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Einziehung III: (Ganz) kleine Rechtsprechungsübersicht, oder: Weiterverkauf von BtM, Spesen, Entreicherung

entnommen openclipart.org

Und dann noch der Rest an Einziehungsentscheidungen aus meinem Blogordner, und zwar:

„Im Fall 2 der Urteilsgründe begegnet die Einziehungsanordnung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden dem Angeklagten im Fall 2 der Urteilsgründe 106 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 15 Prozent im Wert von 4.000 Euro geliefert, die er gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Durch diese Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erlangte der Angeklagte Kokain. Das Landgericht hat einen dessen Wert entsprechenden Geldbetrag (4.000 Euro) nach §§ 73, 73c StGB eingezogen.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass zum gewinnbringenden Weiterverkauf erlangte Betäubungsmittel nicht Taterträge im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB sind, sondern Tatobjekte, die nach § 33 Satz 1 BtMG iVm § 74 Abs. 2 StGB eingezogen werden können. Die Einziehung des Wertersatzes richtet sich dementsprechend nach § 74c StGB. Voraussetzung hierfür ist, dass das Tatobjekt dem Täter zur Tatzeit gehörte oder zustand. Werden Betäubungsmittel wie hier aber im Inland erworben, kann der Käufer wegen § 134 BGB kein Eigentum an den Drogen erlangen (BGH, Beschluss vom 9. November 2021 – 5 StR 244/21).

Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Satz 1 StPO). Anders als in den übrigen Fällen ist im Fall 2 gerade nicht festgestellt, dass dem Angeklagten der Erlös aus einem etwaigen Weiterverkauf zugeflossen ist. Die Voraussetzungen einer Wertersatzeinziehung nach §§ 73, 73c StGB von 4.000 Euro als Mindestverkaufserlös liegen somit nicht vor. Wie vom Generalbundeanwalt beantragt, hat der Senat den Ausspruch über die Anordnung der Einziehung des Wertes daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO um 4.000 Euro reduziert.“

„Die Einziehungsentscheidung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Nach den Feststellungen erhielt die Angeklagte den Betrag von 1.500 Euro von einem der Hintermänner, um damit das für die Tatausführung erforderliche Fahrzeug anmieten und Übernachtungskosten bezahlen zu können.

Bei dieser Sachlage hat die Angeklagte den Geldbetrag – anders als es bei der erstrebten Teilhabe an der Tatbeute läge – nicht für die Taten, sondern für deren Durchführung erlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2010 – 4 StR 277/10; NStZ-RR 2011, 283, 284 mwN).

Derartige „Spesen“ unterliegen als Tatmittel der Einziehung nach § 74 Abs. 1 und § 74c Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2002 – 3 StR 240/02; Urteil vom 25. Februar 1993 – 1 StR 808/92; BGHR StGB § 74 Abs. 1 Tatmittel 4). Die Einziehung des Tatmittels beziehungsweise dessen Wertes nach § 74c Abs. 1 StGB steht jedoch im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2020 – 6 StR 34/20). Eine solche Ermessensentscheidung hat das Landgericht – von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent – nicht getroffen.

Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).“

1. § 459 Abs. 5 S. 1 StPO in der ab 01.07.2021 geltenden Fassung findet ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens auf Einziehungsentscheidungen Anwendung, auch wenn die der Einziehung zugrundeliegende Tat vor dem 01.07.2021 begangen wurde. Der Meistbegünstigungsgrundsatz aus § 2 Abs. 3 StGB ist auf § 459g Abs. 5 S. 1 StPO nicht anzuwenden (Anschluss OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.12.2022, 4 Ws 514/22, und OLG Schleswig, Beschluss vom 07.07.2022, 2 Ws 63/22, sowie OLG Hamm, Beschluss vom 18.08.2022, 5 Ws 211/22, juris Rn. 19; entgegen OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.05.2022, 1 Ws 122/22, und Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22.09.2022, 1 Ws 118/21).

2. Für die Einstellung der weiteren Vollstreckung der Einziehung des Wertersatzes wegen Unverhältnismäßigkeit ist es nicht ausreichend, dass das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Täters vorhanden ist.

Altes oder neues Recht nach dem KostRÄnG 2021?, oder: Auftrag für gerichtliches Verfahren nur bedingt

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Am „Gebührenfreitag“ stelle ich dann zunächst den OLG Celle, Beschl. v. 22.09.2022 – 1 Ws 51/22 – vor. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

In Rahmen eines gegen den Angeklagten u.a. wegen des Verdachts der Begehung eines versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil des Geschädigten der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahrens legitimierte sich der Rechtsanwalt gegenüber der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 14.12.2020 für den Geschädigten und beantragte zunächst Akteneinsicht. Die vom Geschädigten unterzeichnete schriftliche Vollmacht datiert vom 16.12.2020 und ermächtigte den Rechtsanwalt zur außergerichtlichen und gerichtlichen Erledigung für alle Instanzen, insbesondere die Verteidigung in einem Strafverfahren einschließlich der Vorverfahren. Im weiteren Verfahrensgang wurde der Rechtsanwalt noch im Ermittlungsverfahren mit Beschluss 23.2.2021 als Beistand des Geschädigten nach §§ 397a Abs. 1, 406h Abs. 3 StPO bestellt.

Am 29.03.2021 hat die Staatsanwaltschaft dann Anklage zum Schwurgericht erhoben. Die Anklage wurde mit Beschluss vom 06.05.2021 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit demselben Beschluss hat das LG den Geschädigten als Nebenkläger unter Beiordnung des Rechtsanwalts zu.

Mit Urteil vom 22.09.2021 wurde der Angeklagte vom LG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; darüber hinaus wurden ihm u.a. die dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen auferlegt. Der Beschwerdeführer nahm an mehreren Hauptverhandlungsterminen teil und legte nachfolgend Revision gegen das am 22.09.2021 verkündete Urteil des Schwurgerichts ein.

Nach Verfahrensbeendigung beantragte der Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse die Festsetzung seiner im Ermittlungsverfahren, erstinstanzlichen Verfahren sowie Revisionsverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 6.657,34 EUR. Er legte dabei für sämtliche Verfahrensabschnitte die Gebührensätze in der ab dem 01.01.2021 geltenden Fassung des RVG zugrunde. Die UdG brachte hingegen unter Verweis auf die Vorschrift des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebührensätze für sämtliche Verfahrensabschnitte in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung in Ansatz und setzte die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen lediglich auf 5.883,36 EUR fest. Die hiergegen eingelegte Erinnerung des Rechtsanwalts wies das LG als unbegründet zurück. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass bereits im Jahr 2020 ein unbedingter Auftrag sowohl für das Ermittlungsverfahren als auch das gerichtliche Verfahren vorgelegen hätte und daher für die gesamte Vergütung des Beschwerdeführers nach § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG das bisherige Recht anzuwenden sei.

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Rechtsanwalts hatte Erfolg. Das OLG hat zugunsten des Rechtsanwalts auch die über den zuerkannten Betrag hinausgehenden 739,47 EUR zuerkannt:

„2. In der Sache kann der angefochtene Beschluss – soweit dieser noch mit der Beschwerde angefochten wird – keinen Bestand haben. Denn dem Beschwerdeführer steht über den zuerkannten Betrag von 5.883,36 EUR hinaus noch ein Vergütungsanspruch in Höhe von 739,47 EUR zu.

Im Einzelnen:

a) Gegenstand des Beschwerdeverfahren sind allein die für das gerichtliche sowie Revisionsverfahren festgesetzten Kosten, da der Beschwerdeführer die erfolgte Kostenfestsetzung für die im Ermittlungsverfahren angefallenen Gebühren mit seiner Beschwerde nicht weiter angegriffen hat und der Senat diesbezüglich mithin auch nicht zu einer Entscheidung berufen ist.

b) Für die Beurteilung der Frage, ob für das gerichtliche Strafverfahren altes oder neues Gebührenrecht anzuwenden ist, sind zwar sowohl die Urkundsbeamtin als auch das Land-gericht zutreffend davon ausgegangen, dass sich dies maßgeblich danach richtet, ob dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ein unbedingter Auftrag zur Durchführung vor oder nach dem 1. Januar 2021 (Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 – KostRÄG 2021) erteilt worden war. Bei der Beurteilung ist jedoch unberücksichtigt geblieben, dass es sich nach § 17 Nr. 10 a RVG bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und dem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren um verschiedene Angelegenheiten handelt (vgl. Volpert, StraFo 2021, 188, 189; Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Angelegenheiten §§ 15 ff. Rn. 105, 142).

So geht das Landgericht zwar zu Recht davon aus, dass bereits im Jahr 2020 eine umfassende Vertretung des Geschädigten im Ermittlungsverfahren sowie in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren durch den Geschädigten beauftragt worden war. Denn hierfür sprachen schon die Gesichtspunkte, dass gegen den Angeklagten ein Haftbefehl ergangen war und eine zeitnahe Anklageerhebung zu erwarten war. Auch hat der Beschwerdeführer bereits mit Schriftsatz vom 4. Januar 2021 die Bestellung als Beistand nach § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO und die Zulassung als Nebenkläger im Namen des Geschädigten beantragt, was belegt, dass er mit einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren in absehbarer Zeit rechnete.

Trotz dieser umfassenden Beauftragung durch den Geschädigten sowohl für das Ermittlungsverfahren als auch ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren handelt es sich vorliegend ungeachtet der zeitgleichen Beauftragung nach § 17 Nr. 10a RVG gebührenrechtlich um verschiedene Aufträge und nicht um einen Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit (Gerold/Schmidt, RVG § 60 Rn. 6, beck-online).

c) Ein unbedingter Auftrag zur Erledigung der Vertretung des Geschädigten in einem gerichtlichen Verfahren vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2021 lag hin-gegen gerade nicht vor, sodass die Vorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG vorliegend nicht zum Tragen kam.

Zum Zeitpunkt der Auftragsannahme durch den Beschwerdeführer Ende des Jahres 2020 lagen vielmehr gleichzeitig ein unbedingter Auftrag für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein bedingter Auftrag für ein nachfolgendes Strafverfahren vor. Letzteres stand unter der Bedingung einer Anklageerhebung durch die Strafverfolgungsbehörde, sodass für die gebührenrechtliche Betrachtung nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG der spätere Zeitpunkt des Bedingungseintritts maßgeblich war (vgl. Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Buß-geldsachen, §§ 60 f. Übergangsvorschriften Rn. 13; Toussaint/Toussaint, 52. Aufl. 2022, RVG § 60 Rn. 9).

Die Anklageerhebung und damit die Überleitung in ein gerichtliches Strafverfahren erfolgte am 29. März 2021, sodass für die Kostenfestsetzung für das gerichtliche Verfahren das ab dem 1. Januar 2021 geltende Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zugrunde zu legen war.

d) Demgemäß steht dem Beschwerdeführer ein Vergütungsanspruch zu, der sich wie folgt berechnet:…..“

Regulierung eines Verkehrsunfall in Großbritannien, oder: Anwendbares Recht, Haftung, Schadenshöhe

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Und als zweite Entscheidung, dann mal etwas Außergewöhnliches, nämlich die Regulierung eines Verkehrsunfalls in Großbritannien, und zwar in Saint Albans, Großbritannien an einem Kreisverkehr. Die Klägerin macht u.a. Gutachterkosten,  Reparaturkosten, Vorhaltekosten und eine allgemeine Auslagenpauschale geltend.

Gestritten wird um den Unfallhergang und die Höhe des Schadens. Die Klägerin trägt vor, dass der Zeuge S zum Unfallzeitpunkt mit dem ihrem Lkw MAN, auf dem Kreisverkehr auf der linken Spur fuhr, als Herr pp. mit einem bei der Beklagten versicherten Pkw von der rechten auf die linke Spur überwechselte. Dabei kam es zum Zusammenstoß zwischen dem klägerischen Fahrzeug vorne rechts und dem Beklagtenfahrzeug. Weiter trägt die Klägerin vor, dass der Unfall für den Zeugen S unvermeidbar gewesen sei.

Die Klage war teilweise begründet. Das AG führt im AG Schweinfurt, Urt. v. 07.06.2021 – 3 C 1314/19 – u.a. aus:

„I. Das AG Schweinfurt ist örtlich zuständig. Der Geschädigte kann bei einem Verkehrsunfall im Ausland an seinem Wohnsitzgericht eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer der Gegenseite erheben, da eine Direktklage gern. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG im deutschen Recht zulässig ist und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines europäischen Mitgliedsstaates ansässig war, BGH NJW 2008, 2343 (VI ZR 200/05), EuGH VersR 2008, 111 (C.463/06, FBTO Schadeverzekeringen NV./. Odenbreit).

Das Amtsgericht Schweinfurt ist gem. den §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG auch sachlich zu-ständig.

II. Anwendbares Recht:

Vorliegend ist materiell rechtlich das Recht des Vereinigten Königreichs, insbesondere Englisches Recht, maßgebend (Deliktsstatut).

Gem. Art. 4 Rom II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind (Tatortregel).

Haben der Ersatzpflichtige und der Verletzte ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in demselben Staat, unterliegen Ansprüche aus Straßenverkehrsunfällen gemäß Abs. 1 dem Recht des Unfall-orts, vgl. Junker in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 4 Rom II-VO Rn. 96.

Gem. Art. 15 Rom II-VO ist das nach dieser Verordnung auf außervertragliche Schuldverhältnis-se anzuwendende Recht insbesondere maßgebend

a) für den Grund und den Umfang der Haftung einschließlich der Bestimmung der Personen, die für ihre Handlungen haftbar gemacht werden können;

b) die Haftungsausschlussgründe sowie jede Beschränkung oder Teilung der Haftung;

c) das Vorliegen, die Art und die Bemessung des Schadens oder der geforderten Wiedergutmachung,

Das angerufene Gericht hat die Schadensberechnung auch sonst in derselben Weise vorzunehmen wie ein Gericht im Staat der lex causae. So wie bei Rechtsgeschäften nicht zwischen einem Vornahmestatut und einem Wirkungsstatut zu trennen ist, erfolgt auch bei unerlaubten Handlungen keine kollisionsrechtliche Trennung von Haftungsgrund und Haftungsfolgen, vgl. Junker in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 15 Rom II-VO Rn. 14.

Im engeren Sinne ist englisches Recht anwendbar, da jede Gebietseinheit des vereinigten Königreichs als eigener Staat gilt. Der Unfall hat in England stattgefunden, somit ist englisches Recht anwendbar. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, dem sich das Gericht aus eigener Überzeugung anschließt.“

Zur Haftung und zur Schadenshöhe dann bitte selbst weiterlesen.