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Vollzug I: Verlobtenlangzeitbesuch am Wochenende, oder: Ablehnung nur wegen Hausordnung reicht nicht

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In die neue Woche starte ich mit zwei Entscheidungen zum Vollzug. Beide kommen vom OLG Naumburg. In der einen hat das OLG das LG Stendal „zur Ordnung gerufen“, in der anderen die JVA Burg.

Ich beginne mit dem OLG Naumburg, Beschl. v. 26.08.2024 – 1 Ws 366/24 RB-Vollzug. Es geht um das Besuchsrecht bzw. einen Langzeitbesuch der Verlobten eines Strafgefangenen.

Der Strafgefangene verbüßt seit dem 30.05.2023 eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten wegen Verstoßes gegen die Abgabenordnung u. a.. Das Strafende ist auf den 17. September 2026 notiert. Nachdem die JVA dem Antragsteller am 12.02.2024 die Eignung zur Durchführung von Langzeitbesuchen mit seiner Verlobten zugesprochen hatte, beantragte der Antragsteller schriftlich die Durchführung eines Langzeitbesuchs seiner Verlobten und bat um einen Termin am Wochenende. Die Antragstellerin lehnte die Durchführung eines Termins für einen Langzeitbesuch an einem Wochenende ab, da am Wochenende die Durchführung von Langzeitbesuchen nicht vorgesehen sei.

Dagegen wandte sich der Antragsteller an das LG. Die StVK hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Das OLG hat dann das LG/die StVKkkk „zur Ordnung gerufen“:

„2. Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge Erfolg.

Die Strafvollstreckungskammer geht allerdings zutreffend davon aus, dass sich – bei hier grundsätzlicher Gestattung von Langzeitbesuchen der Verlobten des Antragstellers durch die Antragstellerin nach § 33 Abs. 5 JVollzG I LSA – unmittelbar aus dem Gesetz kein Anspruch auf eine bestimmte Besuchszeit ergibt. Vielmehr gehört die Ausgestaltung der Besuchsregelung zu der der Anstalt übertragenen Organisationsbefugnis, wobei allgemeine Regelungen zu Besuchszeiten gemäß § 113 Abs. 2 Nr. 1 JVollzGB I LSA in der Hausordnung zu treffen sind (vgl. zur Sicherungsverwahrung OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. April 2016 – 2 Ws 68/16 –, Rn. 9, zitiert nach juris). Bereits dabei sind berechtigte organisatorische Belange der Anstalt in einen Ausgleich mit den Interessen der Gefangenen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu bringen. Nach diesen Vorgaben getroffene Regelungen bilden die Grundlage für die Entscheidung über im Einzelfall gestellte Anträge auf Zulassung von Besuch, denen außerhalb der durch die Hausordnung festgelegten Zeiten allenfalls ausnahmsweise zu entsprechen sein wird (OLG Karlsruhe a. a. O.). Dies enthebt den Anstaltsleiter indes nicht von der Verpflichtung, einen solchen Antrag im Einzelfall zu bescheiden und dabei das ihm im Rahmen der Organisationsbefugnis eingeräumte Ermessen unter Berücksichtigung berechtigter Interessen des Antragstellers auszuüben (OLG Karlsruhe a. a. O.; KG Berlin, Beschluss vom 30. März 2000 – 5 Ws 146/00 Vollz –, Rn. 10, zitiert nach juris).

Die gerichtliche Überprüfung der Ausgestaltung des Besuchsrechts in dem durch die gesetzlichen Bestimmungen vorgegebenen Rahmen ist – wie allgemein beim Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung – darauf beschränkt, ob von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, von dem eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und dabei eine Abwägung der organisatorischen Belange der Anstalt mit den berechtigten Interessen des Gefangenen vorgenommen wurde (OLG Karlsruhe a. a. O. Rn. 10; s. a. Arloth/Krä, StVollzG, 5. Auflage § 115 Rn. 15).

Dabei ist in der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass bei der Ausfüllung des ihr in Bezug auf Besuche eingeräumten Ermessens die Justizvollzugsanstalt insbesondere Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2021 – 5 Ws 64/21 Vollz –, Rn. 15, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28. September 2020 – 1 Ws 183/20 Vollz –, Rn. 13, jeweils zitiert nach juris, OLG Karlsruhe a. a. O Rn. 9). Aus der aus Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie kann sich ein Anspruch auf Besuch von Familienangehörigen auch außerhalb der allgemeinen Besuchstage ergeben (OLG Karlsruhe a. a. O.; s. a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Juli 1994 – 2 BvR 806/94 –, Rn. 19, zitiert nach juris). Die grundrechtlichen Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 GG strahlen in gewissem Ausmaß auch auf das der Ehe vorgelagerte Verlöbnis aus, auch wenn sie verfassungsrechtlich nicht zu gleichermaßen weitgehenden Schutzmaßnahmen verpflichten (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28. September 2020 – 1 Ws 183/20 Vollz –, Rn. 13, zitiert nach juris).

Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Entscheidung der Antragsgegnerin zur Versagung von Langzeitbesuchen am Wochenende nicht gerecht. Es wurde bereits keine auf den Einzelfall bezogene Ermessenentscheidung unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller vorgebrachten besonderen Umstände getroffen. Vielmehr wurde ersichtlich lediglich auf die in der Hausordnung allgemein geregelten Besuchszeiten abgestellt, ohne dass die Antragsgegnerin, wie es nach dem oben Gesagten geboten gewesen wäre, geprüft hätte, ob der Umstand, dass die Verlobte des Gefangenen zu den in nach der Hausordnung vorgesehenen Zeiten für Langzeitbesuche beruflich verhindert ist, auch bei Berücksichtigung berechtigter organisatorischer Belange der Anstalt nicht eine Ausnahme von den allgemeinen Besuchszeiten zulässt. Dies ist jedenfalls nicht von vornherein völlig auszuschließen.“

Die Besuchserlaubnis für die (mitangeklagte) Verlobte – warum erst vom OLG?

© Joachim B. Albers - Fotolia.com

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Manchmal frage ich mich, warum manche Fragen bis zum OLG müssen und dort dann erst entschieden werden, obwohl m.E. die Lösung auf der Hand liegt/lag und, wenn schon nicht das AG, dann aber doch zumindest die Beschwerdekammer die „richtige“ Entscheidung hätte finden können. So ist es mir mal wieder beim OLG Oldenburg, Beschl. v. 01.04.2015 – 1 Ws 197/15 gegangen; der Kollege, der ihn mir geschickt hat, hatte sich übrigens dieselbe Frage gestellt. Es ging um den Antrag auf Erteilung einer Besuchserlaubnis für einen U-Haft-Gefangenen. Die hatte das AG für seine für seine Verlobte, die Mitangeschuldigte war, unter Hinweis auf den Haftgrund der „Verdunkelungsgefahr“ im Haftbefehl abgelehnt. Nachdem die Beschwerde des Angeklagten auch beim LG keinen Erfolg hatte, hat das OLG dann die Besuchserlaubnis (endlich) erteilt und zur Begründung (nur) die Stellungnahme der GStA „eingerückt“:

Eine Versagung des Besuchsverkehrs des Untersuchungsgefangenen mit seiner Verlobten dürfte nur dann möglich sein, wenn im Einzelfall aufgrund konkreter Anhaltspunkte durch den unkontrollierten Kontakt des Untersuchungsgefangenen mit der Außenwelt eine reale Gefahr für den im Haftbefehl vom 08.10.2014 (BI. 3 HSH) auch nur als subsidiär angeführten Haftzweck der Verdunkelungsgefahr besteht. Die bloße Möglichkeit, dass der Untersuchungsgefangene B seine Freiheiten missbrauchen könnte, um – was das Landgericht wohl befürchtet – die Verteidigungsstrategie mit der Mitangeklagten mit Blick auf die bevorstehende Hauptverhandlung abzusprechen, genügt nicht (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O, § 119 Rn. 7 m.w.N.). Dabei ist besonders in den Blick zu nehmen, dass der Mitangeklagten H. lediglich in 4 Fällen Beihilfehandlungen (als Tippgeberin) angelastet werden. Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht erkennen, welche Verdunkelungshandlungen in Bezug auf die Hauptverhandlung konkret zu besorgen sind, zumal die Mitangeklagte längere Zeit unkontrolliert mit dem Untersuchungsgefangenen hat telefonieren können (vgl. BI. 45 HSH).

Dass wegen weiterer, aber nicht aufgeklärter Taten noch ermittelt wird, die bislang nicht zum Gegenstand des Haftbefehls gemacht wurden, lässt sich anhand des Haftsonderhefts nicht feststellen. In Bezug auf Verdunkelungshandlungen wegen nicht aufgeklärter Taten ließe sich dieses Risiko jedenfalls aber durch einen kontrollierten Besuch (in Anwesenheit der Polizei) begegnen. Der angeklagte Sachverhalt ist jedenfalls ausermittelt, so dass keine Verdunkelung mehr für die angeklagten Taten auf der Hand liegt.

Dem schließt sich der Senat an.“

Dem ist nun auch wirklich nichts hinzuzufügen, außer: Richtig.

Gehört die Verlobte zur Familie?

entnommen wikimedia.org Urheber Nienetwiler

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Gehört die Verlobte zur Familie i.S. des § 456 Abs. 1 StPO. Mit der Frage musste sich das OLG Rostock in einem Verfahren wegen eines Vollstreckungsaufschubs befassen. Der Verurteilte hatte einen Strafaufschub um vier Monate gemäß § 456 Abs. 1 StPO beantragt mit der Begründung, er sowie insbesondere seine seit Mitte 2013 an multipler Sklerose (MS) erkrankte langjährige Verlobte würden sonst unangemessene familiäre Nachteile erleiden. Seine Verlobte, deren Krankheit sich seit ihrem Auftreten schubweise verschlimmere, sei permanent auf seine Unterstützung und Pflege angewiesen. Er müsse deshalb vor Antritt der Freiheitsstrafe wenigstens noch eine behindertengerechte Wohnung für sie finden, was – auch aus finanziellen Gründen – mit einem Umzug für die Frau verbunden sei, sowie ihre Versorgung durch Dritte organisieren. Hiermit habe er erst nach Kenntnis von der Rechtskraft des Strafurteils begonnen. Zudem befinde er sich selbst in zahnärztlicher (prothetischer) Behandlung, die noch etwa 14 Tage andauere.

Die Rechtspflegerin bei der StA und die StVK hatten den Antrag abgelehnt. Das OLG hat ihnen im OLG Rostock, Beschl. v. 22.07.2014 – 20 Ws 178/14 – Recht gegeben:

Mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Verlobte des Verurteilten nicht zu dessen Familie im Sinne von § 456 Abs. 1 StPO zählt. Die ihr möglicherweise durch die sofortige Vollstreckung der Freiheitsstrafe erwachsenen Nachteile, mögen diese auch erheblich sein, stellen deshalb keinen gesetzlichen Grund dar, dem Beschwerdeführer den beantragten Vollstreckungsaufschub zu gewähren.

aa) Nachdem die Strafprozessordnung in anderen Vorschriften ausdrücklich schon aus einem bestehenden Verlöbnis eine besondere Rechtsstellung des auf diese Weise mit dem Beschuldigten verbundenen Partners ableitet, wie sie dort auch Ehegatten, (künftigen) Lebenspartnern und nahen Verwandten zugestanden wird (vgl. z.B. § 52 Abs. 1, §§ 61, 97 Abs. 1, § 100c Abs. 6 Satz 2 StPO; siehe auch § 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB, wo der Verlobte ebenfalls gesondert neben dem Ehegatten und Lebenspartner als „Angehöriger“ definiert wird), ist dies in § 456 Abs. 1 StPO nicht der Fall. Dort wird allein die – zudem nur fakultative – Möglichkeit eröffnet, bei einer anstehenden Strafvollstreckung auch auf erhebliche Nachteile für die „Familie“ (nicht: für „Angehörige“) des Verurteilten Bedacht zu nehmen. Das lässt den Umkehrschluss zu, dass nach der Wertung des Gesetzgebers ein Verlobter zwar während des Ermittlungs- und Strafverfahrens, wo es um die Feststellung von Schuld oder Unschuld seines Partners geht, als „Angehöriger“ in bestimmten Situationen persönlichen Schutz genießt, nicht aber mehr, sobald es um die Vollstreckung der rechtskräftig erkannten Strafe geht. Dann kann nur noch bei der konkreten Ausgestaltung des Vollzugs, also nicht mehr bei dem „Ob“, sondern nur noch bei dem „Wie“ auf derartige Belange Rücksicht genommen werden (vgl. §§ 3, 35 Abs. 1 StVollzG), wenn es geboten und mit den übrigen Vollzugszielen zu vereinbaren ist. Diese Frage ist nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.

bb) Es ist zudem anerkannt, dass ein Verlöbnis, aus dem keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen sind, auch nicht als „Familie“ unter den Grundrechtsschutz von Art. 6 Abs. 1 GG fällt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Februar 2013 -1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09 -, BVerfGE 133, 59-100, Rdz. 62 in juris m.w.N.). Verfassungsrechtliche Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. eine Schutzwirkung aus Art. 12 EMRK kann einem Verlöbnis allenfalls unter dem Blickwinkel der Eheschließungsfreiheit und auch dann nur zuerkannt werden, wenn die Heirat unmittelbar bevorsteht (vgl. für den Fall der drohenden Abschiebung eines Ausländers zuletzt OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. März 2014 -OVG 2 S 18.14 -, Rdz. 4 in juris m.w.N.). Solches ist hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr hat der Beschwerdeführer selbst angegeben, das Verlöbnis bestehe seit nunmehr rund sechs Jahren, was die Frage aufwirft, ob es sich dabei tatsächlich immer noch um ein ernsthaft gemeintes Eheversprechen i.S.v. §§ 1297 ff. BGB und der dazu ergangenen Rechtsprechung handelt (BayObLG MDR 1984, 145 [OLG Frankfurt am Main 05.09.1983 – 20 W 515/83]; BGHZ 28, 376/7).