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StPO III: StB-Tagessatz-Entscheidung durch Beschluss, oder: Der „Ankündigungsverteidiger“

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Und dann noch eine Entscheidung aus dem Strafbefehlsverfahren. Das LG Nürnberg-Fürth hat im LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 4. Juli 2024 – 12 Qs 23/24  zu den Grenzen der gerichtlichen Amtsaufklärung bei einem auf die Tagessatzhöhe beschränkten und nicht begründeten Einspruch gegen einen Strafbefehl Stellung genommen.

Das AG hatte gegen die Angeklagte einen Strafbefehl erlassen, in dem es eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 50 EUR verhängte. Die Tagessatzhöhe war geschätzt. Dagegen legte der Verteidiger fristgerecht Einspruch ein, der auf die Tagessatzhöhe beschränkt war. Zugleich schrieb er, es möge im schriftlichen Verfahren entschieden werden, Einkommensnachweise würden vorgelegt werden. Am 19.02.2024 zeigte sich ein neuer Verteidiger an und erhielt umgehend Akteneinsicht. Nachdem nichts einging, monierte das AG am 28.02.2024 die fehlenden Einkommensnachweise beim neuen Verteidiger. Der antwortete nicht.

Am 19.03.2024 übersandte das AG dann die Akte an die Staatsanwaltschaft und bat um eine Stellungnahme zur Tagessatzhöhe. Die Staatsanwältin telefonierte mit dem Verteidiger, der die Übersendung von Einkommensnachweisen avisierte, und das Gericht bat, etwas zuzuwarten. Nachweise übersandte der Verteidiger nicht. Am 11.04.2024 fragte das AG erneut bei der Staatsanwaltschaft an. Diese beantragte die Zurückweisung des Einspruchs.

Mit Beschluss vom 22.04.2024 stellte das AG schließlich fest, dass es bei der Tagessatzhöhe von 50 EUR verbleibe. Hiergegen legte der Verteidiger sofortige Beschwerde ein, deren Begründung innerhalb weiterer 14 Tage er ankündigte. Eine Begründung erfolgte jedoch nicht. Das LG hat die Beschwerde verworfen:

„Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft war die Entscheidung im Beschlusswege nicht zu beanstanden. Gemäß § 411 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 StPO kann das Amtsgericht mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheiden, wenn der Einspruch auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkt ist. Ob das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen, wobei eine Hauptverhandlung sich jedenfalls dann als notwendig erweist, wenn die mündliche Anhörung der Angeklagten zur Aufklärung erforderlich ist.

Die Begründung für die Ausnahmeregelung der Entscheidung im Beschlusswege wird darin gesehen, dass bei Erlass des Strafbefehls die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten oftmals nicht genau bekannt sind und das Gericht, wenn keine Angaben gemacht werden, diese schätzen muss. Vorliegend war die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Klärung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten jedoch entbehrlich, da das Amtsgericht davon ausgehen konnte, dass diese durch die Vorlage schriftlicher Unterlagen nachgewiesen würden, wenn der ohnehin niedrig geschätzte Tagessatz von 50 € bei einer Geschäftsführerin, die wegen eines Delikts nach dem GmbHG verfolgt wird, unterschritten werden sollte. Der Verteidiger wies in seinem Einspruchsschreiben namens der Angeklagten selbst darauf hin, dass im schriftlichen Verfahren entschieden werden könne. Weiter kündigte die Verteidigung mehrfach an, Unterlagen zur Einkommenssituation der Angeklagten nachzureichen. Dies geschah dann aber trotz wiederholter Aufforderung nicht. Auch wurde von Seiten der Verteidigung nicht von einer Entscheidung im Beschlussverfahren Abstand genommen oder mitgeteilt, dass entgegen der vorigen Ankündigung doch keine Unterlagen vorhanden seien. Das Amtsgericht hatte mithin keinen Anlass anzunehmen, die im Strafbefehl geschätzte Tagessatzhöhe sei zu hoch gegriffen. Die Entscheidung im Beschlusswege erfolgte nach allem ermessensfehlerfrei.“

In meinen Augen hat der Verteidiger ein bisschen viel angekündigt, ohne dass dann etwas passiert ist.

StPO III: Versäumte Einspruchsfrist gegen Strafbefehl, oder: Rechtskraft bei erfolgloser Wiedereinsetzung?

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Und dann noch zum Tagesschluss ein kleiner Beschluss des AG Sigmaringen zum Eintritt der Rechtskraft bei Einspruch gegen den Strafbefehl, wenn die Einspruchsfrist versäumt wurde und der Wiedereinsetzungsantrag keinen Erfolg hatte. Dazu der AG Sigmaringen, Beschl. v. 05.03.2024 – 3 Cs 25 Js 5801/23:

„Die Rechtskraft war gem. § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO berichtigend festzustellen.

Mit Schreiben des Verteidigers vom 28.02.2024 wurde eine entsprechende gerichtliche Entscheidung beantragt.

Der Strafbefehl des Amtsgerichts Sigmaringen vom 22.06.2023 wurde der Angeklagten ausweislich der Zustellungsurkunde am 27.06.2023 zugestellt. Damit begann die zweiwöchige Einspruchsfrist des § 410 Abs. 1 StPO zu laufen. Der Antrag der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Sigmaringen vom 29.01.2024 als unzulässig verworfen. Im Rechtskraftvermerk auf dem Strafbefehl n Beginn der Rechtskraft der 13.02.2024 aufgeführt.

Der Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehls ist maßgeblich für die Berechnung der Führerscheinsperre, § 69a Abs. 5 S. 1 StGB.

Vorliegend bestanden daher Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung dahingehend, ab welchem Zeitpunkt die Sperrfrist des § 69a Abs. 1 StGB zu laufen beginnt.

Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung lassen sich auf das Fehlen allgemeiner Vollstreckungsvoraussetzungen bzw. das Vorliegen von Vollstreckungshindernissen (Identitätsverwechslung. fehlende Rechtskraft, Verjährung, Begnadigung, Strafaussetzung zur Bewährung, bereits erfolgte Vollstreckung) stützen (vgl. Meyer Goßner/Schmitt/Schmitt Rn. 10). Nichts anderes kann gelten, wenn die Rechtskraft versehentlich falsch eingetragen wurde und demnach Unsicherheit über den Beginn der Strafvollstreckungsmaßnahmen besteht.

Nachdem die Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist als unzulässig verworfen wurde, wurde der Strafbefehl rückwirkend mit fruchtlosem Verstreichen der Einspruchsfrist gem. § 410 Abs. 3 StPO zum 12.07.2023 rechtskräftig (vgl. MüKoStP0/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 410 Rn, 34). Demnach ist der Rechtskraftvermerk entsprechend zu berichtigen.“

Die Frage hat, wie in diesem Fall, ja Auswirkungen auf den Beginn des Laufs der Sperrfrist für die Führerscheinsperre.

Pflichti III: Beschwerde gegen „Pflichti-Bestellung“?, oder: Auch der „Pflichti“ brauchte eine Vollmacht

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Und dann habe ich noch zwei Entscheidungen von der „Pflichtverteidigerresterampe“ 🙂 .

Zunächst kommt hier der BGH, Beschl. v. 15.08.2023 – StB 28/23. Der Ermittlungsrichter des BGH hat dem Beschuldigten gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 1 StPO Rechtsanwalt A. und einen weiteren Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt. Dagegen wendet sich der Beschuldigte, dessen Rechtsmittel verfristet war. Im Übrigen führt der BGH aus:

„Ungeachtet dessen ist das Rechtsmittel auch mangels Beschwer unzulässig. Denn durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers als solche ist ein Beschuldigter im Regelfall nicht beschwert; er kann diese daher grundsätzlich nicht anfechten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. März 1998 – 2 BvR 291/98, NJW 1998, 2205; BGH, Beschlüsse vom 15. November 2022 – StB 51/22, NStZ 2023, 115 Rn. 4 mwN; vom 3. Mai 2023 – StB 21/23, juris Rn. 2). Das in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK gewährleistete Recht auf Selbstverteidigung wird durch eine Pflichtverteidigerbestellung in den Fällen der notwendigen Verteidigung nicht berührt (vgl. EGMR, Urteil vom 25. September 1992 – 13611/88, EuGRZ 1992, 542 Rn. 29 ff.; BGH, Beschlüsse vom 15. November 2022 – StB 51/22, NStZ 2023, 115 Rn. 4 mwN; vom 3. Mai 2023 – StB 21/23, juris Rn. 2). Eine etwaige spätere Belastung des Beschuldigten mit den Kosten des Pflichtverteidigers nach einer rechtskräftigen Verurteilung begründet im Erkenntnisverfahren kein Rechtsschutzbedürfnis (BGH, Beschluss vom 3. Mai 2023 – StB 21/23, juris Rn. 2; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Februar 1986 – 1 Ws 155/86, MDR 1986, 604, 605; Thüringer OLG, Beschluss vom 10. Mai 2012 – 1 Ws 173/12, NStZ-RR 2012, 317).

Eine Beschwer durch eine Pflichtverteidigerbestellung kommt zwar ausnahmsweise in Betracht, wenn der bestellte Verteidiger wegen mangelnder Eignung oder Interessengegensatzes unfähig erscheint, die Verteidigung ordnungsgemäß zu führen, oder der Beschuldigte in seinem Recht auf Bezeichnung des zu bestellenden Verteidigers und dessen Beiordnung aus § 142 Abs. 5 Satz 1 und 3 StPO betroffen ist (BGH, Beschlüsse vom 15. November 2022 – StB 51/22, NStZ 2023, 115 Rn. 5 mwN; vom 3. Mai 2023 – StB 21/23, juris Rn. 3; OLG Celle, Beschluss vom 17. September 1987 – 3 Ws 239/87, NStZ 1988, 39; OLG Köln, Beschluss vom 15. Juli 2005 – 2 Ws 283/05 u.a., juris Rn. 6). Derartiges hat indes weder der Beschuldigte geltend gemacht, noch gibt es hierfür Anhaltspunkte. Der Beschuldigte hatte den bestellten Pflichtverteidiger zuvor nicht nur selbst bevollmächtigt, sondern auch seine Zustimmung zur beabsichtigten Beiordnung erteilt. Ferner hat er im Beschwerdeverfahren mitgeteilt, er wünsche die weitere Verteidigung durch beide bestellten Pflichtverteidiger.“

Und dann habe ich noch den AG Regensburg, Beschl. v. 18.08.2023 – 30 Cs 126 Js 27714/19 (2). Auch nichts Neues, sondern nur ein Reminder daran, dass auch der Pflichtverteidiger ggf. eine (Vertretungs)Vollmacht braucht:

Ist der Pflichtverteidiger ohne Vollmacht nach § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO im Hauptverhandlungstermin anwesend, ist eine von ihm dennoch erklärte Rücknahme des Einspruchs gegen einen Strafbefehl unwirksam.

StPO II: Der nicht unterschriebene Strafbefehl, oder: Wesentlicher Mangel, der zur Einstellung führt?

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Ich hatte im vergangenen Herbst über den LG Arnsberg, Beschl. v. 16.09.2022 – 3 Ns – 110 Js 1471/21 – 92/22 – berichtet (vgl. hier: StPO II: Der nicht unterschriebene Strafbefehl, oder: Wesentlicher Mangel, der zur Einstellung führt. Ich bin jetzt darauf hingewiesen worden, dass das OLG Hamm in der Sache inzwischen entschieden und den LG-Beschluss aufgehoben hat. Das war mir bisher durchgegangen. Ich hole die Entscheidung dann heute mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 17.11.2022 – 5 Ws 289/22 – nach:

„Die zulässige sofortige (§ 206a Abs. 2 StPO) Beschwerde ist begründet.

1. Dabei kann dahinstehen, ob ein nicht unterschriebener Strafbefehl einem fehlenden Eröffnungsbeschluss gleichsteht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 1992 – 2 Ss 155/92 -, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Auflage, § 409, Rn. 13) oder bereits der Antrag der Staatsanwaltschaft die ausreichende Verfahrensgrundlage bildet (vgl. BayObLG, Beschluß vom 30. 5. 1961 – RReg. 4 St. 147/61 = NJW 1961, 1782, beckonline).

2. Denn selbst bei fehlender Unterzeichnung ist ein Strafbefehl wirksam, wenn sich die entsprechende Willensäußerung des Richters aus den Akten ergibt und die entscheidende Person hinreichend zuverlässig dem Vorgang entnommen werden kann (vgl. BayObLG StV 1990, 397; OLG Düsseldorf StV 1983, 408; OLG Hamm JR 1982, 389; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 21.12 .1981 – 3 Ws 368/81; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 1992 – 2 Ss 155/92, Rn. 2, juris; Brauer in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 409, Rn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 13; BeckOK StPO/Temming, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 409 Rn. 12; MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 409 Rn. 34).

3. Zwar trägt der hiesige Strafbefehl keine Unterschrift. Allerdings wird aus den aus der Akte ersichtlichen Begleitumständen bei einer Gesamtwürdigung ausreichend deutlich, dass nicht bloß ein Strafbefehlsentwurf vorliegt. Für den Willen zum Erlass des Strafbefehls spricht, dass auf dem übersandten Strafbefehlsformular das gerichtliche Aktenzeichen nebst Datum und die Dienstbezeichnung des erkennenden Richters vermerkt sind. Anders als der ursprüngliche – bis auf die Tagessatzhöhe gebilligte – Strafbefehlsentwurf der Staatsanwaltschaft ist das Formular auch nicht durch diagonalen Strich zum Entwurf degradiert worden. Zudem wird aus der – mit Schriftzeichen des erkennenden Richters versehenen – vom Datum und Inhalt korrespondierenden Begleitverfügung offenkundig, dass eine Willensäußerung nach Außen vorliegt.

4. Die Argumentation der Kammer in der angefochtenen Entscheidung in Anlehnung an § 275 Abs. 2 StPO, dass die fehlende Unterzeichnung einer auch nicht durch eine vom erkennenden Richter unterzeichnete Verfügung ersetzt werden könne, verfängt nicht. Bei der von der prozessualen Situation vergleichbaren Konstellation der fehlenden Unterschrift unter einem Eröffnungsbeschluss ist allgemein anerkannt, dass die fehlende Unterschrift keinen gravierenden Mangel darstellt (vgl. BeckOK StPO/Ritscher, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 207 Rn. 13; KG Urt. v. 27.7.1998 – (3) 1 Ss 118-98(57/98) = BeckRS 2014, 11690, m.w.N.). Der hiesige Verfahrensablauf nach dem Einspruch in Anwendung von § 411 Abs. 1 S. 2 StPO ist eben nicht mit dem – so die Argumentation der Kammer in der angefochtenen Entscheidung – rechtskräftigen Strafbefehl im Sinne von § 410 Abs. 3 StPO gleichzusetzen. Zudem stellt die Vorschrift des § 409 StPO nicht die gleichen Anforderungen an den Strafbefehl wie § 275 Abs. 2 StPO an die Urteilsurkunde.“

AG I: Ist das AG an den Strafbefehlsantrag gebunden?, oder: Abweichende Kostenentscheidung im Strafbefehl

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Heute dann mal drei Entscheidungen „von ganz unten“, also von Amtsgerichten 🙂 . Zwei kommen aus dem OWi-Bereich, eine betrifft das Strafbefehlsverfahren.

Ich beginne mit dem AG Kehl, Beschl. v. 18.07.2023 – 2 Cs 308 Js 17340/22 – zum Strafbefehlsverfahren. Das AG nimmt zu einer interessanten Frage Stellung, nämlich dazu, ob das Gericht einen Strafbefehl mit einer vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichenden Kostenentscheidung erlassen kann.

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die StA hatte den Erlass eines Strafbefehls u.a. mit dem Vorwurf des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte beantragt. Der Angeklagte habe sich tätlich der Ingewahrsamnahme durch die Polizei wegen Trunkenheit widersetzt und die Polizeibeamten dabei beleidigt. Da der Angeklagte nach den Feststellungen der Polizei am Tattag gegen 0:55 Uhr „volltrunken“ auf dem Gehweg gelegen sei und sich in „einem, die freie Willensausübung ausschließenden Zustand“ befunden habe, gab das AG die Sache wegen Bedenken hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten an die Staatsanwaltschaft zurück und regte an, den Vorwurf auf (fahrlässigen) Vollrausch umzustellen, was die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die Blutalkoholkonzentration, die für die um 3:48 Uhr entnommene Blutprobe 1,77 ‰ betrug, ablehnte.

Das daraufhin vom AG eingeholte Sachverständigengutachten kam zum Ergebnis, dass – nach Aktenlage – von einer maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,54 ‰ und einer erheblichen Minderung des Steuerungsvermögens auszugehen sei, wobei ihre vollständige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden könne.

Der erneuten, nunmehr zusätzlich auf das Gutachten gestützten Anregung des Gerichts, den Vorwurf auf Vollrausch umzustellen, kam die Staatsanwaltschaft zwar dann mit dem Antrag vom 06.06.2023 unter Vorlage eines entsprechend neu gefassten Entwurfs des Strafbefehls nach. Der Auffassung des AG, dass es hinsichtlich der Kostenentscheidung im Strafbefehl angezeigt erscheine, die Auslagen für das Gutachten gemäß § 465 Abs. 2 StPO der Staatskasse aufzuerlegen, verschloss sie sich indes, sodass der von der ihr vorbereitete Strafbefehlsentwurf hinsichtlich der Kosten vorsah , dass der Angeklagte „die Kosten des Verfahrens und [seine] notwendigen Auslagen zu tragen“ habe; eine Kostentragungspflicht des Angeschuldigten einschließlich der Kosten für das rechtsmedizinische Gutachten sei nicht zu beanstanden, weil vorliegend keine abweichende Entscheidung aus Gründen der Billigkeit geboten sei, wie es bei einem sog. fiktiven Freispruch oder bei Reduzierung des Tatvorwurfs auf ein minder schweres Delikt der Fall sei.

Das AG hat den Strafbefehl erlassen, aber eine vom Entscheidungsentwurf der StA abweichende Kostenentscheidung getroffen:

„Zwar bestimmt § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO, dass der Richter nicht eigenmächtig einen Strafbefehl mit einem vom Antrag abweichenden Inhalt erlassen darf, sondern Hauptverhandlung anberaumt, wenn er eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharrt. Die Kostenentscheidung ist aber nicht Rechtsfolge in diesem Sinne, selbst wenn sie – wie hier – bereits in dem von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Entscheidungsentwurf enthalten ist. Vielmehr umfasst der eigentliche Strafbefehlsantrag neben der zu ahndenden Tat und ihrer rechtlichen Bewertung nur die Rechtsfolgen der Tat im Sinne des Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs.

Ursprünglich bestimmte § 408 StPO in der § 448 der Strafprozessordnung vom 01.07.1877 (RGBl. S. 253) entsprechenden Fassung (RGBl. I 1924 S. 322), dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine bestimmte Strafe zu richten (Abs. 1 Satz 1) und die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen ist, wenn der Amtsrichter eine andere als die beantragte Strafe festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrage beharrt (Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1); zugleich bestimmte § 464 Abs. 1 Satz 1 StPO, wie immer noch, dass jeder Strafbefehl darüber Bestimmung treffen muss, von wem die Kosten des Verfahrens tragen sind. An dieser inhaltlichen Trennung zwischen Strafbefehlsantrag und – im Übrigen auch ohne Antrag der Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu treffenden (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 464 Rn. 1) – Kostenentscheidung hat sich seitdem nichts geändert. Lediglich der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens wurde durch das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) um die Festsetzung bestimmter Nebenfolgen sowie Maßregeln der Sicherung und Besserung neben der Strafe erweitert, wobei diese Aufzählung später zur sprachlichen Anpassung unter Übernahme des Begriffes aus dem Strafgesetzbuch (BTDrs. 7/550, S. 300, 306) mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 02.03.1974 (BGBl. I S. 469) durch „Rechtsfolge“ ersetzt wurde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO. Wegen seiner Verurteilung hat der Angeklagte grundsätzlich die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen. Ihn mit den Auslagen für das Gutachten zu belasten wäre jedoch – jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand – unbillig, weil diese Auslagen nur entstanden sind, um die Staatsanwaltschaft, die trotz gewichtiger Anhaltspunkte für die rauschbedingte Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit zunächst bei ihrem Strafbefehlsantrag beharrte, davon zu überzeugen, dass lediglich hinreichender Tatverdacht wegen Vollrauschs besteht.“