Rückschau-Wochenspiegel auf die 27. KW/2020, u.a. mit: Corona, Kaseya, Online-Überwachung, Gendern, Encro

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Und wie immer, wenn ich unterwegs bin und ich einen Blog-Beitrag nicht erstellen kann, gibt es einen Rückschau-Wochenspiegel, und zwar heute auf die 2z. KW/2020. Ist ja immer interessant, wenn mand ann sieht, was sich inzwischen erledigt hat- oder auch nicht:

  1. Fristlose Kündigung eines „Maskenverweigerers“

  2. Corona-Pandemie: Lohnfortzahlungspflicht bei angeordneter Betriebsschließung verfestigt sich

  3. EU will Online-Massenüberwachung erlauben – für den Kinderschutz,

  4. OLG Stuttgart: Recht auf Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) verpflichtet Webhoster nicht zur Herausgabe der Server-Daten,

  5. Kaseya: Was wir aus dem REvil-Hackerangriff lernen können,

  6. Verjährungsfrist von Ansprüchen: BGH verhandelt erneut im VW-Abgasskandal,

  7. Facebooks Löschpraxis vor dem BGH: Wie definiert man Hass?

  8. Das MoPeG kommt! Update zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts,

  9. Gendersternchen in Stellenanzeige ist nicht diskriminierend,

  10. und aus meinem Blog die EncroChat-Entscheidung aus Berlin: EncroChat:Ein rechtsstaatlicher Lichtblick aus Berlin, oder: Beweisverwertungsverbot endlich bejaht

Zumutbare Ermittlungen vor der Fahrtenbuchauflage, oder: Offenkundig unzutreffende Selbstbezichtigung

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Bei dem zweiten Beschluss, den ich vorstelle, handelt es sich um den BayVGH, Beschl. v. 23.04.2025 – 11 CS 25.283. In ihm nimmt der VGH noch einmal zum zumutbaren Ermittlungsaufwand bei einer offenkundig unzutreffenden Selbstbezichtigung Stellung, und zwar wie folgt:

„1. Gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 26. April 2012 (BGBl I S. 679), zuletzt geändert durch Verordnung vom 25. Juni 2021 (BGBl I S. 2204), in Teilen in Kraft getreten zum 1. Oktober 2024, kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Sie kann hierfür ein oder mehrere Ersatzfahrzeuge bestimmen (§ 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO). Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 StVZO erfüllt, liegen der Erlass der Anordnung und die Bestimmung der Dauer im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde (BVerwG, U. v, 28.5.2015 – 3 C 13.14BVerwGE 152, 180 Rn. 16) und müssen sich damit als verhältnismäßig erweisen.

2. Davon ausgehend ist die angegriffene Fahrtenbuchanordnung – unbeschadet der Frage, ob diese sich nicht mittlerweile weitgehend erledigt hat – nicht zu beanstanden. Die Einwände des Antragstellers, die sich allein gegen Annahme des Verwaltungsgerichts richten, die Feststellung des Fahrzeugführers sei nicht möglich gewesen, greifen nicht durch.

a) Die Feststellung des Fahrzeugführers ist im Sinn von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der gebotenen Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Fahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde hat in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleich gelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen. Verweigert der Fahrzeughalter seine Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers, sind weitere Ermittlungen in der Regel nicht zumutbar (vgl. BVerwG, U. v, 17.12.1982 – 7 C 3.80VRS 64, 466 = juris Rn. 7; BayVGH, B. v, 22.7.2022 – 11 ZB 22.895 – zfs 2022, 715 = juris Rn. 14).

b) So liegt es hier. Der Antragsteller hat zunächst sich selbst zwei Mal als Fahrzeugführer benannt, obwohl dies bei einem Vergleich seines von der Einwohnermeldebehörde übersandten Lichtbildes mit dem Fahrerfoto offenkundig unzutreffend ist. Damit hat der Antragsteller zwar formal mitgewirkt, sich jedoch nicht (sachdienlich) geäußert, sondern versucht, den tatsächlichen Fahrzeugführer vor einer Sanktionierung zu schützen. Auf den Hinweis, dass diese Erklärung nicht zutreffen könne, und die Aufforderung zur Angabe des wahren Fahrzeugführers hat er nicht mehr reagiert. Bei einer derartigen Sachlage ist die zuständige Behörde grundsätzlich nicht mehr gehalten, weitere aufwendige und zeitraubende Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen (vgl. SächsOVG, B. v, 3.5.2017 – 3 B 86/17 – juris Rn. 8; s. zu Schweigen auf Anhörungsbogen auch BVerwG, B. v, 1.3.1994 – 11 B 130.93VRS 88, 158 = juris Rn. 4; BayVGH, B. v, 1.4.2019 – 11 CS 19.214 – juris Rn. 14; VGH BW, B. v, 10.8.2015 – 10 S 278/15 – VRS 129 Nr. 13 = juris Rn. 8). Die Benachrichtigung über den mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß im Bußgeldverfahren begründet – ungeachtet etwaiger Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechte – für den Halter eine Obliegenheit, an der Aufklärung so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Lichtbild der Verkehrsüberwachungsanlage erkannten Fahrer – ggf. auch sich selbst – benennt (vgl. OVG NW, B. v, 30.6.2015 – 8 B 1465/14 – juris Rn. 17). Kommt er dem nicht nach, darf auch ein zulässiges Verhalten im Bußgeldverfahren, etwa zur Vermeidung einer Ahndung, in einem nachfolgenden Verwaltungsverfahren zur Fahrtenbuchanordnung unter gefahrenabwehrrechtlichem Blickwinkel als Obliegenheitsverletzung gewürdigt werden, die den angemessenen Ermittlungsaufwand reduziert hat (vgl. NdsOVG, B. v, 14.1.2019 – 12 ME 170/18NJW 2019, 1013 = juris Rn. 17). Ein „doppeltes Recht”, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht (vgl. BVerwG, B. v, 22.6.1995 – 11 B 7.95DAR 1995, 459 = juris Rn. 3 f.; B. v, 11.8.1999 – 3 B 96.99NZV 2000, 385 = juris Rn. 3; BVerfG, B. v, 7.12.1981 – 2 BvR 1172/81 – NJW 1982, 278 = juris Rn. 7; BayVGH, B. v, 30.11.2022 – 11 CS 22.1813 – juris Rn. 20).

c) Wenn die Beschwerdebegründung dem erstmals entgegenhält, die Antragsgegnerin hätte ohne Weiteres den Sohn des Antragstellers als Fahrer ermitteln können, verfängt das nicht. Dazu trägt der Antragsteller vor, wenige Monate vor dem hier in Rede stehenden Verstoß habe die Stadt Augsburg nach einer Ordnungswidrigkeit mit einem auf ihn zugelassenen Fahrzeug ermittelt, dass unter seiner Wohnanschrift auch die Daten der Anwaltskanzlei hinterlegt seien, in der er und sein Sohn tätig seien. Daraufhin habe sie ein Lichtbild seines Sohnes angefordert und so diesen als verantwortlichen Fahrer identifizieren können. Diesem einfachen Ermittlungsansatz sei im vorliegenden Fall nicht nachgegangen worden.

Dieser Einwand ist unberechtigt. Zum einen erschließt sich anhand der Beschwerdebegründung und der vorgelegten Unterlagen nicht, wie genau der Sachverhalt in jenem Bezugsfall gelagert war. Zum anderen hat die Bußgeldbehörde zwar auch bei verweigerter Mitwirkung naheliegenden und mit wenig Aufwand durchführbaren Ansätzen zur Fahrerermittlung nachzugehen und das Ergebnis ihrer Bemühungen zu dokumentieren (vgl. BayVGH, U. v, 18.2.2016 – 11 BV 15.1164DAR 2016, 286 = juris Rn. 17; B. v, 1.4.2019 – 11 CS 19.214 – juris Rn. 14). Dies setzt jedoch voraus, dass konkrete Anhaltspunkte auf eine bestimmte Person als Täter hindeuten oder besondere Umstände des Einzelfalls nahelegen, dass der Halter bei Kenntnis bestimmter Ermittlungsergebnisse doch mitwirkungsbereit sein könnte (vgl. BVerwG, U. v, 17.12.1982 – 7 C 3.80VRS 64, 466 = juris Rn. 8; BayVGH, B. v, 1.4.2019 – 11 CS 19.214 = juris Rn. 14). Andernfalls ist die Behörde nicht gehalten, den Halter nach seinen Familienangehörigen und seinem näheren Bekanntenkreis zu fragen sowie gegebenenfalls diese Personen anzuhören (vgl. BVerwG a.a.O.; BayVGH a.a.O.). So lag es hier. Insbesondere lagen keine Anhaltspunkte vor, die auf den Sohn des Antragstellers als Fahrer hindeuteten.

d) Ohne Erfolg rügt der Antragsteller, dass der Ermittlungsdienst der Antragsgegnerin nur unter seiner Wohnanschrift und nicht an dem Sitz seiner Kanzlei versucht hat, ihn persönlich anzuhören. Nach dem Vorgenannten gingen diese Vor-Ort-Ermittlungen bereits über das zwingend gebotene Maß hinaus. Ferner ist in Anbetracht seines Verhaltens bis dahin nicht greifbar, dass der Antragsteller unter seiner Kanzleianschrift für ein persönliches Gespräch zur Verfügung gestanden, dabei sachdienliche Angaben gemacht oder dieses der Bußgeldbehörde sonst weitergehende Erkenntnisse gebracht hätte.

e) Wenn die Beschwerde ausführt, gegenüber dem tatsächlichen Fahrer sei die Verfolgungsverjährung bereits nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 26 Abs. 3 StVG (also zum 21.1.2024) eingetreten, dringt sie damit nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Frist gegenüber dem Antragsteller durch die Anhörung am 13. November 2023 unterbrochen wurde und somit erst am 13. Februar 2024 ablief (vgl. § 31; § 33 Abs. 1, Abs. 3 OWiG). Allerdings macht die Beschwerde – im Ansatz zutreffend – geltend, die Unterbrechung habe keine Wirkung gegenüber dem tatsächlichen Fahrer gehabt (vgl. § 33 Abs. 4 OWiG). Gleichwohl kann die Frage, ob der Versuch der persönlichen Kontaktaufnahme am 19. Januar 2024 nicht von vornherein ungeeignet war, zur Ermittlung des Fahrers vor Eintritt der Verfolgungsverjährung zu führen, dahinstehen. Denn nach dem Vorstehenden war diese Maßnahme, wie ausgeführt, überobligatorisch und daher bereits nicht geboten.“

Erstreckung der Fahrtenbuchauflage auf Fuhrpark, oder: Mitwirkungsobliegenheit des Halters/Betreibers

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen vom BayVGH zum Fahrtenbuch.

Zunächst kommt hier der BayVGH, Beschl. v. 05.05.2025 – 11 CS 24.2017 – noch einmal zur Erstreckung einer Fahrtenbuchauflage auf einen Fuhrpark. Dazu führt der VGH aus:

„4. Im Übrigen ergibt sich aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 bis 6 VwGO), auch nicht, dass die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern oder aufzuheben wäre.

Mit dem Vortrag, die Ermessensausübung durch das Landratsamt berücksichtige nicht, dass die Antragstellerin die den verantwortlichen Fahrern auferlegten Geldbußen übernehme und daher allenfalls mittelbar bzw. steuerlich auf sie eingewirkt werden könne, ist nicht dargelegt, dass die Fahrtenbuchanordnung in ihrem Fall eine ungeeignete, nicht erforderliche oder unverhältnismäßige Maßnahme darstellt. Die Antragstellerin mag mit der Übernahme von Bußgeldern zwar teilweise den Zweck der Fahrtenbuchanordnung vereiteln, durch Ahndung etwaiger künftiger Verkehrsverstöße nach Maßgabe des Ordnungswidrigkeiten- oder Strafrechts auf den verantwortlichen Fahrer einzuwirken (vgl. BayVGH, B. v, 18.5.2010 – 11 CS 10.357NJW 2011, 326 Rn. 12). Jedoch ist entscheidend, dass erst das Führen eines Fahrtenbuchs die nachträgliche Feststellung des verantwortlichen Fahrers und die Einleitung eines Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahrens gegen ihn ermöglicht, was ggf. genügt, ihn von der Begehung von Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr abzuhalten. Erforderlichenfalls können auch präventive fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen (z.B. Entziehung der Fahrerlaubnis) gegen ihn ergriffen werden (vgl. BayVGH, B. v, 18.5.2010 a.a.O.). Zudem war für das Landratsamt bei der Ausübung seines Ermessens und der Anordnung des Sofortvollzugs maßgeblich (siehe Bescheid vom 23.9.2024, S. 11 f.), den Geschäftsführer der Antragstellerin mit der Fahrtenbuchanordnung dazu anzuhalten, die Fahrzeugbenutzung nachprüfbar und gewissenhaft zu überwachen und bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Falle eines erneuten Verkehrsverstoßes mitzuwirken, was dem anerkannten Zweck dieser Maßnahme entspricht. Gefährdet der Kraftfahrzeughalter die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dadurch, dass er unter Vernachlässigung seiner Aufsichtsmöglichkeiten nicht dartun kann oder will, wer im Zusammenhang mit einer Verkehrszuwiderhandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Fahrzeug gefahren hat, darf er durch das Führen eines Fahrtenbuchs zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung angehalten werden (BVerwG, B. v, 23.6.1989 – 7 B 90.89NJW 1989, 2704 = juris Rn. 8).

Das Recht an ihrem ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb entbindet die Antragstellerin nicht von der jeden Kraftfahrzeughalter treffenden Mitwirkungsobliegenheit bei der Aufklärung eines mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes (vgl. BVerfG, B. v, 7.12.1981 – 2 BvR 1172/81NJW 1982, 568 Rn. 7 zur Mitwirkungspflicht). Zudem stellt die Anordnung eines Fahrtenbuchs keinen unmittelbar betriebsbezogenen Eingriff dar, der sich gegen den Betrieb als solchen richtet, und fällt damit nicht in den Schutzbereich des Rechts am ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetriebs (vgl. Katzenmeier in Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl. 2021, § 823 BGB Rn. 262 ff.; Förster in BeckOK BGB, Stand 1.2.2025, § 823 Rn. 183 ff.). Die Betriebsbezogenheit ist dann gegeben, wenn ein unmittelbarer Eingriff in den betrieblichen Tätigkeitskreis vorliegt, der sich spezifisch gegen den betrieblichen Organismus oder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richtet und nicht lediglich gegen vom Betrieb lösbare Rechte oder Rechtsgüter (vgl. Förster a.a.O. Rn. 184). Diese Unmittelbarkeit wird nicht bereits dadurch hergestellt, dass der Betriebsinhaber oder der von ihm Beauftragte das Fahrtenbuch ggf. während der Betriebszeit auszufüllen hat…..“

Ich habe da mal eine Frage: Ist das Verfahren nach Zurückverweisung keine neue Angelegenheit?

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Und dann noch die Frage. Sie stammt aus der FB-Verteidiger, aber es ist wohl keine Frage, sondern mehr die Äußerung von Unverständnis, also: Kann das denn sein.

Da heißt es:

„Stehe ich auf dem Schlauch? Gebührenrecht.

Es geht um den Stichtag 01.01.2021.

Verfahren vor dem LG und Revision altes Recht. Klar. Beiordnung vor dem Stichtag.

Dann verweist der BGH – nach Aufgebung – zur Neuverhandlung zurück ans LG. Jetzt Gebühren nach neuem Recht?

Rechtspfleger meint, es sei noch die gleiche Angelegenheit.“

Erstattung II: Einstellung wegen Verjährung der OWi, oder: Zweistufige Prüfung und Ausnahme

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Und dann habe ich hier den LG Landau (Pfalz), Beschl. v. 30.04.2025 – 5 Qs 5/25, der sich mal wieder zu den Grundlagen der Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren wegen Verjährung äußert. Und zwar wie folgt:

„Die mit Schriftsatz vom 24.02.2025 eingelegte Beschwerde ist als sofortige Beschwerde nach § 464 Abs. 3 StPO auszulegen und als solche statthaft Die Beschränkung des § 464 Abs. 3 5. 1, 2. Hs StPO gilt nicht, wenn gegen die Hauptentscheidung als solche – hier die Einstellungsentscheidung nach § 206a StPO – zwar im Grundsatz ein Rechtsmittel statthaft ist, dieses aber einem Prozessbeteiligten – wie hier dem Betroffenen – mangels Beschwer nicht zusteht (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage 2024, § 464 Rdnr. 19 mit diversen Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung).

Die sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden.

Der Rechtsbehelf ist auch begründet.

Die Voraussetzungen des § 46 Abs. I OWG i.V.m. § 467 Abs 3 Satz 2 Nr 2 StPO liegen nicht vor.

Gemäß § 46 Abs OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 2 Nr. 2 StPO kann bei Einstellung wegen Verfahrenshindernisses davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen eines Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen, wenn er nur wegen des Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird.

Ein Absehen von der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen an die Staatskasse erfordert eine zweistufige Prüfung. Zunächst ist ein Verdachtsgrad festzustellen, bei welchem davon ausgegangen werden kann, dass eine Verurteilung nur aufgrund des Verfahrenshindernisses nicht erfolgt ist. In einem zweiten Schritt hat das Tatgericht sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob eine Kosten- und Auslagenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten ergehen kann (etwa OLG Celle, Beschluss vom 17.07.2021, Az. 1 Ws 283/14 Beck-Online).

Zwar lässt sich noch feststellen dass eine Verurteilung des Betroffenen wegen Verstoßes gegen §§ 9 Abs. 3, 1 Abs. 2, 49 StVO, 24 Abs. 1, 3 Nr, 5, 25 StVG bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses aller Voraussicht nach erfolgt wäre.

Der Betroffene wendete sich zuletzt allein noch gegen die Verhängung eines Fahrverbots.

Allerdings erweist es sich als ermessensfehlerhaft dem Betroffenen die Erstattung seiner notwendigen Auslegen zu versagen.

Bei der Ermessensausübung ist zu beachten, dass der Verurteilungswahrscheinlichkeit keine Bedeutung mehr zukommen kann, sondern jenseits der bloßen Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine unterbleibende Auslagenüberbürdung auf die Landeskasse zusätzliche beachtliche Gründe gerade für eine solche Entscheidung streiten müssen (BGH, Beschluss vom 24.5.2018, Az. 4 StR 51/17, LG Berlin, Beschluss vom 20.7.2023, Az. 510 Qs 60/23; LG Neuruppin, Beschluss vom 18.12.2020, Az. 11 Qs 95/20; LG Bückeburg, Beschluss vom 07.06.2024, Az: 4 Cs 46/24, jeweils Beck-Online).

Darüber hinaus muss dem Ausnahmecharakter einer Entscheidung gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO Rechnung getragen werden. Es müssen besondere Umstände vorliegen, die die Belastung der Landeskasse mit den Auslagen des Betroffenen als billig erscheinen lassen (BVerfG, Beschluss vom 26.05.2017, Az. 2 BvR 1821/13; BGH, Beschluss vom 24.05.2018, AZ: 4 StR 51117, jeweils Beck-Online; Meyer-Goßner/Schmitt, Rdnr. 18 m.w.N.). Ein Rückgriff auf pauschalisierende und nicht am jeweils vorliegenden Einzelfall orientierte Faustregeln verbietet sich.

Einen Regelsatz, nachdem die notwendigen Auslagen eines Betroffenen grundsätzlich nicht der Landeskasse aufzuerlegen seien, wenn sich im Laufe des Verfahrens der Eintritt der Verjährung herausstellt, gibt es nicht.

Gegen eine Auslagenerstattung durch die Landeskasse kann insbesondere sprechen, dass das Verfahrenshindernis durch den Betroffenen herbeigeführt worden ist oder sonst auf einem vorwerfbaren prozessualen Fehlverhalten beruhte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., 467 Rn. 18,

Daran gemessen sind besondere Gründe für ein Absehen von der Auslagenüberbürdung auf die Landeskasse gemäß § 46 Abs, 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO hier nicht auszumachen – und werden im übrigen durch das Amtsgericht auch nicht dargelgt.

Der Eintritt der Verfolgungsverjährung ist in keiner Weise der Sphäre des sich zu jedem Zeitpunkt ordnungsgemäß und sachlich verteidigenden Betroffenen zuzuordnen, sondern ausschließlich auf den Umstand zurückzuführen, dass die Akte, eingegangen bei Gericht am 10.07.2024. ohne aktenkundig gemachte Gründe bis zum 30.01.2025 unbearbeitet beim Amtsgericht Germersheim lag, wobei zwischendurch lediglich jeweils durch den Referatsvorgänger der letztlich entscheidenden Richterin mehrfach die Wiedervorlage zur Terminierung, letztmalig am 17.12.2024 für den 17.01.2028 neu verfügt wurde. Der Eintritt der Verfolgungsverjährung ist damit ausschließlich auf gerichtsinterne Umstände zurückzuführen. Die Entscheidung des Amtsgerichts, die notwendigen Auslagen der vormals Betroffenen nicht der Staatskasse aufzuerlegen, stellt sich vor diesem Hintergrund als ermessensfehlerhaft dar und war zu korrigieren.“

Alles schon häufig gelesen, aber immer wieder schön zu lesen 🙂 . Oder: Manche lernen es nie 🙂