafbarkeit nach § 315d Abs. I Nr. 3 StGB erfasst sein soll (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. April 2018 – 1 Ws 23/18 juris; BT-Drs. 18/12964, §. 5; Kulhanek JA 2018, 561), muss sich der Täter darüber hinaus grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegen. Beide Tatbestandsmerkmale sind in gleicher Weise zu verstehen wie im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. BT-Drs. 18/12964, §. 5; Pegel, a.a.O., Rn. 25; Heger in Lackner/Kühl, StGB 29. Aufl., § 315d Rn. 5; Kulhanek in BeckOK StGB, a.a.O., Rn. 36).

Danach handelt der Täter grob verkehrswidrig, wenn er einen besonders schweren und gefährlichen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften begeht, der nicht nur die Sicherheit des Straßenverkehrs erheblich beeinträchtigt, sondern auch schwerwiegende Folgen zeitigen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Mai 2007 – (3) 1 Ss 103/07 (46/07) – und Urteil vom 9. Oktober 2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12) -, beide bei jur.is). Es muss mithin ein objektiv besonders schwerer Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften und die Verkehrssicherheit vorliegen (König in Leipziger Kommentar, StGB 12. Aufl., § 315c Rn. 133 m.w.N.; Kulhanek in BeckOK StGB, a.a.O.).

Rücksichtslos handelt demgegenüber, wer sich im Bewusstsein seiner Verkehrspflichten aus eigensüchtigen Gründen über diese hinwegsetzt oder sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten als Fahrzeugführer besinnt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens drauflos fährt (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Mai 2007, a.a.O.; Pegel, a.a.O., § 315c Rn. 82). Die Annahme rücksichtslosen Verhaltens kann nicht allein mit dem objektiven Geschehensablauf begründet werden (vgl. Senat, Urteil vom 9. Oktober 2012, a.a.O.), sondern verlangt ein sich aus zusätzlichen Umständen ergebendes Defizit, das — geprägt von Leichtsinn, Eigennutz oder Gleichgültigkeit – weit über das hinausgeht, was normalerweise jedem — häufig aus Gedankenlosigkeit oder Nachlässigkeit — begangenen Verkehrsverstoß innewohnt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. Mai 2007, a.a.O., und vom 27. Oktober 2005 – (3 ) 1 Ss 318/05 (83/05) —, juris; Pegel, a.a.O., § 315c Rn. 85). Maßgeblich ist die konkrete Verkehrssituation unter Einschluss• der Vorstellungs- und Motivlage des Täters (Pegel, a.a.O., § 315c Rn. 85). Auch aus der grob fahrlässigen Begehung zweier Verkehrsverstöße kann nicht ohne Weiteres auf das Vorliegen von Rücksichtslosigkeit geschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 9. Oktober 2012, a.a.O.).

Die Tatbestandsmerkmale der groben Verkehrswidrigkeit und der Rücksichtslosigkeit müssen jeweils kumulativ vorliegen (vgl. Hecker in Schönke-Schröder, StGB 30. Aufl., § 315c Rn. 26 m.w.N.), sodass es nicht ausreichend ist, wenn der Angeklagte einzelne Verkehrsverstöße jeweils nur grob verkehrswidrig und andere rücksichtslos begeht.

(2) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe zeigt sich, dass die Feststellungen nicht die Einschätzung des Amtsgerichts tragen, der Angeklagte habe sich grob verkehrswidrig und rücksichtslos verhalten……“

Verbotenes Rennen (gegen sich selbst), oder: Nicht allein wegen zu hoher Geschwindigkeit

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Und zum Schluss des Tages dann noch eine verkehrsrechtliche Entscheidung, und zwar der AG Essen, Beschl. v. 16.10.2018 – 44 Gs 2891/18. In ihm hat das AG die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB – Verbotenes Rennen – abgelehnt:

Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen steht fest, dass der Beschuldigte am pp. gegen pp. Uhr mit dem Pkw Mercedes AMG, amtliches Kennzeichen unter anderem die pp. befuhr. Währenddessen wurde er durch die Zeugen PKin pp., PKin pp. Pkin pp., PK pp, PK pp. und PKin pp. die sich in zivilen Einsatzfahrzeugen auf dem Parkplatz pp. und auf der pp. sraße und auf der pp. Straße postiert hatten, beobachtet.

Dem Beschuldigten wird seitens der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt, sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt zu haben, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB. Daher hat die Staatsanwaltschaft Essen mit Verfügung vom pp. beantragt, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis war abzulehnen.

Nach dem bisherigen Verfahrensstand vermag das Gericht bereits nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass sich der Beschuldigte mit seinem Fahrzeug mit „nicht angepasster Geschwindigkeit“ fortbewegt hat Entsprechende Feststellungen können nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen nach Auffassung des Gerichts nicht getroffen werden. Die Angaben der Zeugen beschränken sich darauf, dass der Beschuldigte mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h bis 100km/h gefahren sein soll. Ausführungen dazu wie die jeweils gefahrene Geschwindigkeit gemessen worden ist oder geschätzt werden konnte, werden nicht gemacht. Darüber hinaus ist zu beachten, dass nicht schon die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit das Tatbestandsmerkmal erfüllt, sondern dass sich die Anpassung der Geschwindigkeit auf die konkrete Verkehrssituation bezieht, welche sowohl allgemeine Umstände (Fahrbahn, Verkehrsaufkommen, Witterung, Lichtverhältnisse) als auch subjektive Umstände (Leistungsfähigkeit des Kfz-Führers) einbezieht (Thomas Fischer, StGB, 65. Auflage, 2018, § 315 d, Rn. 14). Angaben zu solchen Umstände fehlen gänzlich.

Tja, so einfach ist das mit der neuen Vorschrift nicht.

Verbotenes Rennen, oder/aber: Wie fährt man gegen sich allein ein Rennen?

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Und als zweite Entscheidung heute dann noch eine weitere, die sich mit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis befasst. Nach einem Verkehrsunfall – der Beschuldigte soll vor einer Kurve mehrere Fahrzeuge überholt haben und ist anschließend mit entgegenkommenden Fahrzeugen zusammen gestoßen. Ihm wird die Fahrerlaubnis entzogen, und zwar gestützt auf eine Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB und auf ein verbotenen Kraftfahrzeugrennen nach dem neuen § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB. Das LG Stade sagt dazu im LG Stade, Beschl. v. 04.07.2018 – 132 Qs 88/18: § 315c StGB ja, aber § 315d StGB nein. Dabei macht es ganz interessante Ausführungen zu dem neuen „Alleinrennen“.

„Nach vorläufiger Bewertung hat der Beschwerdeführer allerdings den Tatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht verwirklicht. Die Tathandlung muss von der Absicht getragen sein, eine „höchstmögliche Geschwindigkeit“ zu erreichen (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Aufl. 2018, § 315d, Rn. 16). Diese Tatbestandsvoraussetzung soll insbesondere dem Erfordernis des Renncharakters gerecht werden. Hingegen sollen bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen – auch wenn sie erheblich sind – nicht von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB umfasst sein (vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 6; Burmann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 315d, Rn. 9 – beck-online). Strafbar soll sein, wer „objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt“ (vgl. BT-Drs. 18/12936, S. 2). Nach Auffassung der Kammer dient der Kraftfahrzeugverkehr und ein Überholvorgang regelmäßig dem „möglichst“ schnellen Vorankommen (vgl. auch Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Aufl. 2018, § 315d, Rn. 18), sodass für die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zum bloßen zügigen Überholen ein Fahren mit Renncharakter hinzukommen muss. Ein Renncharakter ist gegeben, wenn der Fahrer sein Fahrzeug bis an die technischen und physikalischen Grenzen ausfährt. Hierfür sieht die Kammer nach vorläufiger Würdigung des Akteninhalts keine ausreichenden Anhaltspunkte.“

Hmm, „Fahren mit Renncharakter“? Wie geht das beim Alleinrennen, wenn man also nicht gegen jemanden „anfährt“. Dann reicht das Ausfahren mit bis an die technischen und physikalischen Grenzen? In meinen Augen wenig durchdacht, was der Rechtsausschuss des Bundestages da im Gesetzgebungsverfahren noch in die Neuregelung hineingepackt hat. Denn die Nr. 3 stammt vom Rechtsausschuss.