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Rechtsmittel II: Wartezeit von 15 Minuten auch vor Fortsetzungsverhandlung, oder: Berufungsverwerfung

In der zweiten Entscheidung, dem OLG Dresden, Beschl. v. 30.07.2021 – 3 OLG 22 Ss 246/21 – spielen die mit der Berufungsverwerfung zusammenhängenden Fragen (§ 329 Abs. 1 StPO) eine Rolle.

Das LG hatte die Berufung der Angeklagten verworfen. Die zuvor anwesendeAngeklagate war nach dem Ende einer vom Kammervorsitzenden angeordneten Unterbrechung, die von 13:32 Uhr bis 13:45 Uhr gedauert hat, nicht wieder erschienen. Nach erneuter Unterbrechung, die ausweislich des Sitzungsprotokolls um 13:52 Uhr geendet hat, hat die Berufungskammer dann unter Bezugnahme auf § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO die Berufung der nun weiterhin abwesenden Angeklagten durch Urteil verworfen. Zur Begründung ist ausgeführt, nach einer Unterbrechung sei die Fortführung der Hauptverhandlung dadurch verhindert worden, dass die ordnungsgemäß geladene und belehrte Angeklagte sich ohne genügende Entschuldigung entfernt habe. Nicht zurückzukehren, habe die Angeklagte bereits bei Verlassen des Sitzungssaales zu Beginn der Unterbrechung angekündigt.

Dagegen Revision und Wiedereinsetzungsantrag. Zur Begründung hat die Angeklagte im Wesentlichen vorgetragen, sie habe sich während der Unterbrechung der Hauptverhandlung vor dem Gerichtsgebäude mit ihrem Verteidiger beraten, der sich geweigert habe, eine – seiner Auffassung nach unrechtmäßige – Anordnung des Präsidenten des Landgerichts zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung oder, im Falle eines ärztlichen Attests über die Befreiung hiervon, eines Plexiglas-Gesichtsvisiers auf den Gerichtsfluren zu befolgen, und dem deswegen der Zutritt zum Gebäude und damit die Teilnahme an der Hauptverhandlung verwehrt worden sei. Um 13.45 Uhr sei sie ins Gebäude zurückgekehrt, habe die Toilette aufgesucht und sei hiernach spätestens um 13.53 Uhr an der Tür zum Sitzungssaal angelangt. Dort habe sie von dem Kammervorsitzenden, der gerade mit den Schöffen und der Urkundsbeamtin den Saal verlassen habe, erfahren, dass die Berufung verworfen worden sei. Wegen der Einzelheiten des Wiedereinsetzungsvorbringens wird auf die Antragsschrift des Verteidigers vom 20. Januar 2021 Bezug genommen. Zur Glaubhaftmachung dieses Vorbringens beruft sich die Angeklagte auf die schriftlichen Angaben einer Zeugin, die sie zur Hauptverhandlung begleitet habe.

Die Wiedereinsetzung wird nicht gewährt. Dagegen dann die sofortige Beschwerde, die Erfolg hatte:

„1. Bei Verkündung des Verwerfungsurteils vom 07. Januar 2021 haben die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht vorgelegen.

a) Gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Allerdings gebieten es die Grundsätze eines fairen Verfahrens und die hieraus abzuleitende Fürsorgepflicht dem Gericht, zunächst eine angemessene Zeit zuzuwarten, da mit stets möglichen kleineren Verspätungen gerechnet werden muss (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 30. April 2013 – (4) 161 Ss 89/13 (86/13), Rn. 4, juris; OLG Köln, Beschluss vom 08. Juli 2013 – III-2 Ws 354/13, Rn. 13; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24. Oktober 2016 – 1 OLG 1 Ss 74/16, Rn. 6, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 329 Rn. 13, jeweils m.w.N.). Als Wartezeit sind 15 Minuten in der Regel ausreichend, aber auch erforderlich (KG Berlin; OLG Köln; OLG Zweibrücken; Meyer-Goßner/Schmitt, jeweils a.a.O.).

Eine solche Wartezeit ist nach Auffassung des Senats nicht nur zu Beginn der Hauptverhandlung und eines jeden weiteren Verhandlungstages, also vor einer Entscheidung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, sondern auch nach kürzeren Unterbrechungen während eines Verhandlungstages (“Pausen“) vor einer Entscheidung nach § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 2 StPO einzuhalten; denn auch im räumlichen Umfeld des Sitzungssaales können unvorhersehbare Verzögerungen eintreten. Dass vorliegend das Landgericht nach dem Ende der vom Kammervorsitzenden angeordneten Unterbrechung bis 13.45 Uhr nicht 15 Minuten zugewartet hat, bevor es die Berufung der Angeklagten verworfen hat, ergibt sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll. Danach hat der Kammervorsitzende bereits rund sieben Minuten später das Verwerfungsurteil verkündet und ist die Sitzung um 13:58 Uhr beendet gewesen.

b) Es kann dahinstehen, ob eine Wartezeit von 15 Minuten auch dann einzuhalten ist, wenn der Angeklagte (oder sein Verteidiger im Fall des § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO) bei Beginn einer angeordneten Verhandlungspause erklärt, dass er nicht in den Sitzungssaal zurückkehren werde. Solches hat hier die Angeklagte weder ausdrücklich noch durch schlüssiges Verhalten getan.

Es ist bereits vor der Berufungshauptverhandlung durch Schriftsatz des Verteidigers vom 4. Januar 2021 aktenkundig geworden, dass dieser es einer hausrechtlichen Anordnung des Präsidenten des Landgerichts Dresden zuwider generell ablehnt, auf den Gerichtsfluren eine Mund-Nase-Bedeckung oder ein Gesichtsvisier zu tragen. Auch ist dem Hauptverhandlungsprotokoll zu entnehmen, dass die Angeklagte zu Beginn des Termins dem Vorsitzenden auf dessen Frage nach dem Verbleib ihres Verteidigers mitgeteilt hat, dass dieser zwar „da“, aber nicht ins Gerichtsgebäude hineingelassen worden sei, weil er die Anordnung des Gerichtspräsidenten zum Tragen einer Maske nicht befolgen wolle. Ferner ergibt sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, dass der Kammervorsitzende im Laufe der Hauptverhandlung der Angeklagten die Anregung erteilt hat, ihre Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken. Hierauf hat die Angeklagte erklärt, ohne Verteidiger sei das „alles Mist“ und sie benötige etwa zehn Minuten Zeit, um sich das zu überlegen. Diese Äußerung hat der Kammervorsitzende zum Anlass für die Anordnung genommen, die Verhandlung von 13:32 Uhr bis 13.45 Uhr zu unterbrechen.

Mit Rücksicht auf die vorgenannten Umstände, die der Berufungskammer nahe gelegt haben, dass die Angeklagte beabsichtigt habe, eine anwaltliche Beratung durch ihren sich vor dem Gerichtsgebäude aufhaltenden Verteidiger einzuholen, hat die Kammer der für den Zeitpunkt des Verlassens des Sitzungssaales protokollierten Äußerung der Angeklagten, sie könne auch gehen, „wenn das Ganze eh keinen Erfolg“ habe, nicht die Bedeutung beimessen dürfen, die Angeklagte sei entschlossen gewesen, zum Ende der Pause nicht in den Sitzungssaal zurückzukehren. Vielmehr hat hiernach, wie ebenfalls protokolliert ist, der Kammervorsitzende die Angeklagte über die prozessualen Folgen eines solchen Verhaltens belehrt. Ferner hat bei objektiver Bewertung der vorausgegangenen Anregung des Kammervorsitzenden, die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken, Aussicht auf einen Teilerfolg des Rechtsmittels bestanden, und ist zu erwarten gewesen, dass die Angeklagte diese Erfolgsaussicht bezüglich der Rechtsfolgen aufgrund der anwaltlichen Beratung in der Pause auch erkennen und sich schon deswegen zur Rückkehr veranlasst sehen werde……“

Die Vertretungsvollmacht in der Berufungs-HV, oder: Nachweis durch ein elektronisches Dokument?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.11.2020 – 2 Rv 21 Ss 483/20 – spielt die Frage des Nachweises der Vertretungsvollmacht des Verteidigers eine Rolle. Das LG hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Dagegen hat er Revision eingelegt, die das OLG als unzulässig, weil nicht ausreichend begründet (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) verworfen hat.

„b) Soweit die Rüge in erster Linie darauf gestützt ist, dass der Verwerfung die Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht entgegengestanden habe, ist der Vortrag ebenfalls nicht so vollständig, dass dem Senat eine rechtliche Prüfung möglich ist.

Im Hinblick darauf, dass die Strafkammer nach dem Vorbringen in der Revisionsbegründung eine vom Verteidiger vorgezeigte Vollmacht als inhaltlich nicht ausreichend beanstandet hatte, hätte es des Vortrags in der Begründungsschrift selbst bedurft, welchen Inhalt diese und eine weitere Vollmacht hatte, über die der Verteidiger nach dem Vortrag in der Revisionsbegründung verfügte. Die bloße Bezugnahme in der Begründungschrift ist insoweit nicht ausreichend.

Zudem ergibt sich aus dem Vortrag in der Begründungschrift, dass der Verteidiger nicht über eine schriftliche Vollmacht verfügte, sondern diese ihm als eingescannte elektronische Dokumente auf sein Laptop übermittelt worden waren. Soweit der Nachweis nach früherer Rechtslage allein schriftlich möglich war, ist dies zwar durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017 (BGBl. I 2017, 2208) zugunsten einer medienneutralen Formulierung aufgegeben worden, ohne indes das Erfordernis eines sicheren Nachweises über die Bevollmächtigung aufzugeben (amtl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/9416 S. 70). Nach der in § 32a StPO getroffenen Regelung zur Ersetzung der Schriftform bei elektronischen Dokumenten bedarf es danach entweder einer qualifizierten elektronischen Signierung des Dokuments oder der Übermittlung des (einfach) signierten Dokuments auf einem der in § 32a Abs. 4 StPO bezeichneten sicheren Übermittlungswege. Ob diese Erfordernisse vorliegend eingehalten waren, ergibt sich jedoch aus dem Vortrag in der Revisionsbegründung nicht.

c) Soweit die Rüge – wie auch die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör – auch darauf gestützt ist, dass dem Verteidiger nicht ausreichend Zeit gegeben wurde, um den Nachweis für seine Vertretungsvollmacht zu erbringen, kann letztlich dahinstehen, ob im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, der auf den Beginn eines Hauptverhandlungstermins als den für die Voraussetzungen einer Verwerfungsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt abstellt, das Gericht – entsprechend der Pflicht zum Zuwarten beim Ausbleiben des Angeklagten – dem Verteidiger angemessene Zeit einräumen muss, die für den Nachweis erforderlichen Unterlagen erst herbeizuschaffen. Denn jedenfalls hätte es – wie die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe in ihrer Antragsschrift zutreffend ausführt – einer genauen und vollständigen Wiedergabe der zeitlichen Abläufe in der Hauptverhandlung am 15.4.2020 bedurft, ohne die dem Senat eine Beurteilung nicht möglich ist, ob das Landgericht vor seiner Verwerfungsentscheidung angemessen zugewartet hat.

2. Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist auch im Übrigen nicht in einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt.

Dazu wird in der Revisionsbegründung vorgetragen, dem Verteidiger sei bei seinen Ausführungen zum Vorliegen ausreichender Bevollmächtigung mitten im Satz das Wort entzogen worden, so dass er nicht mehr habe mitteilen können, dass ihm nach Zurückweisung der zunächst in elektronischer Form vorgezeigten Bevollmächtigung eine weitere Vollmacht als elektronisches Dokument übermittelt worden sei. Auch der Zulässigkeit dieser Rüge steht jedoch entgegen, dass weder der Inhalt dieses zweiten elektronischen Dokuments noch mitgeteilt wird, ob dieses den in § 32a StPO aufgestellten Anforderungen an ein schriftformersetzendes elektronisches Dokument genügte. Ohne diesen Vortrag kann der Senat aber nicht beurteilen, ob das zweite dem Verteidiger übermittelte elektronische Dokument zum sicheren Nachweis einer Vertretungsvollmacht geeignet war. Nur dann aber wäre das rechtliche Gehör – wie dies Art. 103 Abs. 1 GG voraussetzt – in entscheidungserheblicher Weise beeinträchtigt worden.“

Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung, oder: Trotz OP-Termin nicht genügend entschuldigt?

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Und dann der Start in die letzte Woche des Jahres 2020 – keine ganze Woche in 2020 mehr, nur noch ein paar Tage, der Rest der Woche – der Kalender spricht von der 53. Woche – gehört dann schon dem neuen Jahr. Also besser: Jetzt ist zwischen den Jahren.

Und ich stelle dann heute zwei Entscheidungen zu § 329 StPO vor, also Verwerfung der Berufung. Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 16.09.2020 – 3 Ss 56/20 – zur Frage der genügenden Entschuldigung. Ich habe mit dem Beschluss meine Probleme, mir geht er zu weit.

Das LG hatte die Berufung des Angeklagten verworfen (§ 329 Abs. 1 StPO). Der hatte sich mit einem OP-Termin entschuldigt. Das hat (auch) das KG nicht ausreichen lassen:

„Der Angeklagte ist der Berufungshauptverhandlung unentschuldigt ferngeblieben, weil er seine Verhandlungsunfähigkeit selbst herbeigeführt hat. Es ist anerkannt, dass eine bewusst selbst herbeigeführte Erkrankung, die zur Verhandlungsunfähigkeit führt, das Ausbleiben grundsätzlich nicht entschuldigen kann (vgl. Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 329 Rn. 38, auch Rn. 8 m. w. N.; vgl. auch BGHSt 23, 331; BayObLG NStZ-RR 1998, 368; OLG Köln VRS 65, 47). So war es hier: In Kenntnis des am 14. Mai 2020 anstehenden Verhandlungstermins, zu dem er bereits am 27. Februar 2020 geladen worden war, hat der Angeklagte eine Augenoperation vereinbart und kurz vor dem Termin, nämlich am 12. Mai 2020, durchführen lassen, ohne dass dieser Zeitpunkt medizinisch indiziert gewesen wäre.

Dass seine Verhandlungsunfähigkeit allein auf eine (im Übrigen nur pauschal behauptete und nicht näher bezeichnete) „Komplikation“ (RB S. 2) zurückgeht und für ihn daher überraschend kam, wird dadurch infrage gestellt, dass der Angeklagte bereits eine Woche vor dem Verhandlungstermin im Hinblick auf die Operation die Verlegung des Hauptverhandlungstermins beantragt hat.

Sollte der Angeklagte seine Verhandlungsunfähigkeit nicht auf eine (unvorhersehbare) Komplikation, sondern, wie eine andere Formulierung in der Revisionsschrift nahelegt, auf (vorhersehbare) „Besonderheiten der Operation“ stützen wollen (RB S. 2), so ist ihm vorzuwerfen, dass er bei der Bestimmung des Operationstermins nicht nachgefragt hat, ob er zwei Tage danach verhandlungsfähig sein wird und an seiner Berufungshauptverhandlung teilnehmen kann. In diesem Fall wäre er gehalten gewesen, einen anderen Operationstermin in Anspruch zu nehmen.“

Mit geht das zu weit: Warum kann „überraschend“ nicht auch bereits eine Woche vor dem OP-Termin sein? Und muss ich nun wirklich vor der Vereinbarung eines OP-Termins beim Berufungsgericht nachfragen, ob der Termin recht ist? Und wenn ich es nicht tue: Ist das dann vorwerfbar i.S. des § 329 StPO?

Wenn ich solche Entscheidungen lese, frage ich mich immer: Gibt es eigentlich nichts Wichtigeres auf der Welt als die Berufung in einem Betrugsverfahren?

StPO III: Revisionsbegründung nach Berufungsverwerfung, oder: Wiederaufleben der Vertretervollmacht?

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Und zum Schluss des Tages dann mal nichts zum Pflichtverteidiger, sondern zur Revisionsbegründung, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 09.10.2020 – 202 StRR 94/20.

Er nimmt zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO bei beanstandetem Ladungsmangel eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten Stellung, und zwar wie folgt:

1. Die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gelten ungeschmälert auch für die Bean-standung, die Berufung sei zu Unrecht nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen worden. Denn bei den Voraussetzungen des Verwerfungsurteils handelt es sich nicht um Verfahrensvo-raussetzungen im eigentlichen Sinne, die bereits auf die Sachrüge hin vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen sind. Von der Revision sind deshalb lückenlos all die Tatsachen vorzutragen, die das Ausbleiben des Angeklagten ausreichend entschuldigen, oder die zeigen sollen, dass die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sonst nicht gegeben waren.

2. Beanstandet die Revision, dass dem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten die Ladung zum Termin mit der Belehrung über die Möglichkeit der Berufungsverwerfung für den Fall seines Nichterscheinens nur in deutscher Sprache zugestellt wurde, weshalb sein dortiges Ausbleiben mangels wirksamer Ladung als entschuldigt zu werten sei, setzt die insoweit nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotene Verfahrensrüge (auch) Ausführungen dazu voraus, ob und gegebenenfalls in welcher Form der Angeklagte bei Verkündung des Urteils erster Instanz nach § 35a Satz 2 StPO belehrt worden ist

Interessant dann auch noch die Ausführungen des BayObLG zur Vertretungsvollmacht:

Die besondere Vertretungsvollmacht i.S.d. § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO des zur Berufungs-hauptverhandlung erschienenen Pflichtverteidigers ergibt sich auch dann nicht allein aus sei-ner bloßen Beiordnung, wenn es sich bei dem Verteidiger um den vormaligen Wahlverteidiger des Angeklagten mit ehemals ausdrücklich erteilter Vertretungsvollmacht handelt.

StPO III: Wiedereinsetzung gegen die Berufungsverwerfung, oder: Wenn die Wiedereinsetzungsgründe verbraucht sind

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Und zum Tagesschluss dann noch eine KG-Entscheidung. Das KG hat im KG, Beschl. v. 06.07.2020 – 3 Ws 160/20 – zu einer Frage betreffend die Wiedereinsetzung bei einer Abwesenheitsverwerfung der Berufung (§ 329 StPO) Stellung genommen. Es geht um die „Qualität“ des Wiedereinsetzungsvorbringens:

„Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 4. November 2019 wegen versuchten Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung sowie wegen versuchten Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 14. Mai 2020 verworfen, weil der Angeklagte zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienen war. Den gegen das Verwerfungsurteil gerichteten Wiedereinsetzungsantrag hat das Landgericht durch den angefochtenen Beschluss verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten ist nach §§ 329 Abs. 7, 44, 45 StPO zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag mit zutreffender Begründung verworfen. Der Angeklagte hat keinen im Wiedereinsetzungsverfahren zu beachtenden Grund vorgebracht, der seine Terminsäumnis als im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO unverschuldet erscheinen ließe.

Dabei kann im hiesigen Wiedereinsetzungsverfahren dahinstehen, ob der Angeklagte unverschuldet verhandlungsunfähig war. Denn gegen eine Verwerfungsurteil kommt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn Entschuldigungsgründe geltend gemacht werden, die dem Berufungsgericht nicht bekannt waren und auch nicht bekannt sein mussten, als es die Berufung verwarf, vgl. KG, Beschluss vom 24. August 2016 – 4 Ws 117/16 – m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2020 – 4 Ws 29/20 – [juris]). Daher ist anerkannt, dass ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs. 7 StPO jedenfalls nicht auf solche Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht bereits in seinem Verwerfungsurteil als zur Entschuldigung nicht genügend gewürdigt hat (vgl. KG NStZ-RR 2006, 183). Solche Tatsachen sind für das Wiedereinsetzungsverfahren „verbraucht“. Für sie ist die Revision das allein geeignete Rechtsmittel. Diese strikt unterschiedliche Behandlung von Wiedereinsetzungs- und Revisionsgründen rechtfertigt sich schon durch die Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs. 2 GG). Denn die Wiedereinsetzung führt zu demselben Spruchkörper zurück, die Revision zu einem anderen (vgl. KG, Beschlüsse vom 28. Januar 2009 – 2 Ws 647/08 – m. w. N. und vom 24. August 2016 – 4 Ws 117/16 –).

Die durch den Angeklagten im Wiedereinsetzungsverfahren vorgebrachten Tatsachen sind im Berufungsurteil bereits ausführlich gewürdigt worden. Der Angeklagte hatte die Verlegung des Termins zur Berufungshauptverhandlung beantragt, weil er zwei Tage zuvor eine Operation zur Linsentransplantation habe und in der Folge eine Woche arbeitsunfähig sei. Ermittlungen des Kammervorsitzenden ergaben, dass der Angeklagte den Operationstermin in Kenntnis des Gerichtstermins vereinbart hatte, ohne dass dieser Zeitpunkt medizinisch indiziert gewesen wäre. Denn, so heißt es im Verwerfungsurteil, der Angeklagte „hätte die Operation unproblematisch eine oder mehrere Wochen später durchführen können“.

Der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten stützt sich auf diesen Sachverhalt. Der Angeklagte beharrt darauf und bekräftigt im Wiedereinsetzungsverfahren lediglich, durch die Augenoperation entschuldigt gewesen zu sein. Dieser Gesichtspunkt ist aber durch das Verwerfungsurteil gewürdigt worden und damit im Rechtssinne verbraucht.“