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StPO II: Fristversäumung bei der Anhörungsrüge, oder: Wiedereinsetzung, ja aber

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Und als zweite Entscheidung dann etwas vom BayObLG zur Anhörungsrüge.

In dem Verfahren hatte das BayObLG die Revision des Angeklagten verworfen. Der will Anhörungsrüge erheben, versäumt aber die Frist. Er stellt einen Wiedereinsetzungsantrag, der ohne Erfolg bleibt, das BayObLG hat den Antrag im BayObLG, Beschl. v. 26.02.2024 – 203 StRR 511/23 – zurückgewiesen.

„1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 44, 45 StPO hat keinen Erfolg. Der Vortrag des Verurteilten schließt ein eigenes Verschulden an der Fristversäumnis nicht aus. Für die Entscheidung kann der Senat dahin stehen lassen, welcher der sich widersprechenden anwaltlichen Versicherungen Glauben zu schenken ist.

Nach § 356a S. 2 und 3 StPO ist der Antrag auf Zurückversetzung des Verfahrens in die Lage vor der Senatsentscheidung vom 22. Januar 2024 nur zulässig bei Wahrung der dort genannten Frist und Form. Danach ist der Antrag binnen einer Woche nach Kenntniserlangung von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle bei dem Revisionsgericht anzubringen und zu begründen. Kenntnis von der Gehörsverletzung bedeutet die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Verletzung ergibt (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. März 2005 – 2 StR 444/04-, vom 7. März 2006 – 5 StR 362/05 – und vom 16. Mai 2006 – 4 StR 110/05 -, jeweils juris). Der Zeitpunkt seiner Kenntniserlangung ist vom Antragsteller innerhalb der Wochenfrist glaubhaft zu machen. Ein entsprechender Vortrag im weiteren Verlauf des Verfahrens reicht nicht (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2005 – 2 StR 444/04 –, juris; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 – 1 StR 633/12 –, juris Rn. 8). Wird die Frist unverschuldet versäumt, ist eine Wiedereinsetzung grundsätzlich möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2021 – 6 StR 238/20 –, juris; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 – 1 StR 633/12 –, juris). An die Voraussetzungen fehlenden Verschuldens sind im Interesse der Rechtssicherheit bei § 356a StPO hohe Anforderungen zu stellen (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2021 – 6 StR 238/20 –, juris Rn. 6). Der Angeklagte muss sich das Verschulden seines Verteidigers an der Fristversäumung zurechnen lassen (st. Rspr., vgl. BGH a.a.O.; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 – 1 StR 633/12 –, juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 13. August 2008 – 1 StR 162/08 –, juris; BGH, Beschluss vom 20. Mai 2011 – 1 StR 381/10 –, juris; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 356a Rn. 11; Temming in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 356a StPO Rn. 4).

Danach hat der Verteidiger weder im Schriftsatz vom 8. Februar 2024 noch im Schriftsatz vom 15. Februar 2024 einen Sachverhalt vorgetragen, der ein Verschulden des Verurteilten an der Fristversäumnis ausschließen würde. Der Verteidiger hat es vielmehr vorwerfbar und somit dem Verurteilten zurechenbar versäumt, in seinem Schriftsatz vom 8. Februar 2024 hinreichend dazu vorzutragen, wann der Verurteilte, der selbst Rechtsanwalt ist und den selbst die Pflicht trifft, sich über eröffnete Rechtsbehelfe zu informieren, Kenntnis von dem Senatsbeschluss vom 22. Januar 2024 erlangt hat. Auf diesen Vortrag durfte der Verteidiger bereits in der Antragsschrift vom 8. Februar 2024 nicht verzichten, da es für die Frage der Fristeinhaltung im Sinne des § 356a S. 2 StPO entgegen der Rechtsansicht des Verteidigers nicht auf seine Kenntnis, sondern alleine auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Verurteilten ankommt (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2023 – 1 StR 311/23 –, juris Rn. 2).

Somit war die Gehörsrüge vom 8. Februar 2024 – endgültig – unzulässig, weil der anwaltlich vertretene Antragsteller nicht innerhalb der Wochenfrist mitgeteilt sowie nicht glaubhaft gemacht hat und auch sonst nicht ersichtlich ist, wann der Verurteilte vom Verwerfungsbeschluss des Senats vom 22. Januar 2024, der nach dem Abvermerk der Geschäftsstelle am 24. Januar 2024 an diesen abgeschickt worden war, erstmals Kenntnis erlangt hat. Die Mitteilung dieses Tages in der Antragsschrift vom 8. Februar 2024 war unerlässlich, zumal dem Verteidiger mit der Übermittlung des Senatsbeschlusses, den er nunmehr am 1. Februar 2024 erhalten haben will, auch der Hinweis erteilt worden ist, dass der Senatsbeschluss auch unmittelbar seinem Mandanten bekannt gemacht würde. Der Verteidiger hätte bei dieser Konstellation, seinen krankheitsbedingten Ausfall bis zum 1. Februar 2024 unterstellt, am 1. Februar 2024 von einer früheren Kenntniserlangung des – nicht erkrankten – Verurteilten ausgehen müssen, hätte diesen Zeitpunkt mit dem Mandanten klären müssen und hätte mit der Antragstellung nicht bis zum 8. Februar 2024 abwarten dürfen.

Darauf, dass der Verteidiger, die Richtigkeit des Vortrags vom 15. Februar 2024 unterstellt, in seinem Antrag vom 8. Februar 2024 schuldhaft zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung (25. Januar 2024) falsch vorgetragen hätte, kommt es nicht mehr maßgeblich an. Es spielt auch keine Rolle, dass die nicht mit weiteren Beweismitteln unterlegte anwaltliche Behauptung im Schriftsatz vom 15. Februar 2024, er hätte krankheitsbedingt erst am 1. Februar 2024 von dem Senatsbeschluss Kenntnis erlangt, dem Senat als Mittel der Glaubhaftmachung hier nicht genügt hätte, nachdem diese Erklärung in einem nicht auflösbaren Widerspruch zu der anwaltlichen Behauptung vom 8. Februar 2024 (Kenntniserlangung bereits am 25. Januar 2024) steht.

beA I: Fristversäumung wegen Computerausfall, oder: Anforderungen an die Glaubhaftmachung

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Heute ist Samstag und damit „Kessel-Buntes-Tag“. Und an dem stelle ich zwei weitere Entscheidungen zumbeA bzw. zum elektronischen Dokument vor.

Zunächst kommt hier der BGH, Beschl. v. 01.03.2023 – XII ZB 228/22 – zur Frage der Wiedereinsetzung in den Fällen eines unverschuldeten Computerausfalls. Folgender Sachevrhalt:

Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren, in dem vom Antragsgegner Zahlung von Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht wegen geleisteter Unterhaltsvorschusszahlungen gefordert  worden ist. Das AG hat den Antragsgegner zur Zahlung verpflichtet. Gegen den ihm am 25.10.2021 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner form- und fristgemäß Beschwerde eingelegt.

Der Familiensenat beim OLG Rostock hat dann die Frist zur Begründung der Beschwerde bis zum 27.01.2022 verlängert. Die Begründung ist dann allerdings erst am 28.01.2022 um 0.03 Uhr per beA eingegangen. Nachdem das OLG auf die mögliche Fristversäumung hingewiesen hatte, wird ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Der wird damit begründet, dass der Prozeßbevollmächtigte des Antragsgegners den Schriftsatz zunächst auf einem älteren PC der Kanzlei erstellt habe. Um 23.50 Uhr habe er die Begründung dann auf seinem Laptop signieren und über das beA an das Gericht übermitteln wollen. Dabei sei es zwischen 23.54 Uhr und 23.58 Uhr zu einem Ausfall des Notebooks gekommen, der durch einen Neustart behoben werden konnte. Der IT-Fachmann der Kanzlei habe später ermittelt, dass das Gerät bereits ab 23.20 Uhr Fehlermeldungen aufgezeichnet habe, die mit dem Neustart um 23.54 Uhr geendet hätten. Den Hintergrund hierfür habe man nicht klären können.

Das OLG Rostock hat Wiedereinsetzung abgelehnt. Der BGH hat das bestätigt:

„“a) Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zu Recht gemäß §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil der Antragsgegner diese nicht innerhalb der bis zum 27. Januar 2022 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist begründet hat.

b) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Oberlandesgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde abgelehnt.

aa) Nach §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Verfahrensbeteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten. Das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten ist dem Beteiligten zuzurechnen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO). Der Verfahrensbeteiligte muss die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen glaubhaft machen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 236 Abs. 2 ZPO). Dabei verlangt ein auf einen vorübergehenden „Computer-Defekt” oder „Computer-Absturz” gestützter Wiedereinsetzungsantrag nähere Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung (vgl. BGH Beschluss vom 17. Mai 2004 – II ZB 22/03NJW 2004, 2525, 2526). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war (vgl. Senatsbeschluss vom 6. April 2011 – XII ZB 701/10NJW 2011, 1972 Rn. 8 mwN).

bb) Gemessen hieran ist die Auffassung des Beschwerdegerichts, der Antragsgegner habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sein Verfahrensbevollmächtigter die Fristversäumung nicht verschuldet hat, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Zwar stellen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht vorhersehbare und nicht vermeidbare Störungen einer EDV-Anlage einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn sie das rechtzeitige Erstellen oder Absenden eines Schriftsatzes verhindern (BGH Beschlüsse vom 22. November 2017 – VII ZB 67/15FamRZ 2018, 281 Rn. 23 und vom 12. Februar 2015 – V ZB 75/13NJW-RR 2015, 1196 Rn. 10 mwN). Nach dem vom Antragsgegner zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags gehaltenen Vortrag besteht jedoch im vorliegenden Fall nicht die zur Glaubhaftmachung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Januar 2022 – XII ZB 227/21FamRZ 2022, 647 Rn. 11 mwN) dafür, dass der Computerdefekt auf einem unvorhersehbaren und nicht vermeidbaren Fehler der verwendeten Hard- oder Software beruhte.

Der Antragsgegner räumt in seinem Wiedereinsetzungsantrag selbst ein, dass der Grund für die Funktionsstörung des verwendeten Laptops letztlich nicht aufgeklärt werden konnte. Auch dem von seinem Verfahrensbevollmächtigten beauftragten IT-Berater war es nach Auswertung der im Ereignisprotokoll aufgezeichneten Fehler nicht möglich, eine Ursache für den Computerabsturz zu benennen. Aus dem Vortrag des Antragsgegners ergibt sich weiter, dass der Laptop offensichtlich vor dem hier maßgeblichen Zeitraum fehlerfrei funktionierte, es nach dem Neustart des Computers auch zu keinen weiteren Funktionsstörungen mehr kam und eine Reparatur oder Wartung des Laptops nicht erforderlich war.

Für die Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax hat der Bundesgerichtshof jedoch bereits entschieden, dass ein einen Bedienungsfehler ausschließendes, auf einem technischen Defekt beruhendes Spontanversagen eines Faxgeräts nicht hinreichend glaubhaft gemacht wird, wenn vor und nach dem erfolglosen Versuch der Übermittlung eines Schriftsatzes erfolgreiche Übermittlungen an die jeweiligen Empfänger stattgefunden haben, ohne dass zwischenzeitlich eine technische Wartung oder Reparatur erfolgt ist (BGH Beschluss vom 10. Oktober 2006 – XI ZB 27/05NJW 2007, 601 Rn. 12). Unter diesen Umständen begegnet die Annahme des Beschwerdegerichts, dass ein von dem Verfahrensbevollmächtigten verschuldeter Bedienfehler mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein unerwartet aufgetretener Hard- oder Softwarefehler, der sich nach 30 Minuten ohne weitere Maßnahmen von selbst behoben hat, keinen rechtlichen Bedenken.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde spricht gegen einen vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners verschuldeten Bedienfehler auch nicht, dass dieser mit dem elektronischen Versand und der Signierung von Schriftstücken über den hier eingesetzten Laptop vertraut war. Im vorliegenden Fall nutzte der Verfahrensbevollmächtigte zur Fertigung und Übermittlung der Beschwerdebegründungsschrift einen aufwendigen Weg, obwohl ihm bis zum Ablauf der Begründungsfrist nur noch wenig Zeit zur Verfügung stand. Nach dem Vortrag des Antragsgegners hatte sein Verfahrensbevollmächtigter den Schriftsatz zunächst unter Verwendung einer Spracherkennungssoftware auf einem älteren Desktop-PC erstellt. Gegen 23:26 Uhr begann er mit den erforderlichen Korrekturen des Schriftsatzes. Anschließend wechselte er zu seinem Laptop, um gegen 23:50 Uhr den Schriftsatz zu signieren und ihn an das Beschwerdegericht per beA zu übermitteln. Unter diesen Umständen ist es nicht auszuschließen, dass es auch bei jemandem, der mit der Bedienung eines Computers und den Arbeitsabläufen vertraut ist, aufgrund des Zeitdrucks zu einer Fehlbedienung des Computers kommt.

cc) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es im vorliegenden Fall auch an der Darlegung fehlt, weshalb der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners nicht von der in § 130 d Satz 2 ZPO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufungsbegründungsschrift vor Ablauf der Begründungsfrist in herkömmlicher Weise – etwa per Telefax – einzureichen. Denn die in dieser Vorschrift vorgesehene Möglichkeit, bei einer technischen Störung ein Dokument nach den allgemeinen Vorschriften zu übermitteln, besteht unabhängig davon, ob die Störung auf einem Defekt des Übertragungsgeräts beruht oder in der Sphäre des Einreichenden liegt (vgl. Thomas/Putzo/Seiler ZPO 43. Aufl. § 130 d Rn. 2).“

Kleine zivilrechtliche Rechtsprechungsübersicht, oder: Fristenkontrolle, Terminsverlegung, Wartezeit

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Im „Kessel-Buntes“ heute dann einige zivilrechtliche Entscheidungen zu Fristem, Fristversäumung, Zugangsfragen, Terminsverlegung usw. Ich beginne hier mit drei BGH-Entscheidungen und einem Beschluss des OLG Hamburg, und zwar:

Ein Rechtsanwalt hat durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren.

Das Berufungsgericht hat gemäß § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen, ob die Frist zur Begründung der Berufung gewahrt worden ist. Erst nach Ausschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisse gehen etwa noch vorhandene Zweifel zu Lasten des Rechtsmittelführers.

1. Erhebliche Gründe im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Einem Antrag auf Terminverlegung ist daher regelmäßig aufgrund Vorliegens eines erheblichen Grundes stattzugeben.

2. Die persönliche Verhinderung des Prozessbevollmächtigten wegen anderweitiger Verpflichtungen, insbesondere wegen beruflich wahrzunehmender Termine, ist regelmäßig ein erheblicher Grund im Sinne des § 227 Abs. 1 ZPO, weil die vertretene Partei erwarten darf, im Termin von demjenigen Anwalt vertreten zu werden, der die Sachbearbeitung des Mandats übernommen hat und ihr Vertrauen genießt.

1. Bei seiner Zeitplanung für einen anberaumten Gerichtstermin muss der zu einer bestimmten Uhrzeit geladene Rechtsanwalt nicht nur damit rechnen, einige Zeit auf den Beginn der Verhandlung warten zu müssen, sondern auch einkalkulieren, dass auch der Termin selbst eine gewisse, im Voraus nicht sicher absehbare Zeit in Anspruch nehmen wird. Ist seine Zeitplanung zu knapp und verlässt er deshalb den Terminsort vor Aufruf der Sache, ist sein Ausbleiben in dem Termin nicht unverschuldet.
2. Wenn sich der Aufruf der Sache wegen der Verhandlungsdauer vorangehender Termine verzögert, der Rechtsanwalt deswegen den Terminsort verlässt und einen Terminverlegungsantrag stellt, weil er nicht länger warten könne, müssen die Gründe dafür so genau vorgetragen werden, dass dem Gericht eine Prüfung ihrer Erheblichkeit ohne weitere Rückfrage möglich ist.
3. Für den Rechtsanwalt, dem nach § 128 a ZPO gestattet ist, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen, gelten insoweit keine anderen Maßstäbe.

Verschuldete Fristversäumung I, oder: Die Fristenkontrolle bei der elektronischen Akte

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Heute dann im „Kessel Buntes“ zwei Entscheidungen zur Fristversäumung/-kontrolle.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 23.06.2020 – VI ZB 63/19. Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:

„Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das seinem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 26. April 2019 zugestellte Urteil legte der Kläger über seine für das Berufungsverfahren neu mandatierte Prozessbevollmächtigte fristgerecht am 27. Mai 2019 (Montag) Berufung ein. Mit Verfügung vom 3. Juli 2019 wies der Vorsitzende des Berufungsgerichts den Kläger darauf hin, dass seine Berufung bisher nicht begründet worden, mithin als unzulässig zu verwerfen sei. Daraufhin hat der Kläger am 9. Juli 2019 seine Berufung begründet und am 22. Juli 2019 Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, die bis dahin stets sorgfältig arbeitende Büroangestellte seiner Prozessbevollmächtigten habe „den Fristablauf zur Berufungsbegründung in der Akte bzw. dem Fristenkalender versehentlich statt auf den 26.06.2019 auf den 26.07.2019“ eingetragen. Die Aktenbearbeitung und auch die Fristeintragung erfolge dort zunächst auf elektronischem Weg. Die jeweiligen Schriftstücke würden zur elektronischen Akte hochgeladen, die Eintragung von Vorfrist und Frist erfolgten in der hierfür zur Verfügung stehenden Funktion der verwendeten Software. Die Angestellte habe den Fehler auch nicht auf dem erfolgten Kontrollausdruck bemerkt. Die jeweilige Fristenliste werde mindestens einmal wöchentlich in Papierform ausgedruckt und dem Rechtsanwalt vorgelegt. Da die Berufungsbegründungsfrist für die vorliegende Sache falsch eingetragen worden sei, sei sie auch nicht zum eigentlichen Fristablauf auf dem Wochenausdruck erschienen. Die Büroangestellte hat diesen Vortrag eidesstattlich versichert.

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Kläger seinen Vortrag unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seiner zweitinstanzlich tätigen Prozessbevollmächtigten dahingehend ergänzt, dass diese die Eintragung der Fristen im Wege einer Einzelanweisung angeordnet habe. Eine Überprüfung der weiteren Fristen sei der Prozessbevollmächtigten aufgrund ihrer auf Massenverfahren spezialisierten Sozietät und der darauf ausgerichteten elektronischen Aktenführung („Legal Tech“) nicht möglich gewesen. Der Prozessbevollmächtigten sei vor Fertigung der Berufungsbegründung zu keinem Zeitpunkt eine Handakte mit den entsprechenden Fristeintragungen vorgelegt worden. Die Fristbearbeitung und -kontrolle sei den Mitarbeitern übertragen, eine eigenständige Überprüfung durch den Anwalt weder erforderlich noch möglich. Der durch die Übertragung der Fristberechnung auf die Kanzleimitarbeiter und die elektronische Aktenbearbeitung erzielte Entlastungseffekt entfiele, wenn der Rechtsanwalt gehalten wäre, entweder die elektronische Handakte selbst aufzurufen oder sich Ausdrucke daraus vorlegen zu lassen. Auch mit der Übernahme einer Sache in zweiter Instanz gehe nicht immer eine eigene Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Überprüfung der eingetragenen Fristen einher.“

Der – neue – Vortrag hat nichts gebracht. Der BGH sieht ihn als prozessual unbeachtlich an. Und er meint im Übrigen:

b) Im Übrigen ist das Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers auch bei Zugrundelegung seines Beschwerdevortrags unbegründet.

aa) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich dann grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf. Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte nicht zugleich zur Bearbeitung mit vorgelegt worden ist, so dass der Rechtsanwalt in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen hat (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2014 – XII ZB 709/13, NJW 2014, 3102 Rn. 12 mwN).

Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die Handakte des Rechtsanwalts in herkömmlicher Form als Papierakte oder aber als elektronische Akte geführt wird. Wie die Vorschrift des § 50 Abs. 4 BRAO zeigt, kann sich ein Rechtsanwalt zum Führen der Handakten der elektronischen Datenverarbeitung bedienen. Entscheidet er sich hierfür, muss die elektronische Handakte jedoch ihrem Inhalt nach der herkömmlichen entsprechen und insbesondere zu Rechtsmittelfristen und deren Notierung ebenso wie diese verlässlich Auskunft geben können. Wie die elektronische Fristenkalenderführung gegenüber dem herkömmlichen Fristenkalender darf auch die elektronische Handakte grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als ihr analoges Pendant (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2014 – XII ZB 709/13, NJW 2014, 3102 Rn. 13 mwN; vgl. ferner BGH, Beschlüsse vom 27. Januar 2015 – II ZB 23/13, MDR 2015, 538 Rn. 9; – II ZB 21/13, NJW 2015, 2038 Rn. 8; vom 16. Oktober 2014 – VII ZB 15/14, NJW-RR 2015, 700 Rn. 12).

Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung – hier der Einlegung der Berufung – mit einer Sache befasst wird, hat dies zum Anlass zu nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Auf welche Weise (herkömmlich oder elektronisch) die Handakte geführt wird, ist hierfür ohne Belang. Der Rechtsanwalt muss die erforderliche Einsicht in die Handakte nehmen, indem er sich entweder die Papierakte vorlegen lässt oder das digitale Aktenstück am Bildschirm einsieht. Dass die Handakte ausschließlich elektronisch geführt wird, kann jedenfalls nicht dazu führen, dass den Rechtsanwalt im Ergebnis geringere Überprüfungspflichten als bei herkömmlicher Aktenführung treffen (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2014 – XII ZB 709/13, NJW 2014, 3102 Rn. 14; BSG, NJW 2018, 2511 Rn. 10; vgl. ferner Dahns in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 50 BRAO Rn. 24b).

Der Umstand, dass es sich nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerde um ein Massenverfahren handelt, ändert nichts an den den Rechtsanwalt treffenden Organisationsverpflichtungen. Denn gerade in Massenverfahren trifft den Rechtsanwalt – wegen der gefahrgeneigten routineartigen Tätigkeit gerade für seine Beschäftigten – eine besondere Organisationspflicht, die das Auffinden von Fehlern ermöglicht (vgl. BAG, NJW 2019, 2954 Rn. 10).

bb) Diesen gefestigten Anforderungen genügt die Büroorganisation in der Kanzlei der zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten weder grundsätzlich noch genügte sie ihr im konkreten Fall. Nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerde lässt sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers vor Fertigung der Berufungsbegründung grundsätzlich nicht die Handakte vorlegen und sieht sie auch davon ab, diese zur Fristenkontrolle elektronisch aufzurufen. So habe sie es auch im Streitfall gehalten. Die damit erhoffte „Entlastung“ hat die Prozessbevollmächtigte mit dem sorgfaltswidrigen Verzicht auf eine Gegenkontrolle der Fristenbearbeitung ihrer Beschäftigten und letztlich auf Kosten des Klägers erkauft. Denn die bloße Vorlage des „Wochenausdrucks“, aus dem die in der anstehenden Woche vermeintlich fällig werdenden Fristen und Vorfristen ersichtlich sind, ist nicht geeignet, eine einmal falsch berechnete oder auch nur fehlerhaft eingetragene Frist rechtzeitig als solche zu identifizieren.

Das Fristversäumnis beruht auf diesem Sorgfaltspflichtverstoß, weil die Prozessbevollmächtigte des Klägers bei ordnungsgemäßer Arbeitsweise mit Einlegung der Berufung am 27. Mai 2019 die Berufungsbegründungsfrist hätte kontrollieren müssen und den Fehler dabei entdeckt hätte.

cc) An der Sorgfaltspflichtverletzung seiner Prozessbevollmächtigten ändert auch der Vortrag des Klägers nichts, die Prozessbevollmächtigte habe ihrer Angestellten die Eintragung der Frist zur Berufungsbegründung per Einzelanweisung aufgegeben. Denn der Kläger trägt schon nicht vor, welches konkrete Datum einzutragen der Beschäftigten aufgegeben worden sei; dies ist auch der beigefügten eidesstattlichen Versicherung seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten und deren Anlagen nicht zu entnehmen. Darüber hinaus entlastet eine konkrete Einzelanweisung den Rechtsanwalt dann nicht von einer unzureichenden Büroorganisation, wenn diese die bestehende Organisation nicht außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 17. April 2012 – VI ZB 55/11, NJW-RR 2012, 1085 Rn. 11 mwN).“

Plötzliche Erkrankung des Rechtsanwalt, oder: Wann muss man einen Kollegen mit der Vertretungung beauftragen?

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Die zweite Entscheidung im „Kessel Buntes“ kommt heute auch vom BGH. Der hatte sich im BGH, Beschl. v. 28.05.2020 – IX ZB 8/18 – mit einer (zivilrechtlichen) Wiedereinsetzungsfrage zu befassen.

Gestritten wird um die Zulässigkeit der Berufung des Beklagten gegen ein OLG-Urteil. Die Berufungsbegründungsfrist war bereits einmal auf Antrag des Klägers bis zum 22.06.2017 verlängert worden. Am 22.06.2017 hat der Beklagte dann eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.062017 beantragt. Er hat den Antrag mit einer akuten Erkrankung begründet. Das OLG hat die weitere Fristverlängerung abgelehnt, nachdem der Kläger seine Einwilligung verweigert hatte. Die Verfügung des Vorsitzenden ist dem Beklagten am 19.07.2017 zugestellt worden. Am 24.07.2017 hat der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung begründet.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Beklagte einen akuten Erschöpfungszustand angeführt. Er sei deshalb seit dem 21.06.2017 arbeits- sowie verhandlungsunfähig erkrankt und am 22.06. 2017 nicht in der Lage gewesen, die Berufungsbegründung zu erstellen. Die Korrektur und Ausfertigung einer im Entwurf bereits vollständig vorliegenden Berufungsbegründung in einer anderen Sache habe der Beklagte erst nach mehreren Anläufen am späten Abend des 22.06.2017 abschließen können. Das OLG hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde. Die hatte Erfolg:

„2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Beklagte war ohne sein Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 Satz 1 ZPO). Auf den rechtzeitig gestellten, mit der Nachholung der Berufungsbegründung verbundenen Antrag (§§ 234, 236 ZPO) ist dem Beklagten deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Beklagte sei nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Der Beklagte habe bereits am 21. Juni 2017 erkennen müssen, dass er aufgrund der Schwere der Krankheitssymptome nicht in der Lage sein werde, die am 22. Juni ablaufende Frist zu wahren. Vor diesem Hintergrund hätten nur zwei Möglichkeiten bestanden. Zum einen hätte der Beklagte den Kläger um Zustimmung zu einer weiteren Fristverlängerung ersuchen können. Zum anderen sei die Beauftragung eines Vertreters mit der Anfertigung der Berufungsbegründung in Betracht gekommen. Hätte der Beklagte bereits am 21. Juni die Zustimmung des Klägers zu einer weiteren Fristverlängerung erbeten, wäre ihm bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt geworden, dass eine solche nicht erteilt werden würde. Der Beklagte hätte deshalb bereits am 21. Juni einen Vertreter mit der Anfertigung der Berufungsbegründung beauftragen müssen. Die gleiche Pflicht wäre anzunehmen gewesen, wenn er am 21. Juni noch keine Antwort hinsichtlich einer eventuellen Zustimmung zur Fristverlängerung erhalten gehabt hätte. Die Beauftragung eines Vertreters mit der Anfertigung der Berufungsbegründung habe eine geeignete Maßnahme der Fristwahrung dargestellt. Weder der Umfang noch die Schwierigkeit der Sache ließen die Beauftragung eines Vertreters als ungeeignet erscheinen.

b) Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass die zur Wahrung von Fristen erforderlichen Handlungen auch dann unternommen werden, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Er muss seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisungen für einen solchen Fall geben. Ist er als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig, muss er ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall treffen, zum Beispiel durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen (BGH, Beschluss vom 19. Februar 2019 – VI ZB 43/18, NJW-RR 2019, 691 Rn. 7; vom 8. August 2019 – VII ZB 35/17, NJW 2020, 157 Rn. 12). Konkrete Maßnahmen muss der Rechtsanwalt erst dann ergreifen, wenn er den Ausfall vorhersehen kann. Wird er unvorhergesehen krank, muss er deshalb konkret nur das unternehmen, was ihm dann noch möglich und zumutbar ist (BGH, Beschluss vom 27. September 2016 – XI ZB 12/14, NJW-RR 2017, 308 Rn. 9; vom 18. Januar 2018 – V ZB 113/17, V ZB 114/17, NJW 2018, 1691 Rn. 9; vom 8. August 2019, aaO Rn. 12). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Rechtsanwalt die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft und daher wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden hat, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH, Beschluss vom 8. August 2019, aaO Rn. 13).

Allgemeine Vorkehrungen und konkrete Maßnahmen sollen im Verhinderungsfall ineinandergreifen. Wird ein Einzelanwalt unvorhergesehen krank, müssen allgemeine Vorkehrungen dafür getroffen sein, dass die dem erkrankten Rechtsanwalt konkret noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen fristwahrende Wirkung entfalten können. Deshalb wird es regelmäßig ein Verschulden des Rechtsanwalts begründen, wenn er aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, einen vertretungsbereiten Kollegen zu suchen oder die Suche aufgrund der Kürze der nur noch zur Verfügung stehenden Zeit erfolglos ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2019, aaO Rn. 8). Anders liegt der Fall, wenn sich die im Grundsatz hinreichenden allgemeinen Vorkehrungen im konkreten Fall unvorhersehbar als nicht ausreichend erweisen, etwa deshalb, weil der im Allgemeinen zur Vertretung bereite Kollege selbst verhindert ist.

Auf die allgemeinen Vorkehrungen kommt es nicht an, wenn die dem unvorhersehbar erkrankten Rechtsanwalt konkret noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen die Versäumung der Frist auch im Falle sorgfaltsgemäß getroffener allgemeiner Vorkehrungen nicht verhindert hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 2019, aaO Rn. 16). Dies kann anzunehmen sein, wenn die Vornahme der fristwahrenden Handlung durch einen Vertreter unmöglich oder unzumutbar ist und eine Verlängerung der Frist – etwa mangels Einwilligung des Gegners – nicht in Betracht kommt.

bb) Nach diesen Grundsätzen war der Beklagte ohne sein Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten.

(1) Bei dem Beklagten hat sich am 21. Juni 2017 ein akuter Erschöpfungszustand eingestellt. Der Erschöpfungszustand hat zur Arbeitsunfähigkeit über den 22. Juni – das Datum des Ablaufs der bereits um einen Monat verlängerten Berufungsbegründungsfrist – hinaus geführt. Auf entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts hat der Beklagte ergänzend ausgeführt, dass seine Erkrankung unvorhersehbar gewesen sei.

(2) Vor diesem Hintergrund war der Beklagte gehalten, konkret die Maßnahmen zu ergreifen, die ihm nach Eintritt der Erkrankung noch möglich und zumutbar waren. Möglich und zumutbar war es, einen Antrag auf weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu stellen. Dem ist der Beklagte selbst nachgekommen. Der vom Beklagten selbst noch gestellte Fristverlängerungsantrag vermochte die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht zu verhindern, weil die weitere Fristverlängerung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO die Einwilligung des Klägers voraussetzte und diese nicht erteilt wurde.

(3) Es war dem Beklagten hingegen nicht möglich und zumutbar, die fristwahrende Anfertigung der Berufungsbegründung durch einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt in Auftrag zu geben. Dabei kann offenbleiben, ob mit dem Berufungsgericht davon auszugehen ist, dem Beklagten habe bereits am 21. Juni 2017 klar sein müssen, dass er die Berufungsbegründung krankheitsbedingt nicht fristgemäß würde fertigen können. Dass der Beklagte über die hierzu erforderlichen medizinischen Fachkenntnisse oder jedenfalls entsprechendes Erfahrungswissen verfügte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die Beauftragung eines vertretungsbereiten Rechtsanwalts mit der Anfertigung der Berufungsbegründung bis zum Ablauf des 22. Juni 2017 war aber auch dann keine vom Beklagten konkret zu ergreifende Maßnahme, wenn man auf den 21. Juni als Datum der Beauftragung abstellt.

Dem Mandanten des unvorhersehbar erkrankten Rechtsanwalts dürfen aufgrund der Erkrankung keine Nachteile bei der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen entstehen. Gleiches gilt, wenn sich der erkrankte Rechtsanwalt – wie im vorliegenden Fall – selbst vertritt. Die Fertigung einer Rechtsmittelbegründung muss deshalb mit der gleichen Sorgfalt möglich sein, wie ohne die Erkrankung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich ein vertretungsbereiter Kollege des erkrankten Rechtsanwalts regelmäßig zunächst in den Sach- und Streitstand einarbeiten muss und deshalb ein zeitlicher Mehraufwand entsteht. Erschwerend tritt hinzu, dass der vertretungsbereite Dritte auch eigene Mandate zu bearbeiten hat und seine zeitliche Verfügbarkeit demzufolge in der Regel eingeschränkt ist. Vor diesem Hintergrund erfordern die Sorgfaltspflichten des unvorhersehbar erkrankten Rechtsanwalts die Beauftragung eines vertretungsbereiten Kollegen mit der Fertigung einer Rechtsmittelbegründung allenfalls dann, wenn bis zum Ablauf der Begründungsfrist ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Der erforderliche Zeitraum lässt sich nicht abstrakt festlegen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Tritt die Erkrankung – wie im Streitfall – erst am Tag vor dem Ablauf der Rechtsmittelfrist zutage, kommt die Beauftragung eines vertretungsbereiten Kollegen mit der Fertigung der Rechtsmittelbegründung nur in einfach gelagerten Fällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2009 – II ZB 1/09, NJW 2009, 3037 Rn. 10; vom 8. August 2019 – VII ZB 35/17, NJW 2020, 157 Rn. 16). Um einen solchen Fall geht es hier nicht. Das vom Beklagten mit der Berufung vollständig angefochtene Urteil entscheidet auf 21 Seiten über Klage, Hilfsaufrechnung und Widerklage. Der Sache nach geht es um die rechtliche Aufarbeitung einer gescheiterten Mandatsbeziehung mit mehreren Einzelmandaten und den daraus nach Auffassung der Parteien folgenden wechselseitigen Ansprüchen.“

Betrifft zwar das Zivilrecht, kann aber im Strafverfahren auch Bedeutung haben, wenn dort (ausnahmsweise) das Verschulden des Rechtsanwalts zugerechnet wird.