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Pflichti II: Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers, oder: „Unabweisbares Bedürfnis“ für zweiten Pflichti

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Im zweiten Posting dann zweimal der BGH, und zwar zum weiteren Pflichtverteidiger, also zur Problematik des § 144 StPO. Dazu musste der BGH meist in Zusammenhang mit den derzeit anhängigen Staatsschutzverfahren in letzter Zeit häufiger Stellung nehmen. Heute habe ich hier:

1. Die allein theoretische Möglichkeit eines Wegfalls des Wahlverteidigers rechtfertigt es nicht, gewissermaßen vorsorglich einen andern Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Sollten beide Wahlverteidiger ihr Mandat niederlegen, liegt es im Übrigen näher, erneut den früheren Verteidiger beizuordnen.

2. Für die Bestellung eines zusätzlichen (Pflicht-)Verteidigers muss – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein unabweisbares Bedürfnis bestehen, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Beschuldigten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten. Eine solche Notwendigkeit ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich eine Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstrecken wird und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann. Das  ist nicht der Fall, wenn der (gegenwärtige) Aktenbestand überschaubar und geplant ist, für den Fall einer Eröffnung des Hauptverfahrens, die Hauptverhandlung an 13 Sitzungstagen durchzuführen und der Angeschuldigte zudem den äußeren Tatbestand des gegen ihn erhobenen Vorwurfs (von zwei Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz) im Ermittlungsverfahren eingeräumt.

1. Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch den Vorsitzenden des Gerichts der Hauptverhandlung keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt auf der Rechtsfolgenseite kein eigenes Ermessen aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich – im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung – dahin, ob der Vorsitzende die Grenzen seines Beurteilungsspielraums eingehalten und sein Entscheidungsermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

2. Für die Bestellung eines zusätzlichen (Pflicht-)Verteidigers muss – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein unabweisbares Bedürfnis bestehen, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Beschuldigten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten. Eine solche Notwendigkeit ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich eine Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstrecken wird und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann.

Pflichti II: Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers, oder: Der BGH faßt noch einmal schön zusammen

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Und dann im zweiten Posting hier der BGH, Beschl. v. 19.02.2025 – StB 4/25, StB 5/25, StB 6/25 -, der sich noch einmal eingehend mit der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers (§ 144 Abs. 1 StPO) befasst.

Ergangen ist der Beschluss in einem beim KG anhängigen Verfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Auslan. Der Vorsitzende des KG-Senats hatte die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers abgelehnt. Die sofortigen Beschwerden hatten beim BGH keinen Erfolg.Der BGH führt – noch einmal – umfangreich zu den anstehenden Fragen aus:

„1. Zum Prüfungsmaßstab und zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers gilt:

a) Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch das erkennende Gericht keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt kein eigenes Ermessen auf der Rechtsfolgenseite aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung dahin, ob der Vorsitzende seinen Beurteilungsspielraum und die Grenzen seines Entscheidungsermessens überschritten hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. August 2024 – StB 47/24 , NStZ-RR 2024, 354, 355; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 10; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22 , juris Rn. 8, 13; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 18; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 17 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 144 Rn. 12).

b) Nach der Vorschrift des § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahl- oder (ersten) Pflichtverteidiger „bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich“ bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist“. Die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat, also grundsätzlich zur Verfahrenssicherung geeignet ist. Vielmehr muss die Bestellung eines weiteren Verteidigers zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein ( BGH, Beschlüsse vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 11; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22 , juris Rn. 10; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 13; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 13 ).

Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist daher lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten ( BGH, Beschlüsse vom 21. August 2024 – StB 47/24 , NStZ-RR 2024, 354, 355; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 12).

Von einer solchen Notwendigkeit ist auszugehen, wenn sich die Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstreckt und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. August 2024 – StB 47/24 , NStZ-RR 2024, 354, 355; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 13; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22 , juris Rn. 12; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 16; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 14 mwN; s. auch BT-Drucks. 19/13829 S. 49 f.).

2. Hieran gemessen ist die Annahme der Vorsitzenden des mit der Sache befassten 1. Strafsenats des Kammergerichts, die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO lägen nicht vor, vertretbar. Mit dieser Beurteilung hat sie die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums noch nicht überschritten.

a) Die Vorsitzende des Strafsenats hat annehmen dürfen, die Bestellung eines jeweils zweiten Pflichtverteidigers sei nicht wegen besonderen Umfangs des Verfahrens erforderlich. Zwar ist der Aktenumfang mit über 100 Aktenordnern beträchtlich und steht, wie schon die gegenwärtige Terminierung bis Ende 2025 deutlich macht, eine umfangreiche Beweisaufnahme an vielen Hauptverhandlungstagen zu erwarten. Indes sind die mit der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht überschaubar und haben die bestellten Pflichtverteidiger, die den Angeklagten jeweils kurz nach deren Verhaftung beigeordnet worden sind, bereits etliche Monate Zeit gehabt, sich mit dem Verfahrensgegenstand und den im Ermittlungsverfahren erlangten Erkenntnissen vertraut zu machen.

b) Ein jeweils zweiter Pflichtverteidiger für die Beschwerdeführer ist auch nicht wegen besonderer rechtlicher Komplexität des Verfahrens geboten. Die Einschätzung der Senatsvorsitzenden, die inmitten stehenden Rechtsfragen seien nicht von solcher Schwierigkeit, dass ihre alleinige Durchdringung den bestellten Pflichtverteidigern nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, erweist sich als rechtlich tragfähig, zumal es sich bei den bereits bestellten Verteidigern um erfahrene und mit Staatsschutzverfahren vertraute Fachanwälte für Strafrecht handelt.

Der Tatvorwurf bezieht sich jeweils auf die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und damit insbesondere nicht auf komplexe Rechtsvorschriften des Nebenstrafrechts oder internationalen Rechts. Zwar ist zur Einordnung der HAMAS als ausländische terroristische Vereinigung bislang keine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs ergangen (siehe aber zur vorläufigen Beurteilung im Rahmen von Haftfortdauerentscheidungen BGH, Beschlüsse vom 4. September 2024 – AK 71/24, juris Rn. 8 ff., 34 ff.; vom 26. Juni 2024 – AK 53-55/24, juris Rn. 8 ff., 36 ff.; vom 30. April 2024 – StB 25/24, Rn. 8 ff., 31 ff.; vom 10. April 2024 – StB 20/24, Rn. 8 ff., 27 ff.). Jedoch liegt zum rechtlichen Maßstab gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vor (vgl. die diesbezüglichen Nachweise in den vorgenannten Entscheidungen) und sind die tatsächlichen Beurteilungsgrundlagen in weitem Umfang allgemeinkundig. Angesichts des wesentlich gegen Zivilpersonen gerichteten Vorgehens der HAMAS kommt es zudem entgegen dem Beschwerdevorbringen des Angeklagten A. nicht darauf an, ob sich einzelne Akteure der HAMAS im bewaffneten Konflikt in der Levante auf ein völkerrechtliches „Kombattantenprivileg“ (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 265/13 , BGHR StGB § 129b Rechtswidrigkeit 1 ) berufen könnten.

c) Weiter ist angesichts des beschränkten Kontrollmaßstabs des Beschwerdegerichts nicht zu beanstanden, dass die Vorsitzende des 1. Strafsenats des Kammergerichts die Bestellung weiterer Pflichtverteidiger nicht als zur Verfahrenssicherung erforderlich erachtet hat.

Zwar kann im Fall voraussichtlich besonders lang dauernder Hauptverhandlungen die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers angezeigt sein, weil mit der Verfahrensdauer das Risiko eines längerfristigen Ausfalls des Verteidigers und damit der Notwendigkeit einer Aussetzung der Hauptverhandlung steigt. In Fällen einer absehbar außergewöhnlich langen Hauptverhandlung rechtfertigt sich die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung aus der Erfahrung, dass sich bei einer derartigen Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein Verteidiger könnte durch Erkrankung für einen längeren Zeitraum als durch Unterbrechungen nach § 229 StPO überbrückbar ausfallen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 23; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 23 ). Indes hat die Senatsvorsitzende dieses Risiko für überschaubar erachtet. Das begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Denn die bloß abstrakt-theoretische Möglichkeit eines späteren Ausfalls des Pflichtverteidigers gibt – außer in Fällen voraussichtlich ganz besonders langer Hauptverhandlungen – regelmäßig keinen Anlass zur Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers ( BGH, Beschlüsse vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 15; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 24; vom 21. April 2021 – StB 17/21 , NJW 2021, 1894 Rn. 9). Der Verfahrensstoff ist nicht derart umfangreich und komplex, dass er eine außergewöhnlich lange Hauptverhandlungsdauer zur notwendigen Folge hat. Sollte es – wider Erwarten – doch zu einem längerfristigen Ausfall eines Pflichtverteidigers kommen, bestünde – jedenfalls grundsätzlich – die Möglichkeit, diesen gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO zu entpflichten und statt seiner einen anderen Verteidiger – namentlich einen als Wahlverteidiger tätigen weiteren Verteidiger des betreffenden Angeklagten – zum Pflichtverteidiger zu bestellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2024 – StB 63/24 , NStZ-RR 2025, 54 Rn. 8 f.; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 15; vom 24. Oktober 2022 – StB 44/22 , NStZ-RR 2022, 380, 381; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 3 Rn. 4).

d) Im Übrigen ist vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens Folgendes zu bemerken:

aa) Einzelne bereits absehbare terminliche Verhinderungen der bestellten Pflichtverteidiger gebieten keine Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers. Denn die Regelung des § 144 Abs. 1 StPO dient nicht dazu, eine Vertretung des Angeklagten durch jedenfalls einen Verteidiger an jedem Hauptverhandlungstag zu gewährleisten und mehreren Verteidigern zu ermöglichen, die Teilnahme an der Hauptverhandlung untereinander aufzuteilen. Grundsätzlich ist jeder Pflichtverteidiger von Rechts wegen gehalten, an allen Hauptverhandlungsterminen teilzunehmen; die Bestellung eines zweiten Verteidigers soll, sofern sie zur Verfahrenssicherung angeordnet wird, Vorsorge für einen unerwarteten längerfristigen Ausfall des ersten Pflichtverteidigers treffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2024 – StB 63/24 , NStZ-RR 2025, 54 Rn. 10; vom 24. Oktober 2022 – StB 44/22 , NStZ-RR 2022, 380, 381; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , BGHR StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Aufhebung 3 Rn. 9). Sofern absehbar ist, dass der bestellte Pflichtverteidiger in größerem Umfang gehindert ist, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, ist dem grundsätzlich nicht mit der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers zu begegnen, sondern ist der bisherige Verteidiger zu entpflichten und durch einen anderen, terminlich nicht verhinderten Pflichtverteidiger zu ersetzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2024 – StB 63/24 , NStZ-RR 2025, 54 Rn. 10; vom 24. Oktober 2022 – StB 44/22 , NStZ-RR 2022, 380, 381; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , BGHR StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Aufhebung 3 Rn. 9). Bei einer Verhinderung des Pflichtverteidigers an einzelnen wenigen Sitzungstagen kommt entgegen dem Beschwerdevorbringen des Angeklagten A. , zuletzt mit Schriftsatz vom 17. Februar 2025, zudem die – rechtlich statthafte (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2025 – 5 StR 338/24 , juris Rn. 11; OLG Celle, Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 Ws 365/08 , juris Rn. 12 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Februar 2011 – 4 Ws 195/10 , juris Rn. 13; BeckOK StPO/Krawczyk, 54. Ed., § 144 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 144 Rn. 4) – gerichtliche Bestellung eines sogenannten Terminvertreters für einzelne Hauptverhandlungstage in Betracht, gegebenenfalls zur Wahrung der Verfahrensfairness unter Änderung des vorgesehenen Beweisprogramms (zur rechtlichen Stellung des als „Terminvertreter“ für einen Hauptverhandlungstag beigeordneten Verteidigers zutreffend OLG Brandenburg, Beschluss vom 26. Februar 2024 – 1 Ws 13/24, juris Rn. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023 – 2 Ws 13/22, NStZ-RR 2023,159, 160 [OLG Karlsruhe 09.02.2023 – 2 Ws 13/23] ). Zu Recht weisen die Beschwerdeführer, insbesondere der Pflichtverteidiger des Angeklagten A. in seinem Schriftsatz vom 17. Februar 2025, allerdings darauf hin, dass in einem umfangreichen Verfahren wie dem hiesigen an einem Sitzungstag, an dem ausnahmsweise ein für diesen bestellter Terminvertreter an Stelle des verhinderten regulären Pflichtverteidigers als Verteidiger tätig wird, Beweis nur insoweit erhoben werden darf, als dadurch das Recht des Angeklagten auf effektive Verteidigung nicht verletzt wird. Bei dem Beweisprogramm an einem solchen Sitzungstag ist in besonderem Maße Rücksicht darauf zu nehmen, dass ein bloßer Terminvertreter nur eingeschränkt mit dem Verfahrensstoff vertraut ist und an der vorangegangenen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nicht mitgewirkt hat.

bb) Der Umstand, dass der 1. Strafsenat des Kammergerichts gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG eine Besetzung in der Hauptverhandlung mit fünf Richtern beschlossen hat, ist vorliegend ohne Belang (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. März 2024 – StB 19/24 , NStZ-RR 2024, 178, 179; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 17; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , NStZ-RR 2022, 353, 354). Denn wegen der unterschiedlichen Aufgaben von Gericht und Verteidigung in der Hauptverhandlung kann nicht schon aus dieser Besetzung des Spruchkörpers der Schluss gezogen werden, dass die Verteidigung in der Hauptverhandlung von einem Pflichtverteidiger allein nicht leistbar wäre. Hinzu kommt, dass das Verfahren gegen vier Angeklagte geführt wird, woraus ein erhöhter Aufwand für das Gericht, nicht aber in gleichem Umfang auch für die Verteidigung eines jeden Angeklagten resultiert.

cc) Entsprechendes gilt für den von den Pflichtverteidigern der Angeklagten R. und A. vorgebrachten Umstand, dass ein Ergänzungsrichter an der Hauptverhandlung teilnehmen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2021 – StB 12/21 , NStZ-RR 2021, 179). Insofern ist darauf hinzuweisen, dass ein unvorhergesehen an der weiteren Hauptverhandlungsteilnahme gehinderter Richter nicht unter Fortsetzung der Verhandlung durch einen anderen ersetzt werden kann, der an der bisherigen Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, während dies bei einem Verteidiger statthaft ist. Ohne Relevanz für eine Entscheidung nach § 144 Abs. 1 StPO ist zudem, mit welcher Personenzahl die Staatsanwaltschaft den Sitzungsdienst bestreitet. Denn für diese Entscheidung können andere als die in § 144 Abs. 1 StPO genannten Kriterien maßgeblich sein. Zudem haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung in der Hauptverhandlung unterschiedliche Funktionen. Deshalb verlangt das Gebot der Verfahrensfairness nicht, dass die Zahl der Verteidiger eines jeden Angeklagten der Anzahl der an der Hauptverhandlung mitwirkenden Staatsanwälte entspricht (vgl. näher hierzu BGH, Beschluss vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 22 mwN).

dd) Der Pflichtverteidiger des Angeklagten B. , der mit Schriftsätzen vom 5., 11., 14. und 17. Februar 2025 ergänzend vorgetragen hat, macht zudem geltend, es sei bei der Beurteilung des Arbeitsaufwandes für die Verteidigung nicht bedacht worden, dass er neben seiner Tätigkeit im hiesigen Verfahren noch weitere Verteidigungen übernehmen müsse, um ein hinreichendes Auskommen zu erzielen. Dieses Vorbringen verfängt nicht. Denn als Kompensation einer besonders umfänglichen Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers sieht das Gesetz – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 RVG vor.“

Ist alles nicht neu, aber schön in einer Entscheidung zusammengefasst. Daher habe ich es hier auch noch einmal ganz eingestellt.

Pflichti I: Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers, oder: Voraussetzungen und Ermessen des Vorsitzenden

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Und heute dann drei „Pflichti-Entscheidungen, also weniger als sonst 🙂 .

Zunächst kommt hier der OLG Naumburg, Beschl. v. 04.10.2024 – 1 Ws 424/24 – in dem das OLG noch einmal zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers Stellung nimmt.

Der Angeklagte ist im ersten Rechtsgang durch das Urteil des LG Magdeburg vom 12.12.2022 vom Vorwurf der gemeinschaftlich mit einem Mitangeklagten  begangenen versuchten Anstiftung zu einem Mord freigesprochen worden. Der BGH hat das das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Bereits am 02.12.2021 war dem Angeklagten Rechtsanwalt G. als Pflichtverteidiger bestellt worden. Im April 2024 bestimmte die Vorsitzende der nunmehr zuständigen Schwurgerichtskammer – zehn Hauptverhandlungstermine vom 10.09.2024 bis zum 26.11.2024. Weitere drei Hauptverhandlungstermine bis zum 20.12.2024 blieben vorbehalten.

Mit Schreiben seines Verteidigers Rechtsanwalt G. vom 26.07.2024 beantragte der Angeklagte, ihm Rechtsanwalt S. als weiteren Pflichtverteidiger zu bestellen. Der wurde mit Beschluss vom 03.09.2024 bestellt. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde, die keinen Erfolg hatte.

Das OLG referiert zunächst noch einmal die Grundsätze der obergerichtlichen Rechtsprechung zu Bestellung eines weiteren Verteidigers gem. § 144 Abs. 1 StPO. Es stellt sowohl die Voraussetzungen für die Bestellung als auch den im Beschwerdeverfahren nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum des entscheidenden Vorsitzenden vor. Das ist nichts Neues, so dass ich auf den verlinkten Volltext verweisen kann.

Zur konkreten Sache heißt es dann:

„3. Daran gemessen ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden.

Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO liegt vor. Auch ist weder ersichtlich, dass die Kammervorsitzende von einem falschen Sachverhalt als Entscheidungsgrundlage ausgegangen ist, noch dass sie die maßgeblichen Tatbestandsmerkmale des § 144 Abs. 1 StPO fehlerhaft angewendet hat oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen.

Die Vorsitzende hat bei ihrer Entscheidung auf die Ankündigung des bisherigen alleinigen Pflichtverteidigers in den Schriftsätzen vom 26. Juli 2024 und vom 13. August 2024 abgestellt, es seien Beweisanträge in einem solchen Umfang zu erwarten, dass zu befürchten sei, dass die bisher anberaumten und vorbehaltenen Hauptverhandlungstermine nicht ausreichend seien. Zudem hat sie zugrunde gelegt, dass der Pflichtverteidiger gerichtsbekannt in einer Vielzahl weiterer Verfahren tätig ist. Dies hatte dieser in den genannten Schriftsätzen ebenfalls mitgeteilt, verbunden mit der Ankündigung, dass es wegen seiner Einbindung in anderweitigen Strafverfahren bei der Bestimmung weiterer Hauptverhandlungstermine zu erheblichen Schwierigkeiten kommen könne.

Damit ist die Kammervorsitzende ersichtlich von der konkreten Gefahr ausgegangen, dass aus der laufenden Hauptverhandlung heraus nach dem 20. Dezember 2024 weitere Hauptverhandlungstermine anberaumt werden müssen, an denen der bisher alleinige Pflichtverteidiger jedoch aufgrund umfangreicher Terminskollisionen nicht teilnehmen kann. Da bereits jetzt Zeugen bis zum neunten Hauptverhandlungstag geladen sind und der Pflichtverteidiger umfangreiche Beweisanträge angekündigt und zudem eingeschätzt hat, dass aufgrund seiner – gerichtsbekannten – Einbindung in eine Vielzahl von Strafverfahren seine Teilnahme an weiteren anzuberaumenden Hauptverhandlungsterminen fraglich ist, vermag der Senat in der Bewertung der Kammervorsitzenden, der spätere Ausfall des Pflichtverteidigers sei über eine abstrakt-theoretische Möglichkeit hinaus hinreichend wahrscheinlich, keinen Beurteilungsfehler zu erkennen.

Auch die – sich schlüssig aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses ergebende – Bewertung der Kammervorsitzenden, die sachgerechte Verteidigung könne im Fall einer Verhinderung des Pflichtverteidigers nicht durch andere Maßnahmen gewährleistet werden, lässt einen durchgreifenden Beurteilungsfehler nicht erkennen. Angesichts der nach der Einschätzung der Kammervorsitzenden drohenden weitgreifenden Verhinderung des Pflichtverteidigers erschiene der Verweis auf die Bestellung eines Vertreters für einzelne Hauptverhandlungstage nicht sachgerecht. Der Umfang und die Schwierigkeit der Sache – wenn sie auch für sich genommen die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers nach § 144 Abs. 1 StPO nicht rechtfertigt – lassen angesichts des damit verbundenen Einarbeitungsaufwandes auch die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Verhinderung des bisherigen Pflichtverteidigers nicht ohne Weiteres ausreichend erscheinen.

Die Beurteilung der Kammervorsitzenden, es bestehe hier angesichts der Mitteilungen des Pflichtverteidigers vom 26. Juli 2024 und vom 13. August 2024 eine konkrete Gefahr für die zügige Durchführung eines ordnungsgemäß betriebenen Verfahrens, die die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers erfordert, ist damit vertretbar. Darauf, ob der Senat bei eigener Abwägung zu dem gleichen Ergebnis gekommen wäre, kommt es wegen der – wie dargelegt – eingeschränkten Prüfungskompetenz im Beschwerdeverfahren nicht an.

Auf der Grundlage dessen vermag der Senat im Rahmen der zu prüfenden Rechtsfolgeentscheidung – dies betrifft insbesondere den Umfang der Verteidigerbestellung – ebenfalls keinen Rechtsfehler bei der tatgerichtlichen Ermessensausübung zu erkennen. Auch insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Senat eine gleichlautende Entscheidung getroffen hätte.“

StPO II: Einiges Neues zu Pflichtverteidigerfragen, oder: Zweiter Verteidiger, Entpflichtung, Wechselfrist, Grund

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Im zweiten Posting dann einige Entscheidungen zur Pflichtverteidigung (§§ 140 ff. StPO). Es hat sich aber seit dem letzten Posting zu der Porblematik nicht so viel angesammelt, dass es für einen ganzen Tag reicht. Also gibt es ein Sammelposting, allerdings nur mit den Leitsätzen:

1. Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch das erkennende Gericht keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt kein eigenes Ermessen auf der Rechtsfolgenseite aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung dahin, ob der Vorsitzende seinen Beurteilungsspielraum und die Grenzen seines Entscheidungsermessens überschritten hat.

2. Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers (§ 144 StPO) ist lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten.

    1. Einem bereits verteidigten Angeklagten ist auch bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung kein Pflichtverteidiger beizuordnen.
    2. Abweichend von dem Grundsatz, dass das Beschwerdegericht an die Stelle des Erstgerichts tritt und eine eigene Sachentscheidung trifft, gilt für die Prüfung der Bestellung eines weiteren Verteidigers nach § 144 StPO, dass dem Vorsitzenden des Gerichts ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht.
    3. Zur Ausübung des Ermessens durch den Vorsitzenden des bzw. das Erstgericht.
    1. Die Voraussetzung, unter denen wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Bestellung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO notwendig ist, kann bei sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten eher als erfüllt angesehen werden, als dies sonst der Fall ist.
    2. Zur Komplexität der Rechtslage bezüglich des Vorwurfs eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit dem Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§§ 113 Abs. 1, 114 Abs. 1 StGB) im Zusammenhang mit einem polizeilichen Einschreiten aufgrund des Filmens des Polizeieinsatzes.

Der Beginn der Frist für den Antrag auf einen Pflichtverteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO setzt voraus, dass der Beschuldigte auf die Frist bzw. die Möglichkeit der Auswechslung des Verteidigers hingewiesen worden ist.

 

Pflichti III: Störung des Vertrauensverhältnisses, oder: Anhörungspflicht bei Pflichtverteidigerbestellung

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen, und zwar einmal Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung wegen Störung des Vertrauensverhältnisses und zum Verfahen bei der Bestellung eines (weiteren) Pflichtverteidiger, nämlich.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Voraussetzung für die Aufhebung einer Beiordnung ist, dass konkrete Umstände vorgetragen werden, aus denen sich der endgültige Fortfall der für ein Zusammenwirken zu Verteidigungszwecken notwendigen Grundlage ergibt. Eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses muss der Angeklagte substantiiert darlegen. Pauschale, nicht näher belegte Vorwürfe rechtfertigen eine Entpflichtung nicht.

Bei § 142 Abs. 5 Satz 1 StPO, wonach dem Beschuldigten vor der Bestellung eines (weiteren) Pflichtverteidigers rechtliches Gehör zu gewähren ist, handelt es sich um eine zwingende Vorschrift.