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StPO III: Berufungsverwerfung wegen Ausbleibens, oder: Begründung des Wiedereinsetzungsantrags

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Und zum Tagesschluss dann noch etwas aus dem Rechtsmittelverfahren, und zwar zur Berufungsverwerfung wegen Ausbleiben des Angeklagten. Der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.03.2023 – 1 Ws 51/23 – nimmt Stellung zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages und zur genügenden Entschuldigung. Nichts Neues, aber man muss darauf achten.

Hier die Leitsätze:

    1. Ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs.7 StPO kann nicht auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht in seinem Verwerfungsurteil bereits als zur Entschuldigung nicht geeignet gewürdigt hat.
    2. Ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs. 7 StPO kann nicht auf neue Beweismittel für Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht in seinem Verwerfungsurteil bereits als zur Entschuldigung nicht geeignet gewürdigt hat.
    3. Die Vorlage eines Attestes entschuldigt die Säumnis des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung nur dann in ausreichender Weise, wenn sich aus dem Attest körperliche oder geistige Beeinträchtigungen ergeben, die eine Teilnahme an der Verhandlung unzumutbar machen.

Corona II: Ausbleiben im Termin wegen Corona, oder: Foto vom positiven Selbsttest reicht als Entschuldigung

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Die zweite „Corona-Entscheidung“, der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.02.2023 – 1 ORs 2 Ss 44/22 – behandelt auch eine verfahrensrechtliche Problematik, und zwar die Frage der genügenden Entschuldigung für das Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung (§ 329 StPO).

Das LG hat die Berufung des Angeklagten gegen ein amtsgerichtliche Urteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Angeklagte mit E-Mail vom 23.08.2022 mitgeteilt habe, an Corona erkrankt zu sein und deshalb den Termin nicht wahrnehmen zu können. Ihm sei unter Hinweis auf die Folge des Nichterscheinens erklärt worden, dass er ein Attest vorlegen müsse. Der Angeklagte habe mitgeteilt, sein Hausarzt sei im Urlaub und er selbst befinde sich in Quarantäne. Sodann habe er ein Lichtbild eines positiven Coronatests vorgelegt. Nachdem die Geschäftsstelle erneut mitgeteilt habe, dass ein ärztliches Attest oder der Nachweis einer Coronaerkrankung in Form eines schriftlichen Testergebnisses vorgelegt werden müsse, habe er am 25.02.2022 ein ärztliches Attest vorgelegt, aus dem sich ergebe, dass er bei einer Praxis angerufen und dort erklärt habe, er sei hochfiebrig und habe eine Covid-19-Infektion. Eine ärztliche Untersuchung habe nicht stattgefunden. Weitere Entschuldigungsgründe seien nicht bekannt geworden.

Die dagegen eingelegte Revision hat beim OLG mit der Verfahrensrüge Erfolg:

„Die Revision hat mit der formgerecht gemäß § 344 Abs. 2 StPO erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO Erfolg, da das Landgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, der Angeklagte sei nicht genügend entschuldigt.

1. Gemäß § 329 Abs. 1 StPO hat das Gericht die Berufung zu verwerfen, wenn bei Beginn des Hauptverhandlungstermins der Angeklagte nicht erschienen und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.

Der Begriff der „genügenden Entschuldigung“ ist zugunsten des Angeklagten weit auszulegen. Denn § 329 Abs. 1 StPO enthält eine Ausnahme von der Regel, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf, und birgt die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich (BGH, Beschluss vom 01.08.1962 – 4 StR 122/62, NJW 1962, 2020; Senat, Beschlüsse vom 27.08.2007 – 1 Ws 337/07, juris Rn. 2, vom 07.11.2011 – 1 Ss 85/10). Eine genügende Entschuldigung im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO ist anzunehmen, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolge dessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (Senat, Beschluss vom 07.09.2011 – 1 Ss 85/10; Gössel in LR-StPO, 26. Aufl., § 329 Rn. 33 mwN). Eine Krankheit entschuldigt insbesondere dann, wenn sie nach Art und Auswirkungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar macht (Senat, Beschluss vom 30.08.2011 – 1 Ss 29/11; OLG Hamm, Beschluss vom 08.04.1998 – 2 Ss 394/98, NStZ-RR 1998, 281, 282). Wird eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorgebracht, ist das Fernbleiben eines Angeklagten nicht nur durch eine Verhandlungsunfähigkeit gerechtfertigt, sondern bereits durch die Schutzbedürftigkeit anderer Prozessbeteiligter vor einer Infektion (BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 11).

Bei der Prüfung, ob die Voraussetzung einer Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO vorliegen, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob und in welcher Form der Angeklagte sich entschuldigt hat, sondern ob er tatsächlich entschuldigt ist. Den Angeklagten trifft hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis. Bloße Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens dürfen nicht zu Lasten des Angeklagten gehen. Nur der Nachweis, dass die Entschuldigung unwahr ist, lässt sie als ungenügend erscheinen. Bloßen Zweifeln hat das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen (BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 15 ff. mwN; Senat, Beschluss vom 31.07.2015 – 1 OLG 1 Ss 65/15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 20 ff.; Paul in KK-StPO, 9. Aufl., § 329 Rn. 7).

2. Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, rechtfertigen die Urteilsgründe die Annahme, dass der Angeklagte nicht genügend entschuldigt gewesen sei, in rechtlicher Hinsicht nicht.

a) Das Urteil leidet bereits an einem Darstellungsmangel. Hat der Angeklagte vor dem Termin bereits Gründe für eine Entschuldigung seines Nichterscheinens vorgetragen, muss das Urteil diese anführen, sich mit ihnen auseinandersetzen und erkennen lassen, weshalb dem Vorbringen die Anerkennung als Entschuldigung versagt wurde. Dies gilt insbesondere für gesundheitliche Gründe (BayObLG, Beschluss vom 21.12.1995 – 5St RR 127/95, juris Rn. 9 mwN; OLG Hamm, Beschluss vom 08.04.1998 – 2 Ss 394/98, NStZ-RR 1998, 281; Senat, Beschluss vom 07.11.2011 – 1 Ss 85/10). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Aus ihnen ergibt sich nicht, aus welchem Grund das Landgericht davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte nicht hinreichend entschuldigt sei. Es gibt nur das Verfahrensgeschehen wieder, ohne sich inhaltlich und rechtlich damit auseinander zu setzen.

b) Die Ausführungen des Landgerichts lassen zudem besorgen, dass es entweder unzutreffend darauf abgestellt hat, der Angeklagte habe sich nicht ausreichend entschuldigt, ohne zu klären, ob er ausreichend entschuldigt war, oder, dass es etwaig bestehende Zweifel an der Richtigkeit der vorgebrachten Entschuldigung zu Lasten des Angeklagten gewertet hat (s. zu einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Konstellation BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris). Die Strafkammer ist insoweit ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen.

Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte sowohl ein Foto von einem positiven Selbsttest als auch ein ärztliches Attest vorgelegt hat, mit dem – nach telefonischer Konsultation des Arztes – das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bestätigt wird. Damit hat der Angeklagte schlüssig einen Sachverhalt vorgetragen, der, zumindest aufgrund der Infektionsgefahren für die Öffentlichkeit und die Verfahrensbeteiligten, geeignet war, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen (s. BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 19). Soweit sich aus dem Attest ergibt, dass der Angeklagte angeben habe, hochfiebrig zu sein, ist auch ein Umstand vorgetragen, der eine Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten nahelegt.

Gründe dafür, dass der Entschuldigungsgrund aus der Luft gegriffen oder ob und aus welchen Gründen das Landgericht möglicherweise von seiner Unrichtigkeit überzeugt war, sind nicht dargetan. Etwaige bloße Zweifel an der Richtigkeit sind ebenfalls nicht aufgezeigt. Insbesondere genügt hierfür der Hinweis darauf, dass das Attest nicht vom Hausarzt, sondern von einem anderen Arzt ohne Untersuchung telefonisch ausgestellt worden sei, nicht. Denn zum einen musste sich der Angeklagte nach dessen Angaben an einen fremden Arzt wenden, weil sein Hausarzt im Urlaub war. Falls das Landgericht bei seiner Entscheidung von der Unrichtigkeit des Vortrags ausgegangen war oder eine solche vermutete, hätte es diesen nachprüfen und das Ergebnis der Nachforschung darlegen müssen. Zum anderen war eine telemedizinische Vorstellung in dem maßgeblichen Zeitraum bei Verdacht einer Corona-Infektion jedenfalls nicht unüblich. Falls das Gericht vermutete, dass die Erkrankung nur vorgeschützt sein könnte, hätte es ebenfalls eigene Ermittlungen anstellen müssen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.02.1987 – 1 Ss 468/86, NJW 1988, 2965; BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 23 f.). Dieser Verpflichtung ist das Landgericht nicht nachgekommen. Die Urteilsgründe lassen vielmehr besorgen, dass es rechtsfehlerhaft davon ausging, dass der Angeklagte entweder ein schriftliches Testergebnis einer Teststation oder ein Attest, das aufgrund einer persönlichen Vorsprache bei dem Arzt erstellt wurde, vorlegen müsse, um entschuldigt zu sein. Eine solche Forderung begegnet mit Blick auf die fehlende Pflicht zur Mitwirkung durchgreifenden rechtlichen Bedenken (s. BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 23; OLG Hamm, Beschluss vom 18.03.1997 – 2 Ss 142/97, NStZ-RR 1997, 240).“

StPO II: Ist die erschienene Person der Angeklagte?, oder: War der „Exekutor des B.“ der Angeklagte?

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In der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.04.2022 – 1 Rv 34 Ss 173/22 – geht es auch um eine Berufungsverwerfung, der ein Sachverhalt zugrunde liegt, den ich so auch noch nicht erlebt habe:

Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteil war der Angeklagte bei Aufruf in der Berufungshauptverhandlung nicht erschienen. Bei Fortsetzung der – nach Aufruf der Sache um 9.00 Uhr für ca. 20 Minuten unterbrochenen – Hauptverhandlung erschien dann um 9.23 Uhr eine dem Gericht unbekannte männliche Person im Sitzungssaal, welche im Zuschauerraum Platz nahm. Auf Frage der Vorsitzenden, ob sie der Angeklagte sei, erklärte diese, dass sie der „Exekutor des B.“ sei und zeigt auf den leeren Platz neben dem Verteidiger. Mit Hilfe des Gerichtswachtmeisters, demgegenüber die Person lediglich eine Abstammungsurkunde vorweisen konnte, in welcher der Name B. genannt war, kann die Identität der Person dann auch nicht festgestellt werden. Auch der anwesende Verteidiger konnte die Identität des Angeklagten nicht sicher bestätigen. Mehrere Fragen der Vorsitzenden ließ die Person unbeantwortet, zeigte auf den leeren Platz neben dem Verteidiger oder antwortete mit Gegenfragen. Als Angeklagter gab sich die Person nicht zu erkennen. Die Berufung des Angeklagten ist dann verworfen worden.

Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„2. Soweit die Revision beanstandet, die Kammer habe es pflichtwidrig unterlassen, die Identität der Person, bei welcher es sich um den Angeklagten gehandelt habe, näher aufzuklären, etwa durch Gegenüberstellung mit KHK Krull, dem der Angeklagte bekannt und der zu dessen Identifizierung in der Lage sei, genügt die Rüge nicht den an eine Verfahrensrüge zu stellenden Anforderungen gem. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2008, 87). Diese verhält sich insbesondere nicht dazu, ob KHK Krull in der Hauptverhandlung anwesend war und dass so innerhalb angemessener Zeit Klarheit über die Identität der anwesenden Person hätte gewonnen werden können. Zu aufwändigen und zeitraubenden, den Zweck des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO zuwiderlaufenden Ermittlungen zur Identität der anwesenden Person war die Kammer nicht verpflichtet.

3. Hat es sich bei der anwesenden Person um den Angeklagten gehandelt, ist seine Berufung gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO zu Recht verworfen worden. Der Angeklagte hat – entgegen § 111 Abs. 1 OWiG – Angaben zu seiner Identität verweigert und hat sich gegenüber dem Gericht nicht als solcher zu erkennen gegeben. Demzufolge war er i.S.d. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO als “bei Beginn der Hauptverhandlung nicht erschienen” zu behandeln. Für ein Erscheinen genügt nicht schon die körperliche Anwesenheit des Angeklagten (vgl. BGH NJW 1970, 2253), sondern erfordert nach dem Zweck des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO, eine Sachentscheidung über seine Berufung nicht dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht (BGHSt 17, 188; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. § 329 Rn. 2), auch, sich als Angeklagter zu erkennen zu geben, auf Frage des Gerichts gem. § 111 Abs. 1 OWiG Angaben zu seiner Identität zu machen und sich so als Angeklagter und Berufungsführer auszuweisen (LG Berlin NStZ-RR 1997, 338; Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 27. Aufl. 2019 § 329 Rn. 7). Hierdurch wird sein Recht, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 243 Abs. 5 StPO), nicht berührt. Andernfalls ist er nicht zum Zwecke der Durchführung der Berufungshauptverhandlung erschienen und hat die Folge, dass seine Berufung ohne Sachverhandlung verworfen wird, hinzunehmen.“

Was micht erstaunt ist der Umstand, dass auch der Verteidiger nicht bestätigen konnte, dass es sich bei der erschienenen Person um den Angeklagten gehandelt hat.Eigenartig 🙂 .

StPO I: Öffentliche Ladung/ZU zur Berufungs-HV, oder: Wenn „forumSTAR“ nicht alle Hinweise enthält

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Heute dann noch einmal drei StPO-Emtscheidungen. Heute kommen die Entscheidungen aber nur von den OLG, na ja das BayObLG ist auch dabei.

Und von dem kommt gleich die erste Entscheidung, die mir die Kollegin J. Braun aus München geschickt hat.

Es geht um ein Verwerfungsurteil des LG München II. Diesem ist eine Berufungshauptverhandlung vorausgegangen, in der die Kollegin mit wirksamer Vertretungsvollmacht erschienen war, der Angeklagte aber ausblieb. Das LG hat dann beschlossen, dass die Anwesenheit des Angeklagten erforderlich sei nach § 329 Abs. 4 StPO und erneut geladen. Die Ladung musste öffentlich zugestellt werden. Einen Hinweis auf die Möglichkeit der Verwerfung nach § 329 Abs. 4 StPO enthielt die Ladung nicht. Darauf hat die Kollegin dann ihre Verfahrensrüge gestützt, die mit dem BayObLG, Beschl. v. 29.03.2022 – 207 StRR 83/22 – Erfolg hatte:

„Dem zulässigen Rechtsmittel kann ein mindestens vorläufiger Erfolg nicht versagt bleiben (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Die Revision greift mit der zulässig erhobenen Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 4 S. 3 StPO durch.

a) Die Revision trägt zutreffend vor, dass das Landgericht entgegen § 329 Abs. 4 S. 3 StPO den Angeklagten in der (öffentlichen zugestellten) Ladung zum Fortsetzungstermin vom 19. Oktober 2021 nicht darüber belehrt hat, dass seine Berufung bei unentschuldigtem Nichterscheinen trotz Anwesenheit eines entsprechend bevollmächtigten Vertreters verworfen werden kann. Das entsprechende Revisionsvorbringen wird durch die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft München II vom 19. Januar 2022 und die darin in Bezug genommene dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden vom 30. November 2021 bestätigt. Daraus ergibt sich, dass die Ladung mit dem Textverarbeitungsprogramm ForumSTAR gefertigt wurde und der dortige Vordruck eine entsprechende Belehrung nicht enthält.

b) Dies stellt einen Verstoß gegen die gesetzlich ausdrücklich vorgeschriebene Belehrungspflicht nach § 329 Abs. 4 S. 3 StPO dar (vgl. im Einzelnen KG, Beschluss vom 12.12.2018, (6) 161 Ss 161/18 (63/18), zitiert nach juris; s. auch Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl., § 329 Rdn. 3).

c) Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil auch. Eine Beruhensprüfung ist auch hier wie bei jedem Verfahrensfehler vorzunehmen (vgl. Löwe/Rosenberg-Gössel, StPO, 26. Aufl., § 329 Rdn. 15; a. A. (ohne Begründung) OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.02.2021, 111-2 RVs 5/21 u. a., zitiert nach juris, dort Rdn. 17). Der Senat kann nicht ausschließen, dass der verteidigte Angeklagte bei zutreffender Belehrung zum Termin erschienen wäre.“

Zwei Anmerkungen:

1. Die/se) Revision hat nicht vorläufig Erfolg, sondern sie hat endgültig Erfolg, da das landgerichtliche Urteil aufgehoben wird. M.E. ist das „vorläufig“, das man bei Verfahrensfehlern in fast allen OLG-Entscheidungen findet, falsch.

2. Die Kollegin hat mich bei der Übersendung der Entscheidung darauf hingewiesen, was in der Entscheidung nicht so deutlich wird, dass die Ladung ihres Mandanten mit forumSTAR angefertigt wurde. Dieses Programm enthalte zwar standardmäßig sehr viele Hinweise enthält, nicht jedoch einen solchen nach § 329 Abs. 4 StPO. Und genau der fehlte. Der Hinweis müsste in diesen Fällen also eingefügt werden. Vermutlich macht man das manuell 🙂 . Offenbar ist das aber bislang noch nicht weiter aufgefallen. Jedenfalls bis die Kollegin die erfolgreiche Revision melden konnte.

Rechtsmittel I: Dreimal Berufungsverwerfung, oder: übersetzte Ladung?, AU, Verteidiger fehlt

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Heute dann ein „Rechtsmitteltag“, also mit Entscheidungen zu Berufung, Revision und Rechtsbeschwerde.

Und ich beginne mit einigen Entscheidungen zum Dauerbrenner: Berufungsverwerfung, also § 329 StPO. Das stelle ich folgende Entscheidungen vor, allerdings jeweils nur mit Leitsatz:

Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung macht eine Verhandlungsunfähigkeit auch dann nicht glaubhaft, wenn auf ihr der ICD10-Code Z 29.0 (Notwendigkeit der Isolierung als prophylaktische Maßnahme) eingetragen wurde. Es ist Sache des Gerichts, darüber zu entscheiden, wie es einem von dem Angeklagten ausgehenden Ansteckungsrisiko, dem durch die ärztlich für erforderlich gehaltene Isolierung vorgebeugt werden soll, begegnet.

1. Die Beanstandung, dass verfahrensrechtliche Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht vorgelegen haben, ist mit der Verfahrensrüge geltend zu machen.
2. Ist der Angeklagte nicht der deutschen Sprache mächtig und ist seine Unterrichtung nicht auf andere Weise sichergestellt, liegt es nahe, dass sich aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren die Pflicht zur Übersetzung der Ladung und des Warnhinweises gemäß §§ 216 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 Satz 2 StPO ergibt.
3. Unterbleibt die Übersetzung, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Ladung; der Anspruch auf ein faires Verfahren wird in der Regel durch die Möglichkeit zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewahrt.

1. Das Vertrauen eines Angeklagten darauf, sein Verteidiger werde absprachegemäß von der ihm erteilten Vertretungsvollmacht Gebrauch machen, entschuldigt die eigene Abwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht.
2. Nimmt der Verteidiger den Termin in solchen Fällen schuldhaft nicht wahr, ist die Berufung des Angeklagten zu verwerfen.
3. Ein Wiedereinsetzungsantrag, der lediglich damit begründet wird, dass der Angeklagte seinen Verteidiger pflichtbewusst und sorgfältig mit der Vertretung beauftragt und sich auf dessen Erscheinen verlassen hat, ist unbegründet.
4. Alle Tatsachen, auf die der Antragsteller sein Wiedereinsetzungsgesuch stützen möchte, müssen innerhalb der Frist des § 329 Abs. 7 Satz 1 StPO dargelegt werden.