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Vollstreckung II: Vollstreckungsaufschub für Chef, oder: Wenn der Firmenchef „aufs Amt“ muss

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Der zweiten Entscheidung, dem LG Rostock, Beschl. v. 26.09.2022 – 11 StVK 937/17(1) – liegt ein Streit um einen Vollstreckungsaufschub zugrunde. Der Verurteilte hatte den beantragt, die Vollstreckungsbehörde hat nicht bewilligt. Die Einwendungen des Verurteilten waren dann bei der kleinen Strafvollstreckungskammer erfolgreich:

„Die Voraussetzungen für einen vorübergehenden Vollstreckungsaufschub gemäß § 456 Abs. 1 und 2 StPO sind erfüllt. Nach dem teilweise glaubhaften Vortrag des Verurteilten ist davon auszugehen, dass ihm durch die sofortige Vollstreckung der Strafe erhebliche, außerhalb des Straf-zwecks liegende Nachteile erwachsen würden bzw. erwachsen worden wären.

Soweit der Verurteilte, der alleiniger Geschäftsführer der pp.  ist, vorgetragen hat, zur Abwicklung seines Gewerbes bzw. dessen Ruhendstellung diverse Termine bei Ämtern, Notaren und anderen Behörden wahrnehmen zu müssen, begründet dies hinreichende Gründe für einen Vollstreckungsaufschub. Die Kammer konnte insoweit die Notwendigkeit der Klärung dieser Angelegenheiten außerhalb der Haft nachvollziehen, für die der Zeitraum der Ladungsfrist von einer Woche zu kurz bemessen war. Zwar erscheint die Wahrnehmung einiger dieser Termine auch aus der Haft heraus grundsätzlich möglich, jedoch dürften diese wesentlich erschwert und möglicherweise auch mit Nachteilen des Verurteilten, beispielsweise Zugriff auf Unterlagen, verspäteter Schriftwechsel oder auch erhöhte Kosten, verbunden sein. Der Verurteilte hat sich nach Kenntnis der Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses offenkundig bemüht, die erforderlichen Termine zeitnah abzustimmen und alles Notwendige in die Wege zu leiten. Nachdem der Verurteilte am 20.07.2022 von der Ladung Kenntnis erlangt und Termine sein Gewerbe betreffend bis Ende August 2022 vorgetragen hatte, erschien der Kammer ein Vollstreckungsaufschub bis zum 30.09.2022 erforderlich aber auch ausreichend.

Für einen darüber hinausgehenden Strafaufschub bis zum 14.10.2022 oder gar 01.11.2022 bestand hingegen keine Veranlassung. Sämtliche vom Verteidiger vorgebrachten Termine waren Ende August erledigt. Seit Erhalt der Ladung zum Strafantritt am 20.07.2022 werden bis zum 30.09.2022 mehr als zwei Monate vergangen sein, die ausreichend sind, um seine persönlichen und betrieblichen Verhältnisse zu ordnen und Vorkehrungen für seine Abwesenheit zu treffen.

Dem Ergebnis kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Verurteilte sich um einen Stellvertreter oder gar die Abwicklung seines Unternehmens in Ansehung der Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses der Kammer vom 19.04.2022 bereits ab diesem Zeitpunkt hätte bemühen müssen. Zwar musste er sich darauf einstellen, die widerrufene Restgesamtfreiheitsstrafe alsbald verbüßen zu müssen. Aufgrund der ausstehenden Entscheidung über sein Rechtsmittel und die Ungewissheit über den Termin zum Strafantritt war ihm gleichwohl nicht zuzumuten, bereits ab dem 19.04.2022 so weiträumig betreffend seines Gewerbes zu disponieren. Sinnvolle betriebliche Dispositionen konnten vielmehr erst nach Bekanntwerden der Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses erfolgen (OLG Frankfurt Beschluss v. 17.11.1988 – 3 Ws 1106/88 – beckonline).

Ergänzend wird angemerkt: Soweit der Verurteilte außerdem vorgetragen hat, auch wegen des Betonplattengießens Ende August 2022 an der Geschäftsadresse vor Ort sein zu müssen, begründet(e) dies keinen hinreichenden Grund eines Vollstreckungsaufschubs. Die Überwachung einer solchen Baumaßnahme, die in aller Regel fachmännisch und auftragsgemäß ausgeführt wird, kann aus Sicht der Kammer auch kurzfristig einem Dritten über-tragen werden bzw. obliegt es dem Verurteilten, selbst zuvor konkrete Anweisungen – auch fern-mündlich – zu erteilen, zumal es sich bei dem Gießen einer Betonplatte nicht um einen komplexen Bauabschnitt handeln dürfte. Im Übrigen ist auch nicht vorgetragen worden, weshalb die persönliche Anwesenheit des Verurteilten zwingend „von Nöten“ gewesen wäre.“

Vollstreckung I: Gewährung von Vollstreckungsaufschub, oder: Erhalt des Arbeitsplatzes

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Heute ist zwar „Weiberfastnacht“. Das ist aber nur „Feiertag“ im Rheinland, wo heute dann die 5. Jahreszeit beginnt. Überall sonst dürfte normal gearbeitet werden, daher mache ich hier auch „normales Programm“. Ich selbst werden nachher dann mal für ein paar Tage nach Borkum flüchten und dort mal wieder schauen, ob alles in Ordnung ist.

An Entscheidungen kommen heute drei aus dem Bereich: Strafvollstreckung/Bewährung. Und ich beginne die Berichterstattung mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.09.2019 – 3 Ws 360/19, den mir die Kollegin Hierstetter aus Mannheim vor einiger Zeit geschickt hat. In der Entscheidung geht es um die Gewährung von Vollstreckungsaufschub zur Erhaltung des Arbeitsplatzes. Die Strafvollstreckungskammer hat das verweigert, das OLG hat auf die sofortige Beschwerde gewährt. Aus dem Beschluss:

„Die gemäß § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Der Entscheidung über die Bewilligung von Vollstreckungsaufschub steht nicht entgegen, dass die Strafhaft bereits seit dem 19.8.2019 vollstreckt wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., Rdn. 9 zu § 456 m.w.N.). Die mit Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 22.8.2019 erfolg-Je Nichtabhilfe beruhte demgegenüber auf der unzutreffenden Rechtsauffassung, der Antrag sei mit dem Beginn der Strafvollstreckung gegenstandslos geworden,

Die Voraussetzungen für einen Vollstreckungsaufschub gemäß § 456 Abs. 1 StPO liegen vor. Nach dieser Bestimmung soll dem Verurteilten die Möglichkeit gegeben werden, Vorsorge für die durch die Strafvollstreckung entstehende Lage zu treffen und seine persönlichen und geschäftlichen Angelegenheiten entsprechend zu ordnen (vgl. OLG Karlsruhe, StV 2000, 213; OLG Stuttgart, StV 2012, 736). Vorliegend ist davon auszugehen, dass dem Verurteilten durch die (weitere) sofortige Vollstreckung der Freiheitsstrafe erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen würden.

Der Antrag des Verurteilten auf Gewährung von Vollstreckungsaufschub hat vorliegend allein den Zweck, einen Verlust des Arbeitsplatzes zu vermeiden, solange die Entscheidung über eine Ladung zum offenen Vollzug noch nicht ergangen ist. Dabei kann es – wie auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Verfügung vom 22.8.2019 (AS 74 ff.) zutreffend erkannt hat – aus Gründen der Resozialisierung verfassungsrechtlich geboten sein, gemäß § 26 Abs. 1 und Abs. 2 StVollstrO bei einer Einweisung in eine Vollzugsanstalt von den Bestimmungen des Vollstreckungsplans abzuweichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.9.2007 – 2 BvR 725/07), Anders als die Staatsanwaltschaft und die Strafvollstreckungskammer meinen, ist der Verlust des Arbeitsplatzes in der vorliegenden Konstellation somit gerade keine zwingende Folge der Strafvollstreckung, da bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag, den Verurteilten unmittelbar in den offenen Vollzug zu laden, die Möglichkeit besteht, dass das Arbeitsverhältnis aufrechterhalten werden kann. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft vom 19.8.2019 war mithin bereits deshalb ermessensfehlerhaft, weil sie von falschen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen ausging: Weder ist die Ladung in den geschlossenen Vollzug rechtlich zwingend, noch ist der Verlust des Arbeitsplatzes in der vorliegenden Konstellation eine notwendige Folge der Haftverbüßung.

Die Strafvollstreckungskammer hat ihrer Entscheidung darüber hinaus zu Unrecht zugrunde gelegt, dass das Arbeitsverhältnis des Verurteilten bereits gekündigt worden sei. Die Ermittlungen des Senats haben ergeben, dass das von der Verteidigerin dargelegte Arbeitsverhältnis tatsächlich noch fortbesteht; der Verurteilte hat somit die Möglichkeit, seine Arbeitstätigkeit nach Gewährung des Strafaufschubs unmittelbar wieder aufzunehmen. Hingegen wäre ohne die Bewilligung eines Aufschubs mit der baldigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechnen. Bei dieser Sachlage drohen dem Verurteilten ohne den beantragten Vollstreckungsaufschub erhebliche Nachteile i, S. d. § 456 Abs. 1 StPO.

Da das Ermessen der Vollstreckungsbehörde bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 456 Abs. 1 StPO regelmäßig auf Null reduziert ist (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.), kann der Senat -lachdem entgegenstehende Gesichtspunkte nicht ersichtlich sind – den beantragten Strafaufschub selbst bewilligen.

Der Aufschub wird zunächst nur bis zum 15.11.2019 gewährt, da davon auszugehen ist, dass die ptaatsanwaltschaft Mannheim bzw. die gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVollstrO für eine Beschwerde zuständige Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe bis zu diesem Zeitpunkt über die beantragte Ladung in den offenen Vollzug entschieden haben werden. Sollte dies nicht der Fall sein, wird die [Strafvollstreckungsbehörde zu prüfen haben, ob in den Grenzen des § 456 Abs. 2 StPO weiterer Strafaufschub gewährt werden kann.“

Gehört die Verlobte zur Familie?

entnommen wikimedia.org Urheber Nienetwiler

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Gehört die Verlobte zur Familie i.S. des § 456 Abs. 1 StPO. Mit der Frage musste sich das OLG Rostock in einem Verfahren wegen eines Vollstreckungsaufschubs befassen. Der Verurteilte hatte einen Strafaufschub um vier Monate gemäß § 456 Abs. 1 StPO beantragt mit der Begründung, er sowie insbesondere seine seit Mitte 2013 an multipler Sklerose (MS) erkrankte langjährige Verlobte würden sonst unangemessene familiäre Nachteile erleiden. Seine Verlobte, deren Krankheit sich seit ihrem Auftreten schubweise verschlimmere, sei permanent auf seine Unterstützung und Pflege angewiesen. Er müsse deshalb vor Antritt der Freiheitsstrafe wenigstens noch eine behindertengerechte Wohnung für sie finden, was – auch aus finanziellen Gründen – mit einem Umzug für die Frau verbunden sei, sowie ihre Versorgung durch Dritte organisieren. Hiermit habe er erst nach Kenntnis von der Rechtskraft des Strafurteils begonnen. Zudem befinde er sich selbst in zahnärztlicher (prothetischer) Behandlung, die noch etwa 14 Tage andauere.

Die Rechtspflegerin bei der StA und die StVK hatten den Antrag abgelehnt. Das OLG hat ihnen im OLG Rostock, Beschl. v. 22.07.2014 – 20 Ws 178/14 – Recht gegeben:

Mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Verlobte des Verurteilten nicht zu dessen Familie im Sinne von § 456 Abs. 1 StPO zählt. Die ihr möglicherweise durch die sofortige Vollstreckung der Freiheitsstrafe erwachsenen Nachteile, mögen diese auch erheblich sein, stellen deshalb keinen gesetzlichen Grund dar, dem Beschwerdeführer den beantragten Vollstreckungsaufschub zu gewähren.

aa) Nachdem die Strafprozessordnung in anderen Vorschriften ausdrücklich schon aus einem bestehenden Verlöbnis eine besondere Rechtsstellung des auf diese Weise mit dem Beschuldigten verbundenen Partners ableitet, wie sie dort auch Ehegatten, (künftigen) Lebenspartnern und nahen Verwandten zugestanden wird (vgl. z.B. § 52 Abs. 1, §§ 61, 97 Abs. 1, § 100c Abs. 6 Satz 2 StPO; siehe auch § 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB, wo der Verlobte ebenfalls gesondert neben dem Ehegatten und Lebenspartner als „Angehöriger“ definiert wird), ist dies in § 456 Abs. 1 StPO nicht der Fall. Dort wird allein die – zudem nur fakultative – Möglichkeit eröffnet, bei einer anstehenden Strafvollstreckung auch auf erhebliche Nachteile für die „Familie“ (nicht: für „Angehörige“) des Verurteilten Bedacht zu nehmen. Das lässt den Umkehrschluss zu, dass nach der Wertung des Gesetzgebers ein Verlobter zwar während des Ermittlungs- und Strafverfahrens, wo es um die Feststellung von Schuld oder Unschuld seines Partners geht, als „Angehöriger“ in bestimmten Situationen persönlichen Schutz genießt, nicht aber mehr, sobald es um die Vollstreckung der rechtskräftig erkannten Strafe geht. Dann kann nur noch bei der konkreten Ausgestaltung des Vollzugs, also nicht mehr bei dem „Ob“, sondern nur noch bei dem „Wie“ auf derartige Belange Rücksicht genommen werden (vgl. §§ 3, 35 Abs. 1 StVollzG), wenn es geboten und mit den übrigen Vollzugszielen zu vereinbaren ist. Diese Frage ist nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.

bb) Es ist zudem anerkannt, dass ein Verlöbnis, aus dem keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen sind, auch nicht als „Familie“ unter den Grundrechtsschutz von Art. 6 Abs. 1 GG fällt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Februar 2013 -1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09 -, BVerfGE 133, 59-100, Rdz. 62 in juris m.w.N.). Verfassungsrechtliche Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. eine Schutzwirkung aus Art. 12 EMRK kann einem Verlöbnis allenfalls unter dem Blickwinkel der Eheschließungsfreiheit und auch dann nur zuerkannt werden, wenn die Heirat unmittelbar bevorsteht (vgl. für den Fall der drohenden Abschiebung eines Ausländers zuletzt OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. März 2014 -OVG 2 S 18.14 -, Rdz. 4 in juris m.w.N.). Solches ist hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr hat der Beschwerdeführer selbst angegeben, das Verlöbnis bestehe seit nunmehr rund sechs Jahren, was die Frage aufwirft, ob es sich dabei tatsächlich immer noch um ein ernsthaft gemeintes Eheversprechen i.S.v. §§ 1297 ff. BGB und der dazu ergangenen Rechtsprechung handelt (BayObLG MDR 1984, 145 [OLG Frankfurt am Main 05.09.1983 – 20 W 515/83]; BGHZ 28, 376/7).