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StPO I: Verfahren „substantiell gefördert“? oder: Scheinverhandlungen sind keine Sachverhandlungen,

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Und dann auf in den neuen Monat. Den beginne ich heute mit einem Tag des 6. Strafsenats des BGH, also drei StPO-Entscheidungen vom 6. Strafsenat.

Zu Beginn der BGH, Beschl. v. v. 13.12.2022 – 6 StR 95/22 -, in dem sich der BGH (schon) wieder mit § 229 StPO, also der Frage, ob es sich bei einem Fortsetzungstermin um eine Sachverhandlung gehandelt hat, befassen muss.

Das Verfahren hatte einen doch etwas ungewöhnlich Sachverhalt, der sich gekürzt etwa wie folgt darstellt: Die Hauptverhandlung in dem Verfahren, in dem dem Angeklagten Vorenthalten von Arbeitsentgelten vorgeworfen worden ist, begann am 04.05.2017 und endete erst mit Urteil vom 25.03.2021. Am 20.07.2017, dem 9. Verhandlungstag, hatte die Verteidigung Beweisanträge, insbesondere zur Schadensberechnung und Leistungsfähigkeit des Angeklagten gestellt, durch die sich das Verfahren erheblich verzögert hat. Im Termin vom 08.09.2020, dem 62. Verhandlungstag, lehnte das LG den am 20.07.2017 gestellten Beweisantrag mit der Begründung ab, dass es aufgrund erfolgter Schadensberechnung über ausreichende eigene Sachkunde zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten hinsichtlich der mutmaßlich vorenthaltenen Arbeitsentgelte verfüge. Gegenstand der Hauptverhandlung in den Jahren 2018, 2019 und 2020 war im Wesentlichen die Erörterung des Verfahrensstandes in Bezug auf am 21.12.2017 veranlassten weiteren Ermittlungen des Hauptzollamts zur Buchhaltung des Angeklagten. Häufig wurden nur Verfügungen des Vorsitzenden verlesen, die sich an die StA richteten und Ermittlungsaufträge enthielten. Das LG hatte regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Hauptverhandlung gem. § 229 Abs. 1 und 2 StPO bis zu drei Wochen bzw. einem Monat zu unterbrechen. Infolgedessen fand diese im Jahr 2018 lediglich an 19 Tagen, im Jahr 2019 an 17 Tagen und im Jahr 2020 an 16 Tagen statt, wobei zumeist nur wenige Minuten lang verhandelt wurde. Insgesamt belief sich die Dauer der Hauptverhandlung im Jahr 2018 auf siebeneinhalb, im Jahr 2019 auf fünfeinhalb und im Jahr 2020 auf sechseinhalb Stunden.

Wegen weiterer Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext:

Der Angeklagte hat gegen seine am 25.03.2021 erfolgte Verurteilung durch das LG Ansbach Revision eingelegt, die erfolgreich war:

„2. Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht einen Verstoß gegen § 229 StPO.

a) Die in § 229 StPO normierten Unterbrechungsfristen werden im Hinblick auf die der Vorschrift zugrundeliegende Konzentrationsmaxime nur dann gewahrt, wenn in dem zur Fortsetzung der Hauptverhandlung anberaumten Termin zur Sache verhandelt, das Verfahren mithin inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch gefördert wird (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2017 – 3 StR 262/17, NStZ 2018, 297, 298). Das ist stets der Fall, wenn es zu Verfahrensvorgängen kommt, welche die zur Urteilsfindung führende Sachverhaltsaufklärung betreffen. Auch die alleinige Befassung mit Verfahrensfragen kann ausreichend sein, sofern es dabei um den Fortgang der Sachverhaltsaufklärung geht (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2014 – 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220 mwN). Unter diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Termins ebenso wenig von Bedeutung wie die Frage, ob dieser noch für weitere verfahrensfördernde Handlungen hätte genutzt werden können; gleichermaßen unschädlich ist es, wenn der Termin zugleich der Einhaltung der Unterbrechungsfrist dient (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2006 – 3 StR 199/06, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 6).

Auch wenn in dem Termin Verfahrensvorgänge stattfinden, die nach diesen Maßstäben grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet sind, liegt ein Verhandeln zur Sache jedoch dann nicht vor, wenn das Gericht dabei nur der äußeren Form nach zum Zwecke der Umgehung dieser Vorschrift tätig wird und der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktritt (vgl. BGH, Urteile vom 2. Februar 2012 – 3 StR 401/11, NStZ 2012, 343; vom 16. Januar 2014 – 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220 mwN). So verhält es sich etwa dann, wenn einheitliche Verfahrensvorgänge willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zerstückelt und diese auf mehrere Verhandlungstage verteilt werden, um dadurch die zulässigen Unterbrechungsfristen einzuhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2007 – 3 StR 254/07, NStZ 2008, 115). Aus demselben Grunde verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat (vgl. BGH, Urteile vom 2. Februar 2012 – 3 StR 401/11, aaO; vom 16. Januar 2014 – 4 StR 370/13, aaO; Beschluss vom 19. Juli 2022 – 4 StR 64/22 Rn. 9, jeweils mwN).

b) Daran gemessen stößt die Verfahrensweise des Landgerichts auf durchgreifende rechtliche Bedenken.

aa) Es kann dahinstehen, ob es an einzelnen Verhandlungstagen überhaupt nicht zu Verfahrensvorgängen kam, die das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch förderten. Denn selbst wenn an allen Sitzungstagen Verfahrenshandlungen vorgenommen wurden, die grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet waren, so ist aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar, dass das Landgericht dabei zumindest an den Verhandlungstagen vom 30. April 2018 (22. Sitzungstag), vom 22. August 2018 (27. Sitzungstag), vom 2. März 2020 (54. Sitzungstag), vom 14. April 2020 (56. Sitzungstag), vom 25. Mai 2020 (57. Sitzungstag) und vom 16. Juni 2020 (58. Sitzungstag) nur der äußeren Form nach tätig wurde zu dem Zweck, die Vorschrift zu umgehen, und dass der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktrat.

Die Verfahrensweise des Landgerichts in den Jahren 2018, 2019 und 2020 belegt, dass es ihm in dieser Zeit im Wesentlichen nicht um die substantielle Förderung des Verfahrens, sondern allein um die Wahrung der Unterbrechungsfrist ging. Dadurch sollte ersichtlich eine Aussetzung der Hauptverhandlung vermieden werden, obwohl das Landgericht aufgrund des am 20. Juli 2017 gestellten Antrags etwa drei Jahre lang damit befasst war, außerhalb der Hauptverhandlung die Buchhaltung des Angeklagten nach seinen Vorgaben aufbereiten und mehrere alternative Schadensberechnungen erstellen zu lassen.

Um die Hauptverhandlung trotz der Verzögerungen fortzuführen, hat das Landgericht die Unterbrechungsfristen des § 229 StPO über Jahre hinweg ausgereizt und die Verhandlung zeitlich dermaßen gestreckt, dass die jährliche Verhandlungsdauer kaum über diejenige eines einzigen gewöhnlichen Sitzungstages hinausging. Im Jahr 2018 verhandelte das Landgericht – verteilt auf 19 Sitzungstage – insgesamt nur siebeneinhalb Stunden, und in den Jahren 2019 und 2020 war die gesamte Verhandlungsdauer mit fünfeinhalb bzw. sechseinhalb Stunden noch kürzer, verteilt auf 17 bzw. 16 Tage.

Gegenstand der Verhandlung war zumeist der Stand der Dinge betreffend die außerhalb der Hauptverhandlung stattfindenden Vorgänge der Aufarbeitung der Buchhaltung des Angeklagten und der Erstellung der alternativen Schadensberechnung. Zuweilen erschöpfte sich die Hauptverhandlung in der Bekanntgabe von darauf bezogenen Verfügungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergangen waren und den Verfahrensbeteiligten ebenso gut außerhalb der Hauptverhandlung hätten bekannt gemacht werden können. Ihre Verlesung in der Hauptverhandlung diente beispielsweise am 22. Sitzungstag (30. April 2018) und am 27. Sitzungstag (22. August 2018) ersichtlich dem Zweck, überhaupt eine Verfahrenshandlung vorzunehmen, die geeignet erschien, das Verfahren scheinbar inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch zu fördern.

An mehreren Verhandlungstagen wurden ausschließlich Urkunden verlesen, die ohne weiteres schon deutlich früher in die Hauptverhandlung hätten eingeführt werden können und in Bezug auf deren Verlesung in dem späteren Termin in Anbetracht der gesamten Verfahrensweise des Landgerichts ebenfalls kein anderer Grund erkennbar ist als derjenige, dass die Verlesung allein dazu diente, den Schein einer Verfahrensförderung zu wahren. Das gilt etwa im Hinblick auf das Schreiben des Finanzamts Ansbach vom 9. Juli 2019, mit dem der Betriebsprüfungsbericht für das Jahr 2007 übersandt wurde und das am 15. Ju-li 2019 (dem 44. Sitzungstag) beim Landgericht einging. Verlesen wurden das Schreiben und der Betriebsprüfungsbericht indes erst am 54. Sitzungstag vom 2. März 2020, wobei sich dieser Verhandlungstag in der Verlesung dieser Urkunden erschöpfte. Gleichermaßen verhält es sich hinsichtlich der Schreiben des Hauptzollamts Nürnberg vom 8. Mai 2018 und der Deutschen Rentenversicherung vom 2. Mai 2018, die schon vor dem 22. Mai 2018 (dem 23. Sitzungstag) zu den Akten gelangten, ohne nachvollziehbaren Grund indes erst am 14. April 2020 (dem 56. Sitzungstag) verlesen wurden. Am 57. Sitzungstag vom 25. Mai 2020 wurden ausschließlich die Versicherungszeiten ab dem 8. Juni 2005 aus dem Gesamtkontenspiegel für den Versicherten   O.     vom 22. Mai 2018 verlesen, den die Deutsche Rentenversicherung mit Schreiben vom 29. Mai 2018 dem Hauptzollamt Nürnberg übersandt hatte und das am 1. Juni 2018, mithin vor dem 24. Sitzungstag vom 12. Juni 2018 beim Landgericht eingegangen war. Auch insoweit beanstandet der Beschwerdeführer in Anbetracht der gesamten Umstände zu Recht, dass das fast zwei Jahre früher beim Landgericht eingegangene Schreiben „instrumentalisiert“ wurde, um bei Bedarf die Hauptverhandlung scheinbar zu fördern.

Schließlich diente auch die Anordnung des Selbstleseverfahrens in Bezug auf einen Teil der zweiten alternativen Schadensberechnung am 58. Sitzungstag vom 16. Juni 2020 ersichtlich nur dazu, den Schein einer Verfahrensförderung zu wahren. Die Anordnung betraf lediglich die Berechnung hinsichtlich derjenigen Arbeitnehmer des Angeklagten, in Bezug auf die nach Mitteilung des Vorsitzenden keine weitere Nachbesserung seitens der Deutschen Rentenversicherung mehr erforderlich war. Die Vermerke des Berichterstatters vom 10. und 22. Juni 2020 belegen indes, dass schon im Termin vom 16. Juni 2020 feststand, dass die noch nötigen Korrekturen auch Arbeitnehmer des Angeklagten betrafen, in Bezug auf deren Daten das Selbstleseverfahren angeordnet wurde. Die geänderten Daten waren sodann Gegenstand der dritten alternativen Schadensberechnung, die am 59. Sitzungstag in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Die zweite alternative Schadensberechnung war demgegenüber – was der Strafkammer bewusst war – schon im Termin vom 16. Juni 2020 obsolet. Die an diesem Tag ergangene Anordnung des Selbstleseverfahrens in Bezug auf Teile der zweiten alternativen Schadensberechnung bezweckte mithin ersichtlich nicht die substantielle Förderung des Verfahrens, sondern diente allein dazu, die Hauptverhandlung scheinbar unter Wahrung der Unterbrechungsfrist fortzusetzen.

Da der 22., 27., 54., 56., 57. und 58. Sitzungstag nicht geeignet waren, die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO einzuhalten, hätte die Hauptverhandlung jeweils ausgesetzt werden müssen.

bb) Es kann – wie im Regelfall (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. Februar 2022 – 4 StR 503/21, NStZ 2022, 760) – nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf dem Verstoß gegen § 229 StPO beruht. Ein besonders gelagerter Ausnahmefall, in dem die Fristüberschreitung ersichtlich weder den Eindruck von der Hauptverhandlung abgeschwächt noch die Zuverlässigkeit der Erinnerung beeinträchtigt hat (vgl. BGH aaO), liegt schon angesichts der Verfahrensdauer von mehreren Jahren ersichtlich nicht vor.“

Man merkt m.E. deutlich, dass der BGH „not amused“ war über die zögerliche Verhandlung/Erledigung. Das merkt man auch am amtlichen Leitsatz:

Auch wenn in einem Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung Verfahrensvorgänge stattfinden, die als Sachverhandlung anzusehen sind, verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat.

Der BGH hätte es auch anders ausdrücken können, nämlich „Scheinverhandlung sind keine Sachverhandlungen.

StPO II: Berufungsverwerfung im Fortsetzungstermin, oder: War der Angeklagte ordnungsgemäß geladen??

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Die zweite Entscheidung, der OLG Bamberg, Beschl. v. 15.9.2021 – 1 Ws 561/21 – behandelt eine Problematik aus dem Berufungsverfahren, nämlich die Berufungsverwerfung gegen den ausgebliebenen, aber vertretenen Angeklagten.

Folgender Sachverhalt: Im ersten Berufungshauptverhandlungstermin vom 17.06.2021 war die Verhandlung ausgesetzt und neuer Hauptverhandlungstermin bestimmt worden auf den 09.08.2021 um 09:00 Uhr. Zur Berufungshauptverhandlung am 09.08.2021 um 09:00 Uhr war der Angeklagte nicht erschienen, jedoch durch seine Verteidigerin mit nachgewiesener und gesonderter Vertretungsvollmacht vertreten. Der Vorsitzende der Berufungskammer unterbrach die Hauptverhandlung zur Entscheidung über einen Befangenheitsantrag und verfügte sodann um 15:00 Uhr, dass die Hauptverhandlung unterbrochen wird, bestimmte Termin zur Fortsetzung der Berufungsverhandlung auf 10.08.2021, 08:30 Uhr, und ordnete das persönliche Erscheinen des Angeklagten zum Fortsetzungstermin an. Zu diesem Termin wurden der Angeklagte über seine Verteidigerin per Telefax am 09.08.2021 um 16:52 Uhr geladen. Zum Fortsetzungstermin am 10.08.2021 um 08:38 Uhr war der Angeklagte erneut nicht erschienen, jedoch wiederum durch seine vorgenannte Verteidigerin vertreten. Nach Verwerfung eines weiteren Ablehnungsantrags verkündete der Vorsitzende sodann bezüglich des Angeklagten ein Verwerfungsurteil gemäß § 329 Abs. 4 Satz 2 StPO, da dieser zum Fortsetzungstermin vom 10.08.2021 nicht erschienen war.

Dagegen u.a. der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Den hat das LG zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten hatte dann aber beim OLG bamberg Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde erweist sich als begründet. Dem Angeklagten ist unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung Wiedereinsetzung in die Hauptverhandlung zu bewilligen, da er zu dem Hauptverhandlungstermin vom 10.08.2021 nicht ordnungsgemäß geladen wurde und deshalb bereits kein Fall der Säumnis vorlag.

1. Der Angeklagte ist vorliegend per Fax am 09.08.2021 um 16:52 Uhr über seine auch für die Entgegennahme von Ladungen (§ 145a Abs. 2 Satz 1 StPO) bevollmächtigte Verteidigerin zum Fortsetzungstermin vom 10.08.2021 um 08:30 Uhr geladen und hierbei über die Möglichkeit der Verwerfung gemäß § 329 Abs. 4 Satz 3 StPO belehrt worden. Bei Terminsbestimmung am 09.08.2021 hat das Gericht zudem das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet. Die Ladung erfolgte jedoch nicht fristgerecht. Nachdem zwischen dem Eingang der an den Angeklagten adressierten Ladung bei seiner Verteidigerin, die am 09.08.2021 per Telefax erfolgte und dem Tag der Hauptverhandlung, die bereits auf den 10.08.2021 terminiert war, keine Woche lag, wurde die Ladungsfrist des § 217 StPO nicht eingehalten. Zwar ist bei Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung grundsätzlich keine förmliche Ladung erforderlich und daher auch keine Ladungsfrist einzuhalten (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 217 Rn. 6 m.w.N.). Vielmehr genügt grundsätzlich die bloße Bekanntgabe des Fortsetzungstermins (Meyer-Goßner/Schmitt § 229 Rn. 12 m.w.N.). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn das Gericht – wie vorliegend – trotz der Vertretung des Angeklagten durch einen Verteidiger ausnahmsweise nicht gemäß § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO zur Sache verhandeln will, sondern es als erforderlich erachtet, dass der Angeklagte zur Fortsetzung der Hauptverhandlung persönlich anwesend ist. In diesem Falle ist gemäß § 329 Abs. 4 Satz 1 StPO der Angeklagte zum Fortsetzungstermin neu zu laden und das persönliche Erscheinen anzuordnen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 329 Rn. 15b). Die ordnungsgemäße Ladung richtet sich nach §§ 216, 217 StPO und setzt deren förmliche Zustellung nach § 35 Abs. 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 35 Rn. 10 m.w.N.) unter Einhaltung der einwöchigen Ladungsfrist voraus. Da die Durchführung der Hauptverhandlung nach § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO in Abwesenheit des Angeklagten den gesetzlichen Regelfall darstellt, und nach § 329 Abs. 4 Satz 1 StPO nur verfahren werden darf, wenn die Anwesenheit des Angeklagten zur Urteilsfällung unerlässlich ist (Meyer-Goßner/Schmitt § 329 Rn. 15a), darf ein Angeklagter, welcher seinen Verteidiger mit ordnungsgemäßer Vertretungsvollmacht ausgestattet hat, von einem Verhandeln in seiner Abwesenheit ausgehen. Die Ladung zum Fortsetzungstermin nach § 329 Abs. 4 Satz 1 StPO soll ihm von daher Gelegenheit geben, sich auf die veränderte Sachlage einzustellen und sich auf den Fortsetzungstermin vorzubereiten.

2. Nach §§ 329 Abs. 7 Satz 1, 44 Satz 1 StPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein säumiger Angeklagter ohne Verschulden gehindert war, an der Berufungshauptverhandlung persönlich teilzunehmen. Bei Nichteinhaltung der Ladungsfrist ist ein Angeklagter zwar an sich nicht säumig. Gleichwohl ist ein nichtsäumiger Angeklagter einem säumigen gleichzustellen und ihm ist ohne Rücksicht auf sein Verschulden – ggf. auch von Amts wegen – Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn das Gericht das Fehlen oder die Unwirksamkeit der Ladung übersehen hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 329 Rn. 41 m.w.N.). Auf die Frage der Glaubhaftmachung der Terminsunkenntnis kommt es vorliegend nicht an, da die Unwirksamkeit der Ladung zur Folge hat, dass der Angeklagte nicht säumig war und ihm auch von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren ist.

3. Der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten stützt sich auf Umstände, die das Berufungsgericht vorliegend in seinem die Berufung verwerfenden Urteil nicht berücksichtigt, weil es sie offenbar für nicht relevant erachtet hat. Für den Angeklagten sind sie von daher als neu einzustufen. Da alle Tatsachen aktenkundig sind, ist deren Glaubhaftmachung nicht erforderlich (BGH, Beschl. v. 26.02.1991 – 1 StR 737/90 = NStZ 1991, 295 = BGHR StPO § 45 Abs 2 Tatsachenvortrag 7).“

Schiebung, Schiebung, Schiebung…

„Schiebung, Schiebung, Schiebung…..“ ein Vorwurf, der im Sport nicht selten erhoben wird, wenn Schiedsrichterentscheidungen nicht nachvollziehbar sind bzw. den Anhängern, der Mannschaft, gegen die die umstrittene Entscheidung ergangen ist, nicht passen. Im Strafverfahren gibt es auch eine Stelle, an der häufiger von „Schiebung“ die Rede ist. Es handelt sich um den sog. Fortsetzungstermin, der durchgeführt wird, um die Unterbrechungsfristen des § 229 StPO zu unterbrechen. Häufig findet nämlich in solchen Terminen keine „Sachverhandlung“ statt mit der Folge, dass dann die Frist nicht unterbrochen ist. Auf die Verfahrensrüge wird ein später verkündetes Urteil dann i.d.R. aufgehoben.

Mit der Abgrenzung einer „Sachverhandlung“ vom bloßen „Schiebetermin“ befasst sich noch einmal/schon wieder der BGH, Beschl. v. 02.02.2012 – 3 StR 401/11. Dort war in die bereits geschlossene Beweisaufnahme wieder eingetreten und die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet worden. Es war dann ein Fortsetzungstermin als „Brückentermin“ bis zur Anhörung des Sachverständigen anberaumt worden. In diesem sind zwar Beweiserhebungen vorgenommen worden, die waren nach Auffassung des BGH zur Annahme einer Sachverhandlung i.S.d. § 229 StPO jedoch nicht ausreichend:

a) Zur Sache wird in einem Fortsetzungstermin allerdings grundsätzlich bereits dann verhandelt, wenn Prozesshandlungen vorgenommen werden oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen stattfinden, die geeignet sind, das Verfahren inhaltlich auf den Urteilsspruch hin zu fördern und die Sache ihrem Abschluss substantiell näher zu bringen (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2007 – 3 StR 254/07, NStZ 2008, 115). Unter diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Termins ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob er noch für weitere verfahrensfördernde Handlungen hätte genutzt werden können. Gleichermaßen unschädlich ist es, wenn der Termin zugleich auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist dient (BGH, Urteil vom 3. August 2006 – 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077).

Auch wenn in dem Termin Verfahrensvorgänge stattfinden, die nach die-sen Maßstäben grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet sind, liegt ein Verhandeln zur Sache jedoch dann nicht vor, wenn das Gericht dabei nur formal zum Zwecke der Umgehung dieser Vorschrift tätig wird und der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktritt (BGH, Urteil vom 25. Juli 1996 – 4 StR 172/96, NJW 1996, 3019; Ur-teil vom 18. März 1998 – 2 StR 675/97, NStZ-RR 1998, 335). Zur Fristwahrung ungeeignete „Schiebetermine“ sind danach etwa anzunehmen wenn einheitli-che Verfahrensvorgänge willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zerstückelt und diese auf mehrere Verhandlungstage verteilt werden, nur um hierdurch die zulässigen Unterbrechungsfristen einzuhalten (BGH aaO; Beschluss vom 16. Oktober 2007 – 3 StR 254/07, NStZ 2008, 115). Aus demselben Grund verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang er-kennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11, NStZ 2011, 532).

b) So liegt der Fall hier. Der Senat ist von der Richtigkeit des – im Übrigen unwidersprochen gebliebenen – Beschwerdevorbringens überzeugt, dass die Wiedereröffnung der Beweisaufnahme am 19. Mai 2011 und die Anberaumung der drei Folgetermine allein darauf beruhte, dass das Landgericht nachträglich die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung für klärungsbedürftig hielt und sich veranlasst sah, hierzu ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Dementsprechend hat es mit der Beweiserhebung in dem „Brückentermin“ am 10. Juni 2011 nur die Wahrung der Unterbrechungsfrist, nicht aber eine substantielle Förderung des Verfahrens im Auge gehabt. Dass das Landgericht den erhobenen Blutalkoholwert des Geschädigten W. bei der Überprüfung der Glaubwürdigkeit seiner Aussage tatsächlich verwertet hat, bleibt unter diesen Umständen ohne Belang.“

Falsa demonstratio, non nocet…

Der alte Spruch „falsa demonstratio, non nocet“, den wir alle zumindest noch aus dem Studium kennen, spielt – man ist ein wenig überrascht – auch im Strafverfahren eine Rolle. Und zwar in Zusammenhang mit dem Dauerbrenner: § 229 StPO und: Ist die durchgeführte Verhandlung eine Sachverhandlung, mit der die unterbrochene Hauptverhandlung fristgemäß fortgesetzt worden ist?

Was ist/war passiert? Ich zitiere aus BGH, Beschl. v. 22.06.2011 – 5 StR 190/11:

„Am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 13. Oktober 2010 verlas die Vorsitzende der Jugendkammer ein ärztliches Attest, das der Zeugin M. L. bescheinigte, aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung nicht vor Gericht erscheinen zu können. Daraufhin traf die Vorsitzende folgende Verfügung:
„Weitere Termine zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung werden bestimmt auf:
Montag, den 01.11.2010, 9.00 Uhr (Schiebetermin)
Freitag, den 19.11.2010, 9.00 Uhr
Dienstag, den 23.11.2010, 9.00 Uhr
Die Zeugin M. L. ist erneut zu laden auf den 19.11.2010, 9.00 Uhr.“
Am 1. November 2010 wurde in der Zeit von 9.02 Uhr bis 9.05 Uhr die Hauptverhandlung fortgesetzt. Es wurde der den Angeklagten betreffende Auszug aus dem Bundeszentralregister verlesen, der keinen Eintrag enthielt.

Aufgrund der Bezeichnung „Schiebetermin“ und der nur dreiminütigen Hauptverhandlung am 01.11.2010 kann man ja schon auf die Idee kommen, es liege eine Verletzung des § 229 StPO vor. So auch der Angeklagte, der das dann auch mit der Verfahrensrüge gerügt hat. Allerdings: Gereicht hat es nicht, wohl weil er den Inhalt des Hauptverhandlungstermins übersehen hatte. Dazu der BGH:

„b) Bei dieser Verfahrensgestaltung hat am dritten Tag der Hauptverhandlung eine Sachverhandlung stattgefunden. Eine solche liegt vor, wenn die Verhandlung den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachver-haltsaufklärung betrifft (BGH, Urteil vom 11. Juli 2008 – 5 StR 74/08, BGHR StPO Sachverhandlung 9 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11). Dies ist hier der Fall. Das Landgericht hat den Beweisstoff um den für den Rechtsfolgenausspruch relevanten Umstand erweitert, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2006 – 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077). Aus der von der Vorsitzenden am 13. Oktober 2010 vorgenommenen Qualifizierung der für den 1. November 2010 vorgesehenen Hauptverhandlung als „Schiebetermin“ folgt nichts Gegenteiliges. Diese Bewertung war – weil der Inhalt der Hauptverhandlung vom 1. November 2010 offen geblieben ist – nur vorläufiger Natur und konnte im Blick auf die erfolgte Sachverhandlung keinerlei Bedeutung erlangen (anders der dem Beschluss des 3. Strafsenats vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11 zugrunde liegende Sachverhalt).“

Nun: So ganz viel anders ist es in dem Beschluss nicht. Da war es allerdings so, dass der Vorsitzende in einem (weiteren) Schreiben ausdrücklich den Termin als Schiebetermin bezeichnet hatte und die Hauptverhandlung an sich auch schon beendet war. Dazu heißt es im Beschl. des BGH in 3 StR 61/11:

„Der Vorsitzende hat in jenem Schreiben explizit zum Ausdruck gebracht, dass aufgrund der Erkrankung der Schöffin am 18. August 2010 nur ein ‚kurzer Termin im Klinikum‘ stattfinden soll, um das Verfahren ’nicht platzen zu lassen‘ (RB S. 13). Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Revision sollten in dem ursprünglich auf den Vormittag desselben Tages anberaumten Fortsetzungstermin dagegen nur noch die Schlussvorträge der Verteidiger der beiden Angeklagten sowie die Urteilsberatung und -verkündung erfolgen, nachdem die Beweisaufnahme bereits im Termin vom 28. Juli 2010 geschlossen worden war und die Staatsanwaltschaft ihren Schlussvortrag gehalten hatte (RB S. 12).“

Wenn ich den Maßstab bei 5 StR 190/11 anlege, sehe ich den Unterschied nicht so richtig. Aber ich bin ja auch nicht beim BGH.

Dauerbrenner: Schiebetermin

Auch so ein verfahrensrechtlicher Dauerbrenner, mit dem sich der BGH, Beschl. v. 07.04.2011 – 3 StR 61/11 befasst: der Schiebetermin i.S. des § 229 StPO. Dazu heißt es im Beschluss:

Die zulässig erhobene Rüge der Verletzung des § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO greift durch. Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Hauptverhandlung, die in der Zeit vom 28. Juli 2010 bis zum 7. September 2010 an drei Verhandlungstagen durchgeführt wurde, nach der Unterbrechung am ersten Verhandlungstag, dem 28. Juli 2010, in dem ‚8-minütigen Kurztermin‘ vom 18. August 2010 ‚lediglich in einem formalen Sinne und gleichsam zum Schein fortgesetzt‘ worden sei (RB S. 28).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1952, 1149; 1996, 3019, 3020; 2006, 3077; NStZ 2000, 212, 214; 2008, 115; BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 1, 3-6; vgl. auch Becker in LR StPO 26. Aufl. § 229 Rdnr. 10, Gmel in KK StPO 6. Aufl. § 229 Rdnr. 6 und Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 229 Rdnr. 11, jeweils m.w.N.) ist ein Fortsetzungstermin nur dann geeignet, die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 oder 2 StPO zu wahren, wenn in ihm zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert wird. Dabei genügt bereits jede Förderung des Verfahrens, selbst wenn weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente (BGH NJW 2006, 3077; NStZ-RR 1998, 335). Nicht ausreichend sind dagegen so genannte (reine) ‚Schiebetermine‘, welche die Unterbrechungsfrist lediglich formal wahren, in denen aber tatsächlich keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, das Strafverfahren seinem Abschluss substanziell näher zu bringen (BGH NStZ 2008, 115). Unzulässig ist es darüber hinaus, einheitliche Verfahrensvorgänge, insbesondere Beweisaufnahmen, willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zu zerstückeln und diese auf mehrere Verhandlungstage zu verteilen, nur um hierdurch die gesetzlichen Unterbrechungsfristen einzuhalten (BGH a.a.O.).

Ausgehend von diesen Maßstäben stellt der Hauptverhandlungstermin vom 18. August 2010 lediglich einen unzulässigen Schiebetermin dar. Zwar ist die Durchführung der Beweisaufnahme, zu dem die auf § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO beruhende Verlesung des Durchsuchungsberichts sowie des zugehörigen Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokolls gehört, grundsätzlich eine Verhandlung zur Sache und demnach geeignet, die Unterbrechungsfrist aus § 229 Abs. 1 StPO zu wahren (vgl. BGH NJW 2006, 3077, 3078). Auch steht die relativ kurze Dauer des Termins seiner Eignung zur Fristunterbrechung nicht entgegen (BGH a.a.O.). Im vorliegenden Fall diente der auf den Nachmittag verschobene Termin vom 18. August 2010 jedoch allein der Einhaltung der Unterbrechungsfrist, was unzulässig ist.