Verkehrsunfall mit Rettungswagen auf Blaulichtfahrt, oder: Einfahren in Kreuzung bei Rot versus Bremsen

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Im zweiten Posting zum Verkehrszivilrecht stelle ich dann den OLG Schleswig, Beschl. v. 18.11.2024 – 7 U 66/24 – vor. Er befasst sich u.a. mit der Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Rettungswagen auf „Blaulichtfahrt“, der bei Rotlicht in eine Kreuzung einfährt, und einem PKW, der vor dem Rettungswagen abbiegt und dann abrupt abgebremst wird.

Der Unfall ereignete sich gegen 16:55 Uhr bei Dunkelheit im Bereich der Kreuzung X-Straße und B in X. Beteiligt waren der im Notfalleinsatz befindliche Rettungswagen der Klägerin, der vom Zeugen M geführt wurde (RTW), und der von der Beklagten zu 1) geführte bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte PKW, deren Halterin ebenfalls die Beklagte zu 1) ist.

Der Unfall ereignete sich wie folgt: Die Beklagte zu 1) befuhr die X-Straße aus Süden kommend und beabsichtigte nach links auf die B abzubiegen. Sie fuhr bei grüner Ampel auf der Linksabbiegerspur in die Kreuzung ein und verzögerte ihr Fahrzeug sodann wieder. Unklar ist, weshalb sie abbremste und ob sie ihr Fahrzeug in dieser Situation zum Stillstand brachte. Von rechts näherte sich auf der B aus östlicher Richtung der RTW, der mit eingeschaltetem Blaulicht und Einsatzhorn unter Befahren der dortigen Linksabbiegerspur mit ca. 30-35 km/h in die Kreuzung einfuhr. Der Zeuge M wollte zunächst rechts am PKW der Beklagten zu 1) vorbeifahren. Die Beklagte zu 1) setzte allerdings ihren Abbiegevorgang auf die B in fort, als der RTW allenfalls noch 10 m entfernt war. Die Fahrzeuge befanden sich nun hintereinander in gleicher Fahrtrichtung. Einige Meter weiter, im äußerst westlichen Kreuzungsbereich, bremste die Beklagte zu 1) ihr Fahrzeug plötzlich bis zum Stillstand ab und der RTW fuhr leicht nach rechts versetzt von hinten auf.

Das LG ist von einer Mithaftungsquote der Beklagten von 70 % ausgegangen. Der Unfall sei für beide Seiten nicht unvermeidbar gewesen. Nach den getroffenen Feststellungen hätte die Beklagte zu 1) das seit mindestens 10 Sekunden vor Einfahrt des RTW in die Kreuzung eingeschaltete Martinshorn hören müssen. Der RTW sei mit 30-35 km/h gefahren. Ob die Beklagte zu 1) ihren PKW im Kreuzungsbereich bis zum Stillstand abgebremst habe, stehe nicht sicher fest. Die Beklagte sei sodann allenfalls 10 m vor dem RTW abgebogen und habe anschließend plötzlich abgebremst. Die Beklagte zu 1) habe gegen § 38 Abs. 1 S. 2 sowie § 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen. Der Klägerin sei ein Verstoß des Zeugen M gegen § 35 Abs. 8 StVO anzulasten, wonach die Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden dürften. Aufgrund des Fahrverhaltens der Beklagten zu 1), die zunächst entgegen § 38 Abs. Abs. 1 S. 2 StVO in den Kreuzungsbereich eingefahren sei, dort kurz verzögert und sodann ihren Abbiegevorgang unmittelbar vor dem RTW fortgesetzt habe, habe eine unklare Verkehrslage bestanden, in der er seine Geschwindigkeit auf Schrittgeschwindigkeit hätte reduzieren müssen. In Anwendung des § 17 Abs. 2 StVG hafteten die Beklagten deshalb zu 70 % und die Klägerin zu 30 %; der Unfall sei überwiegend auf die Verstöße des Beklagten zu 1) zurückzuführen, wobei zulasten der Klägerin auch die erhöhte Betriebsgefahr durch die Inanspruchnahme von Sonderrechten zu berücksichtigen sei. Hiergegen wenden sich die Klägerin mit ihrer Berufung und die Beklagten mit ihrer Anschlussberufung.

Das OLG hat die Parteien in seinem Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung keinen Erfolg habe. Es führt zur Abwägung des LG aus:

„2. Die vom Landgericht vorgenommene Abwägung gemäß § 17 Abs. 2 StVG ist ebenfalls nicht zu beanstanden und findet jedenfalls im Ergebnis die Billigung des Senats. Dabei ist zu differenzieren zwischen dem Einfahren der Beklagten zu 1) in die Kreuzung, ihrem Abbremsen auf der Kreuzung und schließlich ihrem erneuten abrupten Abbremsen unmittelbar nach dem Abbiegen.

a) Im Rahmen der bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei eine Abwägung und Gewichtung der jeweiligen Verursachungsbeiträge vorzunehmen, wobei eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eine genaue Klärung des Unfallhergangs geboten ist (BGH, Urteil vom 28.02.2012, VI ZR 10/11, Juris Rn. 6; OLG Frankfurt, Urteil vom 31.03.2020, 13 U 226/15, Juris Rn. 43). Im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeuge ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige oder aber zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (ständige Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 21.11.2006, VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; Urteil vom 27.06.2000, VI ZR 126/99, NJW 2000, 3069; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.07.2018, 1 U 117/17, Juris Rn. 5). Die jeweils ausschließlich unstreitigen oder nachgewiesenen Tatbeiträge müssen sich zudem auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Beweis obliegt demjenigen, welcher sich auf einen in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkt beruft (BGH, Urteil vom 13.02.1996, VI ZR 126/95, NZV 1996, 231, 232; OLG Dresden, Urteil vom 25.02.2020, 4 U 1914/19, Juris Rn. 4 m.w.N.).

b) Zu Recht hat das Landgericht einen Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO dadurch angenommen, dass sie überhaupt in den Kreuzungsbereich eingefahren ist, anstatt „sofort freie Bahn“ zu schaffen und stehenzubleiben. Denn sie hätte den RTW, der nach den getroffenen Feststellungen durchgehend das Blaulicht und mehr als 10 Sekunden lang das Einsatzhorn aktiviert hatte, wahrnehmen müssen. Es ist nach den Umständen nicht nachvollziehbar, wie sie das Einsatzfahrzeug nicht rechtzeitig wahrgenommen haben will. Akustische oder visuelle Einschränkungen bestanden offenbar nicht. Der Verstoß gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO perpetuiert sich im Fortsetzen des Abbiegemanövers nach einer kurzen Verzögerung (ggf. bis zum Stillstand). Bis zu dieser Fortsetzung des Abbiegemanövers der Beklagten zu 1) stellt es auch keinen Verstoß des Zeugen M gegen § 35 Abs. 8 StVO dar, dass er die Geschwindigkeit des RTW von 30-35 km/h nicht auf Schrittgeschwindigkeit reduziert hat. Denn bis hierhin lag keine unübersichtliche Situation vor. Die erkennbare Verzögerung des PKW in der Mitte der Kreuzung konnte er als Zeichen werten, dass die Beklagte zu 1) den RTW wahrgenommen hat und ihn passieren lassen würde. Bei fehlendem Verkehr von rechts (aus Sicht der Beklagten zu 1) also Gegenverkehr) – was unstreitig ist -, war die Verzögerung des PKW nicht aus Rücksicht hierauf zu verstehen. Und auch der vom Zeugen M angegebene Fußgänger auf der anderen Seite der B war kein Grund, die Geschwindigkeit des RTW erheblich zu reduzieren, denn der Zeuge M durfte annehmen, dass der Fußgänger angesichts des unübersehbaren Einsatzfahrzeugs ohnehin stehen bleiben würde, so dass auch der PKW keinen Anlass hatte, allein deshalb zu warten. Zumal die Beklagte zu 1) den Fußgänger nach eigenem Bekunden nicht wahrgenommen hatte.

c) Die Situation änderte sich allerdings grundlegend, nachdem die Beklagte zu 1) mit ihrem PKW unter (fortgesetztem) Verstoß gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVG ihre Fahrt nebst Abbiegevorgang fortsetzte und hierbei sich nur einige Meter – nach den Feststellungen des Landgerichts allenfalls 10 m – vor den RTW fuhr. Dadurch musste dem Zeugen M klar werden, dass die Beklagte zu 1) den RTW trotz aller Licht- und Schallsignale und entgegen ihrem zuvor gesetzten Anschein durch die Verzögerung ihres Fahrzeugs auf der Kreuzung offenbar noch nicht wahrgenommen hatte. Spätestens in dieser Situation wäre es nach § 35 Abs. 8 StVO geboten gewesen, die Geschwindigkeit erheblich herabzusetzen (Anpassung gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 StVO), einen ausreichenden Abstand einzuhalten bzw. herzustellen (§ 4 Abs. 1 S. 1 StVO) und ggf. i. S. v. § 1 Abs. 1, 2 StVO vorsichtig abzuwarten, wie sich das weitere Fahrverhalten des PKW darstellen würde. Mit weiteren Fehlleistungen der Beklagten zu 1) war zu rechnen, auch mit einer etwaigen Schreckreaktion bei überraschender Wahrnehmung des nunmehr unmittelbar hinter ihr befindlichen RTW. Hinzu kommt Folgendes: Der Zeuge M hätte nach eigenen Angaben mit dem RTW den PKW im Bereich auf und unmittelbar hinter der Kreuzung gar nicht überholen können, sondern hätte ohnehin abwarten müssen, bis der PKW an geeigneter Stelle Platz machen oder anhalten würde. Auch deshalb war er gehalten, einen ausreichenden Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden PKW einzuhalten.

d) Mit ihrem plötzlichen und abrupten Abbremsen nach Abschluss des Abbiegemanövers verstieß die Beklagte zu 1) gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO, wonach ein Vorausfahrender nicht ohne zwingenden Grund stark abbremsen darf. Ein zwingender Grund bestand nicht, insbesondere nicht in der Befolgung der Anordnung des § 38 Abs. 1 S. 2 StVO. Denn „sofort freie Bahn“ zu schaffen ist nicht gleichzusetzen mit dem sofortigen Stehenbleiben. Es kommt vielmehr auf die Umstände des konkreten Einzelfalles an. Vorliegend wäre es geboten gewesen, bis zu einer geeigneten Stelle zum (geordneten) Stehenbleiben weiter zu fahren und den RTW sodann passieren zu lassen. Jedenfalls verbot sich ein unvermitteltes plötzliches Stehenbleiben noch im Kreuzungsbereich bei ohnehin (zu) geringem Abstand.

e) In der Abwägung ist der (erste) Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO nur in dem Sinne zu berücksichtigen, dass er die Gefahr für das nachfolgende Unfallgeschehen erhöht hat. Das Einfahren in die Kreuzung, die Verzögerung auf der Kreuzung und das Weiterfahren und Abbiegen haben jedoch nicht unmittelbar zu der Kollision geführt, so dass es in dieser Situation auch nicht auf die Geschwindigkeit des RTW ankommt. Für die Bewertung dieser Situation macht es keinen Unterschied, ob die Beklagte zu 1) nur leicht verzögert oder auch angehalten hat.

Die wesentliche Unfallursache war sodann vielmehr das grundlose, plötzliche und abrupte Abbremsen des PKW bis zum Stillstand durch die Beklagte zu 1), auf das der Zeuge M im RTW aufgrund des zu geringen Abstandes nicht mehr rechtzeitig reagieren konnte. Die Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge führt auch unter Berücksichtigung der aufgrund der Einsatzfahrt (u.a. mit Rotlicht-„Verstoß“) erhöhten Betriebsgefahr des RTW zu einer überwiegenden Haftung der Beklagten, wobei jedoch eine gewisse Mithaftung der Klägerin im Umfang von (zumindest) 30 % verbleibt.

f) Ob der Haftungsanteil der Klägerin ggf. noch höher als 30 % anzusetzen wäre, ist Gegenstand der Anschlussberufung. Dieser Frage bedarf zum gegenwärtigen Zeitpunkt keiner weiteren Vertiefung, weil die Anschlussberufung im Falle der beabsichtigten Zurückweisung der klägerischen Berufung durch Beschluss ihre Wirkung verlieren würde (§ 524 Abs. 4 ZPO).“

Verkehrsunfall PkW und alkoholisierter Fußgänger, oder: Hinterbliebengeld beim Tod eines Erwachsenen

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Und dann heute im „Kessel Buntes“ zwei (zivilrechtliche) Entscheidungen aus dem Verkehrsrecht.

Ich starte mit dem OLG Celle, Urt. v. 18.12.2024 – 14 U 119/24. Es nimmt zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Fahrzeug und einem alkoholisiertem Fußgänger sowie zur Bemessung des Hinterbliebenengeldes beim Tod eines erwachsenen Kindes Stellung.

Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:  Die Klägerin verlangt von den Beklagten ein weiteres Hinterbliebenengeld und weitere anteilige Beerdigungskosten aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 11.07.2021. An dem Tag befand sich der Sohn der Klägerin, der Geschädigte B. B., gegen 4:33 Uhr mit einer BAK von über 2,0 Promille auf der Landesstraße außerhalb geschlossener Ortschaften zwischen zweiten Orten. Er kollidierte mit dem vom Beklagten zu 1. geführten Fahrzeug, welches bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist. Der Sohn der Klägerin verstarb noch am Unfallort. Das gegen den Beklagten zu 1 geführte Strafverfahren wurde gemäß § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 1.200 EUR eingestellt. In diesem Strafverfahren wurde zuvor ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben.

Die Klägerin verlangt ein Hinterbliebenengeld von 12.000 EUR  sowie 75% der Beerdigungskosten in Höhe von 7.226,16 EUR, mithin 5.419,62 EUR .

Die Klägerin ist der Auffassung, den Beklagten zu 1 treffe ein Verschulden an dem Unfall. Zum Unfallzeitpunkt sei es insbesondere schon so hell gewesen, dass der Beklagte zu 1 ihren Sohn hätte sehen können bzw. müssen. Der Unfallort sei zudem durch eine Laterne beschienen, die zur früheren Erkennbarkeit ihres Sohnes beigetragen habe.

Die Beklagten meinen, infolge des groben Verschuldens des Geschädigten hafteten sie nicht. Die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 1 gefahrenen Fahrzeugs trete hinter dem Verschulden des Geschädigten zurück.

Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat die Klage in Höhe von 5.742,05 EUR für begründet gehalten, nachdem es u.a. Beweis erhoben hat über den Unfallhergang durch Verwertung gem. § 411a ZPO des im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Das LG hat der Klägerin von ihren geltend gemachten Ansprüchen 1/3 aufgrund des der Klägerin zuzurechnenden Mitverschuldens des Geschädigten zugesprochen, wobei es ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 10.000 EUR, anstatt der begehrten 12.000 EUR, angesetzt hat.

Es hat dabei dem Beklagten zu 1 den Verschuldensvorwurf gemacht, dass er in Kenntnis eines am Fahrbahnrand befindlichen Fußweges seine Geschwindigkeit nicht reduziert habe. Der Bremsvorgang bei Fußgängern, welche – wie hier – unvorhergesehen die Straße überqueren, sei daher zu lang gewesen. Hauptsächlich habe der Geschädigte den Unfall aber selbst verschuldet, weil er die Straße überquert habe, ohne auf das bevorrechtigte Fahrzeug der Beklagten zu achten.

Die Klägerin wendet sich gegen das landgerichtliche Urteil und meint, die Kammer habe es fehlerhaft unterlassen, eine lichttechnische Untersuchung einzuholen. Die Unfallstelle sei durch eine Laterne beleuchtet gewesen. Der Beklagte zu 1 hätte den Geschädigten, der zudem ein weißes Oberhemd unter seinem Jackett und weiße Turnschuhe getragen habe, früher erkennen müssen. Der Beklagte zu 1 hätte den Geschädigten lange vor der Kollision sehen und abbremsen müssen. Er hätte den Unfall verhindern können.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Sie berufen sich auf das Sachverständigengutachten, in dem festgestellt worden sei, dass der Sohn der Klägerin frühestens innerhalb des Lichtkegels des Abblendlichtes für den Beklagten zu 1 erkennbar gewesen sei. Das schließe eine noch frühere Erkennbarkeit aus. Damit sei es nicht gerechtfertigt, dem Beklagten zu 1 eine verspätete Abwehrreaktion anzulasten.

Das OLG hat den Sachverständigen dann in der mündlichen Verhandlung noch einmal vernommen. Es hat die Berufung dann zurückgewiesen.

Wegen der Einzelheiten der umfangreichen Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext. Ich stelle hier nur die Leitsätze ein, und zwar.

1. Das Überschreiten einer Fahrbahn erfordert von einem Fußgänger erhöhte Sorgfalt. Da eine Fahrbahn in erster Linie dem Fahrzeugverkehr dient, hat der Fahrzeugführer grundsätzlich Vorrang.

2. Ein Fahrzeugführer muss nicht allein in Kenntnis eines am Fahrbahnrand befindlichen Fußweges seine Geschwindigkeit reduzieren.

3. Bei der Festsetzung der Hinterbliebenenentschädigung darf nicht lediglich eine schematische Bemessung vorgenommen werden. Es ist die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten (im Anschluss an BGH, Urt. v. 23. Mai 2023 – VI ZR 161/22).

4. Die Bemessung des Schmerzensgeldes in den sog. Schockschadensfällen ist dagegen nur eingeschränkt als Vergleichsgröße heranziehbar, weil der Anspruch auf Hinterbliebenengeld (im Unterschied zum Schmerzensgeld) gerade keine Rechtsgutsverletzung voraussetzt (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.2022 – VI ZR 73/21).

Ich habe da mal eine Frage: Was ist zu tun, wenn mein Pauschgebühr(vorschuss)antrag nicht beschieden wird?

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Und dann kommt hier die erste Gebührenfrage des Jahres 2025, und zwar:

„Sehr geehrter Herr Kollege Burhoff, ich wünsche Ihnen zunächst noch ein gutes neues Jahr!

Ich habe von Frühjahr 2021 bis Ende 2023 in einem Staatsschutzverfahren beim OLG pp. verteidigt und im Juli 2023 eine Vorschussantrag auf die Pauschgebühr gestellt, den der Vorsitzende bislang trotz Nachfragen nicht entschieden hat. Zahlreichen anderen gleich gearteten Anträgen ist er bereits zügiger nachgekommen. Nunmehr hat er sogar mitgeteilt, den Zeitpunkt einer Entscheidung nicht abzusehen können. Ich wäre Ihnen für jeden kollegialen Hinweis bzgl. des weiteren Vorgehens äußerst verbunden.“

Hilfe beim Vermeiden eines Fortsetzungstermins, oder: LG Bochum „repariert“ AG Herne-Wanne

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Und als zweite Entscheidung dann der LG Bochum, Beschl. v. 20.12.2024 – 9 Qs 35/24 – viel „frischer“ geht es kaum. Bei der Entscheidung handelt es sich um die Beschwerdeentscheidung zum AG Herne-Wanne, Beschl. v. 23.04.2024 – 44 OWi-152 Js 120/24-12/24, über den ich hier ja auch berichtet habe (vgl. Hilfe beim Vermeiden eines Fortsetzungstermins, oder: Fortsetzungstermin ist nicht „die Hauptverhandlung“).

Folgender Sachverhalt: Das AG Herne-Wanne hatte in seinem Beschluss eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5151 VV RVG festgesetzt, obwohl „nur“ ein Fortsetzungstermin entfallen war, was der h.M. zu der Frage widerspricht. Ich hatte in meinem Posting dazu dann ja Stellung genommen und angedeutet, dass der Bezirksrevisor das nicht hinnehmen wird. Und genau das ist eingetreten. Der Bezirksrevisor hat Beschwerde eingelegt. Und er hat beim LG Bochum Recht bekommen. Das hat den AG Herne-Wanne-Beschluss aufgehoben:

„Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Das Amtsgericht Herne-Wanne hat rechtsfehlerhaft bei der Festsetzung der notwendigen Auslagen des Betroffenen eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG zuzüglich Mehrwertsteuer in Ansatz gebracht. Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG ist im hiesigen Verfahren jedoch nicht entstanden.

Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entsteht lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt oder die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Dies ist im hiesigen Verfahren nicht der Fall gewesen.

Vorliegend ist es zwar durch anwaltliche Mitwirkung zu einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung gekommen, aufgrund derer es einer Anberaumung weiterer Hauptverhandlungstermine nicht mehr bedurft hat. Die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entsteht jedoch nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich die Kammer nach eigener kritischer Prüfung anschließt, dann nicht, wenn die Einstellung – wie vorliegend – in der Hauptverhandlung erfolgt, selbst wenn dadurch weitere Hauptverhandlungstage entbehrlich werden (vgl. Burhoff/ Volpert, RVG, 6. Aufl. 2021, Nr. 5115 VV Rn. 21 (letzter Absatz) und Nr. 4141 VV Rn. 45 Nr. 14; HK-RVG/Krumm, 8. Aufl. 2021, RVG W 5115 Rn. 7 m. w. N.; BeckOK RVG/Knaudt, 64. Ed. 1.6.2024, RVG VV 5115 Rn. 11.1 m. w. N.; Ahlmann/ Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/Kapischke, 11. Aufl. 2024, RVG VV 5115 Rn. 3 m. w. N.; LG Siegen, Beschluss vom 03.07.2020, 10 Qs 61/20, BeckRS 2020,37917; vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.).

Eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation ist auch entgegen der Rechtsauffassung des Verteidigers weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes in Einklang zu bringen.

Nach dem Wortlaut des Gebührentatbestandes entsteht die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Im Hinblick auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung kann die Frage der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung dabei nur einheitlich beantwortet werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes erfasst bereits der Wortlaut lediglich Sachverhaltskonstellationen, in denen die Hauptverhandlung in ihrer Gänze entfällt und nicht einzelne Hauptverhandlungstage einer als Einheit zu betrachtenden Hauptverhandlung durch eine Einstellung entbehrlich werden.

Gleiches gilt unter Zugrundelegung der Gesetzeshistorie und des Sinnes und Zweckes des Gebührentatbestandes. Die Gesetzesmaterialien führen zur ratio legis des Gebührentatbestandes aus, dass die Zusatzgebühr den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen werde und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen werde (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1971, dort S. 227). Ziel der Regelung ist damit die Verringerung der Arbeitsbelastung der Gerichte; dieses Ziel soll durch eine adäquate Vergütung des Verteidigers bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung erreicht werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.). Auch dieser Normzweck spricht dafür, dass eine Einstellung, die innerhalb der Hauptverhandlung erfolgt, eine Befriedungsgebühr nicht mehr auszulösen vermag (a. a. O.).“

Die Aufhebung der – für den Verteidiger positiven – Entscheidung des AG Herne-Wanne überrascht mich nicht. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur sieht die Frage des Entstehens der zusätzlichen Verfahrensgebühren Nr. 4141, 5115 VV RVG unter Hinweis auf den Wortlaut und die „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ anders, als das AG es gesehen hatte. Deshalb hatte ich von Anfang an Zweifel am Bestand der Entscheidung, die sich nun bestätigt haben. Die Argumentation des Verteidigers, dass auch die Mitwirkung an einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung, die zum Entfallen von Fortsetzungsterminen führe, der Entlastung der Justiz diene, ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Aber der Wortlaut der Vorschriften und die auch vom LG herangezogene „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ lassen sich damit nicht überwinden. Letztlich ist die vom AG Herne-Wanne – gegen die h.M. – entschiedene Frage eine Frage, die sich nicht durch Auslegung und oder ggf. eine entsprechende Anwendung der Regelungen lösen lässt, sondern durch den Gesetzgeber gelöst werden muss. Aber: Welche gebührenrechtlichen Fragen löst der schon. Der bekommt ja – Stand heute – noch noch nicht einmal eine längst überfällige lineare Erhöhung der Gebühren auf die Reihe.

Gebührenanspruch des RAK-Kanzleiabwicklers, oder: (Auch) Handeln mit Auftrag der Partei

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Und dann Gebührenfreitag. Heute mit zwei Entscheidungen.

Ich beginne mit dem schon etwas älteren LAG Sachsen, Beschl. v. 17.09.2024 – 1 Ta 142/21. Es geht um den Gebührenanspruch des Kanzleiabwicklers, der mit Auftrag der Partei handelt. Dazu sagt das LAG:  Der von der RAK bestellte „Abwickler“ ist nur Vertreter des Rechtsanwalts, dessen Kanzlei er abwickelt. Demgemäß hat er keinen eigenen Gebührenanspruch:

„2. Der sofortigen Beschwerde ist jedoch kein Erfolg beschieden. Das Arbeitsgericht hat die an den Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung zu Recht auf 1.594,01 € festgesetzt. Die Auffassung des Beschwerdeführers, es seien sowohl die zu Lebzeiten des Rechtsanwalts K. angefallenen Gebühren (Verfahrens-und Terminsgebühr aus 7.281,88 €) als auch für seine Tätigkeit angefallene Gebühren (Verfahrens-, Termins- sowie Einigungsgebühr aus 23.181,88 €) festzusetzen, geht fehl, weil sie die für Kanzleiabwickler geltenden Grundsätze nicht berücksichtigt.

a) Für die Tätigkeit des als Abwickler bestellten Beschwerdeführers gilt § 55 Abs. 2 und 3 BRAO in der vor dem 1.8.2021 geltenden Fassung. Diese Vorschriften lauten:

(2) Dem Abwickler obliegt es, die schwebenden Angelegenheiten abzuwickeln. (…)

(3) § 53 Abs. 5 Satz 3, Abs. 9 und 10 gilt entsprechend. Der Abwickler ist berechtigt, jedoch außer im Rahmen eines Kostenfestsetzungsverfahrens nicht verpflichtet, Kostenforderungen des verstorbenen Rechtsanwalts im eigenen Namen für Rechnung der Erben geltend zu machen.

§ 53 Abs. 9 BRAO in der bis zum 1.8.2021 geltenden Fassung lautet

(9) Der Vertreter wird in eigener Verantwortung, jedoch im Interesse, für Rechnung und auf Kosten des Vertretenen tätig. Die §§ 666, 667 und 670 BGB gelten entsprechend.

§ 53 Abs. 10 Satz 4 und 5 BRAO in der bis zum 1.8.2021 geltenden Fassung lauten auszugsweise:

Er hat dem von Amts wegen bestellten Vertreter eine angemessene Vergütung zu zahlen, (…). Können sich die Beteiligten über die Höhe der Vergütung (…) nicht einigen, (…) setzt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer auf Antrag des Vertretenen oder des Vertreters die Vergütung fest.

Nach diesen Bestimmungen entsteht mit der öffentlich-rechtlichen Bestellung des Abwicklers durch die Rechtsanwaltskammer ein privatrechtliches Rechtsverhältnis zwischen Abwickler und den Erben des Verstorbenen als vom Abwickler Vertretene. Für dieses Rechtsverhältnis gelten die Bestimmungen der §§ 666, 667 und 670 BGB entsprechend. Der Abwickler hat die zur Zeit seiner Bestellung schwebenden Verfahren abzuwickeln. Er ist darauf beschränkt, Gebührenforderungen des verstorbenen Rechtsanwalts und im Zuge der Abwicklung der Angelegenheit anfallende weitere Gebühren im eigenen Namen für Rechnung der Erben des Verstorbenen geltend zu machen. Insoweit wird dem als Abwickler bestellten Rechtsanwalt im öffentlichen Interesse ein gewisses Sonderopfer abverlangt (OLG München, Beschluss vom 6.5.1993, Az.: 11 W 2807/92, juris, Rn. 8). Der Abwickler erhält für seine Tätigkeit keinen eigenen Gebührenanspruch, sondern er wird auf eine angemessene Entschädigung durch den Vertretenen, mithin den oder die Erben des verstorbenen Rechtsanwalts, verwiesen. Im Falle der Nichteinigung mit dem Vertretenen über die Höhe der Vergütung kann diese auf Antrag durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer festgesetzt werden.

Grund dieser Regelungen ist es, im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs und zum Schutz des Mandanten die Fortführung der laufenden Angelegenheiten zu ermöglichen (OLG München a.a.O.). Anhängige Rechtsstreitigkeiten sollen möglichst ohne Zeitverlust und Mehrkosten durch die Bestellung eines Abwicklers für die Kanzlei des früheren Rechtsanwalts zu Ende geführt werden können.

Nach dem Vorstehenden tragen die Vorschriften der §§ 55, 53 BRAO einen Gebührenanspruch des Abwicklers, den dieser im eigenen Namen und im eigenen Interesse geltend machen könnte, nicht.

b) Auch aus der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zunächst für den Klageantrag zu 1 und nachfolgend für die Verteidigung gegen die Widerklage nebst Beiordnung des Beschwerdeführers folgt nicht, dass diesem ein eigener Vergütungsanspruch erwächst, den er nach Maßgabe der §§ 45, 49 RVG gegen die Staatskasse gelten machen könnte. Der Beschwerdeführer hat seine auf Beiordnung gerichteten Anträge jeweils in der Eigenschaft als Abwickler des verstorbenen Rechtsanwalts gestellt. Dies ist bei der Auslegung der Beschlüsse über die Beiordnung des Beschwerdeführers vom 23.4.2019 und 16.5.2019 zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer wurde der Klägerin nicht als im eigenen wirtschaftlichen Interesse tätiger Rechtsanwalt beigeordnet, sondern in seiner Eigenschaft als von der Rechtsanwaltskammer Sachsen bestellter Abwickler.

c) Schließlich führt auch der Rechtsgedanke des § 91 Abs. 2 Satz 2, 2.Alt. ZPO nicht dazu, dass der Beschwerdeführer in eigenem Namen und eigenem Interesse Ansprüche gegen die Staatskasse geltend machen kann.

§ 91 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. ZPO regelt, ob und in welchem Umfang die obsiegende Partei bei einem Anwaltswechsel vom unterlegenen Gegner die Erstattung von Kosten für die Vertretung durch einen Anwalt oder durch zwei Anwälte verlangen kann. Die durch die Tätigkeit von zwei Rechtsanwälten verursachten Mehrkosten hat der unterlegene Gegner insoweit zu erstatten, „als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste“.

aa) Die Bestellung des Abwicklers durch die Rechtsanwaltskammer als solche stellt indes keinen Anwaltswechsel im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. ZPO dar. Die Bestellung hat öffentlich-rechtlichen Charakter. Sie erfolgt unabhängig vom Willen der Partei. Die Partei schuldet dem Abwickler keine Vergütung, denn er ist nicht der von ihr bevollmächtigte und vertraglich gebundene Rechtsanwalt. Durch die Mandatsfortführung entstehen der Partei deshalb keine Mehrkosten, sie hat keinen neuen Auftrag erteilt wird und es liegt kein Anwaltswechsel vor (vgl. Schwärzer in Feuring/Weyland, BRAO-Kommentar, 9. Aufl. 2015, § 55 Rn. 21,22)

bb) Es ist freilich anerkannt, dass der Tod des ursprünglich beauftragten Rechtsanwalts dann einen Fall darstellt, in dem im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. ZPO ein Wechsel des Anwalts eintreten musste, wenn die Partei wegen des Todes des bisherigen Bevollmächtigten einen anderen Rechtsanwalt beauftragt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rechtsanwaltskammer einen Abwickler für die Kanzlei des Verstorbenen bestellt hat. Der Partei kann der zum Abwickler der Kanzlei bestellte Anwalt nämlich nicht als Prozessbevollmächtigter aufgezwungen werden. Ihr verbleibt vielmehr das Recht, einen anderen Anwalt ihres Vertrauens zu wählen, mit der Folge, dass die dadurch entstandenen Mehrkosten als Kosten eines notwendigen Anwaltswechsels erstattungsfähig sind (Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 31.1.2005, Az. 8 W 11/05, juris, Rn. 4; ferner Herget in Zöller, ZPO-Kommentar, 34. Aufl. 2022, § 91 Rn. 13.7). Soweit der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 3.4.2020 geltend macht, im Zuge der Kanzleiabwicklung habe er sämtliche von Rechtsanwalt K. betreuten Mandanten gefragt, ob sie von ihm weiter betreut werden möchten, was einige, wie „der Antragsteller hier“ bejaht und Ihn also gesondert beauftragt hätten, führt dies gleichwohl nicht zum Entstehen erstattungsfähiger eigener Gebührenansprüche des Beschwerdeführers. Wenn die Partei gerade den Abwickler als neuen Prozessbevollmächtigten wählt, verbleibt es für diesen bei den Ansprüchen aus den aus den §§ 666, 667 und 670 BGB gegen die Vertretenen, bzw. bei der von der Rechtsanwaltskammer festzusetzenden Entschädigung für seine Tätigkeit als Abwickler. Erstattungsfähige Gebührenansprüche des Abwicklers entstehen nicht. In der Mandatierung des Abwicklers liegt nämlich ein Verstoß gegen den auch im Rahmen der Kostenerstattung Platz greifenden Grundsatz von Treu und Glauben. Danach sind nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder-Verteidigung notwendigen Kosten erstattungsfähig. Jede Partei ist verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits so gering zu halten, wie dies bei der gebotenen Wahrnehmung der eigenen Interessen zumutbar und möglich ist. Bei mehreren gleichwertigen Möglichkeiten ist die kostengünstigste zu wählen. Insoweit gilt der Rechtsgedanke des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB -Grundsatz der Schadensminderung- auch im Kostenrecht (OLG Köln, Beschluss vom 30. November 2007,17 W 160/07, juris, Rn. 10; vgl. auch OLG München, a.a.O. Rn. 8; Hanseatisches Oberlandesgericht, a.a.O. Rn. 4; Schulz in Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 91 Rn. 89). Die Partei, deren Interessen vom Abwickler ohnehin kraft Amtes vertreten werden, darf nach Treu und Glauben den Abwickler nicht gesondert als Rechtsanwalt beauftragen, weil dadurch zusätzliche, vermeidbare Gebührenansprüche begründet würden.

Nach alledem kann der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als bestellter Abwickler im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe die Festsetzung der von Rechtsanwalt K. verdienten Gebühren (Verfahrensgebühr und Terminsgebühr) gegen die Staatskasse verlangen, ferner der bei ihm als im Zuge der Abwicklung des Verfahrens angefallenen weiteren Gebühren (Vergleichsgebühr). Diese Gebühren hat die Kostenbeamtin im Beschluss vom 13.9.2019 als aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auch festgesetzt. Die Festsetzung weiterer, vermeintliche im eigenen wirtschaftlichen Interesse verdienter Gebühren hat die Kostenbeamtin und ihr folgend das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung zu Recht abgelehnt.“

M.E. ist der Entscheidung nichts hinzuzufügen. Der Abwickler ist eben nach den Regelungen in der BRAO – auch nach neuem Recht – nur Vertreter des Rechtsanwalts, dessen Kanzlei er ab-wickelt. Das hat der Rechtsanwalt A. hier ja zunächst wohl auch so gesehen, das „in seiner Eigenschaft als Abwickler“ erinnert daran. Erst später hat sich dann – aus welchen Gründen auch immer – seine Auffassung geändert. Das Einzige, was an der Entscheidung somit erstaunt, ist die lange Bearbeitungszeit: Das Verfahren trägt ein Aktenzeichen aus 2021.